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Wohnanlage in München-Schwabing von Otto Steidle

… In die Jahre gekommen
Wohnanlage in München-Schwabing

Was liegt näher, als sich in einem Themenheft Farbe noch einmal mit Otto Steidle zu befassen, der zusammen mit Erich Wiesner nicht nur, aber vor allem in seiner Heimatstadt München farbintensive Stadträume hinterlassen hat: den satt maisgelben Turm an der Leopoldstraße, die Büro- und Wohngebäude der WackerPensionskasse oder den Wohnturm auf der Theresienhöhe gleich neben dem KPMG Gebäude. Wie fing alles an? Wie kam Steidle zur Farbe? Welche Funktion und welchen Stellenwert hatte sie in seinem Bauen?

    • Architekten: Otto Steidle und Partner, Ralph und Doris Thut

  • Text: Ira Mazzoni
    Fotos: Steidle Architekten, Leandro Mazzoni, Wilfried Bauer
Wir haben uns Steidles »Initialbau« (Winfried Nerdinger im Katalog-Vorwort) noch einmal angeschaut. Die Genter Straße 13, wo bis heute das Architekturbüro seinen Sitz hat und auch noch engste Verwandtschaft wohnt. Einer Gartenstadt gleich, fügt sich die Wohnanlage ins winterliche Gehölz. Steidle hat das industrielle Tragwerk, das er für diesen flexiblen Systembau verwandte, immer mit Bäumen verglichen. Im gealterten Zustand der Betonstützen und im Nebeneinander mit entlaubten Birken und Buchen wird diese strukturelle Verwandtschaft zwischen Bau und Natur offensichtlich. Weitaus weniger fallen die farbigen Elemente ins Auge. Hier ein hellgelbes und ein mattgrünes Paneel neben dem Eingang im Souterrain, dort eine schmales Brüstungsfeld am Glaserker und – ausgebleicht – an der Seitenwange einer Altane.
Durch das Fenster des ehemaligen Schwimmbads blitzt noch ein kräftig rot gestrichener Heizkörper. Innen beherrscht Weiß sämtliche Räume. Das Atelier ist längst ins Privathaus hineingewachsen. Jede Nische, jedes Schlafzimmerchen ist heute Arbeitsplatz. Das System, das wie kein zweites seinen Bewohnern Gestaltungsfreiheit gab, hat sich bewährt. Wo Wände (gedämmter Rigips) waren, sind keine mehr; anstelle eines Atriums ist ein Besprechungsraum getreten, die Teeküche fand eine Erweiterung in den Hof. Auch die Nachbarhäuser wurden von ihren (wechselnden) Eigentümern nach Lust, Laune und Lebenssituation neu gegliedert und im Rahmen der Stützen aus- und umgebaut. Entsprechend haben sich die Farbfelder reduziert oder vermehrt. Nicht die Bäume sind gewachsen, aber Ast- und Blattwerk haben sich entwickelt. Steidles erster, zusammen mit Doris und Ralph Thut zu Akademiezeiten entwickelte Elementarbau lebt, auch wenn er sichtbar konstruktive Macken hat. Energietechnisch optimierbar sind diese Bauten nicht, ohne dass sie ihren Bricolage-Charme verlören.
auf der suche nach der verlorenen farbe
Die Suche nach den Ursprüngen der Farbe gestaltet sich schwierig. Im Archiv des Büros existiert keine einzige farbige Zeichnung, wenige Pläne – kein einziger mit irgendwelchen Farbhinweisen. Die verstreut zwischen diversen Ordnerdeckeln aufgehobenen Fotografien sind meist beste Baryt-Abzüge. Darauf ablesbar: Eine spielerische Reliefwirkung der farbigen Paneele die unter, über und neben Glasscheiben in schwarz gestrichenen Stahlrahmen sitzend, Wand oder Brüstung vertreten.
Ein Blick in die Fachzeitschriften, die den Bau prominent besprachen, fällt enttäuschend aus: Es wurde in den siebziger Jahren noch schwarz-weiß gedruckt. Architekturfotografie war schwarz-weiß. Man erinnere sich, dass zur selben Zeit in München die Olympiaanlage erstmals auch in Hinblick auf die neue Farbberichterstattung im Fernsehen konzipiert wurde.
Endlich ein Fund: Das Zeitmagazin Nr. 26 vom 30. Juni 1972. Peter M. Bode berichtet über »Menschliches Wohnen«. Die Fotos stammen von Winfried Bauer. Immerhin zwei sind farbig gedruckt: Eins zeigt Steidles privaten Wohn-Essraum von innen: Gelbe Betonunterzüge, gelbe Regale, gelbe Wandschränke. Die Fensterrahmen schwarz, die Stahltreppen schwarz, die Gitter der Brüstungen schwarz. Der Boden undefinierbar. Darunter ein abendliches Stimmungsbild mit Blick in ein hell erleuchtetes benachbartes Wohnzimmer: Alles weiß. Bauer muss für diesen Auftrag mehrere Aufnahmen gemacht haben. Aber nach seinem tragischen Tod wird sein Archiv und das was davon übrig blieb weitgehend unerschlossen in mehreren Hamburger Kühlhäusern verwahrt. Bode indes schrieb zwar viel über das neue soziale Wohnmodell, das dem Indiviuum alle Möglichkeiten der Selbstentfaltung gab ohne die Gemeinschaft zu kurz kommen zu lassen, aber kein einziges Wort über die Farbe im Raum. Die Farbgestaltung war kein Thema. Auch in den Fachzeitschriften nicht. Merkwürdig!
Die Fotografin und spätere Frau Steidles, Verena von Gagern, deren Mutter damals einen Hausteil in der Genter Straße erwarb und ihrer Tochter zur Verfügung stellte, erinnert sich: »Ich habe damals die Professoren und Architekturstudenten aus Japan und USA durch mein Haus geführt. Über die Farben wurde nicht diskutiert.« An ein irgendwie artikuliertes Farbkonzept kann sie sich auch nicht erinnern. »Das war sicherlich spontan, intuitiv und kam ganz zum Schluss.«
Die Nichte Steidles, Architektin Andrea Kropf, erinnert sich: »Ich war damals, als wir hier einzogen, sechs Jahre alt. Wir sollten in der Schule unser Haus malen. Da habe ich so eine Betonstütze gemalt, die Querbalken als waagerechte Striche, habe oben drauf mein Bett gesetzt und daneben eine gelbe und eine grüne Fläche gemalt. Daraufhin hat die Lehrerin meine Mutter in die Schule bestellt, weil sie meinte, ich sei nicht ganz richtig im Kopf. So sieht doch kein Haus aus!«
Außen war die Genter Straße 13 also immer schon gelb und grün. Und innen? Kropf weiß noch um die »russisch grünen« und »irgendwie braun-beigen« Teppichböden. Fenster, Treppen und Heizkörper waren schwarz, nur im Schwimmbad rot. Die Zimmertüren waren alle leuchtend rot. Dies bestätigen auch Farbdrucke in einer Rigips-Publikation aus dem Jahr 1972. Diese dokumentiert auch die gedeckt waldgrün lackierte Küchenfront und schwere tannengrüne Vorhänge im Haus Steidle.
War demnach die Farbgebung der Innenräume von Mode und (Teppich)-Konfektion bestimmt? Ein Anruf bei Doris und Ralph Thut, die 1969/70 maßgeblich am Entwurf der Genter Straße beteiligt waren, soll Klarheit bringen. Es gab keine Farbtheorie »aber ein durchdachtes Konzept«. Der Einsatz von Farbe in der Architektur war damals fast voraussetzungslos. In der Architekturausbildung an der Akademie in Wien bei Ernst A Plischke und in München bei Sep Ruf spielte sie keine Rolle. Der Einsatz von Farbe im Raum war also auch ein probates Mittel, sich von den Lehrern der weißen oder lichtgrauen Nachkriegsmoderne abzusetzen, Jugend zu demonstrieren. »Als es darum ging, Farben auszuwählen, fehlte uns nicht nur die theoretische Grundlage für solch eine Entscheidung, sondern auch die Erfahrung«, erklären die beiden ehemaligen Mitstudenten Steidles. Schriftlich führt das Architektenpaar aus: »Als ersten Schritt definierten wir damals die Farbe der Fensterprofile. Die Fassade ist auf einem kleinteiligen Raster aufgebaut, das es erlaubt, Glas und geschlossene Paneele gegenseitig auszutauschen, um die Fassade zu verändern. Von innen wahrgenommen, zentriert sich die Kleinteiligkeit der Fassade auf den Innenraum, von außen gesehen aber verlangt die Dichte und Vielfältigkeit nach einer Balance zwischen der dominanten Fassadengliederung und den tragenden Bauteilen. Da Glasflächen von außen dunkel erscheinen, haben wir mit der Farbe Schwarz die Fensterprofile und das Glas flächig gebunden und konnten so die visuelle Dominanz der Profile stark zurücknehmen. Von innen aus gesehen sind die Profile tagsüber beschattet, da sie im Gegenlicht liegen, und nachts erscheint das Glas schwarz. So dass uns auch aus dieser Sicht die Wahl schwarzer Profile als folgerichtig erschien.« Nach dieser Prämisse wurde über die Farben der Paneele in Relation zu den schwarzen Profilen, den Alublechen und den weißen Innenwänden entschieden. »Wir beschränkten uns auf zwei Farben, die im jahreszeitlichen Rhythmus der Natur erscheinen und unserem Auge gewohnt sind. Intuitiv wählten wir Gelb und Grün.« Also deckt sich die aktuelle Winterimpression der hinter den Gehölzen aufscheinenden, teils verblichenen teils erneuerten Farbflächen mit dem ursprünglichen Farbkonzept.
Übrigens, alle Befragten erklärten übereinstimmend, dass alle Eigentümer der Häuser im Innern – wie sollte es bei einem offenen, jederzeit veränderbaren System auch anders sein – selbstverständlich in der Farbgestaltung frei waren. Warum die Gartenfront der Zwischenzeile rote Paneele bekam, warum sich später in der Peter-Paul-Althaus-Straße sogar ein altjüngferliches Violett fand und wieso die Häuser der Osterwaldstraße mit blauen und auberginefarbenen Paneelen rhythmisch gegliedert sind, wusste niemand zu sagen. Vermutlich hatten die Käufer ein Mitspracherecht. Die Thuts hatten mit diesen Bauabschnitten nichts mehr zu schaffen.

Steidle sei nicht dogmatisch gewesen, das hört man unisono. Deswegen konnten sich die Eigentümer der Peter-Paul-Althaus-Straße beim jüngsten Neuanstrich auf die Primärfarben à la de Stijl einigen. Nur die Genter Staße – darauf hat Steidle bestanden – blieb »natürlich« gelb und grün. Als er 1980/81 in Berlin das Internationale Begegnungszentrum der Wissenschaftler (IBZ) plante und im Rahmen des Kunst-am-Bau-Wettbewerbs den Bildhauer Erich Wiesner kennenlernte, begann eine lange, sich gegenseitig befruchtende Auseinandersetzung mit Farbe, Textur und Licht im Gefüge der Stadt. Wiesner erinnert daran, dass der »Farbmensch« Steidle damals auf die aktuellen Forschungsergebnisse von Helge Pitz und Winfried Brenne zur Farbigkeit von Bruno Tauts Berliner Siedlung Onkel Tom aufmerksam wurde. Onkel Tom sei sicher ein Vorbild geworden, so Wiesner.


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