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Glaspalast fürs Auto

Berliner Kantgaragen vom Abriss bedroht
Glaspalast fürs Auto

Der Berliner Kantgaragen-Palast zählt zu den Ikonen des Neuen Bauens und ist eine der ältesten Hochgaragen in Deutschland. Doch nach dem Willen des Eigen- tümers soll das weitgehend unverändert erhaltene Gebäude jetzt abgerissen werden. Angeblich ist die Bewehrung des Stahlbetons durch Salzeintrag so stark beschädigt, dass eine Restaurierung und wirtschaft-liche Weiternutzung nicht mehr möglich ist.

{Text: Thomas Steigenberger

Jüngst kürte die Boulevardpresse Berlins älteste Hochgarage als das »gruseligste« Denkmal der Stadt. Doch nur ein oberflächlicher Blick auf das Gebäude mag dieses Urteil bestätigten: Über Jahrzehnte wurde hier der Bauunterhalt vernachlässigt – seit 1961 sind am Gebäude keine größeren Reparaturen mehr vorgenommen worden. Die Fenster sind verdreckt und teilweise blind, Graffiti und Sperrmüll im Inneren vermitteln einen Zustand der Verwahrlosung. Wer genauer hinsieht, erkennt jedoch schnell die architektonischen Qualitäten dieses Ausnahmebaus, der wie durch ein Wunder die Bomben des Zweiten Weltkriegs sowie alle anschließenden Veränderungsmoden überstanden hat und auf über 80 Jahre kontinuierlicher Nutzung zurückblickt.
Federführender Architekt war Hermann Zweigenthal (1904-68), der die Kantgaragen 1929-30 zusammen mit seinem kurzzeitigen Büropartner Richard Paulick (1903-79) entwarf – in Kooperation mit der Architekturfirma Lohmüller, Korschelt & Renker. Trotz beengter Grundstücksverhältnisse und einiger Planänderungen auf Wunsch des Bauherrn gelang ihnen eine gleichermaßen innovative wie formal überzeugende Lösung der Bauaufgabe Hoch-garage, für die es seinerzeit in Deutschland kaum Vorbilder gab. Durch große Fensterflächen und eine sachlich-funktionale Gestaltung traten die Kantgaragen in deutlichen Kontrast zu den späthistoristischen Fassaden der »Mietskasernenstadt«, die den Architekten der Moderne so verhasst war. Heute kommt die ursprüngliche städtebauliche Situation jedoch weitaus weniger deutlich zum Tragen, nachdem das linke Nachbarhaus und die zweigeschossige Villa auf dem Grundstück der Garagen im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden.
Wo die Wohnhäuser aus der späten Kaiserzeit von Stuck und einer Hierarchisierung durch klassische Architekturmotive wie Fensterverdachungen, Giebel und Gesimse geprägt waren, findet sich bei den Kantgaragen eine nichttragende, stockwerksübergreifende Fassadenhaut, die den inneren Funktionsablauf im Gebäude widerspiegelt. Diese Innenaufteilung ist ebenso klar wie funktional: Zu beiden Seiten einer breiten, in ganzer Gebäude-tiefe durchlaufenden Erschließungsstraße, sind auf jeder Etage die Einzel- und Sammelboxen für etwa 300 Automobile angeordnet. Diese Erschließungsstraße tritt an der Straßenfront durch die stockwerksübergreifend verglaste und risalitartig vorspringende Mittelpartie in Erscheinung, während sich die Garagen hinter den mit sandgrauen Klinkern verkleideten Wandscheiben befinden. Verbunden werden die einzelnen Geschosse durch eine doppelgängige Wendelrampe, die sich auf der durchgängig verglasten Rückseite des Gebäudes befindet. Allein in der längst zerstörten Pariser Citroën Garage Marbeuf (1926 und 1929 von Albert Laparde und Léon Bazin), deren Mittelfront als riesiges, weithin einsehbares Schaufenster inszeniert war, wurden die architektonischen Ideen des Neuen Bauens der 1920er Jahre noch spektakulärer umgesetzt. Wie die Kantgaragen war auch der Pariser Bau in eine vom 19. Jahrhundert geprägte Stadtstruktur eingefügt, zu der dieser gestalterisch in denkbar stärksten Kontrast und doch spannungsreich in Beziehung gesetzt wurde.
Als ein Schlüsselbau der europäischen Mobilitätsgeschichte und der neuen Bauaufgabe Hochgarage ist das Berliner Beispiel ein Denkmal von herausragender architekturhistorischer und künstlerischer Bedeutung. Daher sollte Berlin auch im Falle einer drohenden Schadensersatzklage den Abrissantrag des Eigentümers ablehnen. Eine Gesellschaft, die barocke Schlossfassaden wiederaufbaut, kann sich notfalls auch den Erhalt eines originalen Garagenpalastes etwas kosten lassen. •
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