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Werkhalle AWEL in Andelfingen (CH), von Rossetti+Wyss Architekten

Kindheitstraum für Erwachsene
Werkhalle AWEL in Andelfingen (CH)

Ein Blockhaus aus wenigen Elementen, ganz aus Holz, ohne Dämmung und Fenster – für diese scheinbar fast zu einfache Aufgabe haben Rossetti+Wyss Architekten aus Zürich eine Antwort gefunden, die nicht nur technisch konsequent, sondern auch poetisch ist.

    • Architekten: Rossetti+Wyss Architekten
      Tragwerksplanung: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure

  • Kritik: Judit Solt
    Fotos: Jürg Zimmermann
Die 2 000-Seelen-Gemeinde Andelfingen liegt idyllisch im Zürcher Weinland. Die mittelalterlichen Häuser des Ortskerns drängen sich auf einer Hügelkuppe zusammen; unten schlängelt sich der Fluss Thur durch eine Landschaft, die trotz Siedlungserweiterungen und Industriezonen immer noch von Feldern, Wiesen und Wäldern dominiert ist. Um die neue Werkhalle des Wasserbauwerkhofs Neugut zu erreichen, braucht man ein gutes GPS. Man kurvt scheinbar endlos über eine einspurige Waldstraße, bis man unvermittelt auf einer Lichtung am Flussufer landet – und vor einem Gebäude steht, das einen allmählich an den eigenen Sinnen zweifeln lässt.
Spiel mit der Wahrnehmung
Auf den ersten Blick wirkt der Neubau ganz einfach. Er gibt sich als das zu erkennen, was er ist: ein Blockhaus aus aufeinander gestapelten und ineinander verzahnten Holzelementen. Doch so archaisch diese Bauweise ist, so raffiniert wurde sie hier umgesetzt. Die auf einem Betonsockel stehende Holzkonstruktion besteht aus lediglich 36 Elementen, und der gesamte Elementstapel ist nur fünf Schichten hoch. Weil die Fassaden keine Fenster aufweisen und die Tore als abstrakte Flächen ausgebildet sind, ist es kaum möglich, die Maßstäblichkeit des Gebäudes zu erfassen. Aus der Ferne betrachtet wirkt es eher klein und auch ein wenig geduckt – ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass die Höhe der Binder nach oben hin zunimmt.
Erst wenn man auf den Neubau zugeht, beginnt man, seine wahren Dimensionen zu begreifen – allerdings auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise. Je mehr man sich der Werkhalle nähert, desto mehr scheint sie zu wachsen, bis man sich selbst ganz winzig vorkommt. Alles ist gigantisch: Die massiven Binder der Wände, die Tore und im Innern die Regale, in denen man als Kind problemlos hätte stehen können. Diese kindliche Perspektive drängt sich geradezu auf, wenn man das Gebäude betritt, und mit ihr auch eine im besten Sinn kindliche Begeisterung: Die prägende Erfahrung der ersten Lebensjahre, die Mysterien der Welt aus der Froschperspektive zu entdecken, vermischt sich mit der Freude an einem Haus, das aus Kapla-Klötzchen aufgeschichtet zu sein scheint.
Tatsächlich verkörpert die Werkhalle, die aus wenigen einfachen Holzelementen und sonst fast gar nichts aufgebaut ist, den Kindheitstraum aller Architekturschaffenden – einen Traum, den die wenigsten heute, in einer Zeit immer restriktiverer Energie- und Brandschutzvorschriften, auch nur annähernd realisieren können. Rossetti+Wyss war dies bewusst, und es ist kein Zufall, dass sie beim Entwurf u. a. auch ein Computer-Bauspiel eingesetzt haben. Doch dieses Gebäude ist weit mehr als eine Spielerei; es stellt auch das Ergebnis einer äußerst konsequenten Suche nach der richtigen Form, Konstruktion und Materialanwendung dar.
Einheit von Raum, Statik, Ästhetik und Material
Die Werkhalle, 30 m lang, 16,5 m breit und 10 m hoch, besteht aus einem einzigen Raum, deren Nutzfläche 475 m² beträgt. Sie dient als Einstellhalle für Fahrzeuge und Maschinen, als Lagerfläche und bei Bedarf als wettergeschützter Platz für die Verrichtung diverser Kleinarbeiten. Ihre Maße beziehen sich daher nicht primär auf den menschlichen Maßstab, sondern auf die Abmessungen der riesigen Fahrzeuge, die darin untergestellt werden. Insofern sind die eindrücklichen Dimensionen der Teile, aus denen sie zusammengesetzt ist, durchaus stimmig.
Von der Typologie her ähnelt die Halle den ländlichen Ökonomiegebäuden der Umgebung, mit denen sie auch Elemente wie z. B. das ausladende Vordach über die Wetter abgewandten Toröffnungen gemeinsam hat. Ihre Anordnung in der Landschaft – auf dem höchsten Punkt des zum Fluss hin abfallenden Terrains, vor Hochwasser geschützt, und als Gegenüber zum bestehenden Werkhof – zeugt ebenfalls von einem ruhigen Pragmatismus. Die einfache Konstruktion und das traditionelle Material Holz sind in diesem Kontext verständlich und angemessen. Die Anordnung der riesigen Wandelemente, die nach oben hin jeweils etwas weiter nach außen gerückt sind, zeugt von abstrakten Gestaltungsprinzipien, folgt aber der gleichen konstruktiven Logik wie die überlappenden Holzschindeln an alten Scheunenfassaden: Das Wasser tropft an den Kanten ab, und jede Schicht schützt die darunter liegende.
Die Holzkonstruktion, die auf einem betonierten Sockel steht, wurde in nur vier Tagen mit einem Pneukran aufeinander gestapelt. Sämtliche Bauteile wie Wandelemente, Dachbinder, Dachfläche und Tore wurden aus Massivholz vorfabriziert und auf die Baustelle gebracht – für die teilweise 30 m langen Elemente waren Spezialtransporte erforderlich. Verwendet wurde Fichte, je nach Einsatz gehobelt und/oder geschliffen und vorvergraut; insgesamt wurden 340 m³ davon verbaut. Die Tragstruktur besteht aus Schweizer Holz. Sie ist so verzahnt, dass sie sich zu einer stabilen Konstruktion zusammenfügt. Auf weitere Bauteile und Materialien konnte somit verzichtet werden. Weil die Halle nicht klimatisiert ist, hat sie auch keine verglasten Fenster; an den Längsseiten sind die Zwischenräume zwischen den Bindern unter der Dachfläche offen, sodass Tageslicht und frische Luft ins Innere gelangen.
Der Bau ist weder innen noch von außen bekleidet. Die Elemente, aus denen er zusammengesetzt ist, erfüllen alle Funktionen gleichzeitig: Sie sind statisch notwendig, dienen als räumliche Abgrenzung, und prägen innen wie außen das Erscheinungsbild. Ihre Fügung ist direkt von den Materialeigenschaften des verwendeten Holzes abgeleitet. Das statische, räumliche und ästhetische Konzept sind eins, und untrennbar mit dem Materialkonzept verbunden. Dass diese absolute Konsequenz keineswegs stur daherkommt, sondern ganz selbstverständlich und leicht, ist bemerkenswert. Der zufällige Betrachter sieht nur ein riesiges Blockhaus mit gelungenen Proportionen; erst bei näherem Hinschauen lässt sich erkennen, wie viel Reflexion und Wille zur Perfektion darin stecken. Es ist ein architektonisches Statement, das die Unbeschwertheit eines Kindheitstraums ausstrahlt. •

~Judit Solt
Architekturstudium an der ETH Zürich, Ausbildung zur Fachjournalistin. 2000-07 Redakteurin bei »archithese«. Seit 2007 Chefredakteurin von »TEC21«. 2004-07 Lehrauftrag für Architekturkritik an der ETH Zürich, 2007-08 für Architekturtheorie an der HTW Chur.

  • Standort: Neugutstraße, CH-8450 Andelfingen
    Bauherr: Baudirektion des Kanton Zürich
    Architekten: Rossetti+Wyss Architekten, Zollikon
    Mitarbeit: Claudio Sticca
    Tragwerksplanung: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich
    Elektroplanung: Zürcher Elektroplanungen, St. Gallen
    BGF: 496 m²
    BRI: 5 175 m³
    Baukosten: 1,4 Mio. CHF (etwa 1,29 Mio. Euro)
    Bauzeit: August 2014 bis März 2015 (Aufrichten Holzbau: 4 Tage)
  • Beteiligte Firmen:
    Gründung, Rohbau, Beläge: Landolt + Co., Kleinandelfingen
    Holzbau, Tore: Erne Holzbau, Stein, www.erne.net
    Leimbinder: Hüsser Holzleimbau, Bremgarten, www.huesserholzleimbau.com
    Holztore: Holzbau Koch, Büttikon, www.koch-ag.ch
    Spenglerarbeiten, Bedachung: Maillard Bedachungen, Winterthur

Rossetti+Wyss Architekten

Nathalie Rossetti
Architekturstudium an der ETH Zürich, 1995 Diplom. 1997-2000 Mitarbeit bei Bétrix & Consolascio Architekten. Seit 2000 gemeinsames Büro mit Mark Aurel Wyss. 2004 Assistenz am USI, Mendrisio.
Mark Aurel Wyss
Architekturstudium an der ETH Zürich, 1995 Diplom. 1995-2000 Mitarbeit bei Bétrix & Consolascio Architekten. Seit 2000 gemeinsames Büro mit Nathalie Rossetti.
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