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Learning Center in Marseille (F) von Rémy Marciano Architecte

Learning Center in Marseille (F)
Schwungvolles Sechseck

Aus einem leerstehenden Campusrestaurant wurde eine Bibliothek mit Lernzentrum für Studierende. Behutsame Grundrisserweiterungen und Fassadenelemente aus Aluminium verleihen dem ehemals starren sechseckigen Betonbau mehr Schwung und Transparenz.

Architekt: RÉMY MARCIANO ARCHITECTE
Tragwerksplanung: ICES

Text: Tanja Feil
Fotos: Takuji Shimmura u. a.

2012 schlossen sich drei Hochschulen im Großraum Marseille zur Universität Aix-Marseille (AMU) zusammen; in den Folgejahren plante die Bildungseinrichtung zahlreiche Umstrukturierungs- und Modernisierungsmaßnahmen auf ihren insgesamt fünf Campus. Am Standort Luminy sollte ein zeitgemäßer Lern- und Treffpunkt für die Studierenden nebst zentraler Bibliothek in einem verlassenen Bestandsgebäude namens »Hexagone« geschaffen werden. Die Hochschule spricht etwas pathetisch vom »neuen Herz« des bis dahin eher brachliegenden Teils des Unigeländes. Den 2014 ausgelobten Wettbewerb zum Umbau gewann Rémy Marciano.

Am Fuß einer Bergkette inmitten des Massif des Calanques gelegen, war das Bauwerk in den 60er-Jahren als Stahlbetonskelettbau errichtet worden. Sein OG war als dominantes aufgeständertes Sechseck ausgeführt, das teilweise über dem EG auskragte. Es beherbergte ursprünglich eine gastronomische Einrichtung der Universität, stand aber vor dem Umbau schon seit gut fünfzehn Jahren leer.

In der Mitte wegnehmen

Die Planer fanden ein relativ intaktes Betontragwerk vor, sämtliche Einbauten, Installationen und Fassadenelemente waren jedoch in sehr schlechtem Zustand und konnten daher nicht erhalten werden. Die Geschichte des Gebäudes und die Eingriffe in den baulichen Bestand sollten dennoch ablesbar bleiben und zeigen sich nach der Modernisierung vor allem im Innern: Während beispielsweise das sichtbare dreiecksförmige Deckentragwerk und die Stützenköpfe einen neuen weißen Anstrich erhielten, blieben die unteren Bereiche der Betonstützen vielfach unbehandelt, ebenso eine Wand des neuen Studentencafés.

Durchbrüche schaffen

 

Typisch für die 60er Jahre: das dreiecks- bzw. wabenförmige Tragwerk. Für die Deckendurchbrüche wurde es mit Ringankern verstärkt. Damit entstand ein lichter Innenhof, der inzwischen durch  Sitzstufen fast wie ein Amphitheater erscheint.

 

Foto: Rémy Marciano Architecte

Um mehr Tageslicht und Luft ins Gebäude zu holen, brachen die Architekten im Zentrum des Hexagons die Böden und Decken komplett ab und schufen einen offenen, zum Teil begrünten Innenhof. Statisch wurde dies möglich, indem sie umlaufende Ringanker einzogen. Der Patio ist wie ein kleines Theater konzipiert; er verfügt über zwei verschiedene Ebenen, die mittels großer Sitzstufen miteinander verbunden sind. Letztere setzen sich im Foyer des Gebäudes fort. Der Hof selbst wartet mit mehreren, unterschiedlich gestalteten Sitz- und Aufenthaltsmöglichkeiten auf. Bereits zuvor hatte es eine Art Amphitheater im Grünen neben dem verlassenen Restaurantbau gegeben; über die Jahre war es zu einem beliebten Ort für Feiern oder Konzerte für die Studentinnen und Studenten in Luminy geworden. Dieser Treffpunkt ist nun – dem Ziel des Umbaus gemäß – ins Zentrum des Hexagons gerückt, am ursprünglichen Standort des Naturtheaters wurde ein ausgedehnter Park angelegt.

Außen hinzufügen

Das Raumprogramm in den beiden unteren Geschossen des Gebäudes ist vielfältig: Hier finden sich ein Hörsaal mit bis zu 100 Plätzen, ein Mehrzweck- und Ausstellungsbereich von 220 und ein Foyer mit 180 m² Größe, ein Café, aber auch verschiedene Service-, Arbeits- und Aufenthaltsräume für die Studierenden. Daneben wurden hier diverse universitäre Einrichtungen gebündelt, die davor bisweilen über das gesamte Gelände verstreut waren, etwa die Zentren für Sprachen, für Sport und für pädagogische Innovationen, die Büros für studentisches Leben und für internationale Beziehungen oder der Informations- und Orientierungsservice. Um für all diese Funktionen genügend Fläche zu schaffen, weiteten die Planer die vorhandenen Grundrisse nach Norden und Osten etwas auf. Auf diese Weise entstanden unregelmäßige, nicht mehr exakt übereinander liegende Sechsecke, die die starre Struktur des Bauköpers etwas auflösen und fließendere Formen erzeugen. Gleichzeitig ließen sich dadurch Terrassen, große Fensterflächen mit tiefen Laibungen und gedeckte Freibereiche entlang der Fassaden schaffen.

Lernen mit Aussicht

 

Rundherum sind in der Bibliothek die Arbeitsplätze verteilt, zum Teil mit Zugang zu einer der Außenterrassen. Grandios ist die Aussicht. Einerseits mag sie von der Arbeit ablenken, andererseits gewährt der Blick in die Ferne auch die Freiheit zum weiten Denken.

 

Foto: Takuji Shimmura

Das oberste Geschoss, ebenfalls um eine Achse nach Norden und Osten erweitert, beherbergt die umfangreiche 360°-Bibliothek mit 550 Plätzen, 16 Arbeitsräumen und Außenlesebereich – technisch selbstverständlich auf dem neuesten Stand. Eine große Bandbreite unterschiedlicher Möbel vom Steh- über den Schreib- bis zum Beistelltisch und vom Stuhl über den Hocker bis zum Sofa erlaubt sowohl konzentriertes Arbeiten als auch Entspannung zwischendurch – statt mit einem strengen Lesesaal wartet die Bibliothek eher mit einem wohnlichen Charakter auf. Sie dient als Hauptanziehungspunkt für die Studierenden, Forschenden wie auch die Professoren, denn das vorherige Gebäude der Universitätsbibliothek war veraltet, kaum noch funktional und befand sich zudem am anderen Ende des Campus. Das Konzept scheint aufzugehen, denn die Besucherzahlen am neuen Standort haben sich nach Angaben der AMU mittlerweile verdreifacht.

Das Learning Center neu umhüllen

Um die reizvolle Pinien- und Felsenlandschaft auch im Innern des Gebäudes sichtbar zu machen und die Räume gleichzeitig gut zu belichten, sind die Fassaden großzügig verglast. Den notwendigen Sonnenschutz liefern senkrechte Lamellen aus milchig-weißem, gelochtem Aluminiumblech. Sie legen sich in allen drei Geschossen als gerasterte Hülle mit abgerundeten Ecken schwungvoll ums Gebäude und zwar so, dass sowohl die einzelnen Etagen ablesbar bleiben, das Bauwerk aber nach außen trotzdem als Einheit erscheint. Porosität und Farbe der Lamellen sollen laut Aussage der Architekten die Beschaffenheit des umgebenden Kalkgesteins widerspiegeln.

Aufgebrochen wird das Raster hin und wieder durch Rücksprünge innerhalb der Fassade sowie großformatige Fenster, deren tiefe Laibungen im Kontrast zum Weiß des Aluminiums dunkles, kesseldruckimprägniertes Douglasienholz bekleidet. Auch die Terrassen sind mit demselben Material belegt und sogar im Innenbereich findet sich diese Holzart wieder, beispielsweise in Form von Wandvertäfelungen oder Treppenverkleidungen. Dies unterstreicht die zum Teil fast schon wohnliche Atmosphäre und hohe Aufenthaltsqualität in dem Learning Center, der deutlich mehr ist als nur ein Ort zum Lernen und Arbeiten.


Standort: Campus de Luminy, 163 Avenue de Luminy, 13009 Marseille (F)
Bauherr: LUSCIE, Marseille
Architekten: RÉMY MARCIANO ARCHITECTE, Paris
Projektmanagement: Pietro Bellucci, Hélène Caputo
Tragwerksplanung: ICES-BTP, Marseille
Akustikplaner: LASA, Marseille
Fläche: 7 783 m²
Baukosten: 18,6 Mio. Euro (ohne MwSt.)

Beteiligte Firmen:
Rohbau und Fassade: Bouygues Bâtiment Sud Est, Marseille, www.bouygues-batiment-sud-est.fr
Aufzug: KONE, Marseille, www.kone.fr
Teppichboden: FORBO, Forbo Flooring Systems, Reims, www.forbo.com


RÉMY MARCIANO ARCHITECTE

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Rémy Marciano

Studium von Architektur und Städtebau, 1992 bzw. 1993 Diplom. Seit 1996 eigenes Büro. 2004-08 beratender Architekt und stv. Präsident der Architektenvereinigung des Départements Bouches du Rhône. Seit 2005 Lehraufträge, seit 2014 Leitung des Master-LAB 43 an der ENSA Marseille.


Über die Autorin Tanja Feil

Architekturstudium an der FH Regensburg, 2001 Diplom. Mitarbeit in mehreren Architekturbüros. 2005 Weiterbildung zur Energieberaterin für Gebäude. Seit 2007 Redakteurin und freie Fachautorin.


Campus de Luminy, Marseille (F):

Weitere Hochschulbauten:

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