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Zielturm am Rotsee bei Luzern (CH), Fuhrimann Hächler

Mystisch schwebender Kubus
Zielturm am Rotsee bei Luzern (CH)

Recht verschwenderisch wirkt es, dass der Zielturm nur einmal im Jahr, zu den Ruderwettbewerben, genutzt wird. Umso wichtiger war es, das Gebäude als skulpturale Bereicherung des Landschaftsbilds zu konzipieren und den baulichen Aufwand auf ein Minimum zu reduzieren. Präzise eingesetzte Materialien, die gekonnte Proportionierung und die ausdifferenzierte Kubatur verleihen dem auf den ersten Blick als einfache hölzerne Box erscheinenden Turm Qualitäten eines Land Art-Projekts.

    • Architekten: Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten
      Tragwerksplanung: Berchtold + Eicher

  • Kritik: Jørg Himmelreich
    Fotos: Valentin Jeck
Den zahlreichen Bahnpendlern auf der Strecke Luzern – Zürich ist der Turm gut vertraut. Im Vorbeigleiten tritt er als geheimnisvolle Skulptur in Erscheinung und ist mittlerweile zum charismatischen Erkennungszeichen für den Rotsee geworden. Wie selbstverständlich sitzt er zwischen grünlich schimmerndem See und Wald. Wenn morgens und abends Nebelschwaden über den See wabern, scheint er mitunter mystisch zu schweben.
Der Rotsee ist ein eigenartiges Gewässer. 2,5 km lang, 250 m breit und beinahe linear wirkt der alte Flusslauf irgendwie künstlich, als wäre er explizit für den Rudersport ausgehoben worden. Durch Hügel und Bäume weitgehend windgeschützt bietet er für Regatten – deren übliche Länge 2 km beträgt – den idealen Rahmen.
Die Sport-Infrastruktur stammt aus den frühen 60er Jahren; viermal wurde hier um die Weltmeisterschaft gerudert. Als die Einrichtungen vor wenigen Jahren als Austragungsort für ungeeignet befunden wurden, entschied sich der Verein Naturarena Rotsee – ein Zusammenschluss von Stadt und Kanton Luzern, Sponsoren und der Gemeinde Ebikon – die Anlagen vollständig zu erneuern, um sie wieder als Standort für Meisterschaften ins Spiel bringen zu können. Der neue Zielturm wurde bereits realisiert. Im kommenden Jahr wird ein neues Ruderzentrum folgen.
Eine gute Wahl
Im Jahr 2012 waren im Rahmen eines Studienauftrags fünf Büros eingeladen, für beide Bauwerke Entwürfe einzureichen. Durchsetzen konnte sich das Züricher Büro von Andreas Fuhrimann und Gabrielle Hächler. Das zweigeschossige Zentrum soll im OG aus Holz, im UG aus Beton gebaut werden. Auch beim Turm sollten diese beiden Materialien in einen Dialog treten, indem eine offene Betontreppe die hölzernen Räume wie eine Schraubzwinge umfassen sollte. Leider bekam der Bauherr »kalte Füße«. Weil ein permanent begehbarer Turm ein gutes Ziel für Vandalismus abgibt, wurde die Aussichtsplattform gestrichen und die Treppe teilweise nach innen verlegt. Ein Stück des Stegs lässt sich entfernen; das Bauwerk kann damit zur Insel werden. Trotz der Änderungen werden sich Zentrum und Turm dennoch künftig als Einheit präsentieren: Große Holzläden, die beim Turm teilweise nach oben aufgeklappt oder zur Seite geschoben werden können, sollen auch beim Ruderzentrum zum prägenden Element werden.
Balance zwischen Zurückhaltung und Ausdruckskraft
Im Sommer 2013 wurde der Turm mit seinen insgesamt 120 m² Nutzfläche nach nur sechs Monaten Bauzeit fertiggestellt. Weil er lediglich an drei Wochenenden im Jahr in Betrieb ist, galt es, ein Bauwerk zu entwerfen, das sich die restliche Zeit des Jahres über wie selbstverständlich in die Landschaft einpasst. Das ist den Architekten gelungen: Statt als verwaiste Infrastruktur tritt er als Landmarke in Erscheinung und dient auch Spaziergängern und Badegästen als Orientierungspunkt. Das Bauwerk etabliert ein sensibles Gleichgewicht zwischen Zurückhaltung und charismatischer Eigenständigkeit. Seine drei ähnlich dimensionierten Geschosse sind leicht versetzt zueinander aufgestapelt. Das lässt den Turm kraftvoll und massiv, zugleich aber auch präzise wirken. Der eine oder andere der Versprünge lässt sich zur Not funktional begründen (so bietet die Auskragung über dem Eingang einen gewissen Regenschutz), sie zeugen aber v. a. vom Interesse der Architekten an einem ausdifferenzierten Erscheinungsbild. Das reliefartige Bauwerk weckt Assoziationen an konkrete Kunst oder Skulpturen des Churer Bildhauers Andrea Malaer. Im geschlossenen Zustand verweist der Turm zudem auf den stählernen Monolith von Jean Nouvel, der während der Expo.02 auf dem Murtensee »schwamm«. Doch anders als der stählerne Riese hat der Turm am Rotsee ein zweites, heiteres Gesicht. Entscheidend dafür sind die Falt- und Schiebeläden. Jene in den unteren Etagen werden hochgeklappt, bilden dann Sonnenschutzdächer und lassen das Bauwerk filigran erscheinen. Der Schiebeladen der obersten Etage kragt expressiv zur Seite – der Turm scheint die Sportler förmlich ins Ziel zu winken.
Die kürzere Fassade und die meisten Öffnungen sind zur Ziellinie hin orientiert. Der Raum auf der Eingangsebene wird vom Organisationskomitee der Fédération Internationale des Sociétés d’Aviron (FISA) genutzt. In der Etage darüber (hier gibt es auch eine Trockentrenntoilette) arbeiten Jury und Zeitmesser, und ganz oben haben Eventregie und Sprecher ihre Arbeitsplätze. Dort gibt es auch eine kleine Loggia, die einen großartigen Blick über den See bietet.
Robuste doch sinnliche Materialien
Über den Steg gelangt man unmittelbar ins untere Geschoss; über eine betonierte Treppe in die erste Etage. Innenliegend führt sie weiter in den obersten Raum. Wie der »Tisch«, der das Bauwerk über den Wasserspiegel stemmt, wurde sie betoniert und dient als statisches Rückgrat des Holzbauwerks. Vier bis zu 12 m lange Rundpfeiler reichen durch den Seegrund und verankern den Turm auf dem Fels. Vorfabrikation ermöglichte eine schnelle und kostengünstige Realisierung für insgesamt 1,3 Mio. CHF. Durch eine Dachpappe getrennt, steht die Holzkonstruktion unmittelbar auf der Platte auf. Ihre Betonoberfläche wurde lediglich geschliffen und ist damit im Innenraum unmittelbar erlebbar. Die Böden der OGs wurden mit einer Zementschicht belegt und dadurch dem Eingangsgeschoss optisch angeglichen. Ähnlich »rau« präsentieren sich im Innern die Wandoberflächen. Geschliffene OSB-Platten spannen mit ihrem zufälligen »Blättermuster« einen Bogen zur Optik des Waldes und dem neu gepflanzten Schilfgürtel. Die Architekten Fuhrimann Hächler sind Alchemisten – immer wieder verwandeln sie gewöhnliche Materialien in charismatische Unikate. Auch die Ausstattung ist reduziert und präzise: Regale und eine Sitztribüne wurden aus Fichte-Dreischichtplatten angefertigt. Die Fassaden bestehen hingegen aus Kiefernholz. Eine Essig-Imprägnierung macht sie widerstandsfähiger gegen Feuchtigkeit. Das Holz ist mittlerweile vergraut und lässt das Bauwerk noch selbstverständlicher im Natur-Kontext erscheinen.
Spätestens, wenn im kommenden Jahr das Ruderzentrum eröffnet, wird der Rotsee wieder in die Spitzenliga der Austragungsorte für Ruderwettkämpfe aufsteigen. Bis dahin lohnt der Besuch am See für einen Spaziergang. Dabei kann man en passant zumindest das introvertierte Gesicht des spannenden janusköpfigen Zielturms kennenlernen. •
      • Standort: Rotsee, Luzern (CH)

    • Bauherr: Naturarena Rotsee, Luzern
    • Mitarbeiter: Andreas Fuhrimann, Gabrielle Hächler, Carlo Fumarola, Lukas Schlatter, Andrej Zouev (Wettbewerb); Daniel Stankowski (Projektleitung)
      Tragwerksplanung: Berchtold + Eicher, Zug
      Bauökonomie/Bauleitung: Schärli Architekten, Luzern
      Ingenieurholzbau: Lauber Ingenieure für Holzbau & Bauwerkserhalt, Luzern
      BGF: 123 m²
      Baukosten: 1,3 Mio. CHF (etwa 1,21 Mio. Euro)
      • Architekten: Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten, Zürich
      Bauzeit: Dezember 2012 bis Mai 2013
  • Beteiligte Firmen:
    Holzbau, Holz-Metallfenster: 1a Holzbau Hunkeler, Ebikon, www.1a-hunkeler.ch
    Holz für Fassadenschalung und Fenster (Accoya – acetylierte neuseeländische Kiefer): Accsys Technologies, Arnheim, www.accoya.com

Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler Architekten

Andreas Fuhrimann
Studium der Physik und der Architektur an der ETH Zürich, 1985 Architekturdiplom. 1986 Mitarbeit im Architekturbüro Marbach + Rüegg. Ab 1987 Zusammenarbeit mit Christian Karrer. 1988 Lehrauftrag an der Kunstgewerbeschule Zürich. Seit 1995 Zusammenarbeit mit Gabrielle Hächler. 2009-11 Lehrauftrag an der ETH Zürich. Seit 2011 Professur an der UdK Berlin.

Gabrielle Hächler
Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich sowie der Architektur an der ETH Zürich, 1988 Diplom. Assistenz an der ETHZ. Ab 1988 eigenes Architekturbüro. Temporäre Zusammenarbeit mit anderen Architekten oder Künstlern. Seit 1995 Zusammenarbeit mit Andreas Fuhrimann. 2009-11 Lehrauftrag an der ETH Zürich. Seit 2011 Professur an der UdK Berlin.


Jørg Himmelreich
Studium der Architektur, Architekturtheorie und -geschichte, Geschichte, Kunst und Designwissenschaften an der Bergischen Universität und der ETH Zürich. Lehrauftrag und Forschungsprojekte an der ETH. Chefredakteur der Zeitschrift archithese, zahlreiche Texte und Bücher zu Architekturgeschichte und -theorie.


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