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Schwäbische Pionierarbeit. Sanierung der Uhlandschule in Stuttgart

Erste Plusenergie-Schule im Bestand
Schwäbische Pionierarbeit

Die Uhlandschule im Stuttgarter Stadtteil Rot gilt als Vorzeigeprojekt: Sie belegt, dass Bildungsstätten aus der Nachkriegszeit durchaus das Potenzial für den Wandel zur Plusenergieschule haben, ohne das verfügbare Budget über Gebühr zu strapazieren.

Text: Claudia Siegele; Fotos: Olaf Rohl, Saint-Gobain u. a.

An wagemutigen Pionieren und Zeugnissen ihrer Genialität fehlt es in Stuttgart wahrlich nicht – Ingenieurkunst wird in dieser Stadt groß geschrieben. Man erinnere nur an den Wegbereiter des Automobils, Gottlieb Daimler, oder an den Ingenieur Fritz Leonhardt, der mit dem 1956 eröffneten Fernsehturm ein weltweit beachtetes Wahrzeichen schuf. In den Schatten dieses Ereignisses fiel im gleichen Jahr die Fertigstellung der Lenauschule im nördlich gelegenen Stadtteil Rot. Zwischenzeitlich umbenannt in Uhlandschule, verkörperte der langgezogene Baukörper mehr als 50 Jahre lang ohne irgendeine erkennbar gestaltprägende Veränderung den typischen Architekturstil der Nachkriegszeit: Ein zwei- bis dreigeschossiger filigraner Massivbau, dessen weiße Fensterbänder mit rot verklinkerten Brüstungen die Fassade horizontal prägten. Markant war auch das asymmetrisch positionierte verglaste Treppenhaus, das den Baukörper ebenso harmonisch gliederte wie die tragenden Stahlbetonlisenen an der Südfassade, die sich im EG frei stehend auf das statisch nötige Minimalmaß verjüngten und so die Leichtigkeit des Baukörpers unterstützten.

Schleichende Vergänglichkeit

Im Laufe der Zeit gesellten sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Grund- und Werkrealschule das Ferdinand-Porsche-Gymnasium und die Rilke Realschule, des Weiteren eine Turnhalle sowie zwei Sportplätze. So formte sich das Areal nach und nach zu einer Art Bildungscampus. Bereits in den 70er Jahren erforderten die steigenden Schülerzahlen einen zusätzlichen Pavillon, und 2004 schuf ein quadratischer Erweiterungsbau mit großem Glasdach über einer zentralen Aula weitere dringend benötigte Klassenzimmer und Lehrräume.

Unterdessen hielt der langjährige Dornröschenschlaf der Uhlandschule weiter an, wenngleich die benachbarten Schulen und neueren Zubauten immer deutlicher vor Augen führten, dass die strapazierte Ausstattung und mancherorts bröselnde Bausubstanz der Grund- und Werkrealschule eine baldige grundlegende Sanierung unumgänglich machte. Die Rahmen und Beschläge der alten Holzfenster klemmten oder waren morsch geworden, die in die Jahre gekommene Einfachverglasung isolierte kaum, der Stahlbeton zeigte mehr und mehr seine verrostete Bewehrung und generell fehlte es beim Dach und an der Fassade an Dämmung.

Sanierung statt Abriss und Neubau

Eine detaillierte Analyse legte 2011 zudem Brandschutzmängel offen, weshalb eine Entscheidung, wie es mit der Uhlandschule weitergehen sollte, sich für die Stadt Stuttgart nicht mehr länger aufschieben ließ. Während sich bei der Turnhalle und dem Pavillon eine Sanierung rasch als unwirtschaftlich erwies und nur zwei Neubauten infrage kamen, tendierte man beim Hauptgebäude eher zu einer umfassenden Modernisierung, die zwar aufwendig, aber günstiger als Abriss und Neubau ist. So obsiegte am Ende der Entschluss, den Bestand zu erhalten, diesen aber quasi komplett rückzubauen und auch die Zuordnung der Räumlichkeiten sowie die Hausmeisterwohnung infrage zu stellen. In Anbetracht der unübersehbaren Mängel und Defizite brauchte es dafür jedoch ein umfassendes Konzept.

Die Uhlandschule schien prädestiniert dafür, die schlummernden Potenziale für die Umsetzung der Vision einer bis 2050 klimaneutralen Landeshauptstadt aufzuzeigen. Da passte das 2007 ins Leben gerufene und vom BMWi geförderte Forschungsprojekt EnEff:Schule sehr gut ins Konzept. Auf Initiative des Amts für Umweltschutz (Energieabteilung) war man sich mit dem Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) als wissenschaftlicher Partner bald einig, die Uhlandschule durch entsprechende Maßnahmen zur ersten Plusenergieschule des Landes zu machen, die aus einer Sanierung hervorgeht. Die Schule sollte zudem ihren errechneten Energiebedarf und den (jahresbilanziell) produzierten Energieüberschuss ausschließlich aus regenerativen Quellen unmittelbar auf dem Grundstück beziehen. Weil das energetische Konzept nicht zuletzt dadurch eine hohe Bedeutung erlangte, verteilte sich die Bauherrschaft auf drei Schultern: die des Hochbauamts, des Schulverwaltungsamts und des Amts für Umweltschutz, das die Verantwortung für das komplexe Energiekonzept übernahm. Mit den beiden Unternehmen Bosch Thermodynamik und Saint-Gobain fanden sich zudem zwei Industriepartner, die für Gebäudehülle und Anlagentechnik die entsprechenden Erfahrungen und Produktportfolios mitbrachten.

Ein neues Dämmkleid

Vor Beginn der Sanierungsarbeiten im Sommer 2013 wurde auf dem Schulgelände eine provisorische Containeranlage mit 20 Interimsklassenzimmern aufgestellt, um die dringend nötigen Sanierungsarbeiten an der Bausubstanz wie z. B. Betonsanierung oder Nachrüstungen beim Brandschutz im laufenden Schulbetrieb angehen zu können. Alle Baubeteiligten wussten zudem um die Herausforderung bei Planung und Ausführung, dass das ambitionierte Ziel »Plusenergieschule« am Ende nur erreicht werden konnte, wenn die Konzeption und Gewerkeabstimmung bei Gebäudehülle, Lüftung und Anlagentechnik Hand in Hand gehen würden.

Neben dem lückenlosen und umfassenden Wärmeschutz, sprich Dämmung und neuen Fenstern, lag das Augenmerk v. a. auf dem Beseitigen der Wärmebrücken – hier standen die aus der Fassade hervortretenden Stahlbetonstützen besonders im Fokus. Die gestaltprägenden Lisenen an der Südfassade mit Dämmung einfach rundum »einzupacken«, wäre nicht nur sehr aufwendig gewesen, sondern hätte auch die Harmonie und den Charakter des Fassadenbilds zerstört. Stattdessen wurde entschieden, nur die frei stehenden Stützenbereiche im EG ringsum zu dämmen. Die Lisenen in den oberen Geschossen wurden überdämmt und bilden nun mit den Deckenrändern eine durchgehende Ebene. Das verändert das Fassadenbild dahingehend, als dass sich die vormaligen Fensterbänder mit ihren ziegelroten Brüstungen nun eher als großformatige Lochfassade zeigen: Fenster, Lüftungsflügel und die jetzt mit PV-Modulen bestückten Brüstungen sind in einen weißen Rahmen gefasst, der die Breite des dahinter liegenden Klassenraums abbildet. So bleibt an der Südfassade zwar die historische Gliederung erhalten, jedoch nicht mehr durch die vorspringenden Lisenen, sondern durch die Laibungen der »eingerahmten« Fenster- und Brüstungselemente.

Neue Wege bei Technologien und Baustoffen

Zwar ist der gesamte Baukörper mit einem WDVS versehen, jedoch variiert dessen Dicke aufgrund verschiedener Dämmstoffe zwischen knapp 10 cm bei den Vakuum-Isolationspaneelen (VIP) an den Gebäudestirnseiten, 20 cm bei den Mineralwollplatten im Bereich der Fensteröffnungen und 30 cm bei den EPS-Platten an allen restlichen Flächen, vorzugsweise der Nordfassade. Unter den PV-Modulen auf den Dachflächen findet sich eine 26 cm dicke Aufsparrendämmung, ebenfalls aus EPS, ergänzend dazu auch dort VIP-Elemente. Auf die Bodenplatten, die mit dem Erdreich in Berührung stehen, sind aufgrund der vorgegebenen Raumhöhe ebenfalls VIP-Dämmplatten verlegt.

An die Stelle der alten Holzfenster traten neue Holz-Aluminiumfenster mit Dreischeibenverglasung und optimiertem Randverbund. Die Wärmeschutzverglasung aus eisenoxidarmem Floatglas kombiniert die hohe Dämmleistung einer Dreifachverglasung (UG = 0,5 W/(m2K) mit dem hohen Tageslichteintrag einer Zweifachverglasung (g-Wert 59 %, Lichttransmission 74 %), was gerade in Schulen eine wichtige Rolle spielt, um die Lern- und Leistungsfähigkeit von Schülern und Lehrern zu unterstützen. Unterstützend lenkt der außenliegende Sonnenschutz aus reflektierenden Aluminiumjalousien im oberen Bereich zusätzlich Tageslicht in die Tiefe der Klassenräume: Fährt er ganz nach unten, stellen sich die obersten Lamellen automatisch quer, wodurch ausreichend Licht in den Raum fällt – manchmal können auch einfache Lösungen sehr wirksam sein und, wie hier, aufwendige Lichtlenksysteme ersetzen. Durch die Dämmung der Hülle nebst Beseitigen der Wärmebrücken inklusive Fensteraustausch konnte der Wärmeverlust über die Gebäudehülle um 80 % reduziert werden.

Auch das über CO2-Sensoren gesteuerte, dezentrale Lüftungskonzept mit rund 83 % Wärmerückgewinnungsgrad, das nicht mit dem Heizsystem korrespondiert, trägt maßgeblich dazu bei, die Transmissionswärmeverluste einzudämmen. Die Luftströmung selbst ist auf eine sehr niedrige Geschwindigkeit ausgelegt; die Frischluft soll sich in niedriger Höhe (bis 1 m) in den Räumen ausbreiten, wo sie sich erwärmt, nach oben steigt und dann wieder nach draußen geführt wird. Um Energie zu sparen, bleiben die Lüftungsgeräte über den Sommer aber ausgeschaltet. Stattdessen sollen die Schüler dann selbst über Fensterlüftung für genügend Frischluft sorgen – sogenannte CO2-Ampeln geben den Lehrern Hinweise, wenn die Luft im Klassenzimmer zu dick wird. Unterstützend sorgt eine automatische Nachtlüftung über motorisch gesteuerte Fensterflügel dafür, dass bei Schulbeginn erträgliche Temperaturen herrschen. Dazu wurden in den Wänden zwischen den Klassenzimmern und Fluren Öffnungselemente angebracht, die sich – zeitgleich mit den Fensterflügeln in der Fassade – automatisch über Nacht öffnen und morgens wieder verschließen.

Geothermie und PV als Energielieferanten

Eine nicht minder wichtige Rolle für das Erreichen des Plusenergiestandards spielte das Anlagenkonzept: Neben den PV-Modulen auf den Dächern des Hauptgebäudes, des Erweiterungsbaus und an den Fensterbrüstungen der Südfassade, die in Summe rund 220 kWp bzw. 180 MWh/a an Solarstrom produzieren, erfolgt die Wärmebereitstellung über zwei Modul-Erdwärmepumpen mit jeweils 33 kW thermischer Leistung. Insgesamt 52 Erdwärmesonden, die im nördlich gelegenen Freibereich der Schule in einem Abstand von jeweils 8,50 m bis zu 90 m tief ins Erdreich gebohrt wurden, beschicken die Wärmepumpen über einen Wärmetauscher ganzjährig stabil mit 2 °C warmem Wasser, was deren effizienten Betrieb gewährleistet. Dieser ist auch den niedrigen Vorlauftemperaturen von lediglich 37 °C zu verdanken, die – die inneren Wärmelasten natürlich eingerechnet – genügen, um angenehme Wärme über die Decken- und Wandheizflächen in die Räume des Hauptgebäudes abzustrahlen. Das Warmwasser wird über Durchlauferhitzer dezentral erzeugt – nur im Erweiterungsbau erfordert der erhöhte Warmwasserbedarf aufgrund der dort integrierten Gymnastikhalle Vorlauftemperaturen von 60 °C. Diese auch der Legionellenprophylaxe geschuldete Aufheizung übernehmen zwei separate Wärmepumpen im Heizungskeller des Hauptgebäudes mit jeweils 60 kW thermischer Leistung.

Monitoring soll Berechnungen validieren

Ob sich das rechnerisch erwartete Plus von rund 11 000 kWh tatsächlich einstellt, wird das zweijährige Monitoring erweisen, das in diesem Sommer startete. Zusätzlich zu den erhobenen Messdaten wird auch die Befragung von Schülern, Lehrern und Hausmeistern zeigen, ob die Erwartungen tatsächlich erreicht, vollumfänglich erfüllt oder gar weit übertroffen werden. Die ersten Erfahrungen von Schülern und Lehrern stimmen zuversichtlich – die Regelung von Beleuchtung, Sonnenschutz und der Umgang mit der Fensterlüftung scheint ebenso zu funktionieren wie das Einregeln des Gebäudes insgesamt.

Ein Stellrädchen, das auch künftig die Bilanz noch weiter positiv zu beeinflussen vermag, sind sicher die verbrauchsoptimierten Geräte und Technologien. Auch die installierte und von den Nutzern übersteuerbare LED-Beleuchtung nebst ausgeklügeltem Lichtmanagement kann sich künftig als das Zünglein an der Waage erweisen, damit die Plusenergieschule tatsächlich dem ihr zugedachten Leuchtturmcharakter gerecht wird. In Anbetracht der Baukosten in Höhe von 19,5 Mio. Euro, in denen 4,4 Mio. Euro Fördergelder vom BMWi und rund 270 000 Euro Finanzmittel und zusätzliche Materialspenden der Industriepartner eingerechnet sind, bestehen von verschiedenen Seiten gewisse Erwartungen an das Projekt. Die Stadtgeschichte von Stuttgart lässt jedenfalls vermuten, dass die mutige Sanierung der Uhlandschule zum Erfolg wird und sich damit ganz in die Tradition schwäbischer Pionierleistungen stellt. Möge das Projekt noch viele Nachahmer finden!


Standort: Tapachstraße 4, 70 437 Stuttgart
Bauherr: Landeshauptstadt Stuttgart, Referat Jugend und Bildung / Schulverwaltungsamt sowie Referat für Städtebau und Umwelt / Amt für Umweltschutz
Projektleitung: Technisches Referat / Hochbauamt, Schul- und Sportbauten
Architekten: Planung: Hotz Generalplaner, Freiburg
Bauleitung: KBK Architektengesellschaft Belz I Lutz, Stuttgart
Technische Ausrüstung-HLSE: Planung: Hotz Generalplaner, Freiburg; Bauleitung: Ingenieurgruppe Freiburg, Freiburg
Landschaftsarchitekten: Mundsinger und Hans, Stuttgart
NGF: 3 453 m²
BGF: 4 199 m²
BRI: 15 500m³

Primärenergiebedarf (Hauptgebäude):
vorher: 188,3 kWh/m²a (bezogen auf 2 720 m² NGF),
derzeit/Validierungsphase (bezogen auf 2 774m² NGF): 131 89 kWh/m²a

Endenergiebedarf (Hauptgebäude):
vorher: 148,2 kWh/m²a (bezogen auf 2 720 m² NGF),
derzeit/Validierungsphase (bezogen auf 2 774m² NGF): 18,3 kWh/m²a

Gesamtprimärenergiebedarf (für Hauptgebäude und Erweiterungsbau):
318,6 kWh/a (inkl. errechnetem Strombedarf aller elektr. Geräte)

Primärenergieeertrag PV-Anlage: 356,2 kWh/a
Baukosten: ca. 20 Mio. Euro
Bauzeit: August 2013 bis März 2017

Beteiligte Firmen:
Verglasung mit »Climatop Max«: Saint-Gobain Building Glass Europe, Stolberg, www.saint-gobain-glass.com

Sonnenschutz: BPG CAD Metallkonstruktionen, Heilbronn, www.bpg-fassadentechnik.de

Fensterprofile: Schüco, Bielefeld, www.schueco.com

Lüftung (dezentrale Raumlüftungsgeräte): Energenio, Daupethal, www.energenio.de

Dämmung: Saint-Gobain ISOVER G+H, Ludwigshafen, www.isover.de

Putz und WDVS: Saint-Gobain Weber, Düsseldorf, www.sg-weber.de

Trockenbau: Saint-Gobain Rigips, Düsseldorf, www.rigips.de

PV: Solarworld, Bonn, www.solarworld.de

Wärmepumpe: Bosch Junkers, Wernau, www.junkers.com

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