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Das Gesicht wahren

Studentisches Wohnhochhaus in München
Das Gesicht wahren

In freier Interpretation weiterentwickelt: Das prägnante außenliegende Tragwerk eines Hochhauses im Münchner Olympiadorf verschwand hinter Wärmedämmung und wurde anschließend wieder nachempfunden – mithilfe neuer Betonelemente, die jetzt vor der Fassade hängen. Zumindest das Erscheinungsbild des 1970er-Jahre-Baus konnte das Büro Knerer und Lang dadurch weitgehend erhalten.

{Text: Claudia Hildner

Die Olympischen Spiele von 1972 brachten auch architektonisch frischen Wind nach München. Zu den damals errichteten Bauten gehören u. a. die Wohnanlagen für die Sportler, die in Sachen Städtebau und Architektur ganz den Geist der damaligen Zeit atmen und heute unter Ensembleschutz stehen. Nach den Spielen wurden die meisten Wohnungen an Privateigentümer verkauft, das Hochhaus von Günter Eckert am Helene-Mayer-Ring 7 und der Bungalowkomplex von Werner Wirsing hingegen (2010 nach einem Entwurf von Bogevischs Büro / Werner Wirsing neu errichtet) dienen seither Studenten als Unterkunft. Die beiden Anlagen beziehen sich in gewisser Weise aufeinander: Während die Bungalowmodule sich horizontal über die Fläche verteilen, sind die Wohneinheiten im Hochhaus übereinander gestapelt. Eckert beließ es nicht bei der formalen Symbolik, sondern brachte dies auch konstruktiv zum Ausdruck: Die Loggien aus Beton, die jedes einzelne Apartment an der Fassade einrahmten und es wie eine eigenständige Raumzelle erscheinen ließen, sind die tragenden Elemente des Bauwerks. Die Lasten aus den Geschossdecken werden von Unterzügen gesammelt und über die gestapelten Loggien-Fertigteile im Fassadenbereich abgetragen – das Innere des Hochhauses bleibt dadurch stützenfrei. Zwei Treppenhäuser steifen die Konstruktion aus.
Mehr Sicherheit und Ruhe
Bei der nun erfolgten Sanierung des Wohnheims durch das Architekturbüro Knerer und Lang aus Dresden sollten Energieeffizienz und Brandschutz optimiert werden, ohne dass die charakteristische äußere Erscheinung verloren geht (s. S. 105). Zudem ging es um die Modernisierung der Technik im Gebäudeinneren und die Verbesserung der Wohnbedingungen der Studenten. Das Budget verlangte dabei gewisse Einschränkungen: Knerer und Lang entschieden sich dafür, bei den Erschließungsbereichen zu sparen und die Aufmerksamkeit vor allem der Fassade und der Ausstattung der Apartments zu widmen. Die zwei Treppenhäuser blieben daher im Inneren weitgehend unverändert erhalten. Da die Länge der Fluchtwege im mittleren Gebäudeteil nicht mehr den Normen entsprach, wurde dort ein drittes Treppenhaus ergänzt. Dabei konnten die Architekten einen der beiden modulbreiten Freiräume nutzen, bei denen Eckert auf Apartments verzichtet hatte; er hatte diese Leerstellen damals eingeplant, um den Baukörper von außen optisch zu gliedern und die Flure besser zu belichten. Der zweite Freiraum wurde ebenfalls aufgefüllt; dort befindet sich nun auf jedem Geschoss ein Gemeinschaftsraum für die Bewohner. Von außen tarnen sich die beiden neuen Funktionsbereiche: Die Fassade läuft ohne Hinweis auf eine Sondernutzung über sie hinweg.
Da die Trennwände zwischen den einzelnen Apartments sowie zwischen den Wohneinheiten und dem Erschließungsflur nicht mehr den aktuellen Anforderungen an den Schallschutz gerecht wurden, ließen die Architekten alle Einbauten im Inneren entfernen. Eine biegeweiche gedämmte Unterhangdecke sowie neue Zwischenwände sorgen für mehr Ruhe in den dicht gepackten Apartments. Auch der Schallschutz der Decken wurde verbessert: Bisher dämpfte nur ein Nadelfilz, der direkt auf die Rohdecken aufgebracht gewesen war, die Geräusche von oben. Der neue Fußboden besteht aus einer Trittschalldämmung und einem speziellen Estrich, einem Beton-Polystyrol-Gemisch, den die mit 12 cm Dicke außerordentlich filigranen Decken statisch gerade noch verkraften. Als Belag wurde Kautschuk gewählt; wie auch das Orientierungssystem im Gebäude und Teile der Zimmerausstattung greift er das »Olympiablau« aus der Farbpalette auf, die Otl Aicher für die Olympischen Spiele 1972 eigens entwickelt hatte.
Mehr Individualfläche
Den Apartments wurde jeweils der Raum der – bislang ohnehin kaum genutzten – Loggia zugeschlagen. Dadurch vergrößert sich die reine Wohnfläche von 11,66 auf 14,12 m² und entspricht damit der Richtlinie für die Förderung von Wohnraum für Studierende, die einen Individualraum von mindestens 13 m² vorschreibt. Jede Wohneinheit funktioniert laut Thomas Knerer ähnlich wie ein »5-Zimmer-Apartment«: Die einzelnen Bereiche sind klar zoniert in Flur, Badzelle, Küche, Schlaf- und Arbeitsplatz. Die neutralen weißen Möbel, in die u. a. ein klappbarer Esstisch integriert ist, sind maßgefertigt und auf die Bedürfnisse der Studenten hin optimiert.
Außen liegende Tragwerke sind typisch für die Bauten der 1960er und 1970er Jahre – heute bringen sie Architekten, die den Charme der Gebäude erhalten und gleichzeitig die aktuelle Energieeinsparverordnung erfüllen wollen, ins Schwitzen. Bei dem studentischen Wohnhochhaus im Olympischen Dorf sind die tragenden Fertigteilrahmen der Loggien mit den durchlaufenden Unterzügen verbunden; und genau diese Anschlüsse hatten massive Wärmeverluste zur Folge. Neben dem hohen Energieverbrauch spielte bei der Entscheidung für das Modernisierungskonzept auch das Thema Brandschutz eine Rolle: Zwischen Tragwerk und gedämmter Fassade war wegen der unterschiedlichen Ausdehnung der kalten und warmen Bauteile eine Fuge verwirklicht worden, die einen Brandüberschlag von einem Geschoss zum nächsten ermöglicht hätte. Auch die bestehende Brüstung aus glasfaserverstärktem Kunststoff war aus heutiger Sicht nicht mehr zulässig, da brennbar.
Ein Erhalt der Loggien und damit auch des außenliegenden Tragwerks hätte eine Reihe von Problemen verursacht. Zunächst einmal hätte man das Brüstungselement erneuern und die Fuge mit einem gleitenden Anschluss in F90-Qualität verschließen müssen. Eine Dämmung der Loggien wäre wegen ihrer komplexen Geometrie teuer geworden und hätte die Ansichtsbreiten der Betonelemente stark vergrößert. Bei einem Verzicht auf eine Außendämmung hätten stattdessen die Unterzüge innenseitig gedämmt bzw. beheizt werden müssen, um Bauschäden durch Tauwasserausfall zu vermeiden.
Gegen den hohen Aufwand, den der Erhalt der Freisitze mit sich gebracht hätte, sprach v. a. deren spärliche Nutzung durch die Studenten – und die verlockende Alternative, den Außenraum der Wohnfläche der Apartments zuzuschlagen. Planer und Bauherr entschieden sich daher dafür, das Gebäude samt der Loggien in eine gedämmte Hülle zu stecken. Den Verlust der »ehrlichen Haut«, die das Hochhaus bisher ausgezeichnet hatte, versuchten die Architekten mit einer Konzentration auf die anderen Hauptmerkmale des ensemblegeschützten Baus wettzumachen: Der Einsatz modularer Systeme, die Plastizität der Fassade und die Verwendung roher Materialen sollten auch das neue Erscheinungsbild prägen.
Zunächst wurden alle Betonbauteile – auch die neuen Brüstungen, die die ehemaligen Loggien nun abschließen – mit Mineralwolle-Dämmplatten versehen. In die raumbreiten Öffnungen darüber wurden Schwingflügelfenster in der maximal zulässigen Größe gesetzt, der verbleibende Bereich neben den Fenstern mit gedämmten Paneelen geschlossen. Sie tragen eine Bekleidung aus eloxierten, dunkel gefärbten Aluminiumtafeln, die optisch für eine Tiefenwirkung sorgen sollen. Die Plastizität der ursprünglichen Erscheinung sollte auch nach der Modernisierung noch spürbar bleiben: Daher ließen die Architekten auf die gedämmte Fassade L-förmige Leichtbetonteile montieren, die die einzelnen Raumeinheiten – wie zuvor die Loggien – rahmen. Im Unterschied zum Bestand kommt es nun nicht mehr zu einer Doppelung von zwei Fertigteilen, die beim Übergang von einem Modul zum nächsten nebeneinanderliegen; stattdessen entschieden sich die Architekten für nur je ein trennendes Element, das jedoch im horizontalen und vertikalen Bereich auf je einer Seite nach außen hin abgeschrägt wurde, um in der Frontalansicht perspektivisch in etwa die alte Ansichtsbreite zu erreichen. Blickt man von Südosten und Nordwesten zum Gebäude, wirken die Fenster durch die optische Verzerrung sogar stärker zurückversetzt, als sie tatsächlich sind. Abschließend wurde ein neues Brüstungselement aus Aluminium montiert, das etwas vor der Fensterebene sitzt und die Plastizität der Fassade noch mehr betont.
Weniger spektakulär gestaltete sich die Modernisierung der Stirnseiten des Gebäudes: Die Architekten ließen sie dämmen und wie zuvor mit Faserzementplatten bekleiden. Die Platten entsprechen nicht ganz den ursprünglichen Dimensionen, sondern wurden so gewählt, dass das Raster aufgeht. Denn durch die Integration der Loggien wurde der Bau etwas breiter: Statt acht finden sich nun zehn Platten in einer Reihe. Um Vertikalverschiebungen zwischen ungedämmter und gedämmter Tragkonstruktion zu verhindern, mussten auch die Treppenhäuser eingepackt werden. Bekleidet wurden sie ebenfalls mit Faserzementplatten.
Auf diese Weise erreicht das studentische Wohnhochhaus, das mit Mitteln des Freistaates Bayern und als KfW-Effizienzhaus 100 gefördert wurde, einen Primärenergiebedarf von 12,68 kWh/m²a. Zum Vergleich: Vor der energetischen Modernisierung lag der Wert bei 48,76 kWh/m²a. Der mittlere U-Wert der Gebäudehülle verbesserte sich um rund 66 %, zugleich reduzierte sich der Heizwärmebedarf um ca. 69 %.
Natürlich bleibt die Frage, ob die Abbildung einer ehemals »ehrlichen Konstruktion« als »Ornament« auf einer wärmegedämmten Hülle architektonisch tatsächlich sinnvoll ist. Doch gerade bei den Bauten der 1970er Jahre sind solche einschneidenden Schritte wohl nötig, um sie in ihrer charakteristischen Erscheinung – und der ihr innewohnenden Wucht – im Stadtbild erhalten zu können. •
Standort: Helene-Mayer-Ring 7, 80809 München
Auftraggeber: Studentenwerk München, www.studentenwerk-muenchen.de
Architektur: knerer und lang Architekten, Dresden, www.knererlang.de
Energieplanung: Ingenieure Süd, München, www.akustikms.de
Jahres-Primärenergiebedarf: 12,68 kWh/m²a
Jahres-Endenergiebedarf: 53,60 kWh/m²a
Jahres-Heizwärmebedarf: 551,20 MWh/a
Baukosten: ca. 46,1 Mio. Euro brutto
Beteiligte Firmen:
Betonfertigteile: Sonderanfertigung, Zuber Betonwerk, Crailsheim, www.zuber-beton.de
Brüstungselemente: Aluminium, Sonderanfertigung, HSP Fassaden, Kolkwitz, www.hoehne-schmidt.de
Fensterprofile: Schüco International, Bielefeld, www.schueco.com
Sonnenschutzverglasung: SANCO Sun, SANCO, Nördlingen, www.sanco.de
weitere Informationen unter www.db-metamorphose.de

München (S. 102)

knerer und lang Architekten
Thomas Knerer
1963 in Garmisch-Partenkirchen geboren. 1982-84 Maurerlehre. 1984-91 Architekturstudium an der TU München und der Southbank University London. Seit 1993 gemeinsames Büro mit Eva Maria Lang in Dresden. Tätigkeit als Gastdozent im Weiterbildungszentrum für Denkmalpflege und Altbauinstandsetzung der TU Dresden. 1999-2008 Professur an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau. Seit 2012 im Gestaltungs- und Planungsbeirat Ingolstadt.
Eva Maria Lang
1964 in München geboren. 1985-91 Architekturstudium an der TU München. 1991-93 Mitarbeit in mehreren Büros in München und Dresden. Seit 1993 gemeinsames Büro mit Thomas Knerer in Dresden. 1994-2001 Lehrauftrag an der TU Dresden. Seit 2013 im Gestaltungs- und Planungsbeirat Halle.
Claudia Hildner
1979 in München geboren. 1999-2005 Architekturstudium an der TU München und der Universität von Tokio. Ab 2007 freie journalistische Tätigkeit in Stuttgart und Tokio, seit 2011 in München. Redaktionelle Mitarbeit bei Baumeister, german-architects.com und Metamorphose. Buchpublikationen »Wand« (mit Simone Hübener) und »Kleine Häuser«.
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