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Ausgepoldert

Villa in Ede (NL)
Ausgepoldert

In einem nahe Arnheim gelegenen Waldgebiet dürfen nur kleinere Einfamilien- und Sommerhäuser errichtet werden. Dem jungen Architekturbüro Powerhouse gelang es aber gleich bei seinem ersten Auftrag, hier ein großes, luxuriöses Anwesen genehmigt zu bekommen. Möglich wurde dies durch eine sehr frühe Einbeziehung von Bauamt und Gestaltungsbeirat; deren Begeisterung für den Entwurf, ein paar kleine Finessen und der konstruktiv-faire Umgang aller Beteiligten miteinander verhalfen dem Bauherrn zu einem Maximum an Raum.

    • Architekten: Powerhouse Company Tragwerksplanung: Breed ID

  • Bericht: Anneke Bokern Fotos: Jeroen Musch
Es gibt Gebäude, die hätten, wenn es nach Regeln und Verordnungen ginge, nie so aussehen dürfen, wie sie aussehen. Die »Villa 1« in der niederländischen Stadt Ede ist so eins. Dabei wäre beim Anblick dieser Villa, dem Erstlingswerk des Rotterdamer Büros Powerhouse Company, wahrscheinlich sogar Mies van der Rohe persönlich das Wasser im Mund zusammengelaufen.
Das elegante, rundum mit Travertin verkleidete Wohnhaus steht auf einem Waldgrundstück und hat einen Y-förmigen Grundriss, um seinen Bezug zur umgebenden Landschaft optimal in Szene zu setzen. In der Mitte des Hauses befindet sich eine große Halle, von der Küche, Büro und Wohnbereich abzweigen. Während in der Küche ein schlitzförmiges Fenster auf Augenhöhe ausreicht, haben Büro und Wohnzimmer geschosshohe Fensterfronten. Im Inneren konzentriert sich die gesamte Baumasse in Möbelelementen aus Walnussholz, und das Dach wird von einem stählernen Bücherregal getragen, das an einen Vierendeel-Träger anschließt.
Unterhalb der Küche ist der Grund abgegraben, so dass eine Einfahrt zur Garage im Kellergeschoss entsteht. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, dass sich im Untergeschoss außer der Garage auch sämtliche Schlaf- und Badezimmer befinden. Daraus resultiert ein deutlicher Unterschied zwischen der transparenten, lichtdurchfluteten Raumlandschaft im Obergeschoss und der intimen Privatwelt im Untergeschoss, in die nur über einen Patio und schräge Abgrabungen vor den Schlafzimmerfenstern Licht einfällt. ›
Bis zum Konsens
Dass die Villa diese Gestalt annehmen konnte, ist zum Teil der niederländischen Verhandlungskultur zu verdanken, die auch als Poldermodell bekannt ist. Glaubt man dem Mythos, geht sie zurück bis ins Mittelalter, als sämtliche Gesellschaftsschichten lernen mussten, beim Deichbau und beim Anlegen von Poldern zusammenzuarbeiten. Meinungsverschiedenheiten konnten nicht einfach dadurch beigelegt werden, dass der Stärkere mit der Faust auf den Tisch schlug, sondern mussten diskutiert werden, bis ein Kompromiss gefunden und alle Beteiligten mehr oder weniger zufrieden waren. Sonst wäre es den Niederländern nie gelungen, ihr ständig vom Wasser bedrohtes kleines Land mit vereinten Kräften trockenzulegen.
Das mag eine etwas mystifizierte Sicht der Geschichte sein, aber im Prinzip existiert das Konsensideal noch heute. Überzeugungskraft, Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft spielen eine wichtige Rolle in den Niederlanden. Das gilt nicht nur für Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, bei denen der Begriff »Poldermodell« in den achtziger Jahren geprägt wurde, sondern auch für solche zwischen Architekten und Behörden. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind Bauvorgaben in den Niederlanden nur selten in Stein gemeißelt und können sich als recht biegsam erweisen – oder als schwammig, wenn man es negativ ausdrücken will, denn die Betonung von persönlicher Überzeugungsarbeit bringt auch eine geringe Planungssicherheit mit sich.
Einige allgemeingültige Vorgaben gibt es natürlich trotzdem. So legt das landesweit gültige »bouwbesluit« (Baurecht) Anforderungen an die Konstruktion sowie Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltnormen für Gebäude fest. Auf kommunaler Ebene werden außerdem »bestemmingsplannen« (Bebauungspläne) aufgestellt, die die zulässigen Nutzungen, Bauhöhen und Baugrenzen vorgeben. Zum Teil überschneiden die Inhalte der Bebauungspläne sich mit denen der »bouwverordening« (Bauordnung), die ebenfalls von der Gemeinde ausgearbeitet wird und städtebauliche Richtlinien, aber auch Regeln zu Brandschutz, Umweltaspekten und Anschluss an öffentliche Versorgungsnetze beinhaltet.
Eine typisch niederländische Institution ist dagegen die »welstandscommissie«, ein Gestaltungsbeirat, der für ganze Gemeinden oder Teilbereiche größerer Städte zuständig ist. Dieses Beurteilungsgremium, in dem fünf oder sechs Architekten sitzen und Entwürfe von Kollegen auf ihre ästhetischen Qualitäten prüfen, wird von der niederländischen Architektenschaft gleichermaßen geliebt und gehasst. Auf Basis der »welstandsnota«, die von der Gemeinde aufgestellt wird und sich auf die ästhetische Einpassung von Baumaßnahmen in den Bestand eines Gebiets bezieht, von »beeldkwaliteitsplannen« (Bildqualitätspläne), die Stadtplaner oder Architekten im Auftrag der Gemeinde für Neubaugebiete entwickeln, und der »allgemeinen »welstands«-Kritierien, in denen es um gute Proportionen, Materialwahl, Bezug zur Umgebung und ähnliches geht, formuliert die Kommission ›
› Empfehlungen an den Gemeinderat. Wirkliche Entscheidungsgewalt hat sie nicht, aber meist werden ihre Empfehlungen übernommen, was dazu führt, dass manch ein Architekt seinen Entwurf zähneknirschend überarbeiten und dann noch einmal präsentieren muss – und zwar so oft, bis die Kommission von seinen ästhetischen Qualitäten überzeugt ist, sonst gibt es keine Baugenehmigung.
Natürlich ist diese Instanz für die oft erstaunliche ästhetische Kohärenz niederländischer Projektgebiete verantwortlich. Architekten und Bauherren, deren Pläne wiederholt abgelehnt werden, werfen dem Gremium jedoch auch gerne mal ein Geschmacksdiktat vor. Deshalb, aber vor allem wegen des wachsenden Einflusses kommerzieller Projektentwickler, wird welstand in letzter Zeit zunehmend aufgeweicht. Immer öfter werden sogenannte Quality Teams oder Supervisoren als Zusatzinstanz oder gar als Ersatz für die Kommission eingeschaltet. Manchmal ist so ein Supervisor ein renommierter außenstehender Architekt oder Planer, oft hat er aber selber den Masterplan für das Projektgebiet entworfen und vielleicht sogar die Architekten ausgesucht.
Bei der Planung der Villa 1 kam kein Supervisor zum Zug, dafür spielten Bauamt und welstandscommissie eine wichtige Rolle. »Ich hatte mich vorher erkundigt und festgestellt, dass die Kommission in dieser Gemeinde architektonisch sehr ambitioniert ist«, erzählt Nanne de Ru von Powerhouse Company. »Damit war klar, dass einiges möglich wäre.« Noch bevor der Auftraggeber das Grundstück gekauft hatte, machten die Architekten einen Termin bei welstand und präsentierten ihre Vorstellungen zur Villa anhand von Referenzbildern. Das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, erwies sich jedoch als schlauer Schachzug, da die Kommission die Ideen gut fand und so schon milde gestimmt war, bevor sie überhaupt einen Entwurf zu sehen bekam.
Als nächstes galt es, den Bebauungsplan zu umschiffen, laut dem auf dem Grundstück nur ein 200 Quadratmeter großes Gebäude mit drei Metern Traufhöhe errichtet werden durfte, während der Auftraggeber minimal 500 Quadratmeter Wohnfläche haben wollte. Da es sich um einen Standort am Stadtrand handelt, war außer dem Gebäudeinhalt nicht viel festgelegt, so dass sich einiger Verhandlungsspielraum eröffnete. Auf häppchenweise Nachfragen bei der Gemeinde erhielten die Architekten die Erlaubnis, einen maximal fünfzig Quadratmeter großen Anbau zu entwerfen, die gesamte Gebäudefläche zu unterkellern und große Dachüberstände einzuplanen, die die Grundfläche auf 400 Quadratmeter erweiterten und als überdachte Terrassen genutzt werden konnten. »Als wir so weit waren, hatten wir eigentlich schon die Möglichkeiten geschaffen, um unseren Entwurf realisieren zu können«, sagt de Ru. »Das Gebäudekonzept ist aus den Beschränkungen entstanden. Nur deshalb liegen alle Tageslichtfunktionen im Obergeschoss und die Schlafräume im Untergeschoss.«
Ein paar Hürden mussten aber trotzdem noch genommen werden. So befindet sich das Wohnzimmer teilweise in dem Gebäudeteil, der offiziell ein Anbau ist und daher gar keine Wohnfunktion beherbergen durfte. Erst wollte de Ru ihn ›
› als Abstellraum deklarieren, da der Auftraggeber dort seine Kunstsammlung aufbewahre. Einen rundum verglasten, fünfzig Quadratmeter großen Abstellraum fand die Welstandskommission, die den Entwurf ansonsten anstandslos abgesegnet hatte, jedoch unrealistisch. »Ein Mitglied bot freiwillig an, sich zu erkundigen, was man da machen könnte«, erzählt de Ru. »Am nächsten Morgen rief er mich an und schlug vor, den Raum als Atelier zu bezeichnen.« Damit war der Weg zur Baugenehmigung frei.
Blieb nur noch das Problem der 95 Bäume auf dem Grundstück, von denen mindestens zwanzig für den Bau gefällt werden mussten. »Wir haben der Mitarbeiterin des Forstamts zunächst vorgeschlagen, vierzig Bäume zu fällen und haben uns dann langsam herunterhandeln lassen. Als wir bei 25 angekommen waren, konnte ich an ihrem Blick sehen, dass sie einverstanden war«, sagt de Ru.
Mit diesem Baugenehmigungsprozess ist die Villa 1 beispielhaft für die niederländische Verhandlungskultur. Sie wurde, wie es auf Niederländisch so schön heißt, »ausgepoldert«. Ohne die zahlreichen Gespräche mit Bauamt und welstand, zu denen die Architekten selbst die Initiative ergriffen, wäre sie nie genehmigt worden. »Eigentlich ist das eine niederländische Form von Bestechung ohne Geld«, sagt de Ru grinsend. »Man muss unheimlich viel reden, Leute bequatschen und überzeugen, sonst geht hier gar nichts.«


  • Bauherr: Privat
    Architekten: Powerhouse Company, Rotterdam (NL)
    Mitarbeiter: Nanne de Ru (Projektleitung); Charles Bessard (Entwurf); Nolly Vos, Alexander Sverdlov, Wouter Hermanns, Anne Luetkenhues
    Tragwerksplanung: BREED ID, Gilbert van der Lee, Den Haag
    Lichtplanung: LS2 LichtStudio Kwadraat, Dongen; Bert Roseboom; BEDA electro, Veenendaal
    Gesamtfläche: 480 m² Baukosten: keine Angaben
  • Beteiligte Firmen: Bauausführung: Valleibouw BV, Veenendaal, www.valleibouw.nl
    Innenausbau: Smeulders IG, Nuenen, www.valleibouw.nl
    Curtainwall: Glasimpex Schiedam B.V., Schiedam, www.valleibouw.nl  
    Beschläge: Randi, Randers (DK), www.valleibouw.nl
    Beleuchtung: WACO (B), www.valleibouw.nl
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