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Maskenpflicht. Schadstoffbelastungen bei historischen Dachtragwerken

Schadstoffbelastungen bei historischen Dachtragwerken
Maskenpflicht!

Beim Instandsetzen von Dachräumen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, auf gefährliche Substanzen zu stoßen. Welche Schadstoffe sind am weitesten verbreitet, wie lassen sie sich identifizieren, welche Reaktionen sind angemessen und was kostet eine Sanierung?

Text: Christian Kayser

Historische Dachtragwerke sind ein gefährlicher Aufenthaltsort: Dämmeriges Licht, morsche Dielen und gebrochene Balken können bei einem Fehltritt leicht zu Schrammen und Schlimmerem führen. Vielfach unberücksichtigt bleibt jedoch die Gefahr, die von Schadstoffen in den Dachräumen ausgehen kann. Hier gibt es tatsächlich einen ganzen »Cocktail« an gesundheitsschädlichen Substanzen, bei denen die meisten – etwa frühindustrielle Schutzanstriche auf Quecksilberbasis – glücklicherweise selten vorkommen. Regelmäßig finden sich allerdings tierische Hinterlassenschaften, ältere Dämmstoffe und v. a. schädliche Holzschutzmittel. Belastungen mit den entsprechenden Stoffen können zumindest zu kräftigen Kostensteigerungen bei der Instandsetzungsmaßnahme führen, im schlimmsten Fall aber erhebliche Gesundheitsschäden bei BesucherInnen, NutzerInnen und HandwerkerInnen verursachen.

Biogene Schadstoffe

Nicht jeder Schadstoff ist menschengemacht. Gerade historische Dachräume, die schlecht zugänglich sind und nur selten begangen werden, entwickeln sich häufig zu einem Habitat für Tiere. Dazu gehören geschützte Arten wie Fledermäuse, aber auch Kleinsäuger, kleine Raubtiere wie Marder, die sich für die Kleinsäuger interessieren, oder Tauben. Besonders Fledermaus- oder Taubenkolonien sind leider oft recht unappetitliche Angelegenheiten: Bretterböden voller Exkremente (Abb. 2), dazu kommen Futterreste, und die Kadaver verendeter Tiere – in manchem ehrwürdigen Kirchengebäude sind die Gewölbekappen knietief mit organischem Material ausgefüllt. In diesem Substrat gedeihen, abhängig von den jeweiligen klimatischen Bedingungen, nicht nur potenziell gesundheitsschädliche Schimmelpilze, sondern auch diverse Mikroorganismen, etwa Fäkalkeime oder die Erreger der Ornithose (»Papageienkrankheit«), einer gefährlichen, grippeartigen Chlamydieninfektion. Zudem leben im Umfeld von Taubennestern Taubenzecken, die gleichfalls Krankheiten übertragen und schmerzhafte Bisse verursachen können.

»Alte« Dämmstoffe

Gerade bei historischen Dachwerken liegt die Dämmebene zwischen den beheizten und unbeheizten Partien oft im Bereich der Dachbalkenebene. An historischen Bürger- oder Bauernhäusern wurde das Dämmmaterial üblicherweise in die Gefache der obersten Holzbalkendecke eingebracht, bei Sakralbauten gerne auf den Gewölbeoberseiten. Zur Dämmung kamen dabei etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts meist künstliche Mineralfasern (KMF-Produkte) zum Einsatz (Abb. 3). Bei diesen handelt es sich, anders als bei dem sehr viel bekannteren Asbest, um industriell hergestellte Produkte. Gleichwohl beinhalten ältere KMF-Erzeugnisse ebenso wie das Naturmaterial Asbest mineralische Fasern, die in die Lungenbläschen vordringen und dort krebserzeugend wirken können. Die Kanzerogenität hängt dabei von dem Anteil an langen und dünnen Faseranteilen ab – und natürlich davon, wie viele von diesen Fasern bei Begehungen oder Arbeiten freigesetzt werden.

Auch wenn die Einstufung des Gefährdungspotenzials durch künstliche Mineralfasern nach wie vor diskutiert wird, gibt es eine einfache, praktische Differenzierungsmöglichkeit: Als „alte“ und damit potenziell gesundheitsschädliche Mineralwolle klassifiziert man sicher vor 1996 eingebaute Produkte, wohingegen „neue“, nach dem 1. Juni 2000 zugelassene Mineralwolle als unkritisch gilt.

Gesundheitsschädliche Holzschutzmittel

Seit jeher versucht man, Holzbauteile für Schädlinge – Insekten, Pilze – so unattraktiv wie möglich zu machen. Häufig geschieht dies durch eine Behandlung des Materials mit Stoffen, die die holzzerstörenden Organismen eliminieren. Was Nagekäfer tötet (Abb. 4), kann allerdings oft auch Menschen schaden – heute sind über Holzschutzmittelbehandlungen eingebrachte Schadstoffe ein großes gesundheits- wie kostenrelevantes Problem. Als besonders gravierend stellt sich dabei die Belastung mit den Substanzen Pentachlorphenol (PCP), Lindan sowie mit DDT dar. Bei den ersten beiden handelt es sich um chlorierte Kohlenwasserstoffe, die v. a. in Westdeutschland bis in die 1980er Jahre Bestandteil vieler Holzschutzmittel waren, während DDT besonders in Ostdeutschland noch bis 1990/91 als Biozid in der Holzschutzmittelserie »Hylotox« Verwendung fand. Die Chemikalien werden als krebserzeugend und mutagen, also erbgutverändernd, eingestuft. PCP und DDT können zudem das Nervensystem schädigen, alle Mittel sind potenziell leber- und nierenschädigend. Die entsprechenden Giftstoffe werden sowohl über die Atmung, also über Raumluftbelastung und aufgewirbelte, belastete Stäube, wie teilweise auch über direkten Hautkontakt aufgenommen.

Bedauerlicherweise wurden Holzschutzmittel, die die entsprechenden gesundheitsschädlichen Stoffe enthalten, über lange Zeiträume, genauer gesagt in den Jahren zwischen 1970 und 1990, recht großzügig aufgebracht. Gerade historische Bauten, bei denen die Baupflege öffentlichen Institutionen, namentlich Bauämtern von Ländern und Kirchen, obliegt, haben häufig ein ausgesprochenes Holzschutzmittel-Problem: Zu professionellen, regelmäßigen Instandhaltungsmaßnahmen gehörten seinerzeit fast notwendig intensive, gelegentlich sogar mehrmalige Holzschutzbehandlungen. Auch Museen verwendeten die entsprechenden Mittel zur Konservierung historischer Holzobjekte – einige Freilichtmuseen verfügten etwa über Tränkanlagen, in denen die Balken historischer Holzbauten vor dem Wiederaufbau auf dem Gelände in Holzschutzmittel gebadet wurden. Ebenso enthielten aber auch alltägliche Anstriche, die für den Heimwerker im Baumarkt verfügbar waren, reichlich PCP und Lindan. So mancher fichtengeschalte Hobby- und Partykeller der 1970er gefährdet bis heute seine Nutzer. Leider sind die Holzschutzmittel recht persistent; Anteile, die bei höheren Temperaturen in den gasförmigen Zustand übergehen, schlagen sich unmittelbar auf benachbarten Bauteilen oder in Liegendstäuben nieder.

Identifizieren lassen sich entsprechende Behandlungen im Idealfall über Protokollkarten zur Schädlingsbekämpfung, die an den Bauteilen angebracht wurden (Abb. 5). Leider ist jedoch kein Verlass darauf, dass diese fachgerecht appliziert wurden oder über die Zeit erhalten blieben. Sprechende Hinweise bieten natürlich auch leere, einfach in den Deckenkappen entsorgte Holzschutzmittelkanister (Abb. 6) sowie auffällige Verfärbungen an den Balken (Abb. 7). Einige Mittel bilden bei reichlichem Einsatz kristalline Strukturen aus, sodass die Hölzer im Schein der Taschenlampe ein wenig an eine Feengrotte erinnern. Auch ein ungewöhnlicher Geruch kann eine Holzschutzmittelbehandlung indizieren – im Zweifel wird von der Selbstdiagnose abgeraten; eine Prüfung auf schädliche Substanzen durch ein Fachbüro ist nicht teuer und sollte als »Best Practice« bei jeder Bearbeitung historischer Holzkonstruktionen zum Standard der Voruntersuchungen gehören.

Umgang mit Schadstoffen in historischen Dachwerken

Grundsätzlich obliegt es dem Träger der Baulast, also üblicherweise dem Eigentümer, vor Beginn einer Maßnahme abzuklären, ob eine gesundheitsgefährdende Schadstoffbelastung vorliegt. Meistens fehlen der Auftraggeberschaft jedoch Problembewusstsein und Sachkenntnis – es empfiehlt sich daher, als PlanerIn die Problematik vor dem eigentlichen Projektstart zu thematisieren. Die geringen Kosten für eine orientierende Erstuntersuchung durch ein geeignetes Fachbüro sind gut investiert, schaffen Planungssicherheit und schützen vor unliebsamen, kostenintensiven Überraschungen.

Tatsächlich können Schadstoffbelastungen die Baukosten erheblich in die Höhe treiben. Wenn möglich, muss dabei vor Aufnahme der Arbeiten eine Reinigung des betroffenen Dachraums vorgenommen werden: Alte Dämmstoffe werden aufgenommen und, eindeutig deklariert, fachgerecht entsorgt. In Dächern mit langjährigem tierischem Befall müssen teils tonnenweise tote Tauben und Kot aus den Gewölbekappen ausgeräumt werden. Bei einer Belastung mit gesundheitsschädlichen Holzschutzmitteln erfolgt zunächst eine Absaugung aller Bauteiloberflächen von belastetem Staub durch ein dafür qualifiziertes Spezialunternehmen (Abb. 8) – dies alles Maßnahmen, die etwa bei einem größeren Kirchendach sechsstellige Kosten generieren können.

Gerade im Fall intensiver Holzschutzmittelbelastungen ist es mit der Absaugung noch nicht getan. Bei spanenden Arbeiten an schadstoffgetränkten Hölzern sind die Zimmerleute unmittelbar gefährdet; die HandwerkerInnen müssen daher eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen, je nach Schwere der Belastung ggf. mit Einweg-Overalls, Handschuhen und den inzwischen allzu gut bekannten FFP-Masken (Abb. 9), und die Arbeit mit festgelegten Ruhezeiten unterbrechen. Ebenso kann eine Einhausung der Baustelle mit Schleuse erforderlich sein, um Schadstoffverwehungen in die Umgebung zu vermeiden.

Auch für die weitere Nutzung von Räumen mit holzschutzmittelbehandelten Bauteilen, etwa Museumsbauten, aber auch Kirchenräumen mit Holzemporen oder historischen Wandtäfelungen, können sich Einschränkungen ergeben. Je nach Schwere des Falles sind etwa zeitliche Nutzungseinschränkungen ebenso möglich wie Auflagen für die Gebäudereinigung, die ja unvermeidlich Stäube aufwirbelt. Bei Denkmalen lässt sich bisher eine Holzschutzmittelbehandlung grundsätzlich nicht mehr »rückgängig machen«, da dies eine vollständige, das eigentliche Denkmal zerstörende Abnahme aller getränkten Oberflächen bedeuten würde. Eine mögliche Lösung ist, die Schadstoffe zumindest zu deaktivieren, indem sie mit einem deckenden, diffusionsdichten Schutzüberzug versehen werden. Die von einer Fachfirma durchzuführende »Maskierung«, meist mit Mitteln auf Schellackbasis, ist nicht eben günstig, jedoch oft die einzige Möglichkeit, Räume mit holzsichtigen Fassungen oder auch offene Dachkonstruktionen nutzbar zu halten.


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