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Architekturkritik: Anerkennung Flughafen Changi Singapur

db-Studentenwettbewerb für Architekturkritik: Anerkennung
Flughafen Changi in Singapur (SGP)

Der weltbeste Flughafen baut aus
Jurybegründung:
Freigemacht von den Anforderungen der Ausschreibung nimmt der Autor den Leser mit auf eine Exkursion und spürt der Frage nach, inwiefern sich die Auszeichnung als »der weltbeste Flughafen« auch auf architektonischer Ebene nachvollziehen lässt. Mit auffallend frischer Schreibe und spürbarer Begeisterung eignet er sich das Thema an, entwickelt seine Gedanken anschaulich und nachvollziehbar und geht dabei mutig, meinungsfreudig und dennoch differenziert vor.

Architekten: SAA Architects, Singapur; Benoy, Singapur; AECOM, Los Angeles; Beca, Singapur/Auckland
Kritik: Stefan Tuchen (TU Braunschweig)

Ist ein gutes Terminalgebäude auch gleichzeitig gute Architektur? Terminal 4 am Flughafen Changi in Singapur hat viel für seine Passagiere zu bieten, nur kein zusammenhängendes Gestaltungskonzept.

Fällt in Deutschland das Stichwort Flughafen, so denkt meist jeder zunächst an den BER – und 14 Jahre Bauzeit. In Singapur wurde hingegen ein neues Terminal des Changi Airports in nur 28 Monaten gebaut. Nun sagt die Bauzeit allein noch nichts über die Qualität eines Projekts aus, aber da der Flughafen Changi in Singapur jedes Jahr aufs Neue zu einem der besten weltweit gekürt wird (www.worldairportawards.com), lohnt es sich, das neue Terminal 4, das im Oktober 2017 seine Türen öffnete, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein guter erster Eindruck

Begrüßt werden die Fluggäste auf der Landseite von einem übergroßen Schriftzug »Terminal 4«, der auf einer reich begrünten Wand prangt. Darauf folgt die fast 300 m lange, großzügige Vorfahrt, die sich über die gesamte Länge der Check-in-Halle erstreckt. Das auskragende Dach geleitet ins Innere, wo sich fein in Reih und Glied, wenn auch um ca. 30° gedreht, die Schalter befinden, bzw. Automaten, an denen der Passagier seinen Koffer selbst auf das Band legt.

Angekommene Reisende nehmen im Geschoss darunter ihre Koffer entgegen. Dort bietet ein Arsenal unterschiedlich farbiger Sitzmöglichkeiten Familienmitgliedern die Möglichkeit, entspannt zu warten. In beiden Bereichen besticht das Terminal durch seine Großzügigkeit und Klarheit. Gerade die Wartezonen in der Ankunftsebene sind an den meisten Flughäfen viel zu klein bemessen, sodass es häufig zu Gedränge kommt, und sich diverse Fahrer, die mit weißen Schildern auf ihren jeweiligen »Mr. Smith« warten, gegenseitig auf die Füße treten.

Die vielen Restaurants und Geschäfte im Terminal haben eine Menge zu bieten, langweilig wird es den Fluggästen also nicht. Auch außerhalb der Geschäfte gibt es viel zu gucken: üppige Bepflanzung überall – für einen tropischen Flughafen durchaus angebracht. Trotz des ersten, positiven Eindrucks scheint aber etwas zu fehlen. Und das erschließt sich, sobald man von der Rolle des Benutzers in die des Gestalters wechselt.

Terminal 4 ist keine Ente

Die Architektur eines Flughafenterminals besteht aus mehreren Komponenten. Am alten Berliner Flughafen Tegel z. B. bilden diese durch ein zugrunde gelegtes Konzept eine Einheit: Die sechseckige Form hängt mit der funktionalen Organisation zusammen und nimmt mit ihrem übergeordneten Dreiecksraster direkt Einfluss sowohl auf das Tragwerk als auch auf die Innenarchitektur. Anders als damals in Tegel ist die Organisation von Changis Terminal 4 recht konventionell gehalten. Ein Versuch die Abläufe im Terminal für den Fluggast optimiert zu organisieren, wie es z. B. auch bei Tegels Vorbild Köln-Bonn der Fall war, wurde nicht unternommen. Der globetrottende Fluggast ist an die langen Korridore heute allerdings gewohnt und wird sie dem Flughafen von Singapur vielleicht nicht besonders vorwerfen, zumal der Betreiber die Abläufe mit nicht-architektonischen Mitteln aufhübscht, wie z. B. mit gut geschultem und freundlichem Personal. Aber den Entwerfer stört doch, dass aus der Logistik keine gestalterische Konsequenz gezogen worden ist.

Ein »dekorierter Schuppen«

Wie die Schalterhalle des Changi Airports zeigt, besteht das gesamte Gebäude eigentlich nur aus einem flachen Dach auf Stützen in großzügigem Raster. Man könnte es sogar für sympathisch halten, dass der Bau nicht mit einem wagemutigen Tragwerk um die Aufmerksamkeit der Benutzer buhlt, wie es heute bei fast jedem neuen Terminal der Fall ist. Aber letzten Endes könnte das uninspiriert abgedeckelte Stützenraster auch zu einem Baumarkt gehören; und auch der Innenausbau hängt mit den anderen Komponenten des Entwurfs nicht zusammen. Es wurden hier zwar ordentlich Akzente gesetzt, neben den bunten Sitzgelegenheiten gibt es kräftig gemusterte Teppiche, polierte Terrazzofußböden usw.

Überall finden sich abgerundete Dreiecke scheinbar wie ein Leitmotiv wieder, z. B. als Oberlichter, im Teppich, oder auch als kinetische Skulptur. Allerdings entpuppen sich diese als Design-Spielerei – sie könnten genauso gut kreisförmig, viereckig oder herzförmig sein. Im Grundriss findet sich nämlich nirgends eine dreieckige Situation, und auch das Tragwerk hat keine auch nur annähernd dreieckigen Bestandteile. Dem architektonisch geschulten Auge entlarvt sich das Terminal als »dekorierter Schuppen«.

Das Problem des fehlenden Konzepts

Anders als bei Terminals, die wie Saarinens TWA Flight Center in New York beinahe buchstäblich »Enten« sind, fehlt dem Singapurer Terminal das bildstiftende Element. So bleibt als Gegenstand für eine Architekturkritik nur eine lose Ansammlung an Komponenten und Details, kein Gesamtkonzept, in dessen Kontext man diese beurteilen könnte. Das Problem ist, dass bei einem stimmigen großen Ganzen gut über einige Punkte hinweggesehen werden kann, ganz nach dem Motto: »Der Zweck heiligt die Mittel«. Bei bloßer Anhäufung entwurflicher Kleinigkeiten geht das so nicht. Was nicht zusammenhängt, zerfällt nun einmal: So werden z. B. die vielen tropischen Pflanzen künstlich belichtet. Ist das nötig in einem Gebäude mit diversen Oberlichtern, auf einem Breitengrad, der intensives Himmelslicht garantiert?

Es wäre eine einfache Gelegenheit gewesen, zumindest etwas von der Ortsspezifik in der Gestaltung wirken zu lassen. In Anbetracht der geografischen Lage könnte man sich zudem fragen, warum es keine Photovoltaik auf dem Dach gibt. Eine gestalterische Herausforderung wäre daraus nicht einmal entstanden, denn ein Blick aus dem Flugzeugfenster zeigt, dass der obere Abschluss nicht als fünfte Fassade eines Gesamtkunstwerks behandelt wurde. Und warum ist das Terminal nicht über den flughafeneigenen Skytrain mit den anderen Terminals verbunden, sondern über eine Busverbindung, die nur Terminal 2 anfährt und mit Wartezeit fast 20 Minuten in Anspruch nimmt?

Gewinnmaximierung statt Ode an das Fliegen

Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Zumindest keine direkten. Nach viel koordinatorischem Hin und Her mit dem Marken- und Kommunikationsmanager von SAA, den federführenden Planern, wurde das vereinbarte Gespräch mit Projektleiter Toh Kok Kin wieder abgesagt. Das leitendende Büro zeigt sich hier genauso unnahbar wie das Konzept, das es zu entwerfen verabsäumt hatte. An die Stelle eines Architekten tritt der Kommunikationsspezialist, und kommuniziert schließlich nicht, an die des Gestaltungskonzepts tritt der Markenauftritt des Flughafens Changi. Den Platz des architektonischen Konzepts scheint das wirtschaftliche einzunehmen: Gewinnmaximierung statt Ode an das Fliegen.

Bei der räumlichen Gestaltung wurde nichts unternommen, um den Charakter des Gebäudes auszubilden. Hervorgebracht wird er einzig und allein aus der Markenidentität seines Betreibers. Die farbigen Teppiche und Deckenbekleidungen aus Metall beispielsweise finden sich auch in den Terminals 1-3 wieder und sind ein typisches Accessoire der Changi Airport Group, nicht einer besonderen Architektur – Schuppen also, mit dem visuellen Auftritt der Flughafengesellschaft dekoriert.

Zeichen der Zeit

Nun ist ein Flughafen kein reines Kunstobjekt. In erster Linie muss ein Abfertigungsgebäude funktionieren und sich ökonomisch tragen. Und das tut Changis Terminal 4 allemal. Die Diskussion »duck« versus »decorated shed« ist hier ganz aktuell, denn das Singapurer Abfertigungsgebäude funktioniert nicht nur sehr gut, sondern ist auch noch ein bei den Benutzern äußerst beliebter »Schuppen«. Aber was sagt diese Architektur aus über Zeit und Gesellschaft, in der sie entsteht?

Ob nun Kunst oder nicht – Architektur ist immer auch ein Ausdruck des Zeitgeists. So waren Eero Saarinens Terminals in New York und Washington, die beide 1962 eröffnet wurden, skulpturale Zeichen des Fortschritts und der damaligen Faszination des Fliegens – Bewegung in Beton gegossen. In SAAs Entwurf für das Terminal 4 am Flughafen Changi zeigt sich hingegen eine konzeptionelle Leere, die eine Reduktion auf Markenwerte als Leitwerte unserer Zivilisation widerspiegelt. Der Passagier vermag den Unterschied zwischen Ente und decorated shed vielleicht nicht bewusst zu spüren, aber die verkaufspsychologische Optimierung von Terminal 4 hat nicht zuerst sein Wohlergehen im Sinn.


  • Standort: Flughafen Changi, Singapur

    Bauherr: Changi Airport Group
    Architekten: SAA Architects, Singapur; Benoy, Singapur; AECOM, Los Angeles; Beca,
    Singapur/Auckland
    Tragwerksplanung: RSP Architects Planners & Engineers, Singapur
    TGA-Planer: Surbana Jurong, Singapur
    Tiefbauingenieure: T.Y. Lin International, Singapur/San Francisco
    Generalunternehmer: Takenaka Corporation, Singapur/Osaka

Stefan Tuchen hat eine Schwäche für Flughäfen und Flugzeugessen. Im Bild nebenan befindet er sich gerade irgendwo zwischen dem Flughafen Changi und Helsinkis Vantaa Airport.


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