1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Bauen im Bestand » historische Bautechniken »

Vom Umgang mit Massivdecken aus dem 19. und 20. Jahrhundert

Massivdecken im 19. und 20. Jahrhundert
Räume überspannen

Mit der Erfindung des Eisenbetons gelang es um 1870 erstmals, massive und schlanke Decken ohne Gewölbekonstruktion herzustellen. Doch es dauerte einige Zeit, bis sich die neue Bauweise durchsetzte. Lange waren Preußische Kappen, dann auch Steineisendecken die einzigen Alternativen zu den Holzbalkendecken, um die sich verändernden Anforderungen in den Wohnungs- und Industriebauten zu erfüllen.

{Text: Klaus Siegele

Als der gelernte Gärtner Joseph Monier (1823-1906) im Jahr 1867 ein Patent anmeldete, das ein »Verfahren zur Herstellung von Gegenständen verschiedener Art aus einer Verbindung von Metallgerippen mit Zement« beschreibt, ahnte er noch nicht, dass er mit dieser Idee maßgeblich dazu beitragen würde, das Bauen zu revolutionieren. Das Zusammenwirken von Betonmasse und Eisen schuf neue Möglichkeiten, Räume zu überspannen. Bis dahin gelangen massive Tragwerke nur durch das Fügen kleinteiliger Ziegel oder hohler Tonkörper in Form von aufwendig hergestellten Gewölben, die wegen der damit verbundenen Kosten in der Regel nur Brücken sowie sakralen und besonders repräsentativen Gebäuden vorbehalten waren.

Veränderte Anforderungen an Geschossdecken

Das Problem großer Spannweiten und hoher Lasten stellte sich bis zum Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert für gewöhnliche Bauwerke kaum, denn für den einfachen Wohnungsbau, die kleinen Manufakturen und Stallungen genügte es, die Decken aus dicken Holzbalken, schall- und wärmedämmender Schüttung und robuster Dielung zusammenzufügen. Jeder Baumeister und Zimmermann kannte sich damit aus, und die Holzbauweise war damals immer noch die günstigste Form des Bauens. Massiv überspannte Räume oder Geschosse beschränkten sich meist auf kleine Stallungen, Eis- oder Gewölbekeller.
Mit dem Aufkommen industrieller Produktionsstätten, dem Expandieren der Städte und dem sich über ganz Europa ausbreitenden Straßen- und Schienennetz veränderten sich jedoch die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Bauwerke – immer mehr traten die Schwachstellen des traditionellen Baustoffs Holz zutage: Zuvorderst der geringe Widerstand gegen Feuer, die Anfälligkeit gegenüber tierischen und pflanzlichen Schädlingen (Hausschwamm), die eingeschränkte horizontale Aussteifungswirkung als »Scheibe«, die das Mauerwerk schwächenden Auflagerdetails, die geringe Tragfähigkeit bei zunehmender Spannweite und nicht zuletzt der mangelhafte Schallschutz. Das Bauen mit Ziegeln, die inzwischen in Ringöfen weitaus preiswerter herstellbar waren, setzte sich immer mehr durch; die Fachwerkbauten und Holzhütten verschwanden allmählich aus dem Stadtbild.
Allerdings blieben Holzbalkenlagen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts die bevorzugte Deckenkonstruktion, wenngleich sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbeton- und Steineisendecken immer mehr durchzusetzen begannen. Eine frühe Übergangsform zur massiven Geschossdecke war die Kappendecke, eine Art Mischkonstruktion aus dem Tragwerksprinzip der Holzbalkendecke und des klassischen Gewölbes, die im 19. Jahrhundert häufig nur über dem Keller, später dann in Wohnhäusern auch in den oberen Geschossen unter Nassräumen wie Waschküche, Bad und Küche vorgesehen wurde. Die Decken öffentlicher, gewerblicher und industrieller Bauten wurden zu jener Zeit meist schon komplett als gewölbte Massivdecke in Form einer Kappe ausgeführt.

Kappendecke – massive Mischkonstruktion aus Gewölbe und Balkendecke

Die aus dem klassischen Tonnengewölbe heraus entwickelte Kappendecke besteht aus der Addition mehrerer Teilstücke oder Segmente des Halbkreises, den ein Tonnengewölbe (s. Abb. 2) beschreibt. Die einzelnen Segmente der aus Ziegeln gefügten oder aus unbewehrtem Beton gegossenen Kappendecke lagern auf Mittel- und Randträgern auf, die aus gemauerten Gurtbögen, meistens aber aus I-Stahlträgern oder Eisenbahnschienen bestehen (s. Abb. 3). Die Eigen- und Verkehrslasten der meistens 1 oder 1,5 m breiten Kappen erzeugen in den Feldern einen Gewölbeschub, der als horizontale Kraft in die Stahlträger eingeleitet und über deren Auf- beziehungsweise Widerlager in die Ziegelwände abgetragen wird. Während sich der Gewölbeschub an den I-Stahlträgern am Mittelauflager aufhebt, zeigt er sich am Randfeld umso wirksamer und belastet hier die Widerlager an den Außenwänden beziehungsweise die Randträger. Diese Besonderheit war zum Beispiel bei Deckendurchbrüchen zu beachten und darf auch bei heutigen Sanierungen mit nachträglichen Deckenöffnungen nicht vergessen werden.

Flacher Gewölbestich im traditionellen Ziegelverband

Die auch als Preußische Kappe oder Berliner Gewölbe bezeichnete Massivdecke stellte keine besonderen Anforderungen an das Geschick der Maurer, war weitaus tragfähiger als eine Holzbalkendecke und ließ sich ohne besonderen Aufwand an verschiedene Grundrisse anpassen. Bestanden die leicht gewölbten Segmente zwischen den Stahlträgern (der Stich misst in der Regel 10 cm) aus Ziegeln, wurden diese in der Regel auf einer Schalung oder über einem verschieblichen Rutschbogen vermauert. Je nach gewähltem Verband (s. Abb. 4), ergaben sich dabei ganz unterschiedliche Deckenuntersichten, sofern die Gewölbe nicht verputzt wurden: Bei der Wölbung auf Kuf wurde von beiden Widerlagern aus gemauert, wobei die Lagerfugen parallel zu den Widerlagern verliefen. Bei der Wölbung in Ringschichten wurden die Steine mit ihrer langen Seite parallel zu den Stirnflächen vermauert. Ausgehend von den beiden Stirnseiten trafen sich die Ringschichten etwa in der Mitte des Segmentfelds, wo dann ein Streifen Mauerwerk »auf Kuf« eingefügt wurde, der von Widerlager zu Widerlager reichte. Aufwendiger war die Wölbung auf Schwalbenschwanz, bei der von den vier Ecken aus damit begonnen wurde, die Schichten in einem Winkel von 45° zum Widerlager aufzumauern. Mancher geschickte Maurer konnte dabei sogar auf eine Schalung verzichten und schaffte die Wölbung aus freier Hand. Bei dieser Variante wird indes auch die Stirnwand belastet, weshalb auch hier ein Widerlager vorhanden sein musste.

Einfach nachzuweisende Statik

Für den statischen Nachweis der Kappendecken reichten einfache Näherungsformeln oder der Blick in Tabellen mit Erfahrungswerten aus, weshalb diese Deckenkonstruktion bald sehr verbreitet war. Die Tragfähigkeit der Preußischen Kappe richtete sich nach der Festigkeit der verwendeten Steine und Ziegel, deren Dicke und der Stützweite zwischen den I-Stahlträgern. Auch die Verteilung der Lasten auf der Decke spielt eine Rolle (gleichmäßige Last, symmetrische oder unsymmetrische Einzellast). Die Skala der maximal abtragbaren Gesamtlast (Eigen- und Verkehrslast) reicht bei Preußischen Kappen von 5 bis 30 kN/m2 [1].
Eine besondere Variante des gegenüber historischen Gewölbeformen bereits recht flachen Berliner Gewölbes ist die scheitrechte Betonkappe (s. Abb. 3). Hier wurde für die Lastabtragung ebenfalls davon ausgegangen, dass sich im Querschnitt der Decke ein flaches Gewölbe ausbildet, in dem nur Horizontalkräfte auftreten, die als Gewölbeschub von den I-Trägern aus Stahl aufgenommen und abgeleitet werden.

Auch die Preussische Kappe hat ihre Tücken

Die Kappendecke hatte indes nicht nur statische und bauphysikalische Vorteile aufzuweisen – es gab gute Gründe, weshalb sich die Holzbalkendecke zumindest im Wohnungsbau bis in die Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg als Baustandard halten konnte. Zudem konnte die gewölbte Massivdecke mit den sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr durchsetzenden Steineisen- und Eisenbetondecken bald nicht mehr konkurrieren – sowohl hinsichtlich der Herstellkosten als auch der Baulogistik. Die Kappen der Geschossdecken konnten nämlich häufig erst nach dem Fertigstellen der kompletten Gebäudehülle eingebracht werden, um dem in die Randträger eingeleiteten Gewölbeschub mit der Auflast der Außenwände begegnen zu können. Vorwiegend in den oberen Geschossen, wo es an Auflast der Mauern zu fehlen begann, brauchte es trotzdem noch Zuganker zwischen den Auflagern der Kappen (s. Abb. 5), was die Deckenuntersicht störte und nur kompliziert auszuführen war.
Ohnehin war die gewölbte Untersicht zu jener Zeit besonders in Wohn- und Geschäftshäusern nicht sehr beliebt und wurde oftmals aufwendig mit dicken Putzschichten oder beplankten Unterkonstruktionen kaschiert (s. Abb. 6). Als Kostentreiber erwies sich neben der aufwendigen Ziegelverlegung auf Schalung auch die Konstruktionshöhe der Kappendecken – es waren mehrere Mauerwerksschichten nötig, um den Deckenquerschnitt in der Außenwand abzubilden. Vor allem bei hohen Gebäuden und besonders breiten Kappenfeldern konnte diese konstruktiv bedingte Erhöhung der Geschosse um jeweils 10 bis 15 cm zum Verlust einer kompletten Etage führen. Konsequenzen hatte auch das Eigengewicht der Decke, besonders wenn die Kappen aus Beton gegossen wurden. Hinzu kam die Eigenlast aus dem  Auffüllmaterial für die Zwickel auf dem Kappenrücken, um einen ebenen Fußboden herstellen zu können. Die erhöhten Lasten führten zu einem höheren Gewölbeschub, der wiederum mit Hilfsmitteln oder Auflasten aufgefangen werden musste. Nachteilig wirkte sich auch die erhebliche Menge an Feuchte aus, die besonders bei Betonkappen in das Gebäude eingebracht wurde. Entweder behinderte dies den Fortschritt beim Innenausbau oder die Bewohner mussten das sogenannte Trockenwohnen des Gebäudes in Kauf nehmen.

Eisenbeton- und Steineisendecken lösen die Kappendecke als Massivdecke ab

Parallel zur Verbreitung der Preußischen Kappe im Deutschen Reich gingen die Entwicklungen bei der Eisenbetonbauweise und den Steineisendecken weiter, um die Nachteile der Kappen- und Holzbalkendecken zu kompensieren. Obwohl die ersten patentierten Systeme in der Verarbeitung und Verlegung noch Fehler und Mängel aufwiesen, entsprach das Konstruktionsprinzip früher Decken aus Eisenbeton bereits den heutigen Stahlbetondecken.
Steineisendecken (später Stahlsteindecken) erhalten hingegen ihr Tragvermögen aus dem Zusammenwirken von Ziegeln, Stahl und Zementmörtel, wobei nach dem Aushärten des Zementmörtels alle drei Baustoffe fest aneinander haften. In den Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton findet sich 1925 hierfür folgende Definition [2]: »Steineisendecken … sind mit Eisen bewehrte Steindecken mit oder ohne Betondruckschicht, bei denen die Steine (Voll- oder Hohlsteine) zur Aufnahme der Druckspannungen herangezogen werden und die Betondruckschicht 5 cm Stärke nicht erreicht.« In ihren Konstruktionsmerkmalen und Eigenschaften entsprach die Steineisendecke dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts angestrebten Ideal einer zeitgenössischen Decke am besten [3]. Zu jener Zeit bildeten sich zahlreiche Steineisendeckensysteme heraus, von denen jedes spezifische Vorzüge aufwies, jedoch niemals alle gewünschten Anforderungen mit der gleichen Qualität zu erfüllen vermochte. Während noch wenige Jahrzehnte zuvor lediglich die Holzbalkendecke und das Kappengewölbe zur Auswahl standen, stieg die Zahl der im Hochbau verfügbaren Deckenkonstruktionen binnen kurzer Zeit auf über 300.

Ab etwa 1895 gewannen Steineisendecken im Deutschen Reich als leichte, einfach herzustellende und wirtschaftliche Deckenlösung vor allem im Wohn- und Geschäftshausbau zunehmend an Bedeutung [3]. Sie waren den zeitgleich entwickelten Betondecken lange Zeit überlegen, bewiesen aufgrund der vielen unterschiedlichen Systeme eine größere Vielfalt und waren zur damaligen Zeit viel verbreiteter. Die heute wohl bekannteste Steineisendecke ist die im Jahr 1892 von Johann Franz Kleine zum Patent angemeldete Kleinesche Decke (s. Abb. 7), die maßgeblich zu der Verbreitung der Steineisendecken in Deutschland beitrug. Die Steine (Lochsteine, Schwemmsteine oder Vollziegel) wurden auf einer Schalung hochkant oder flach vermauert, zur Bewehrung wurden Flacheisen eingelegt. Unmittelbar nachdem Kleine das Patent für seine Decke erteilt wurde, gab es Anfechtungen, und es tauchten ähnliche Entwicklungen auf. Einige der Deckenvarianten wurden nur wenige Jahre, andere ein oder zwei Jahrzehnte lang angewendet. Die Kleinesche Decke blieb in ihrer Verbreitung aber unerreicht und steht für den Erfolg der Steineisendecken zu jener Zeit. Wie die Kappendecke war sie eine wichtige Etappe der Massivdecken auf dem langen Weg vom Gewölbe zur Stahlbetondecke. •


Literatur und Quellen:
[1] Ahnert, Rudolf, und Karl Heinz Krause, Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960 zur Beurteilung der vorhandenen Bausubstanz, Band 2, 7. durchgesehene und korrigierte Auflage, Huss Medien GmbH, Berlin, 2009.
In dem Buch sind im Kapitel »2.2 Gewölbte Massivdecken« u. a. mehrere Tabellen mit Angaben zu den maximalen Stützweiten für Preußische Kappen enthalten, aus denen sich die Tragfähigkeit vorgefundener Kappendecken abschätzen lässt. In Kapitel 3 enthält ein Deckenregister Angaben zu den Quellen für eine Auswahl an Holzbalken- (45) und Massivdecken (300).
[2] Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Eisenbeton, Ausgabe 1925, Teile A (Ausführung von Bauwerken aus Eisenbeton), B (Ausführung von ebenen Steindecken) und C (Ausführung von Bauwerken aus Beton)
[3] Fischer, Michael, Steineisendecken im Deutschen Reich, 1892-1925, Dissertation, urn:nbn:de:kobv:co1-opus-7812, http://opus.kobv.de/btu/volltexte/2009/781/
[4] Mark, Robert (Hrsg.), Vom Fundament zum Deckengewölbe, Großbauten und ihre Konstruktion von der Antike bis zur Renaissance, Birkhäuser Verlag, Basel, 1995
[5] Sachse, Hans-Joachim, Barocke Dachwerke, Decken und Gewölbe, Zur Baugeschichte und Baukonstruktion in Süddeutschland, Gebr. Mann Verlag, Berlin, 1975


Mehr über Deckenkonstruktionen im Altbau:

Die oberste Geschossdecke dämmen (Bild:Clipdealer)
Holzbalkendecken
Historische Holzbalkendecken (Bild: Christian Kayser)
Trittschallschutz in der Sanierung (Bild: Rainer Pohlenz)

 

 

Aktuelles Heft
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de