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Wohngebäude in Düsseldorf von TRU Architekten

Qualitätsoffensive in maximaler Dichte
Wohngebäude in Düsseldorf

Was noch geht, wenn ein Stadtteil am Limit ist, zeigen TRU Architekten mit dem Wohnhaus Herzogstraße 79a/b in Düsseldorf. Der Neubau, ein Hinterhaus, ist einfach und gut. So ragt er aus dem dicht gewebten Teppich aus Teerpappe und Beton und setzt ein Zeichen für den Neuanfang. Aber reicht Bauen hier?

Architekten: TRU Architekten
Tragwerksplanung: ahw Ingenieure

Kritik: Uta Winterhager
Fotos: Werner Huthmacher, Uta Winterhager

Die Herzogstraße liegt im Düsseldorfer Stadtteil Friedrichstadt: Hier ist Düsseldorf nicht schick, eher bürgerlich-rustikal und mit 19 984 Einwohnern/km² (Stand 12/2016) vor allem dicht: Es ist der am dichtesten besiedelte Stadtteil Deutschlands. Die Blöcke der gründerzeitlichen Stadterweiterung sind mit rund 190 m Kantenlänge sehr tief, doch anders als zum Beispiel in Berlin ist der Binnenraum vollkommen unstrukturiert. Gewohnt wird im Blockrand, die kleinen Läden, Büdchen und Kneipen im EG zeigen mit dem Herzog im Namen eine gewisse Ortsverbundenheit. Zwischen dem »Durst-Bunker« und einer Autowerkstatt, die zu besseren Zeiten ein Autohaus war, fügt sich ein Wohnhaus in die Reihe, schlichte Nachkriegsarchitektur mit Lochfassade, vier Geschosse auf erhöhten Sockel, Gauben lugen über die Traufe. Etwas außermittig sitzt im EG eine Tordurchfahrt, wie man sie hier häufiger sieht. Meist findet man in den Höfen Werkstätten oder Lager, An- und Weitergebautes, versiegelte Flächen, kein Grün. Lange sah es so auch im Hof der Herzogstraße 79 aus, wo ein kleiner Betrieb Druckmaschinen reparierte. Heute fällt der Blick durch das Tor auf einen noch zarten Ahorn, dahinter eine frische Fassade, eine Eingangstür aus hellem Holz.

Neu denken, neu bauen

Den privaten Eigentümern von Haus und Grund der Hausnummer 79 schien das aufgegebene Gewerbe kein gutes Gegenüber für das Vorderhaus zu sein. So wurde der Bestand im Hof bis auf die an der rückwärtigen Wand gelegene und dadurch einseitig belichtete zweigeschossige Halle reduziert. Darin sollten vier Wohneinheiten entstehen, in einem kleinen Neubau an der östlichen Brandwand zwei weitere, im Hof neben acht Stellplätzen auch etwas Grün. Nachdem der Architekt, der bereits eine Vorplanung gemacht hatte, plötzlich verstorben war, übernahmen TRU Architekten. In Düsseldorf hatte das Berliner Büro bereits gebaut, eine Nachverdichtung gab es in ihrem Portfolio bis dahin jedoch nicht. Mit dem Ziel eine »relevante Nachverdichtung zu schaffen, ohne dass es unangenehm dicht wird«, so Karsten Ruf (Gründungspartner bei TRU Architekten), analysierten sie die Situation im Blockinnenraum, prüften das Baurecht und erkannten, dass durch einen kompletten Rückbau der verbauten Situation im Hinterhof ein grenzständiger, 15 m tiefer viergeschossiger Neubau mit zwei Höfen, einem sehr funktionalen ersten Hinterhof und einem zweiten Hinterhof als Privatgarten möglich würde. Da Abstandsflächen nur zum eigenen Vorderhaus einzuhalten waren, konnte das Bauvolumen im Vergleich zu der Vorplanung mit Bestand verdoppelt werden. Zwölf neue Mietwohnungen gibt es nun, davon zwei (je 100 m2) barrierefrei mit drei Zimmern im EG, jeweils vier Zweizimmerwohnungen (je 55 m2) im 1. und 2. OG, im 3. OG wieder zwei große Dreizimmerwohnungen. Die Erschließung des achsensymmetrisch geplanten Neubaus erfolgt über zwei getrennte Eingänge und Treppenhäuser.

Viel wenn und aber

Einfluss auf den Entwurf hatte auch ein möglicher Brandfall. Mit ihren Fahrzeugen kommt die Feuerwehr nicht durch die schmale Tordurchfahrt, im Hof muss sie daher mit Handleitern arbeiten. Bis zum 2. OG gelten die als zweiter Rettungsweg, für das 3. OG wurde der baulich über eine Verbindung der beiden Treppenhäuser hergestellt. Die Baustelleneinrichtung und die Transportlogistik für das komplett umbaute Grundstück bezeichnen die Architekten rückblickend als anspruchsvoll. Von der Straße aus wurde ein Kran mit einem Autokran über das Vorderhaus gehoben und dort im heutigen ersten Hinterhof aufgestellt, trotzdem blieben viele Handtransporte. Das Grundstück wurde vollständig geräumt, einzelne Kellerräume blieben und wurden verfüllt, die Bodenplatte perforiert, um Versickerungsfähigkeit herzustellen. Gegründet wurde der Neubau, der ohne Keller auskommen muss, mit Mikropfahlgründung durch die alte Bodenplatte bis in tragfähigen Grund. Gerüste mussten teilweise hängend errichtet werden, da die Garagendächer der Nachbarn nicht belastet werden konnten. Für die Bauherren waren die durch diese Maßnahmen entstehenden Mehrkosten kein Argument gegen die Entwicklung ihres Grundstücks.

Sichtbarkeit

Der im März 2022 fertiggestellte weiße Quader ragt heute scharf geschnitten aus dem niederen Grauschwarzbraun des Blockinnenraums empor. An den schmalen Kopfenden ist er geschlossen. Die Fassaden der beiden langen Flanken sind entsprechend ihrer Ausrichtung unterschiedlich gestaltet. Die Nordseite bildet das Pendant zum Vorderhaus mit einer Interpretation der Lochfassade. Wie eingestreut liegen die Fenster in verschiedenen Größen in der glatt geputzten Fläche. Die Fensterrahmen aus heller Fichte und die angeschrägten Einfassungen aus weißen Aluminiumblechen geben einen kleinen Hinweis auf die Handschrift der Architekten. Nach Süden in den Blockinnenraum gewandt, ist die Fassade voll verglast. Wie ein offenes Regal davorgestellt sind die Balkone; Platten und Schotten sind Sichtbetonfertigteile. Sicht- und Sonnenschutz bieten die geschosshohen, 60 mm dicken edelstahlbewehrten Glasfaserbetonelemente, die bündig an der vorderen Kante der Balkone sitzen. Je nach Sonnenstand fällt durch das dichte Raster konischer Lochungen ein mit Lichtpunkten gesprenkelter Schatten in die Wohnungen – in die andere Richtung suchen die ersten Triebe der Balkonbepflanzung den Weg zur Sonne. Aus der Nähe zu sehen sind die Lochplatten nur aus dem Garten und von den Balkonen. Nachbarn der umliegenden Blockränder erleben den von TRU Architekten bewusst inszenierten Kontrast der formalen Strenge des aufgeräumten Schachbretts aus offenen und durchbrochenen Flächen zu dem tristen Chaos des Blockinnenraums.

Die Gärten der beiden Wohnungen im EG, die entsprechend ihrer besonderen Lage gestaltet wurden, sind nur aus dem eigenen Haus einsehbar. Noch teilen sie ihr Grün nicht mit der Nachbarschaft, denn die Spitzen der zwei Trompetenbäume werden noch etwas wachsen müssen, bis sie über die Dachlandschaft lugen und andere an ihrem Grün teilhaben lassen. Der erste Hinterhof ist bis auf die Baumscheiben der kleinen Ahornbäume versiegelt, die Oberfläche aus kunstharzversiegeltem Quarzsand im hellen Ton der Fassade wertet den hochfunktionalen Raum auf. Viel Platz für Grün blieb zwischen den zahlreichen Funktionen nicht, denn außer dem Zugang zum Hinterhaus mussten hier zwei Stellplätze (die übrigen konnten abgelöst werden), eine Rampe zum Fahrradkeller im Vorderhaus, Fahrradständer, eine neue Spindeltreppe als zweiter Rettungsweg fürs das Vorderhaus und zahlreiche Mülltonnen Platz finden.

Ist dies der Anfang?

Unumgänglich ist heute die Frage nach der Nachhaltigkeit des Projekts. Die Haustechnik ist da zu nennen, sicher auch die Tatsache, dass von der zuvor vollständig versiegelten Fläche nun gut ein Drittel entsiegelt oder vegetativ angelegt wurde. Rechnet man Garten, Baumscheiben und Gründach zusammen, liegt die Maßnahme deutlich über den im Bebauungsplan geforderten 20 Prozent Vegetationsfläche. Vorrangig für Karsten Ruf ist jedoch der Aspekt der Nachverdichtung. Während auf der grünen Wiese Ackerland Acker bleiben soll, bieten Höfe wie dieser ein großes Potenzial, den in den Innenstädten verzweifelt gesuchten Wohnraum neu zu schaffen und den Bestand gleich mit aufzuwerten. Wenn die Eigentümer wie in diesem Fall Bestandshalter (keine Projektentwickler) sind, ist es auch möglich, die neu geschaffenen Wohnungen für eine ihrer Lage und Qualität angemessene Miete anzubieten.

Beim Ortstermin mit Anno Lingens lässt uns ein Mieter einen Blick in sein Wohnzimmer werfen, die Nachbarn aus Vorderhaus, Autowerkstatt und Getränkehandel grüßen uns, man kennt sich offenbar. Auch während der Bauzeit sei das Verhältnis freundlich und kooperativ gewesen, was der Durchführung der Baumaßnahme in dem dicht bebauten Gefüge zugutekam. Jeder, dessen Wohnung ein Fenster in den Blockinnenraum hat, sieht den markanten Neubau im Hof der Herzogstraße 79. Sicherlich ist dies ein Pionierprojekt, eines, das Interesse weckt und Nachahmer finden wird. Allerdings muss man sich genau hier auch die Frage stellen, wie viel Nachverdichtung der dichteste Stadtteil Deutschlands überhaupt noch verträgt. Genau durch dessen Mitte führt die Corneliusstraße, die stickigste Straße Düsseldorfs (Rheinische Post), Messungen belegen dies. Hier gibt es wenig Grün, die Hochsommerhitze steht zwischen den Häusern. Natürlich bieten die Höfe noch Flächen und untergenutzte Bausubstanz, sogar Leerstand im großen Maßstab, wie die seit 2013 geschlossene Immanuelkirche (Heinz Kalenboom, 1966), die im selben Block wie das hier besprochene Projekt liegt. Bauen alleine wird diesen Lebensraum nicht besser machen, nur noch dichter.


»Hurra, ein Bäumchen!«, freut sich unsere Kritikerin Uta Winterhager, die neben der Superpower guter Architektur fest an Wilhelm Riphahns Formel »Lich, Luff un Bäumcher« glaubt, um das Leben in der Stadt für alle schöner und besser zu machen.


  • Standort: Herzogstraße 79, 40215 Düsseldorf

    Bauherr: privat
    Architekten: TRU Architekten, Berlin
    Mitarbeiter: Sandra Töpfer, Karsten Ruf, Simon Bagge, Andrey Ekkert, Daniel Steinberg, Joanna Werra
    Ausschreibung und Bauleitung: Lingens Baumanagement
    Tragwerksplanung: ahw Ingenieure, Halle
    HLS-Planung: Schauz Ingenieurbüro für Haustechnik, Willich
    Elektroplanung: Planungsbüro Jansen GmbH, Rheurdt
    Bauphysik: bsp Ingenieurgesellschaft mbB, Düsseldorf
    Brandschutzgutachter: Görtzen Stolbrink & Partner mbB, Düsseldorf
    Statiker Fassadenelemente: Brameshuber + Uebachs INGENIEURE GmbH, Aachen
    Landschaftsarchitektur: Ziegler Grünkonzepte Landschaftsarchitekt, Düsseldorf
    BGF: 1 200 m²
    Baukosten: 4,18 Mio. Euro
    Bauzeit: September 2019 bis März 2022
  • Beteiligte Firmen:
    Außenputz: Saint-Gobain Weber, Düsseldorf
    Sanitärausstattung: Keuco, Hemer; Keramag, Ratingen; Geberit, Pfullendorf
    Wand- und Bodenfliesen Bäder: Refin Ceramiche, Salvaterra (I)
    Schalter: Gira, Radevormwald; Türstation: Siedle, Furtwangen
    Obentürschließer: GEZE, Leonberg

TRU Architekten


Sandra Töpfer

Architekturstudium an der HTWK Leipzig. 2000 Master of Urban Design an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. 2000 Büro mit Dirk Bertuleit. 2014 Büro mit Henning von Wedemeyer, Tim Bauerfeind, Karsten Ruf und Dirk Bertuleit.


Dirk Bertuleit

Architekturstudium an der HTWK Leipzig und der University of North London. 2000 Studium Urban Design an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Master. 2000 eigenes Büro mit Sandra Töpfer. 2014 Büro mit Henning von Wedemeyer, Tim Bauerfeind, Sandra Töpfer und Karsten Ruf.


Karsten Ruf

Architekturstudium an der TU Karlsruhe und école nationale supérieure d’architecture de Paris-Belleville. 2002 eigenes Büro. 2008 Immobilienökonom an der International Real Estate Business School, Regensburg. 2009 Büro mit Anno Lingens. 2014 Büro mit Henning von Wedemeyer, Tim Bauerfeind, Sandra Töpfer und Dirk Bertuleit.


Tim Bauerfeind

Architekturstudium an der MSA | Münster School of Architecture. 2008 Büro mit Henning von Wedemeyer. 2013 Lehrauftrag an der MSA. 2014 Büro mit Henning von Wedemeyer, Sandra Töpfer, Karsten Ruf und Dirk Bertuleit.


Henning von Wedemeyer

Architekturstudium an der FH Hannover, TU Berlin und UdK Berlin. 2003 Büro mit Nikolaus Knebel. 2008 Büro mit Tim Bauerfeind. 2013 Lehrauftrag an der Universität Kassel. 2014 Büro mit Tim Bauerfeind, Sandra Töpfer, Karsten Ruf und Dirk Bertuleit. Seit 2020 Gastprofessur an der BHT.


Uta Winterhager

1992-95 Architekturstudium an der RWTH Aachen. 1995 Diplom, 1999 Master an der Bartlett School in London. Seit 2000 freie Autorin für Architektur-, Kunst- und Städtebauthemen für Fachleute und Kinder. Eine Hälfte der Redaktion von koelnarchitektur.de.

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