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Verwaltungsgebäude von Egger in Sankt Johann in Tirol von Bruno Moser

Ein Holz-Hohlkastenelement für alle Fälle
Verwaltungsgebäude von Egger in Sankt Johann in Tirol (A)

Grobspanplatten werden von Architekten gern als kostengünstiges Baumaterial für temporäre Bauten verwendet. Wie groß ihr konstruktives und gestalterisches Potenzial aber tatsächlich ist, zeigt nun ein Bürogebäude, das auf einem seit einigen Jahren immer weiter verfeinerten Konstruktionsprinzip für vorgefertigte Hohlkastenelemente basiert.

    • Architekt: Bruno Moser
      Tragwerksplanung: Alfred R. Brunnsteiner

  • Kritik: Roland Pawlitschko
    Fotos: Christian Flatscher; Christian Vorhofer
Wer im März vor zwei Jahren am Stammsitz des Holzwerkstoff-Herstellers Egger in St. Johann vorbeifuhr, sah vor der Kulisse aus Feldern, Wiesen und dem Kitzbüheler Horn v. a. ein dicht gedrängtes Ensemble aus gesichtslosen Produktionsgebäuden und Bergen von Baumstämmen und Holzspänen. Keine zwölf Monate später bot sich an gleicher Stelle eine völlig andere Perspektive. Am nördlichen Ende des Werksgeländes zieht seitdem ein frei stehender Neubau die Blicke auf sich: ein viergeschossiges Bürogebäude mit schachbrettartig gegliederter Fassade aus Glas und Lärchenholzlamellen. In nur einem Jahr Bauzeit entstand hier eines der größten Bürogebäude Österreichs in reiner Holzbauweise.
Genau genommen reicht dessen Geschichte zurück bis ins Jahr 2008, als der Familienbetrieb einen Architekturwettbewerb für ein neues Verwaltungsgebäude am rumänischen Produktionsstandort Radauti auslobte. Ziel war ein nachhaltiger, energieeffizienter, modularer Holzbau, der unter vorwiegender Verwendung firmeneigener Produkte errichtet werden und zugleich Standards für neue Bürogebäude an anderen Unternehmensstandorten definieren sollte. Der siegreiche Entwurf des Tiroler Architekten Bruno Moser basiert auf der Verwendung der größtmöglich erhältlichen Grobspanplatte OSB4Top von Egger, die erst zu 11,40 x 2,80 m großen Wand- bzw. Deckenelementen und schließlich zu 11,40 x 2,80 x 2,80 m großen Raummodulen gefügt wurden. Diese Module verfügen nicht nur über fertige, weiß lasierte Oberflächen, sondern enthalten auch sämtliche Lüftungs- und Elektro-Rohinstallationen. Nach Fertigstellung des mit dem DGNB-Zertifikat in Gold ausgezeichneten Gebäudes entwickelte Moser dieses System an zwei vergleichbaren Folgeprojekten für Egger weiter, sodass das Verwaltungsgebäude in St. Johann das nunmehr vierte dieser Art ist.
Die bisherigen Büroflächen am Gründungsort und Hauptsitz wiesen einige Nachteile auf: Sie waren auf mehrere Gebäude verteilt und befanden sich – für Geschäftspartner und Besucher eher schwierig zugänglich – innerhalb des Werksgeländes. V. a. aber waren sie für ein Unternehmen mit einem stattlichen Jahresumsatz von derzeit 2,26 Mrd. Euro wenig repräsentativ und überdies zu klein geworden. Für einen Neubau sprach zudem, dass sich dadurch die Chance bot, eine Art überdimensionalen Showroom zu realisieren, der – ohne diesen Aspekt penetrant in den Vordergrund zu rücken – einen umfassenden Überblick über die gesamte Produktpalette Eggers vom Konstruktionsholz über Fußböden bis hin zur Büromöblierung liefert.
Konstruktiver Aufbau der Wand- und Deckenelemente
In Bezug auf die Abmessungen der Raummodule und deren konstruktiven Aufbau entspricht der Neubau prinzipiell seinen drei Vorgängern. Die Wandelemente bestehen aus 280 mm dicken Holzriegeln, die – umgeben von einer Wärmedämmschicht – innen mit sichtbaren, weiß lasierten OSB4Top-Platten (22 mm) und außen mit diffusionsoffenen feuchtebeständigen Holzfaserplatten beplankt sind. Die Decken sind als frappierend einfach konstruierte Hohlkastenelemente ausgebildet: Den statisch wirksamen Kern bilden 520 mm hohe Brettschichtholzrippen mit schalldämmender Splittschüttung sowie eine weiß lasierte untere Beplankung (die gleichzeitig die Deckenuntersicht ausbildet) und eine obere Beplankung aus jeweils 30 mm dicken OSB4Top-Platten. Als Bodenaufbau dient eine Schicht aus Weichfaserplatten, über der sich weitere OSB-Platten (18 mm), dünne Trittschallmatten und der Laminatfußboden befinden – mit einer Gesamtaufbaudicke von lediglich rund 60 mm. Die Deckenelemente spannen grundsätzlich über die Längsrichtung, wobei Lasten stets über die vier Eckpunkte abgetragen werden; Installationen liegen auch hier im Innern der Hohlkastenelemente und in speziellen Vertiefungen der Tragbalken.
Zahlreiche baurechtliche Anforderungen, konzeptionelle Vorstellungen des Architekten und Bauherrenwünsche führten trotz vieler Gemeinsamkeiten mit den seit 2008 nach diesem Konstruktionsprinzip realisierten Gebäuden dazu, dass das Stammhaus als völlig eigenständige Variation zum freien »Spiel« mit Raummodulen erscheint. Wesentlich in diesem Zusammenhang sind insbesondere das offene Atrium und die Viergeschossigkeit der beiden seitlichen Gebäuderiegel.
Architektur und Brandschutz
Dass der Eingang nicht direkt ins Atrium führt, wie man aus der Entfernung noch vermuten könnte, sondern an der Gebäudelängsseite liegt, hat mit der geplanten Anbindung an den zweiten Bauabschnitt zu tun, der sich eines Tages im Norden befinden soll. Der seitliche Zugang liefert aber auch die dramaturgisch spannendere Lösung, weil der viergeschossige, oben und seitlich voll verglaste Innenraum nach Passieren des vergleichsweise niedrigen Empfangsbereichs dadurch umso eindrucksvoller erscheint. Was im Atrium dann sofort ins Auge fällt, ist einerseits die Offenheit und Großzügigkeit, andererseits die allgegenwärtige Verwendung von Holz bzw. Holzwerkstoffen: Wandbekleidungen aus Lärchenholzlamellen, eine Dachkonstruktion aus Brettschicht- und Lärchenholz sowie Wandoberflächen, Balkone, Aufzugschacht und Haupttreppe aus Grobspanplatten – letztere aus sieben nagelpressverleimten Platten mit je 30 mm. Nicht zuletzt, weil sämtliche Oberflächen ganz offensichtlich brennbar sind, kommt schnell die Frage nach dem Brandschutzkonzept auf. Grundsätzlich gelten das gesamte EG und das Atrium als ein in sich geschlossener Brandabschnitt. Die Abschottung zu den dreigeschossigen Büroflügeln, die zwei weitere Brandabschnitte ausbilden, erfolgt mithilfe einer REI90-Decke zum 1. OG; der 90 minütige Feuerwiderstand wird durch 2 x 20 mm Gipskartonplatten an der Unterseite des Standard-Deckenelements und einer Fassadensprinklerung im Atrium, die zusammen mit auskragenden Balkonen einem Brandüberschlag entgegenwirken, erreicht. Als Rettungswege dienen zwei, außerhalb der brandschutzverglasten Stirnseiten des Atriums liegende Stahl-Treppenhäuser, die über die mittigen Flure der Bürogeschosse erreichbar sind – der Verbindungssteg im Atrium bietet überdies die Möglichkeit, von einem zum anderen Brandabschnitt zu gelangen. Teil des Brandschutzkonzepts ist es auch, dass nicht nur das gesamte UG mit Tiefgarage, Technik-, Lager- und Personalräumen in Stahlbeton errichtet wurde, sondern auch die tragenden Elemente des EGs (Wandscheiben und Stützen). Dadurch reduziert sich die Anzahl der Geschosse mit prinzipiell brennbarem Tragwerk auf drei – optisch ist dies kaum wahrnehmbar, weil lediglich wenige Stützen in der Kantine, im Seminar- und im Verwaltungsbereich nicht mit OSB-Platten bekleidet wurden.
Vielfalt im Raster
Trotz des strikt eingehaltenen Rasters von 11,40 x 2,80 m, das unwillkürlich an schmale lange Industriecontainer denken lässt, erscheinen die aus jeweils insgesamt 5 x 5 Modulen zusammengesetzten Bürogeschosse offen und durchlässig. Erreicht wurde dies zum einen durch die mit Glaswänden voneinander, aber auch zum Flur abgetrennten Büroräume, zum anderen sind Raummodule, wie bereits erwähnt, nur an den Eckpunkten aufgelagert, sodass die Wandelemente – sofern die Gebäudeaussteifung als Ganzes gesichert ist – grundsätzlich völlig frei gestaltet werden können. In diesem Fall ergeben geschlossene Wandflächen, großflächige Verglasungen und breite Kommunikationsflure einen offenen Grundriss, der die Verwirklichung eines zeitgemäßen Bürokonzepts unterstützt. Hierzu trägt auch bei, dass die Maximalabmessungen der OSB4Top-Platten mit einem Grundraster von 71,25 x 70 cm ziemlich genau den ansonsten in der Büroplanung üblichen Rastermaßen entsprechen, so lassen sich am Ende sowohl ein wirtschaftliches Tragwerk als auch ebenso flächeneffiziente wie räumlich vielfältige Grundrisse schaffen.
Dass das in St. Johann realisierte konstruktive Konzept nicht nur in ökologischer, sondern auch in architektonischer Hinsicht wegweisend ist, zeigen die von Bruno Moser und Egger bereits bis ins Detail entwickelte Ideen für »Konzepthäuser« – Wohnhäuser, die innerhalb kürzester Zeit (z. B. als Flüchtlingsunterkunft) errichtet, später demontiert und anderswo wiederaufgebaut werden können. Ein zweigeschossiges Wohnhaus mit insgesamt zwölf Raummodulen und 420 m² BGF lässt sich so innerhalb von wenigen Wochen herstellen und bezugsfertig vor Ort montieren. Die Möglichkeiten der Bauweise mit Holz-Hohlkastenelementen scheinen noch längst nicht erschöpft zu sein. •

Sankt Johann in Tirol (A) (S. 22)

Bruno Moser
1969 geboren. 1988-94 Studium an der TU Innsbruck. 1990-99 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros. 1999-2000 Ausbildung zum Ziviltechniker mit Befugnis Architekt. Seit 2000 eigenes Architekturbüro.
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