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Die Kunst des Unsichtbaren

Hans Scharouns Theater in Wolfsburg modernisiert
Die Kunst des Unsichtbaren

Schon 16 Jahre nach Fertigstellung wurde das Wolfsburger Theater unter Denkmalschutz gestellt. Nun haben Brenne Architekten den Bau von Hans Scharoun runderneuert. Die Besichtigung vor Ort zeigt: Selbst tiefgreifende Änderungen tarnen sich perfekt.

Text: Christian Schönwetter

Wer aus der Wolfsburger Fußgängerzone tritt und durch den Park am Klieversberg hinauf zum Theater schaut, reibt sich verwundert die Augen: Dieses junge und eher unspektakuläre Bauwerk soll ein »national wertvolles Kulturdenkmal« sein? Auch bei einer ersten Umrundung des 1973 eröffneten Theaters erschließt sich noch nicht recht, worin seine besondere Bedeutung liegt. Gut, es folgt geschickt den Höhenlinien des hügeligen Geländes, es schmiegt sich harmonisch an den Waldrand und die Fassaden tragen eine wertige Natursteinbekleidung, doch eine spezielle Raffinesse zeigen sie dabei nicht. Erst wenn man eintritt, bemerkt man allmählich, was dieses Haus einzigartig macht: Hans Scharoun wusste das Raumprogramm auf außergewöhnliche Weise zu organisieren.

Typologische Neuerung
Das Wolfsburger  Theater ist im Unterschied zu den meisten seiner Artgenossen kein kompaktes Gebilde, sondern eine lineare Komposition unterschiedlicher Baukörper, die sich wie an einer Perlenschnur aufgefädelt aneinanderreihen. Zunächst gelangt der Besucher in einen niedrigen, eher introvertierten Eingangs- und Kassenbereich, bevor der Raum sich zum etwas höheren Foyer weitet. Das wiederum streckt sich fast wie ein Flur in die Länge. An einer Seite ist es vollflächig verglast, sodass der Blick über den Park und die Innenstadt bis zum VW-Werk schweifen kann – dadurch entsteht eine besonders enge Verbindung des Theaters mit der Stadt. Am Ende des Foyers tritt man dann in den Zuschauersaal und erlebt die volle Höhe dieses dominierenden Baukörpers, die schon am Äußeren des Gebäudes abzulesen war. Die unterschiedlichen Volumina zeichnen also präzise den Weg des Besuchers nach. Doch die eigentliche Überraschung ist eine andere: Im Saal erwartet den Besucher statt Dunkelheit Tageslicht. Scharoun hatte schon mehrere Schauspielhäuser für andere Städte entworfen, konnte aber nur in Wolfsburg seine Pläne verwirklichen. Er hatte sich sehr tiefgreifend mit der Bauaufgabe Theater beschäftigt und wollte Schauspielern und Regisseuren bei den Proben visuellen Kontakt zur Außenwelt ermöglichen. Deshalb gibt es ein 65 m² großes Fenster. Es ist mit unterschiedlichen Strukturgläsern gestaltet, durch die der Wechsel von Sonne und Wolken mit seinen verschiedenen Lichtstimmungen im Innenraum spürbar wird. Bei Bedarf lässt sich ein Verdunkelungsvorhang zuziehen.
Die typologischen Besonderheiten dieses Theatergebäudes sind es, die in erster Linie seine nationale Bedeutung ausmachen. Wegen seines geringen Alters war es zudem bis ins Detail noch fast unverändert erhalten. Ein Glücksfall für die Denkmalpflege, doch ein Problem für die Betreiber: In diesem Haus werden fast ausschließlich Gastspiele aufgeführt und zuletzt wurde es immer schwieriger, anspruchsvolle Produktionen nach Wolfsburg zu locken, weil die Bühnentechnik stark veraltet war.

Unaufgeregt weitergebaut
Nach rund 40 Jahren stand also eine umfassende Sanierung an. Brenne Architekten haben sie in einer abgestuften Vorgehensweise durchgeführt. Bei weniger denkmalrelevanten Bereichen wie der Bühne wurde beherzt modernisiert, auf der Rückseite des Gebäudes der ein oder andere kleinere Baukörper ergänzt, im Foyer dagegen der Bestand originalgetreu erneuert und im Zuschauerraum schließlich Vorhandenes vorsichtig repariert.
Hauptproblem neben der alten Bühnentechnik waren die knapp bemessenen Sanitärräume; v.a. vor den Damentoiletten bildeten sich in den Pausen lange Schlangen. Da das Gebäude keine geeigneten Raumreserven bot, entschloss man sich zu einem Anbau, der nun erstmals auch Platz für eine behindertengerechte Toilette bietet. Dezent schiebt sich die Erweiterung auf der Rückseite des Gebäudes in den Hang. Auch ein halboffener Raucherpavillon ergänzt dort unauffällig den Bestand. Auf fünfeckigem Grundriss führt er die polygonale Formensprache des Theaterbaus weiter, ebenso nimmt er das Motiv der Geländestützmauern aus Sichtbeton auf, nur dass dessen Oberfläche keine senkrechte Bretterschalung zeigt, sondern glatt ausgebildet ist, um den Pavillon subtil als neues Element kenntlich zu machen. Die organische Architektur Scharouns, seine additive Fügung einzelner Volumina erleichtert diese Art des Weiterbauens enorm. Man stelle sich zum Vergleich nur einmal vor, wie schwer es etwa wäre, Mies van der Rohes Seagram Building mit einem Anbau zu erweitern.

Mit Augenmaß gedämmt
Die Gebäudehülle wurde energetisch verbessert, wo dies ohne Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds möglich war. So erhielt das Dach eine neue Dämmung von durchschnittlich 20 statt bislang 6 cm Dicke. Zum Rand hin wird sie dünner, sodass an der Kante wie früher nur ein ganz schmales Attikablech sichtbar ist – größtenteils konnte hierfür das Originalmaterial wiederverwendet werden. Auch die bauzeitlichen Fenster blieben erhalten. Hier wurde in die alten Rahmen eine neue, bessere Isolierverglasung eingesetzt und anschließend mit den originalen schlanken Halteleisten fixiert. Lediglich die raumhohen Fenster im Foyer mussten komplett ausgewechselt werden, da sie noch mit einer Einfachverglasung ausgestattet waren; weil heutiges Isolierglas fast doppelt so viel wiegt, hätten Unterkonstruktion und Rahmen die neuen Lasten nicht tragen können.
Bei den geschlossenen Fassaden verzichtete man weitgehend auf zusätzliche Dämmung. Beschädigte Natursteinplatten wurden punktuell mit mineralischem Steinersatzmaterial repariert, nur wenige mussten ganz ausgetauscht werden, insgesamt ist also sehr viel Originalsubstanz erhalten geblieben. Sie wurde nur mit Wasser gereinigt, um die Patina zu bewahren. Wie eh und je unterscheidet sich der große Baukörper für Bühne und Zuschauerraum mit seiner Bekleidung aus Ceppo di Gré von den flacheren Körpern für Foyer, Künstlergarderoben und Verwaltung mit ihrem hellbeigen Travertin.

Im Innern erneuert
Im Foyer gibt es weniger originale Oberflächen, aber ebenfalls exakt das alte Erscheinungsbild. Dies fängt beim Boden an: Ein Velours-Teppich sorgt für eine beinahe wohnliche Atmosphäre und eine angenehme Akustik. Er ist ein getreues Replikat des hellgrauen Originals. Die weißen Strukturplatten der abgehängten Akustikdecke, hinter der sich die komplett erneuerte Haustechnik verbirgt, ließ der frühere Produzent eigens neu fertigen. Die eingelassenen Downlights hatte Scharoun relativ frei angeordnet, sodass sie abendliche Theatergäste an einen Sternenhimmel erinnern mögen. Diese »poetische« Gestaltung mit dunkleren und helleren Zonen drohte nun unter die Räder zu geraten, denn bei Verkehrsflächen ist heute eine gleichmäßige Ausleuchtung vorgeschrieben. Nur mit einer Ausnahmegenehmigung ließ sich das charakteristische Detail retten. Farblich ist das Foyer sehr zurückhaltend. Lediglich eine Wandscheibe aus Sichtbeton trägt nach restauratorischem Befund einen Silikatanstrich in einem warmen Orange. Und die Vorhänge an den Garderoben, die lediglich gereinigt werden mussten, verbreiten mit ihrem tiefen Rot eine gediegene, festliche Atmosphäre.
Ganz anders der Raum vor den Damentoiletten, der – auch dies eine Besonderheit – als eigener »trockener« Make-Up-Raum ausgestattet und mitsamt Möblierung noch komplett erhalten war. Ein fliederfarbener Wandanstrich, runde Hocker mit einem Stoffbezug in leuchtendem Orange und der Velours-Teppich am Boden wirken beinahe ein bisschen plüschig, atmen jedenfalls ganz den Geist der 70er Jahre. Eine solche Ausstattung hätte man bei Scharoun kaum erwartet. Er starb schon zu Beginn des Jahrzehnts, 1972, also ein Jahr vor Fertigstellung des Gebäudes. Ob bei den Nebenräumen alle Details des Innenausbaus seine Handschrift tragen, ist daher nicht verbürgt.

Zuschauersaal restauriert
Beim wichtigsten Raum des Theaters hingegen ist dies unstrittig. Im Zuschauerraum mit seiner hervorragenden Akustik wurden nun die Oberflächen behutsam gereinigt und restauratorisch überarbeitet. Bei den Holzbekleidungen an den Wänden war in der Zwischenzeit eine weiße Lasur aufgebracht worden, um sie zu vereinheitlichen. Brenne Architekten ließen sie entfernen, sodass jetzt wieder die ursprüngliche lebendige Anmutung der Eschefurniere sichtbar ist.
Integraler Bestandteil des Raumkonzepts ist die Bestuhlung, denn die Rückenlehnen sind Teil der Haustechnik: Aus ihnen strömt Zuluft in den Saal. Die 825 Stühle wurden daher sorgsam aufgearbeitet, die Gestelle frisch gestrichen, die Sitze mit dem gleichen roten Stoff wie früher frisch bezogen. Lediglich die Lüftung musste leicht modifiziert werden, da sie teilweise zu unangenehmen Zugerscheinungen geführt hatte. Die Frischluft strömt nun mit weniger Druck aus und verursacht dadurch auch weniger störende Geräusche, das Aussehen der Stühle hat sich dadurch überhaupt nicht geändert.

Authentizität bewahrt
Beim Verlassen des Theaters bleibt der Eindruck, dass hier Denkmalpflege vom Feinsten betrieben wurde. An allen wichtigen Stellen präsentiert sich das Gebäude wie kurz nach der Fertigstellung. Den Austausch von Bausubstanz haben Brenne Architekten auf ein sehr geringes Maß reduziert – gerade im Vergleich zu vielen anderen Denkmalen der 60er und 70er Jahre, bei deren Sanierung häufig nur das Erscheinungsbild mit neuen Bauteilen gewahrt wird, während vom Denkmal außer dem Rohbau nicht viel übrigbleibt, sodass der Zeugniswert leidet. Der Spagat zwischen dem Erhalten des Authentischen und dem Integrieren des heute Erforderlichen ist beim Theater in Wolfsburg mit Bravour gemeistert.  •

 

Wer sich selbst vor Ort einen Eindruck verschaffen möchte, kann das Gebäude im Rahmen spezieller Architekturführungen besichtigen. Infos unter www.wolfsburg.de/architektur

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