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Letzter Bau von Oscar Niemeyer vollendet

Niemeyer-Sphere in Leipzig
Letzter Bau von Oscar Niemeyer vollendet

Fürs Bauen im Bestand ist Oscar Niemeyer eigentlich nicht bekannt. Doch kurz vor seinem Tod hat er für ein Leipziger Unternehmen ein Projekt geplant, das nun posthum fertiggestellt wurde: Einer alten Industriehalle setzte er ein Restaurant aufs Dach.

Ist hier ein Planet vom Himmel gefallen? Und in einer alten Backsteinhalle stecken geblieben? Vor dieser Frage steht, wer im Leipziger Stadtteil Plagwitz, unweit der legendären Baumwollspinnerei, das Gelände des Kranherstellers Kirow betritt. 2011 hatte der Unternehmer den Architekten Oscar Niemeyer angeschrieben und ihm den Auftrag angeboten, auf dem Dach seines Kantinengebäudes einen zusätzlichen Speisesaal zu errichten. Der Brief schloss mit dem Worten »Selbstverständlich genießen Sie alle Freiheiten«. Davon hat Niemeyer Gebrauch gemacht und einen kugelförmigen Baukörper mit 12 m Durchmesser entworfen. Nach Niemeyers Tod im Dezember 2012 wurde das Konzept von Jair Valera, seiner rechten Hand im Büros in Rio de Janeiro, umgesetzt – gemeinsam mit Harald Kern, den man als lokalen Architekten in Leipzig gewinnen konnte. Das Ergebnis: Mit einer Schale aus Weißbeton wirkt die Kugel besonders in der Dämmerung oder bei Nacht wie ein Himmelskörper.

Obwohl sie vorgibt, in 8 m Höhe nur zufällig auf der Ecke der fast 100 Jahre alten Industriehalle zu sitzen, ruht sie auf einem Betonschaft. Er wurde bündig an den Gebäudekopf gesetzt und passt sich mit rot durchgefärbtem Beton unauffällig den Backsteinfassaden der Halle an. Zwei organisch geformte Ausschnitte lassen Licht in die Betonkugel, geschlossen werden sie mit einem geodätischen Stahlmaßwerk, dessen 147 dreieckige Scheiben aus Liquid Crystal Glas sich der Sonneneinstrahlung entsprechend zur Verschattung schwarz färben lassen. Die Illusion eines abstrakten Objekts bleibt ungestört, da keine Treppe, keine Tür die Hülle an sichtbarer Stelle perforiert.

Die Erschließung erfolgt vielmehr über den Betonschaft, der eine kleine Lobby und den zentralen Aufzug in die oberen Etagen birgt. Über den Lift erreicht man auf Äquatorhöhe der Kugel das 2. OG. Um die Ecke geht es zunächst in eine Bar. Die Rückwand verweist mit ihrem roten Anstrich darauf, dass dort einmal die Backsteinfassade der Halle stand, während alle neuen Bauteile in weiß gehalten sind. Eine Treppe führt in weitem Bogen nach oben zu Restaurant und Lounge. Die Gäste sitzen unter einer Glaskuppel mit wunderbarem Blick nach draußen. Eine 2,50 m hohe, eingestellte Wand trennt den Servicebereich vom Restaurant und zeigt eine der berühmten Strandskizzen von Oscar Niemeyer auf Azulejos gebrannt. Eine Tür im rückwärtigen Teil der Betonschale führt hinaus zur Dachterrasse auf der Halle.

 

Oscar Niemeyer TechneSphere Leipzig
Bilder: Margret Hoppe / Sebastian Stumpf

Nachtwirkung der Niemeyer-Sphere

Weil der Lounge- und Restaurantbereich im OG auch in den Abendstunden genutzt wird, sei es für hausinterne Veranstaltungen, sei es zur Fremdvermietung, ließ der Bauherr eigens ein Beleuchtungskonzept erarbeiten. Das Büro LICHT KUNST LICHT hat die organische Form der Kugel in ihrer Ganzheit auch von außen erlebbar gemacht. Gobo-Strahler, die auf den Dächern der benachbarten Hallen montiert sind, illuminieren die weißen Betonschalen der Kugel und ein sanfter Lichtverlauf verleiht dem Beton eine Niemeyer-typische Leichtigkeit. Sowohl das angrenzende Kesselhaus, als auch die großen Fensteröffnungen in der Kugel werden durch Spezialmasken ausgeblendet, um damit Blendungen im Innern zu vermeiden. In den Abendstunden erweckt die Außenbeleuchtung beinahe den Eindruck, die Kugel schwebe im dunklen Nichts.

Im Innenraum spielt Indirektbeleuchtung eine wichtige Rolle. Im oberen Bereich der Trennwand zwischen Servicebereich und Restaurantfläche sind justierbare, kleine Strahler integriert und beleuchten die Betonhülle von unten, sodass sie wie ein weißer Reflektor fungiert. Zusätzliche kleine Strahler sitzen im schwarzen Bodenlüftungskanal entlang des Perimeters der Kugel direkt neben der Glas-Stahlkonstruktion, um diese sanft mit indirektem Licht einzublenden. Ein weiterer Lichtlayer durch Miniaturstrahler an den Knotenpunkten der Stahlkonstruktion dient zur Direktbeleuchtung des Raumes und der Treppe sowie zur Inszenierung des raumgreifenden Wandbildes. Damit Gäste auch während der Abendstunden einen ungestörten Blick in den Leipziger Himmel genießen können, war es für die Lichtplanung wichtig, sowohl den Boden, als auch die Tische in einem dunklen Ton zu halten, um Rückreflexionen in den Glasscheiben zu vermeiden. Im Restaurantbetrieb sorgen batteriebetriebene Tischleuchten für ein zoniertes, intimes Licht auf den Tischflächen, während die Deckenstrahler ein atmosphärisches Licht durch entsprechende Dimmbarkeit bieten. Für andere Veranstaltungen wie Vorträge oder Empfänge dienen die Deckenstrahler als Allgemeinbeleuchtung.

Eines der Hauptanliegen von Oscar Niemeyer war immer, Aufmerksamkeit durch Andersartigkeit zu erlangen. »Ich will, dass die Leute stehen bleiben«, »Architektur ist eine Überraschung« – all dies ist ihm auch mit seinem Spätwerk in Leipzig gelungen. Man kann nichts anderes tun als stehen zu bleiben und in den Himmel zu schauen – auf die scheinbar schwebende, glühende Kugel.

~Uta Winterhager, Christian Schönwetter


Projektdaten

Bauherr: Kirow, Leipzig
Nutzer: Kantinenerweiterung auf dem Gelände der Techne Sphere Leipzig
Entwurf: Oscar Niemeyer
Design Architekt: Ana Niemeyer Arquitetura e Consultoria LTDA – Jair Valera
Ausführender Architekt und Projektleitung: KERN Architektur UG, Leipzig – Harald Kern
Lichtplanung: LICHT KUNST LICHT AG, Bonn/ Berlin
Projektleitung: Martina Weiss
Team: Konstantin Klaas, Naiara Caballero, Thomas Möritz
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Förster + Sennewald Ingenieurgesellschaft mbH

Planungszeit: 2011 (Entwurf), 08/2013 – 08/2016 (Realisierung)
Bauzeit: 04/2017 – 06/2020
BGF: 218 m²

Leuchtenhersteller – Leuchten:
Miniaturstrahler für Direkt- und Indirektbeleuchtung: XAL – Just 32 Variable Focus
Lichtvouten, möbelintegrierte Beleuchtung: LED Linear – Flex Venus, Xooline
Downlights: Lucifer Lighting – 2 Series Pinhole Warmdim; Alteme – P11
Wandeinbauleuchte Treppe: BEGA
Strahler Fassadenbeleuchtung: Opticalight
Flüssigkristallgläser: Merck licrivision©



Mehr über Oscar Niemeyer:

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