Architekten: asp Architekten
Tragwerksplanung: Mayr | Ludescher | Partner
Kritik: Christian Schönwetter
Fotos: Zooey Braun, Dietmar Strauß
Wo früher in großem Stil Waren umgeschlagen wurden, plant Stuttgart derzeit ein neues Stadtviertel: Das ehemalige Güterbahnhofsareal wandelt sich zum »Neckarpark«, einem Mischgebiet, in dem einmal 2 000 Menschen wohnen und arbeiten sollen. Weil es in einem Heilquellenschutzgebiet liegt, können nur wenige Tiefgaragen gebaut werden und 344 Stellplätze für die Bewohner wurden stattdessen in einer zentralen fünfstöckigen Quartiersgarage untergebracht. Zu einem komplett autofreien Viertel mochte sich die Stadt trotz guter ÖPNV-Anbindung des Areals nicht durchringen. Ansonsten verfolgt sie im Neckarpark aber durchaus ambitionierte ökologische Ziele, beispielweise schreibt sie 30 % Fassadenbegrünung vor und will sämtliche Neubauten mit Nahwärme versorgen, die direkt vor Ort nachhaltig erzeugt wird. Die dafür nötige Energiezentrale fasste man mit der Quartiersgarage zu einem gemeinsamen Infrastrukturgebäude zusammen. Weil es als erstes Bauwerk des Viertels fertiggestellt werden musste, steht es momentan noch allein auf weiter Flur, künftig wird es aber den Eingang ins Quartier markieren und dort einen wesentlichen Teil des Autoverkehrs abfangen.
Von der Ruhe, die der Name »Neckarpark« suggeriert, ist bei der Besichtigung im September wenig zu spüren. Vom nahegelegen Cannstatter Wasen schallt Rummelplatz-Getöse herüber und die vierspurige Benzstraße ist auch nicht gerade leise. Zusammen mit einigen noch zu errichtenden Büroriegeln erfüllt das Infrastrukturgebäude daher noch eine dritte Aufgabe: Es soll die nördlich anschließende Wohnbebauung vor Lärm schützen. Also konnte es nicht auf allen vier Seiten so offen bleiben, wie es für eine natürliche Belüftung nötig ist, sondern musste zumindest auf einer Seite geschlossen werden. Das Büro asp architekten, das sich per VGV-Verfahren für die Planung qualifiziert hatte, ersann dafür eine besondere Glasfassade: 2 743 rautenförmige Scheiben bilden eine geschuppte, luftdurchlässige Schicht, die den Schall bricht und zugleich mit einer farbigen Bedruckung verhindern soll, dass Autoscheinwerfer die Bewohner in den benachbarten Häusern blenden. Neun verschieden gestaltete Scheibenarten ergeben über die gesamte Fassade ein abwechslungsreiches Bild. Auf Scheinwerferhöhe sind die dunkleren, dichter bedruckten Scheiben angeordnet, während auf Augenhöhe hellere, transparentere Exemplare für Sichtbezug nach außen sorgen. Wenn Licht hindurchscheint, erweckt die grün bedruckte Glashaut fast schon malerisch den Eindruck eines Blätterdaches im Sonnenschein – und korrespondiert mit den drei restlichen Fassaden und deren tatsächlicher Bepflanzung.
Dort spannt sich ein luftdurchlässiges Edelstahlnetz zwischen das rautenförmige Stahltragwerk und dient nicht nur als Absturzsicherung, sondern auch als Rankhilfe für die Fassadenbegrünung. Weil das Gebäude die gesamte Grundstücksfläche besetzt, konnte kein bodengebundenes System gewählt werden, sondern die Pflanzen wachsen aus trapezförmigen Trögen in der Fassade. Die Weinranken verweisen auf den Genius Loci, bilden sie doch einen schönen Bezug zu den Weinbergen, die das Neckartal flankieren. Ihren ersten Sommer – in Stuttgart war es sehr trocken – haben sie dank automatischer Bewässerung gut überstanden.
Treppe mit Aussicht
Grundrisse und Konstruktion der Garagengeschosse ermöglichen stützenfreies Parken. Hat man sein Fahrzeug abgestellt, kann man das Gebäude über einen Aufzug oder eine der beiden Treppen verlassen, und wer nicht gerade einen Stellplatz im UG hat, braucht kein schlecht einsehbares, unsicheres Treppenhaus zu fürchten, denn auch die Vertikalerschließung liegt an der offenen Stahlnetzfassade mit Sichtkontakt nach außen. Besonders die kaskadenförmige Haupttreppe an der Ostseite profitiert davon, orientiert sie sich doch auf einen Quartiersplatz. Das kräftige Rot der beiden Treppen ist sicher Geschmacksache. Fragt man Passanten nach ihrer Meinung, bekommt man öfter die Assoziation »Feuerwehrhaus« zu hören. Vielleicht wäre ein leuchtender Grünton, der eine der Farben aus der Glasfassade aufgreift, konsequenter gewesen und hätte den individuellen Charakter des Bauwerks noch stärker betont.
Ungefähr 20 % der Stellplätze sind derzeit für E-Autos vorgesehen, der Rest lässt sich später problemlos mit einer Ladestation nachrüsten. Perspektivisch sind 100 % E-Mobilität angepeilt. Radfahrer können eine gesonderte Garage im EG nutzen. Daran schließt eine Fahrradwerkstatt mit Zutritt von der Benzstraße an. Momentan ist sie noch nicht in Betrieb, soll künftig aber zur Belebung des Straßenraums beitragen, der vor Parkhausfassaden sonst häufig verödet.
In vieler Hinsicht nachhaltig
Die Energiezentrale reicht vom EG bis ins UG hinab. Sie erzeugt die Wärme für das gesamte Quartier, zu dem Bürobauten, Schulen, ca. 850 Wohnungen und ein Sportbad gehören. Den Löwenanteil der Wärme gewinnt sie aus dem Hauptabflusskanal unter der Benzstraße, der das Abwasser eines gesamten benachbarten Stadtteils führt und mit 300 m Wärmetauscher bestückt wurde. Dadurch wird nicht nur der CO2-Ausstoß des neuen Quartiers reduziert, sondern auch das Aufheizen des Neckars durch die Abwässer vermindert. In der Energiezentrale befinden sich große Pufferspeicher, Wärmepumpen und Blockheizkraftwerke, um den restlichen Wärmebedarf zu decken. Auf dem begrünten Dach des Garagengebäudes schließlich sammeln Photovoltaik-Module rund 142 000 kWh Solarenergie pro Jahr ein. Die ursprüngliche Idee von asp Architekten, das Dach als öffentliche Aussichtsplattform mit Blick übers Neckartal zu nutzen, ließ sich daher nicht verwirklichen.
Doch das tut der Wirkung des Gebäudes keinen Abbruch. Über seine offenen Fassaden tritt es in Austausch mit der Umgebung, mit seiner einprägsamen Gestaltung ist es ein starker Identifikationspunkt für das Quartier. Wahrscheinlich wird es sich auch dann noch gut behaupten können, wenn ihm die ersten Nachbarbauten auf die Pelle rücken. Abgesehen von seinen architektonischen Qualitäten und seinem modernen, ambitionierten Energiekonzept löst das Projekt auch auf stadtplanerischer Ebene einen hohen Nachhaltigkeitsanspruch ein. Endlich wurde im Neckarpark einmal realisiert, was Experten seit Jahren fordern, was aber nur sehr selten umgesetzt wird: der weitgehende Verzicht auf das »Problemkind Tiefgarage«, das zum einen Baukosten hochtreibt und preiswertes Wohnen erschwert, zum anderen mit Baggerarbeiten und Betonbauweise hohe CO2-Emissionen verursacht. Sollte die Mobilitätswende tatsächlich gelingen und die Zahl von Autos in Ballungsräumen eines Tages deutlich sinken, dann lassen sich quartiersweise gebündelte, oberirdische Stellplätze leichter abbauen oder umnutzen, während dezentrale Tiefgaragen nutzlos im Erdreich vergraben bleiben. Auch in dieser Hinsicht kann man dem Projekt Zukunftstauglichkeit attestieren und möglichst viele Nachahmer wünschen.
Weckt die Glasfassade aus der Ferne betrachtet Assoziationen an ein zartes, leichtes Blätterdach, so bemerkte Redakteur Christian Schönwetter bei der Besichtigung aus der Nähe, wie groß die per Siebdruck beschichteten Scheiben tatsächlich sind.
- Standort: Hanna-Henning-Straße 2/1, 70372 Stuttgart
Bauherr: Landeshauptstadt Stuttgart, Tiefbauamt, Amt für Umweltschutz
Architekten: asp Architekten, Stuttgart
Tragwerksplanung: Mayr | Ludescher | Partner, Stuttgart
Fassadenplanung: DS-Plan, Stuttgart
Planung der Fassadenbegrünung: Koeber Landschaftsarchitektur, Stuttgart
Schallschutzgutachten: SoundPlan GmbH, Backnang
TGA, HLS Parkhaus: Ingenieurbüro Neckermann & Partner, Gerlingen
TGA Energiezentrale: IBS Ingenieurgesellschaft mbH, Bietigheim-Bissingen
Brandschutz: Kuhn Decker GmbH & Co. KG, Stuttgart
Orientierungssystem: Studio Tillack Knöll, Stuttgart
BGF: 13 116 m²
Gebäudevolumen: 44 783 m³
Baukosten KG 300+400: 13,59 Mio. Euro netto - Beteiligte Firmen:
Stahlbau und Pflanztröge aus Stahl: Friedrich Bühler Stahlbau, Altensteig
www.buehler-stahlbau.de
Edelstahlnetz-Fassade: Jakob, Ostfildern, www.jakob.com
Glasschuppenfassade: Roschmann Holding, Gersthofen,
www.roschmann-glas.de
asp Architekten
Cem Arat
Architekturstudium an der TU Berlin. Lehrauftrag an der TU Berlin. Seit 2003 Partner bei asp – Arat, Siegel und Partner, seit 2008 Geschäftsführer der asp Architekten.
Autor
Christian Schönwetter (~cs)
Architekturstudium an der Universität Karlsruhe, Wiss. Mitarbeit. Volontariat bei der Zeitschrift AIT, Redakteur beim design report. Gründer und Chefredakteur der Zeitschrift Metamorphose. Seit 2013 Redakteur der db-Metamorphose. Freier Journalist, Kritiker.