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City oder Center? Einkaufen in prima Lauflage

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City oder Center? Einkaufen in prima Lauflage

»Es gibt eben zu viel Geld und das Geld will Kapital sein, d. h. es will immer noch mehr Zinsen raffen, d. h. es will zur Zeit am liebsten Kaufhäuser bauen, ich bin gespannt, wann Horten und Konsorten den Kölner Dom kaufen, der hat nämlich eine prima Lauflage.« Derart kritisch äußerte sich 1971 Martin Walser, zitiert in der Streitschrift »Profitopoli$ oder Der Mensch braucht eine andere Stadt« von Josef Lehmbrock und Wend Fischer aus demselben Jahr.

Gudrun Escher

Diese Aussage ließe sich unschwer auf innerstädtische Einkaufszentren als die nächste Generation der Konsumtempel ummünzen, während gleichzeitig in Duisburg die Denkmalpflege sich um den Erhalt der Kettenhemdfassade des ehemaligen Kaufhauses Horten von 1956 bemüht, wohl vergeblich. Die Frage, welche Stadt der Mensch brauche, ist heute nicht leichter zu beantworten als damals. Die »lebenswerte Stadt« führen alle im Munde, ob die seit über zwanzig Jahren bestehende internationale Vereinigung »Livable Cities« oder die »Stiftung Lebendige Stadt«, eine Gründung von Alexander Otto, Mitinhaber des Otto Versand und Geschäftsführer des auf Einkaufszentren spezialisierten Projektentwicklers und Marktführers ECE sowie Vorsitzender der deutschen Sektion des Urban Land Institute ULI. Otto wird nicht müde darzulegen, dass gerade Einkaufszentren die Innenstädte mit neuem Leben erfüllten. Gemäß einer aktuellen Bürgerbefragung definiert sich die Innenstadt tatsächlich vorwiegend über den Einzelhandel, jedoch nicht zwangsläufig in Shopping-Centern. Als »Angriff auf die City«[1], so der Titel einer 2006 erschienenen Sammlung kritischer Texte, versteht Walter Brune das in sich geschlossene Center mit ausgesuchten Geschäften, Gastronomie und inszenierter Unterhaltung unter einem Dach. Er selbst hatte vor dreißig Jahren mit dem Rhein-Ruhr-Zentrum zwischen Mülheim an der Ruhr und Essen den Typus großflächiger Einkaufszentren geprägt. Dass er kurz vor Erscheinen des Buches dieses Zentrum sowie weitere in einem Paket, zwar unter Auflagen, aber sehr profitabel ausgerechnet an ECE veräußerte, beschädigte seine Glaubwürdigkeit. Bei vielen Bürgern jedoch, die sich in Braunschweig, Würzburg, Lippstadt oder anderswo gegen überdimensionierte Einkaufstempel in Nachbarschaft zu den angestammten Fußgängerzonen wehrten, fielen die, wenn auch zum Teil einseitig pointierten Aussagen namhafter Fachleute unterschiedlicher Disziplinen auf fruchtbaren Boden. Gegen die Auslieferung des Buches hatte die ECE im November 2006 mit Hilfe eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung versucht anzugehen.
Um in der stark emotionalisierten Kontroverse zwischen den Versprechungen der Projektentwickler, den Hoffnungen städtischer Wirtschaftsförderer, den Bedenken von Interessensvertretern des Einzelhandels und Bürgern festen Boden zu gewinnen, arbeiten seit 2006 Monika Walther und Thomas Krüger von der HafenCity Universität Hamburg an der DFG-Studie »Auswirkungen innerstädtischer Shopping-Center auf die gewachsenen Strukturen der Zentren«. Sie beobachten eine ausgeprägte Kompetenz- und Informationsasymmetrie zwischen Centerbetreibern und Kommunen, was dazu führe, dass neue Projekte entweder aufgrund vager Vorstellungen und zweifelhafter Gutachten genehmigt würden oder aus schlichtem Konkurrenzdenken von Bürgermeistern. Noch bevor die Studie abgeschlossen ist wurde deutlich, dass Shopping-Center entgegen den Versprechungen kaum neue Kaufströme generieren und die gleichen Marktzyklen erleben wie andere Geschäftszentren. Wenn also Remscheids Oberbürgermeisterin sagt, ohne solche Center käme niemand in die City, mag das stimmen, eine ähnlich positive Wirkung könnte aber auch erzielt werden, wenn, wie in Dortmund, die innerstädtischen Einzelhändler für Qualitätsverbesserungen in und außerhalb der Geschäfte an einem Strang zögen. Eine Studie dazu bereitet auch Gerd Kühn am Deutschen Institut für Urbanistik vor.
Initiatoren für das Kompendium »Angriff auf die City« waren neben Walter Brune engagierte Raumplaner und Bauwissenschaftler in Braunschweig und Cottbus. Während hier das Shopping-Center am Rande der historischen Altstadt nach einem Politikwechsel gekippt werden konnte, ist das ECE-Projekt Braunschweiger »Schloss«, eine historische Attrappe um ein mit Kultur garniertes Einkaufszentrum, inzwischen eröffnet. Dabei ging es den Autoren nicht nur um ECE, sondern um das Geschäftsmodell an sich. Dennoch wehrte sich ECE juristisch, aber ohne großen Erfolg, insbesondere haben die Darstellungen zu Cottbus und Hameln Bestand, die massive Beeinflussung der dortigen Meinungsbildung durch ECE nachweisen, keine Einzelfälle, wie verlautet. In Hameln, wo Friedrich Spengelin die städtebauliche Integration der »Stadtgalerie« mit historischer Fassade gutachterlich begleitete, steht 2008 die Eröffnung an, aber schon jetzt seien neunzig Prozent der Ladenflächen vermietet, davon vierzig Prozent an örtliche Einzelhändler. Im Klartext heißt das, diese ziehen mehrheitlich um und hinterlassen woanders Leerstände. In Pforzheim dagegen bemühte sich der Centerbetreiber Multi Development darum, gerade solche Geschäfte in die »Schlössle-Galerie« zu holen, die in der City ringsum noch nicht vertreten waren. In dem Buch wird sie als positives Beispiel genannt, weil direkte Ladeneingänge von der Fußgängerzone aus das Center nicht abschotten und oben auf dem Dach eine Grünfläche mit Sitzbänken und Café an den früheren Schlossgarten erinnert (Planung RKW, eröffnet 2005). Seither hat sich die Frequenz in der zehn Jahre alten Volksbankpassage gegenüber mit ihrem fliegenden Dach, Entwurf Hans-Joachim Maile, deutlich verbessert und die länger brachliegende Goethegalerie daneben erlebte gerade als »G19« eine Auferstehung, alles auf Kosten anderer Nebenlagen in der City, wie unabhängige Erhebungen ergaben.
Während die Neuentwicklung großflächiger Center in peripheren Lagen in Deutschland abebbt und auch Landesentwicklungsplänen wie in NRW seit Sommer 2007 widersprechen würde – Ausnahme Weiterstadt bei Frankfurt nach Entwurf von HPP –, mehren sich innerstädtische Center mit 70.000 m2 Verkaufsfläche, aber auch kleinere Projekte mit weniger als 15.000 m2, obgleich als Mindestgröße bisher etwa 20 000 m² galten. Zudem generieren Fassadenwettbewerbe prominente Architektennamen als Qualitätssiegel: In Essen ist es Henn, in Düsseldorf Allmann Sattler Wappner, in Dresden Kulka, in Leipzig am Brühl, wo der Widerstand noch nicht verstummt ist, Grüntuch Ernst und in Mönchengladbach Gernot Schultz, um nur einige zu nennen. Die Würzburg Arcaden von Auer und Weber liegen auf Eis. In Münster entwarf Josef Paul Kleihues für die Sparkasse die Münster Arkaden, die als vorbildlich integriert in die kleinteilige Struktur der umgebenden Einzelhandelsgeschäfte gelten. Jetzt aber entstehen keine 200 Meter entfernt die nächsten Center: das Hansa-Carrée als Komplex aus 19 Stadthäusern in Eigenentwicklung des Architekten Andreas Deilmann und die Stubengasse nach Entwurf von Ernst Kaspar und Matthias Fritzen in zwei getrennten Baukörpern. Gebäudegruppen mit gemischten Nutzungen an öffentlichen, nicht überdachten Plätzen scheinen international den aktuellen Trend zu spiegeln wie etwa in Almere, Entwurf Portzamparc, in Istanbul-Ümranyie, Entwurf FOA, oder künftig im Überseequartier Hamburg nach dem Entwurf von Rem Koolhaas. Hier war ECE im Investorenwettbewerb unterlegen, hatte jedoch die entsprechenden Vorgaben eingehalten. Solche neuen Konzepte modifizieren das Schema, ohne den Typus an sich, der die Stadt erst lebenswert mache, aufzugeben. •
[1] Brune Walter, Rolf Junker und Holger Pump-Uhlmann (Hrsg.): Angriff auf die City. Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten und nicht integrierten Shopping-Centern in zentralen Lagen. Droste Verlag, Düsseldorf, 2006
Postskriptum: Als 1986 das kleine Einkaufszentrum »Olivandenhof« in Köln (Entwurf HPP) als Investment der Colonia Versicherungen eröffnete, wurde es mit Architektur- wie Einzelhandelspreisen überhäuft – und siechte dahin, selbst als ECE das Management betrieb. 2005 übernahm Globetrotter das ganze Haus mit 7.000 m2 Verkaufsfläche und baute es nach dem Entwurf von Holger Moths um. Mittlerweile ist der Olivandenhof ein florierendes Sport-Kaufhaus, das andere Sportgeschäfte in der City das Fürchten lehrt.
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