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Das Verständnis von Landschaft

Umgestaltung von Autobahnen und Halden für die RUHR.2010
Das Verständnis von Landschaft

Das Programm der RUHR.2010 legt einen seiner Schwerpunkte auf die Frage, wie das Ruhrgebiet wahrgenommen wird und welches Verständnis von Landschaft dieser Wahrnehmung zugrunde liegt. Jörg Dettmar war Bereichsleiter bei der IBA Emscher Park und ist jetzt Berater im Themenbereich »Stadt der Möglichkeiten« der RUHR.2010. Er stellt im Gespräch die Projekte Halde Lohberg-Nord und B1/A40 – Schönheit der großen Strasse vor und reflektiert rückblickend die Leistung der IBA Emscher Park zu entsprechenden Themen.

{ Text: Adeline Seidel

Das Verständnis von Landschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Landschaft existiert nicht mehr nur als Bild vermeintlich naturbelassener Unberührtheit, auch sogenannte urbanisierte Landschaftsräume [1] werden nun als Landschaft wahrgenommen. Richtungsweisend dafür, die dort vorhanden Qualitäten überhaupt erst zu erkennen, waren, noch vor den Forschungsprojekten zur Zwischenstadt [2], die Projekte der IBA Emscher Park. Ihr ist eine Pionierleistung zu dem sich wandelnden Verständnisses des Begriffs Landschaft zuzuschreiben.
»Wiederaufbau von landschaftlicher Qualität« war das zentrale, alle Projekte miteinander verbindende Anliegen der IBA. Bewusst wurde als eine strategische Entscheidung in die Landschaft und nicht in erster Linie direkt in die Städte des Ruhrgebietes investiert. Der systematische Aufbau eines im Zusammenhang erlebbaren, grünen Gerüstes sollte die Attraktivität der ganzen Region stärken und sie vom negativen Image des geschunden ‚Kohlepotts‘ befreien. Jörg Dettmar: »Auf der Suche nach dem eigenständigen Charakteristikum dieser Region wurde im Laufe des Prozesses der Fokus auf die Transformation zu einer Industrielandschaft gelenkt – mit Bewahrung des Spezifischen unter dem Stichwort ‚Industriekultur‘ und auf die besondere Form der industriell veränderten Standorte unter dem Titel‚ ‚Industrienatur‘.« 256 Halden gab es bereits zur IBA – die meisten davon waren schon zu Beginn 1989 begrünt. Dennoch wurden sie nicht als Landschaftsraum wahrgenommen, in dem man seine Freizeit verbringen könnte. Um die Aufmerksamkeit auf diese Orte zu lenken, prononcierte und inszenierte man die Hinterlassenschaften der Industrie, etwa die Schurenbachhalde mit Richard Serras Bramme oder die Halde Beckstraße in Bottrop mit dem Tetraeder – damals ein vollkommen neuer Umgang mit diesem artifiziellen, landschaftlichen Element.
Diese Landmarken entwickelten sich in den letzen Jahren zu Ausflugs- zielen, die den Blick über das Ruhrgebiet gewähren und so auch die Veränderungen der letzten Jahre sichtbar machen. »Das ist doch das Beste, was man erreichen kann, wenn man sozusagen zu einem selbstverständlichen Attraktionspunkt wird. Die Intervention wird assimiliert und ist nicht mehr aufgesetzt: Zum Beispiel der Tretraeder, der wie selbst- verständlich nun ein Ausflugsziel geworden ist und damit in das städtische Bewusstsein integriert wurde. Das war auch ein Ziel dieser Landmarken«, so Dettmar. ›
Halden der Zukunft
Heute werden nur noch wenige Halden geschüttet. Die Aufgaben, die ihnen nun für die veränderte Landschaftswahrnehmung zugewiesen werden, sind andere: Von der Landmarke, die allein das Ausflugsziel war, werden sie zu einem im Kontext der Umgebung und deren Freizeitangeboten integrierten Ort mit weiterentwickelt.
Die Halde Lohberg-Nord zwischen Dinslaken und Hünxe ist eine der wenigen Halden, die noch nicht abschließend aufgeschüttet wird. Sie wird für die Kulturhauptstadt inszeniert. Eine Zitadelle, geplant von tlu landschapsarchitecten aus Utrecht, dient als erster Attraktor für das entstehende neue Landschaftselement während der RUHR.2010. In den nächsten dreizig Jahren wird die Halde sich zunehmend in den umgebenen Landschaftsraum einpassen und zusammen mit den Tenderingsseen – auch sie sind artifizielle »Landschaftsprodukte« aus ehemaligen Auskiesungen – das Freizeitangebot der angrenzenden Gemeinden bereichern.
»Die Schönheit der Strasse«
Ein weiteres Element der künstlichen Landschaft des Ruhrgebiets sind die Verkehrsschneisen – neben den Kanälen ist es das dichte Netz der Autobahnen, das die Region prägt und verbindet, aber auch räumlich zerschneidet. Das Gestaltungspotenzial dieser Verkehrsräume ist schon oft erkannt und diskutiert worden. Die Sanierung der Autobahnen ist in den nächsten Jahren notwendig, der Landesbetrieb Straßenbau NRW [3] erkannte, das im Zuge dessen nur wenig Mehraufwand nötig ist um die Möglichkeiten dieser Räume experimentell auszuloten. Zwei Projekte wurden für die RUHR.2010 konkretisiert: Teilbereiche der B1/A42 und der A40 sollen umgestaltet werden.
Die A40 soll durch verschiedene Interventionen unter dem Titel »B1/A40 – Schönheit der großen Strasse« in das angrenzende urbane Gefüge zwischen Dortmund und Neukirchen-Vluyn eingegliedert werden und erhält damit die Chance, der »Boulevard der Ruhrmetropole« zu werden. Unterschiedliche Aktionen und temporäre Installationen sind hierfür geplant, darunter das Projekt Barcode A40 [4]. In einem offenen Wettbewerb durften alle Bürger Vorschläge zu möglichen Farbkombinationen der Schallschutzwand einreichen. 160 Beiträge wurden ausgewählt und ab Herbst realisiert.
Die B1/A42 folgt dem Vorbild alter Tourenstraßen, bei denen das Fahren auch ein landschaftlichsräumliches Erlebnis ist. In der »EmscherPARKautobahn«, so der Titel des Projekts, wird durch präzise gesetzte Bepflanzung der Blick des Autofahrers auf die vorbeiziehende Umgebung gelenkt. Einschnitte ermöglichen Blicke in das Ruhrgebiet und zu den Landmarken. An sogenannte Parktankstellen kann man direkt von der Autobahn auf das Fahrrad umsteigen und ohne große Umstände den Emscher Landschaftspark erkunden.
Um das Verständnis von Landschaft zu verändern, bedarf es Zeit, aber vor allem des immer fortwährenden Versuchs, die Dinge neu zu sehen. Man vergisst schnell, wie viel visionäre Kraft nötig ist und wie groß die Kulturleistung ist, um die Wahrnehmung einer ganzen Region systematisch zu transformieren. Jörg Dettmar verweist darauf, dass dabei auch das Scheitern erlaubt sein muss: »Projekte dürfen scheitern – das ist eine große Qualität. Wenn man zum Erfolg verdammt ist, wird die Wagniskurve des Experimentes verhältnismäßig flach, vor allem im Kontext dessen, was bereits geleistet worden ist. Man geht mit den Dingen, die noch nie gemacht worden sind, immer ein Risiko ein. Wenn man immer auf der sicheren Seite bleibt, ist eine Innovation kaum möglich.«
Und betrachtet man die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010, so fällt auf, das anscheinend genau jene Bilder entscheidend waren, die zu Zeiten der IBA Emscher Park generiert worden sind: Die alten Industriedenkmäler und umgenutzten Industriebrachen. Es sind die Halden mit ihren »Krönungen« – es sind die Weitblicke, die man über das »ergrünte« Ruhrgebiet hat, mit denen das Ruhrgebiet neu entdeckt werden konnte.


Literatur- und Quellenhinweise: [1] Hauser Susanne, Anästhesie und Lesbarkeit in: Lars Bölling, Thomas Sieverts (Hg.), Mitten am Rand. Auf dem Weg von der Vorstadt über die Zwischenstadt zur regionalen Stadtlandschaft (= Zwischenstadt 1). Müller + Busmann, Wuppertal 2004, S. 206–209 [2] Thomas Sieverts: Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Vieweg, Braunschweig 1997 [3] www.strassen.nrw.de [4] www.strassen.nrw.de
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