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Klingende Räume

Kultur Gut Hasselburg in Neustadt/Ostholstein
Klingende Räume

40 km nördlich von Lübeck haben BIWERMAU Architekten aus Stallungen Gästeapartments und Büros für die Stahlberg Stiftung gemacht, die dort Musiker fördert. Alle baulichen Änderungen sind sofort erkennbar, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Text: Falk Jaeger
Fotos: Holger Scheibe

Landgüter, einst Kulturträger ersten Ranges auf dem platten Land, wurden mit der Industrialisierung der Landwirtschaft einem radikalen Paradigmenwechsel unterzogen. Die historischen Gutshöfe, architektonischer Ausdruck dieser Kultur und deshalb häufig als Kulturdenkmale gelistet, haben ihre Zweckbestimmung verloren. Wie könnte man die umfänglichen Baulichkeiten vernünftig nutzen? Wer könnte die Mittel dazu aufbringen? Die Fragen stehen im Raum und wollen für jedes Objekt neu beantwortet werden.

So auch beim Gut Hasselburg, einer prächtigen spätbarocken Anlage. Eine Lindenallee führt – wie gemalt – axial auf einen Torbau zu. Dahinter öffnet sich ein weiter Hof, linkerhand flankiert von einem backsteinernen Kuhstall, rechterhand von einer etwa gleich großen Scheune mit imposantem Reetdach. Die Achse führt weiter durch ein kleines Tor in einen zweiten, von niedrigen Kavaliershäusern eingefassten Hof und hat das nach außen hin klassizistische Herrenhaus zum Zielpunkt.

Drinnen ein prachtvoller Barocksaal mit Paradetreppe, Galerien und einem Himmel in Illusionsmalerei, daneben feinstes Rokoko, was so angesagt war damals, 1710, als das Haus gebaut wurde und 1763, als es mit Rokokodekor bereichert wurde. Seit 1977 ist es verpachtet und wurde sorgfältig restauriert. Der Hausherr, ein Hamburger Komponist, nutzt es als perfektes Ambiente für seine Sammlung historischer Cembali und für Konzerte in fürstlichem Rahmen. Die Scheune diente einige Tage im Jahr als Veranstaltungsort für Sommerkonzerte des Schleswig-Holstein-Festivals.

Das Umfeld

Seit 2010 gehört Gut Hasselburg der Stiftung des Hamburger Pianisten und Musical-Komponisten Constantin Stahlberg, die sich u.a. die Förderung junger Musiker zum Ziel gesetzt hat. Die Bewohner des Herrenhauses konnten bleiben. Die Stahlberg Stiftung entwickelt währenddessen das Anwesen zum »Kultur Gut«, bespielt die Scheune und saniert die Baulichkeiten.

Den Anfang machte man mit der Scheune. Der 72 Meter lange, niedrige Backsteinbau mit den mächtigen Giebeln und dem imposanten Reetdach wurde 1761 von Georg Greggenhofer, dem späteren fürstbischöflichen Baumeister an der Residenz Eutin, erbaut. Die größte Scheune Norddeutschlands besteht nur aus Umfassungsmauern, dem Dachstuhl und der Dachhaut. Durch die vier Stützenreihen des Dachtragwerks wird der Innenraum in fünf Schiffe unterteilt. Der Hamburger Architekt Christian von Bismarck hat das Gebäude als Veranstaltungshalle für Musik, Theater und Festlichkeiten eingerichtet.

Noch kein Konzept hat die Stiftung für das ähnlich eindrucksvoll dimensionierte Pendant gegenüber, den um 1880 erbauten Kuhstall. Für die Sanierung des schadhaften Backsteinbaus werden wohl erheblich mehr Mittel aufgewendet werden müssen. Dagegen hat der hinter der Scheune stehende Schafstall von 1881 eine neue Zweckbestimmung gefunden. Er beherbergt heute ein Holzpellet-Blockheizkraftwerk, mit dem die gesamte Gutsanlage zentral versorgt wird.

Das Torhaus

Jüngste und umfangreichste Maßnahme ist die Sanierung des Torhauses. Das stattliche, zweigeschossige Tor mit den beiden ausgreifenden Seitenflügeln und seinem repräsentativen Gestus würde auch einer größeren Schlossanlage gut zu Gesicht stehen. Greggenhofer hat es zwei Jahre nach der Scheune erbaut, mit konvex-konkav geschwungenem Dach und bekrönendem Dachreiter.

Die Stahlberg Stiftung ließ es von BIWERMAU Architekten als Wohngebäude ausbauen, und zwar den Südflügel, den ehemaligen Pferdestall, als »Herberge« mit neun Zimmern und Frühstücksraum (zum Beispiel für Musikworkshops) sowie das übrige Gebäude mit zehn Ferienwohnungen.

Zur statischen Ertüchtigung wurden die Außen- und Innenwände mit einem neuen Betonfundament unterfangen und die typischen unbeschlagenen Feldsteine im Sockelbereich stabilisiert. Die Giebelscheiben wurden mit Zugankern an die Deckenbalkenlagen angebunden. Die partiell stark geschädigten Außenwände wurden repariert und zu 80 % neu verfugt. Dachstühle mussten saniert und verstärkt werden. Das gesamte Holzwerk war als erhaltenswert klassifiziert worden und blieb in den neuen Räumen so weit als möglich sichtbar, ebenso wie das originale Mauerwerk, das nur geschlämmt wurde. Denkmalschutz war oberste Priorität und es galt der Grundsatz, vorgefundene Originalsubstanz zu erhalten.

Differenziert und vielfältig

Alle notwendigen neuen Wände bestehen aus weiß gestrichenem Kalksandstein. Deutlich als moderne Bauteile sind auch einige neue Außenöffnungen charakterisiert. Sie haben andere Formate, springen aus den Achsmaßen und haben stählerne, dunkelgrau gestrichene Gewände. Bei allen anderen Einbauten fanden die Architekten bei der Materialwahl angepasste Lösungen.

Die Stallfenster der Giebelseiten, quadratische Einscheiben-Eisenfenster, wurden aufgearbeitet und durch raumseitige Holzflügel mit Isolierverglasung zu Kastenfenstern ergänzt. Ein Großteil der originalen Holzfenster des Torhauses, zum Teil sogar die 250 Jahre alten Scheiben, wurden erhalten, die Zargen vor Ort und die Flügel in der Werkstatt aufgearbeitet. Am deutlichsten zeigen die Stalltore die Nutzungsänderung an. Festverglasungen und Öffnungsflügel in anthrazitfarben gestrichenen, schlanken Stahlrahmen korrespondieren mit den historischen, gusseisernen Stallfenstern. Die alten, nach außen geklappten Holztore, die noch in ihren Angeln hingen, waren wohl doch zu sehr im Weg und wurden entfernt.

Wenn die Innenräume den Charakter des Hauses bewahren und noch immer den Stallgeruch zu verbreiten scheinen, so liegt das vor allem am Ausbau in bester handwerklicher Tradition. Die ehemalige Verwalterwohnung im zentralen Torhaus wurde in mehrere, zum Teil herrlich verwinkelte Apartments aufgeteilt, in denen viel vom späteren biedermeierlichen Ambiente mit klassizistisch-grau gestrichenen Türen, Lamperien und alten Dielen erhalten wurde. Dagegen zeigen die Böden der ehemaligen Ställe rustikalere Schieferoberflächen. Die Zimmer der Herberge sind mit Möbeln und Ausbauteilen in Lärche ausgestattet, während in den Ferienapartments Eichenholz verwendet wurde.

Die Bäder in Form von eingestellten hölzernen Boxen wirken in den durch raueres Mauerwerk und alte Balken charakterisierten Räumen wie große Möbel. Gleichmacherei war bei der Konzeption der Räume nicht das Ziel. Keine der Wohnungen ist wie die andere. Manche sind tief und übersichtlich, andere ein wenig labyrinthisch, manche haben eine große zweigeschossige Halle, erstrecken sich auf bis zu drei Ebenen.

Vorbildlich

Insgesamt überzeugen die Sorgfalt, mit der jedes Detail gestaltet wurde, die Designauswahl der Installationen bis hin zum Schalterprogramm sowie die ungewöhnliche handwerkliche Perfektion der Ausstattungsgegenstände und des Ausbaus vor Ort. Es überzeugen die Souveränität, die Stilsicherheit und die Angemessenheit des Umgangs mit der Historie und der Hinzufügung neuer Elemente. Nicht zuletzt überzeugt die spürbare, individuelle Zuwendung, die die Architekten jedem Winkel des Bauwerks angedeihen ließen. Erkennbar hat es an Finanzmitteln nicht gefehlt, das Notwendige zu tun. Es ist jedoch vermieden worden, über das Angemessene hinaus eine edle Luxussanierung anzustreben, die dem Genius Loci des historischen Gemäuers nicht entsprochen hätte.

Damit könnte dieser Umbau zum Vorbild für ein weiteres Denkmal werden, das sich nur 15 km weiter nördlich findet: Gut Garkau, Hugo Härings Hauptwerk und Inkunabel der organischen Architektur von 1925. Der funktionalistisch organisierte Kuhstall und die berühmte Scheune mit dem Zollingerdach sind zwar noch nicht ruinös, aber es besteht an allen Ecken dringend Handlungsbedarf. Man wünschte sich, BIWERMAU Architekten könnten sich auch dieser Anlage annehmen.


Standort: Neustadt, Ostholstein
Bauherr: Stahlberg Stiftung, Herr Dr. Constantin Stahlberg, Hamburg
Architektur: BIWERMAU Architekten, Hamburg
Tragwerksplanung: Körting Ingenieure, Hamburg
Grundstück: ca. 28 400 m²
BGF: ca. 3 350 m²

Beteiligte Firmen:
Natursteinbodenbeläge: Mustang Schiefer, spaltrau getrommelt (Papagios Black), Oberfläche geschliffen: F. + H. Walther Naturstein, Hamburg, www.walther-naturstein.de
Eichen- und Lärchenbodenbeläge: Eiche-Parkett astig, Dreischichtdielen, Oberfläche gebürstet und naturgeölt: Andresen & Jochimsen, Hamburg, www.holzzentrum.de
Türen und Torelemente: Stahlprofile Janisol, Fa. Jansen, Oberriet (CH), www.jansen.com
Waschbecken/Urinale/WC: Renova Nr. 1, Keramag Geberit Group, Pfullendorf, www.keramag.de
Schalter/Steckdosen: Serie 1930 Berker, Fa. Hager, Blieskastel, www.hager.de


Der Beitrag erschien in der db deutsche bauzeitung 09/2016 im Heftteil db-Metamorphose.

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