Was tun mit all den leerstehenden Bahnhöfen? Ein Blick nach Brüssel zeigt, wie sich die Hallen eines ehemaligen Güterbahnhofs mit viel Holz zu einem Einkaufs- und Büroquartier umbauen lassen. Gärten und eine Flaniermeile waren auch noch drin.
Eine knappe halbe Stunde braucht man als Fußgänger, um aus der Innenstadt von Brüssel zum Gare Maritime im Nordwesten zu gelangen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet, war er lange Europas größter Güterbahnhof, noch heute beeindrucken seine gewaltigen Abmessungen von 140 x 280 m. Doch wie seine Artgenossen in vielen anderen Städten verlor er seine Funktion und bot die Chance, nach Abbau der Gleise aus einem relativ menschenleeren Logistik-Gebäude ein lebendiges Stück Stadt zu entwickeln.
Neutelings Riedijk Architekten bezeichnen ihr Konzept für den Umbau der Gleishalle als »Stadt, in der es nie regnet«. Zwölf neu eingestellte Baukörper als Haus im Haus machen mit ihren jeweils vier Geschossen die Höhe des vorgefundenen Raums nutzbar und lassen die verbleibenden Flächen wie Passagen wirken – wie sehr großzügige Passagen wohlgemerkt. Von den sieben Schiffen der Halle blieb das mittlere komplett frei und dient als zentrale Plaza für Veranstaltungen oder einfach zum Flanieren. Die beiden kleineren angrenzenden Schiffe sind als Parks gestaltet, in denen zusammengenommen 100 große Bäume gepflanzt wurden. Die Baukörper in den Seitenschiffen beherbergen eine Mischnutzung aus Geschäften, Werkstätten und Gastronomie im EG und Büros in den oberen Etagen. Ob sich dieser Mix eignet, um den Gare Maritime mit Leben zu füllen, wird man wohl erst ermessen können, wenn die Corona-Pandemie vorbei ist.
Konstruiert sind die eingestellten Körper aus Brettschichtholz – mit den bekannten Vorteilen: Durch Vorfertigung und Trockenbauweise ließ sich die Bauzeit auf rund ein Jahr verkürzen und im Falle eines künftigen Abbruchs lassen sich die Materialien sortenrein trennen und entsorgen. Laut Aussage der Architekten handelt es sich um das größte Brettschichtholz-Projekt in Europa (mehr dazu erfahren Sie hier). Die Fassaden bestehen aus Eiche und sind geradezu puristisch gestaltet, wenn man bedenkt, wie gerne das Büro Neutelings Riedijk sonst auf opulente Ornamentik setzt.
Für die Restaurierung des Bestands war der Architekt Jan de Moffarts zuständig. In die großen Glasfassaden der Gleishalle wurden Photovoltaikmodule integriert, die Dächer mit 17000 m² Solarzellen belegt. Erdwärme- und Regenwassernutzung sind ebenfalls Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Insgesamt ist der Gare Maritime jetzt ein Null-Energie-Gebäude und wird ohne jegliche fossilen Brennstoffe betrieben. ~cs
Standort: Picardstraat, Tour & Taxis, Brüssel
Bauherr: Extensa Group
Architekten: Neutelings Riedijk Architects, Rotterdam, mit Bureau Bouwtechniek, Antwerpen
Tragwerksplanung: Ney & Partners, Brüssel
Bauphysik: Boydens engineering, Brugge
Landschaftsarchitektur: OMGEVING, Antwerpen
Restaurierungsplanung: Jan de Moffarts, Brüssel, mit Bureau Bouwtechniek, Antwerpen
Brandschutzplanung: FPC Risk, Antwerpen
Holzbauunternehmen: Züblin
Gesamtfläche: 45000 m²
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