Das Baubüro in situ macht Ernst mit der Kreislaufwirtschaft: Für Umnutzung und Aufstockung einer Schreinerei haben die Architekten in großem Stil gebrauchte Bauteile von anderen Gebäuden wiederverwendet. Was bedeutet das für den Planungsprozess?
Auf dem Winterthurer Sulzerareal hat das Baubüro in situ die ehemalige Halle einer Modellschreinerei modernisiert und um drei Etagen aufgestockt. Die entstandenen Flächen bieten Platz für zwölf Ateliers und Denkstuben sowie ein Tüftlerlabor mit Werkstatt im EG und im Zwischengeschoss. Die Stiftung Abendrot, eine Pensionskasse mit nachhaltiger Anlagestrategie, verfolgte dabei als Bauherrin einen ausgesprochen materialschonenden Ansatz: Der Bestand sollte weitestgehend erhalten, Fehlstellen sollten repariert statt ausgetauscht und die neuen Stockwerke aus möglichst vielen wiederverwendeten Bauteilen errichtet werden.
Bei einer derartigen Konstruktionsweise wird der Entwurfs- und Montageprozess von den Altmaterialien bestimmt, die man in anderen Gebäuden aufspürt, birgt und transloziert: So gab beispielsweise die abgebrochene Stahlaußentreppe eines Züricher Bürogebäudes die Geschosshöhen für die Aufstockung vor; zugleich bedingte ihr auf einem Raster von 16×16 m basierendes Stahltragwerk (es stammt von einem ehemaligen Basler Supermarktverteilzentrum) die Auskragung des Gebäudes ab dem 3. OG. Die orangerote Aluminiumblechfassade wurde von einer Druckerei in Oberwinterthur abgenommen; da sie drei verschiedene Profilarten aufwies, musste sie an ihrem jetzigen Einsatzort geschuppt montiert werden.
Generell galt es, mit möglichst viel Spielraum zu arbeiten, Elemente und Funktionen in Schichten zu entkoppeln, Überlagerungen zu erlauben und wiederverwendete mit anpassbaren Materialien zu kombinieren. Deswegen wurden die vorgefertigten Fassadenelemente aus Holz verschnittfrei mit Stroh gedämmt und innen mit Lehm aus einer nahen Baugrube verputzt. Auch die Trennwände sind vorwiegend aus Holz und nehmen alte Türen oder gebrauchte Dreischichtplatten aus dem Bühnenbau auf.
Da die ursprüngliche Halle ein Leichtgewicht war und die Lasten aus der Aufstockung daher nicht ohne Weiteres abzuleiten vermochte, war eine Fundamentverstärkung in Form von ausinjizierten Mikropfählen unter den tragenden Betonscheiben und Stützen des EGs notwendig. Entlang der Fassaden bauten die Planer eine Perimeterdämmung aus Schaumglasschotter ein, sämtliche Fehlstellen im Bodenbelag schlossen sie danach wieder mit geschliffenem Beton. Wann immer dieser Baustoff aus statischen, schall- oder brandschutztechnischen Gründen unvermeidlich war, verwendeten sie Recyclingbetonarten und Zement mit niedrigem CO2-Gehalt. Die bestehenden Industriefenster doppelten sie für einen besseren Wärmeschutz von innen mit Hilfe von alten Flügeln zu Kastenfenstern auf.
Dank dieser Bauweise ließen sich 60 % an Treibhausgas-Emissionen und 500 t Primärmaterialien im Vergleich zum Einsatz neuer Baustoffe einsparen.
~Tanja Feil
Standort: Lagerplatz 24, 8400 Winterthur (CH)
Bauherr: Stiftung Abendrot
Architektur: Baubüro in situ AG, Marc Angst, Pascal Hentschel, Benjamin Poignon
Tragwerksplanung: Oberli Ingenieurbau AG, Urs Oberli
Holzbauplanung: Josef Kolb AG, Stefan Signer
HLKS-Planung: Russo Haustechnik-Planung GmbH, Nicola Grabiele
Fertigstellung: 2021
Baukosten: 2,257 Mio. CHF
Holzbau: Zehnder Holz und Bau, Andreas Frieden
Stahlbau: Wetter AG, Marc Kreissig