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Robuste neue Einfachheit

Wohnungsbau
Robuste neue Einfachheit

Experimenteller Wohnungs- und Städtebau, heute eine Rarität, fand in den Neunzigern noch statt: Die »Wohnmodelle Bayern« suchten damals neue Wege kostengünstigen und sozialen Wohnbaus. Die Siedlung in der Nähe von Nürnberg nennt ihr Schöpfer eine »Träger-Architektur, die stark verändert werden kann« – Grund für uns, knapp zwei Jahrzehnte später nachzuschauen, was verändert wurde und was nicht.

    • Architekten: Metron Architektur AG Tragwerksplanung: Merkl & Merkl

  • Krititk: Christoph Gunßer Fotos: Ferit Kuyas, Christoph Gunßer
In der Planungsphase, erzählt der Architekt, habe ihn der Bauherr wiederholt gefragt, wann denn nun die Ausarbeitung der Pläne beginne. Dies sei die Ausarbeitung, habe er erwidert und sein Gegenüber damit sehr geschockt. Nach Jahren postmoderner Üppigkeit war man eine so klare, ja rigide Architektur nicht mehr gewohnt. »Baracken« nannte man die Häuser bald, von »Kasernenflair« schrieb die Lokalpresse. Architekt Markus Gasser, inzwischen Städtebau-Professor an der TU Darmstadt, sagt heute rückblickend: »Wir haben beim Entwerfen nicht an ein ›Lager‹ gedacht. Es war halt einfach ein Stil«.
Gasser war damals Ende zwanzig und Assistent bei Martin Steinmann, Aldo Rossis archetypische Formensprache prägte die Züricher Szene ebenso wie eine geläuterte Moderne-Rezeption. Eine »neue Einfachheit« wuchs da auf calvinistischem Boden heran, und gerade Siedlungsbauten boten dafür mit ihren verschiedenen Bausteinen ein ideales Experimentierfeld.
So wurde die sechzig Wohnungen kleine Siedlung »Steinberg« zu einer städtischen Komposition archetypischer Elemente: Tor, Gasse, Platz und Turm bilden ein prägnantes räumliches Gefüge, einen »Ort« in der Waldlichtung, klar geschieden vom Siedlungsbrei der Umgebung. »Branding« nennt man das heute, Identitätsbildung oder »Themenpark«.
Mietwohnungen in Form von Einfamilienhäusern
Doch der Reihe nach: Für sparsame Siedlungsbauten und seinen interdisziplinären Ansatz bekannt, war das Schweizer Büro Metron von der Obersten Baubehörde 1986 aufgefordert worden, gemeinsam mit dem Bauträger die Siedlung Steinberg zu planen. Im Programm »Mietwohnungen in Form von Einfamilienhäusern« suchten die Auslober damals an acht Standorten nach einem sozialen Wohnungsbau, der »den Anforderungen an Altersaufbau, Haushaltsgrößen und Lebensweisen von heute gerecht wird«. Die »hausartigen Wohnungen sollten den Bewohnern das Gefühl geben, frei über Haus und Garten verfügen zu können«. Rund ein Fünftel des Baulandes sollte für gemeinschaftlich nutzbare Flächen reserviert bleiben. Es ging also um Alternativen zum Geschosswohnungsbau.
Das 1,8 Hektar große Gelände am Ostrand des Nürnberger Ballungsraums, vormals Teil des Reichswaldes, war bereits für eine Bebauung mit Reihen- und Einfamilienhäusern vorgesehen. ›
› Dem Sparzwang folgend, konnte Metron die Stärken des bescheidenen schweizerischen Siedlungsbaus (erinnert sei an Hans Bernoulli, aber auch Oud oder May sind Vorbilder) voll ausspielen: Neun Reihenhausstangen wie aus der Strangpresse bilden die Grundbausteine der Siedlung – tatsächlich wurden zum Bau die damals noch neuen Kalksandstein-Plansteine verwendet. Aus jeweils sechs Drei- bis Vierzimmerwohnungen bestehend, gruppieren sie sich um den Turm des Gemeinschaftshauses, werden blockweise gedreht und von Schuppen und Carports so eingehegt, dass ein abgestuftes, gut nutzbares und spannendes Gefüge aus öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen entsteht.
Details wie die schräg auskragenden Dächer – ihr Schöpfer findet die »chinesischen Hütchen« heute »ein bisschen strange« – oder die Terrassierung des Hauptplatzes tragen dazu bei, dass trotz der strengen Grundform eine differenziertere Hülle zustandekommt (wenngleich zum Beispiel Vordächer über den Haustüren wohl wirklich praktisch wären). Auch die Bepflanzung mit rankendem Grün war von Anfang an geplant.
Ein »schützender Winkel« von hohem Wohnwert
So legte sich die Aufregung um die »Baracken« denn auch bald nach dem Bezug. Die Leute stellten fest, dass die geräumigen, hellen – da nur 6,50 Meter tiefen – Häuser sehr gut nutzbar und unschlagbar günstig waren. Mit Baukosten von 1395 DM pro Quadratmeter Wohnfläche brutto war die Siedlung die wirtschaftlichste aller Wohnmodelle. Weite Wege zum Auto von bis zu 120 Metern wurden durch sichere Spielräume für die Kinder und die Wohnruhe aufgewogen. Die Vorstellung der Architekten von einem »schützenden Winkel« war Realität geworden.
Wer heute die Siedlung besucht, erlebt eine üppig begrünte Oase. Kinder tollen herum, Menschen sitzen vor ihren Häusern, die Gärten werden intensiv genutzt. Im Gespräch erfährt man eigentlich nur Gutes über die Siedlung, die Wohnungen sind begehrt und werden bevorzugt an Familien mit Kindern vergeben. ›
› Allein die sechs Appartements über den Carports sorgen für eine gewisse Balance in dieser Monostruktur. Die Architekten hatten ursprünglich eine »totale Flexibilität« eingeplant: Schaltzimmer zwischen den Wohnungen sollten wahlweise dem einen oder dem anderen Nachbarn überlassen werden (deshalb stehen die Badewannen quer in den Bädern), Außentreppen sollten die getrennte Nutzung der Ebenen möglich machen: unten Alt, oben Jung, so war die Vorstellung. Doch ungeachtet der demografisch absehbaren Entwicklung wurden Familien mit (kleinen) Kindern zur alleinigen Zielgruppe und nur zwei Wohnungsgrößen von gut achtzig und knapp hundert Quadratmetern realisiert, die Schaltzimmer verteilt. Auch Barrierefreiheit war noch kein Thema. An diesem Ort wird also kaum jemand alt werden …
Schon für ältere Jugendliche gibt es – so wird beklagt – keine Angebote vor Ort. Die von den Architekten zunächst geplante Halle fiel den Kürzungen zum Opfer, und das Gemeinschaftshaus ist als Turm »eigentlich ein Unsinn, da er für 220 Bewohner nicht genügend Raum bietet« (Gasser). Augenscheinlich wird das Haus nicht intensiv genutzt. Im Sockelgeschoss ist die zentrale Heizungsanlage der Siedlung untergebracht. Auf dem Platz davor finden offenbar auch keine Volksversammlungen statt, denn auf Wunsch der Bewohner wurde dort ein (bescheidener) Kleinkinderspielplatz angelegt. Die Architekten verstanden die ganze Siedlung als Spielraum und weigerten sich, einen Spielplatz vorzusehen. Das sehen die Kinder heute ähnlich: Sie lassen Wippe und Rutsche zumeist links liegen.
Gelungenes Modell ohne Nachfolger
Der Bauzustand von Häusern und Nebengebäuden ist allem Anschein nach gut. An den lackierten Holzteilen der Südfassaden blättert die Farbe. Hier wollten die Architekten ursprünglich eine Ganzglaslösung, um passiv mehr Energie zu gewinnen. Die Bandfassade war ein akzeptabler Kompromiss. Seit Gärten und Fassaden zugegrünt, die Schuppen angeeignet, die Gassen möbliert sind, lockert sich die gleichförmige Ordnung im Quartier.
Die »Träger-Architektur« erträgt die vielen Zutaten ihrer Mieter mit Würde. Sie hat sich gerade in ihrer strikten Einfachheit als robust erwiesen. Trotzdem hatte sie als »Wohnmodell« kaum Nachfolger. Waren die achtziger Jahre noch durch eine weitgehende Sättigung des Wohnungsmarktes, die Hinwendung zum Bestand und wenige teure Unikate im Stile der Internationalen Bauausstellung Berlin geprägt (bei zugleich stark steigenden Baulandpreisen und Mieten), erlebte der Wohnungsbau Anfang der Neunziger einen regelrechten Boom: 1994 wurden in den alten Bundesländern erstmals wieder über eine halbe Million Wohnungen fertiggestellt, der Großteil davon im Geschosswohnungsbau. Vor allem in den Ballungsräumen war es für einkommensschwache Haushalte immer schwerer geworden, ausreichend Wohnraum zu finden. Wartezeiten für eine Sozialwohnung von mehreren Jahren waren die Regel. So wurde nun richtig geklotzt: Große neue Baugebiete wurden ausgewiesen, oft noch hinter den ungeliebten Großwohnsiedlungen der sechziger Jahre. Ansätze einer Rationalisierung im Bauprozess dämpften die Kosten, typologisch gab es jedoch kaum Neuerungen – anonyme Spännertypen waren im Geschosswohnbau die Regel.
Freilich gab es Ausnahmen: Neben den bayerischen »Wohnmodellen«, die in der Architektenschaft teilweise viel publiziert wurden und Ziel von Fachexkursionen waren (siehe dazu u. a. db 10/1995 und 6/1996), brachte die Internationale Bauausstellung Emscher Park einige modellhafte Wohnsiedlungen hervor, die neben der Kostenersparnis durch neue Bauweisen und Selbsthilfe auch soziale Qualitäten zum Thema hatten. Mehr als die – relativ konstanten – Schweizer Vorbilder zog der Wiener Wohnbau in dieser Zeit das Interesse auf sich: Die Siedlung Pilotengasse (Krischanitz, Steidle, Herzog & de Meuron) mit ihren langen gekrümmten Zeilen ohne Zentrum bildet hier – bei gleicher Dichte – gewissermaßen einen Gegenpol zur Röthenbacher Siedlung Steinberg. In ihrer räumlich dichten »Urbanität« dieser verwandt ist dagegen Roland Rainers Siedlung Tamariskengasse. So gab es durchaus spannende Versuche, die Regeln traditioneller Stadtbaukunst auf zeitgemäße Quartiere anzuwenden.

Dennoch: Diese Experimente blieben Ausnahmen. Die geringere Bauland-Ausnutzung bei höherem Planungs- und Verwaltungsaufwand machten Ansätze wie die Mietwohnungen in der Form von Einfamilienhäusern für Wohnungsbaugesellschaften weiterhin unattraktiv. Auch der ebenfalls in Bayern vorgeführte Wohnungsbau in Holzsystembauweise wurde nicht nennenswert weiterverfolgt. Es ist sicher auch dieses notorische Zaudern der etablierten Wohnungswirtschaft, dem alternative Trägerformen wie neue Genossenschaften und Baugemeinschaften seither ihren Aufschwung verdanken.


  • Bauherr: Landeswohnungs- und siedlungsgesellschaft Bayern (heute Evangelisches Siedlungswerk Bayern)
    Architekten: Metron Architektur AG, Brugg (CH), Markus Gasser, Willi Rusterholz
    Tragwerksplanung: Merkl & Merkl, Nürnberg
    Landschaftsarchitekten: Metron Landschaftsplanung, Thomas Ryffel
    Kennziffern: GRZ 0,2; GFZ 0,4; 60 Wohneinheiten
    Kosten: 1395 DM/m² Wohnfläche brutto (ohne Gemeinschaftshaus)
    Planung: seit 1986 im Rahmen des Programms »Mietwohnungen in Form von Einfamilienhäusern« der Obersten Baubehörde Bayerns
    Bauzeit: 1990 bis 1991
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