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Brutalismus sanft erneuert

Cusanus Akademie in Brixen (I)
Brutalismus sanft erneuert

Ein Ort der Begegnung, ein Haus der Bildung und eine Perle des Brutalismus ist die Cusanus Akademie im Herzen Brixens. MoDusArchitects haben trotz deutlicher räumlicher Veränderungen den Charakter des denkmalgeschützten Gebäudes sorgfältig bewahrt.

Es war das erste Gebäude der Moderne, dass in der Provinz Bozen den Rang eines Denkmals erhielt: die Cusanus Akademie in Brixen, von Othmar Barth geplant und 1962 fertiggestellt. Seine Komposition aus einem sichtbaren Betonskelett mit Backsteinfüllungen war damals allerdings hochumstritten, wurde sie doch von vielen als Fremdkörper in der von Putzbauten geprägten Innenstadt Brixens empfunden.

Die katholische Kirche bietet in der Akademie Seminare und Vorträge an – nicht zwingend mit religiösem Inhalt, sondern auch Rhetorikkurse, Fortbildungen für KindergärtnerInnen u. ä. Benannt ist die Akademie nach Nicolaus Cusanus, in Deutschland bekannt als Nikolaus von Kues. 1401 im gleichnamigen Ort an der Mosel geboren, war er ein vielbeachteter humanistischer Philosoph und Theologe, der schon sehr früh für religiöse Toleranz warb und etwa den Islam anerkannte; gleichzeitig machte er Karriere in der Amtskirche und wurde zum Kardinal von Brixen ernannt. Dieses undogmatische, gleichberechtigte Nebeneinander von Wissenschaft und Glaube prägt auch das Programm der Cusanus Akademie. Sie nutzt das Gebäude jedoch nicht nur für ihr eigenes Bildungsangebot, sondern vermietet die Räumlichkeiten ebenso für Konferenzen und stellt daher für bis zu 96 Personen Gästezimmer zur Verfügung, teils im Haupthaus von Barth, teils in den benachbarten Altbauten.

Nach fast 60 Jahren Betrieb wünschte sie sich ein paar Änderungen und beauftragte damit das ortsansässige Büro MoDusArchitects. Größte Neuerung ist ein zusätzlicher, teilbarer Konferenzsaal. Um das Denkmal zu schonen, wurde er unter dem Platz vorm Gebäude versenkt und liegt nun genau in der Mitte des Ensembles aus Haupthaus und Nebengebäuden. Gestalterisch ist er eindeutig ein Kind unserer Tage. Sein Dach bildet die neue Platzfläche, ein U-förmiges Oberlicht lässt einerseits Helligkeit nach unten und rahmt anderseits mit einer umlaufenden Sitzbank den Außenraum. Erschlossen wird der Saal über ein neues Treppenhaus samt Aufzug, das behutsam in Barths Architektur eingepasst wurde – ein paar Gästezimmer und Nebenräume mussten dafür allerdings weichen. Ein Raumkontinuum aus mehreren Foyers führt zu weiteren Konferenzräumen im UG des Bestands, die wegen der Hanglage des Gebäudes klassisch von der Seite belichtet sind. Sie wurden nur technisch modernisiert und frisch gestrichen.

Um das darüberliegende Eingangsgeschoss einladender zu gestalten, haben MoDusArchitects einen zweiten Zugang geschaffen, sodass der Flur, der längs durchs Gebäude führt, zur Passage wird. Gleichzeitig entfernten sie einige Wände, um die Passage zu verbreitern. Neue raumhohe Glasscheiben gestatten Einblicke in den Seminarraum auf diesem Geschoss und erhellen die innenliegende Passage. Da alle Eingriffe dem 2,90-m-Raster des Bestands folgen, sind sie kaum zu erkennen und es entsteht eine harmonische, stimmige Raumwirkung.

Ein halbes Geschoss weiter oben finden sich Mensa und Cafe, und ein weiteres Halbgeschoss darüber gelangt man in die architektonische Hauptattraktion des Gebäudes: die zentrale, langgestreckte, zweigeschossige Halle. Hier hatte Barth mit großem skulpturalem Geschick einen Raum von beinahe sakraler Anmutung modelliert, an dem MoDusArchitects so gut wie nichts änderten. Eine umlaufende Galerie, teils von Betonpfeilern getragen, deutet drei Schiffe an. Sie führt zu den Gästezimmern, deren gestaffelte Backsteinwände der Halle einen feinen Rhythmus verleihen, unterstützt von den Betontonnen, die den zentralen Raum in Querrichtung überwölben und nach Art eines Obergadens Licht einsickern lassen. Hier, in der Mitte des Gebäudes, finden bei Veranstaltungen bis zu 313 Personen Platz. Zusätzlich und lässt sich der Raum an seinem Kopfende mit einem Konferenzsaal zusammenschalten, der ein halbes Geschoss höher liegt. Am anderen Ende findet sich eine kleine Kapelle, ebenfalls zweigeschossig und tonnenüberwölbt.

Die Gästezimmer hatte Barth wie einfache Mönchszellen gestaltet – mit Wänden aus Sichtmauerwerk und einer Einrichtung, die aus nicht viel mehr als Bett, Tisch, Schrank und Waschbecken bestand. Um die Unterkünfte wie heute üblich mit je einem eigenen Bad ausstatten zu können, wurde jedes dritte Zimmer aufgegeben und darin zwei Bäder für die angrenzenden Zimmer geschaffen. Weder an der Fassade, noch in der Halle ist dieser Eingriff ablesbar – jede dritte Zimmertür ist jetzt eine Blindtür, so dass der Rhythmus der Halle nicht gestört wird. Beispielhaft zeigt dieses Detail, wie die Architekten an vielen Stellen ihre Änderungen tarnen, um die feinsinnige Gestaltung Barths erhalten zu können.

~Christian Schönwetter


Mehr Bildungs- und Begegnungsorte in kirchlicher Trägerschaft:

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