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Unterwasserrestaurant »Under« Lindesnes-Båly + Snøhetta

Die Offenheit der Tiefe
Unterwasserrestaurant »Under« Lindesnes-Båly (N)

An der südnorwegischen Küste wurde eine Betonröhre in die Nordsee gesenkt, um die Gäste eines gehobenen Restaurants mit einem Unterwasser-Erlebnis zu verwöhnen. Die ansprechend gestalteten Innenräume sind auf eine 25 cm dicke Acrylglasscheibe hin ausgerichtet, die den Gastraum von der offenen See trennt, und stellen gängige Vorstellungen von physischer Abgeschlossenheit und gefühlter Offenheit auf den Prüfstand.

Architekten: Snøhetta
Tragwerksplanung: Asplan Viak

Kritik: Wojciech Czaja
Fotos: Ivar Kvaal, Inger Marie Grini, Jürgen Pollak, Robert Mehl

Früher leitete der heute 32-jährige Chefkoch Nicolai Ellitsgaard den Gourmettempel Måltid im 70 km entfernten Kristiansand – bis ihn vor etwa zwei Jahren der Hotelbesitzer und Investor Stig Ubostad anrief, um ihm ein abgrundtief unmoralisches Angebot zu unterbreiten. »Als ich die Pläne und die ersten Visualisierungen gesehen habe, ist mir die Spucke weggeblieben. Alles, was ich herausbrachte, war: Wo muss ich unterschreiben?«

Seit wenigen Monaten ist die surreal wirkende, sich nach außen hermetisch abschottende Skulptur nun Wirklichkeit. Im Innern der betonierten Röhre, die wie eine umgekippte Stele im Fjord liegt, befindet sich das erste Unterwasser-Restaurant Europas und das größte seiner Art weltweit. Mit Superlativen hält man sich hier, am Fjord von Båly, rund 90 Autominuten vom nächsten Flughafen entfernt, keineswegs zurück: Der Name »Under« ist mit größter Programmatik und Medienwirksamkeit gewählt und bezieht sich nicht nur auf die hier zur Marke erhobene Lage unter der Wasseroberfläche, sondern ist zugleich auch das norwegische Wort für Wunder.

»Und an diesem Wunder haben wir wirklich intensiv gearbeitet«, erzählt Bauherr Stig Ubostad, der hier vor einigen Jahren ein mehr schlecht als recht funktionierendes Hotel mit 98 Zimmern geerbt hat. Das wunderbare Restaurant, so der Plan, sollte seine Herberge endlich aus den roten Zahlen hinauskatapultieren. »Wissen Sie, diese Region lockt nur einige norwegische Naturliebhaber an und ist international kaum bekannt. Daher habe ich beschlossen, in den Fjord eine Landmarke zu setzen. Ein architektonisches Bauwerk, das weltweit einzigartig ist. Mit wem realisiert man so ein Projekt – wenn nicht mit dem besten Architekturbüro Norwegens!«

Die Architekten von Snøhetta, die sich mit der Bibliothek von Alexandria und der Oper von Oslo bereits international einen Namen machen konnten, entwarfen ein Gebäude, das nicht nur den Faktor Standort neu denken lässt, sondern das auch neue Sichtweisen auf Land und Wasser, auf oben und unten, auf innen und außen, auf hell und dunkel, auf offen und geschlossen provoziert. Oder, wie Kjetil Trædal Thorsen, Gründungsvater und Partner von Snøhetta meint: »Dieses Bauwerk ist in jeder Hinsicht ein Hybrid, der mit scheinbar diametralen Positionen spielt und experimentiert. Doch dann merkt man plötzlich, dass dieses hybride Objekt weniger spaltet als vielmehr die vermeintlichen Kontraste und Differenzen in einer neuen, überraschenden Synthese vereint.«

Während der Zugang zur rund 35 m langen, unter 20 Grad versenkten Betonröhre über eine stählerne Gangway erfolgt und die kleine Terrasse vor dem Eingang noch ein wenig an eine mit hochglanzlackierten Eichenbohlen ausgelegte Luxusyacht erinnert, schließt sich die an einer Ecke wie mit einem feinen Skalpell amorph aufgeschabte Skulptur bald zu einem kastenförmigen XXL-Profil und verschwindet mit archaischer Wucht in den mal spiegelglatt ruhigen, mal wütend tosenden Tiefen des Meeres. Auffällig ist die leichte, konvexe Bauchung der Oberfläche, die sich nicht mit nackter, mathematischer Geometrie zufriedenzugeben scheint, sondern in ihrer Anspannung fast schon etwas männlich Muskulöses hat.

»Wir sind an einem besonderen Ort und müssen mit den Kräften der Natur arbeiten, die uns hier auf Schritt und Tritt begegnen und die das Projekt maßgeblich mitgeformt haben«, sagt Thorsen. »Die aquadynamische Bauchung haben wir in Simulationen errechnet. Sie garantiert, dass selbst bei stärksten Stürmen das Gebäude niemals wie eine Barriere wirkt. Die großen Wellen werden den Beton weich umspülen und über den Eingangsbereich schwappen.« Schade nur, dass an genau jener Stelle, an der die Gebäudeunterseite die Wasseroberfläche durchsticht, die Illusion der schräg lehnenden Betonröhre massiv gestört wird. Denn rund 30 cm über dem Wasser knickt die Gebäudekontur ab und setzt sich senkrecht nach unten fort. Der morphologische Kompromiss ist verhängnisvoll. »Der Knick war unter der Wasseroberfläche geplant, dann wäre er nicht mehr sichtbar gewesen. Wir haben lange gegen die Statik gekämpft. Schließlich mussten wir uns geschlagen geben.«

Betoniert wurde das Gebäude übrigens auf einem schwimmenden Ponton, der in der Nachbarbucht in 100 m Entfernung vor Anker lag. In einer eintägigen Reise wurde das 1 600 t schwere Ungetüm nach monatelanger Aushärtungszeit im Juni 2018 mit Seilen und luftgefüllten Tarierballons an Ort und Stelle gezogen. Dort wurde der massive, doppelwandig betonierte und mit einer innenliegenden Wärmedämmung versehene Hohlkörper, der zu diesem Zeitpunkt bereits verglast und wasserdicht gemacht worden war, mit Gewichten belastet, z. T. mit Wasser geflutet und schließlich mit acht riesigen Ankerbolzen in 5 m Tiefe ans Fundament geschraubt.

5.000 Millimeter unter dem Meer

Auf der obersten Etage der Röhre befinden sich der Empfang mit Garderobe und Zugang zum Lift. Der Fußweg führt Stufe für Stufe in immer dumpfer, immer blauer werdende, sehnsüchtig in die Tiefe saugenden Gefilde hinab. Auf der nächst unteren Etage wartet die Bar mit dem sich elegant an die Fassade schmiegenden Lounge-Bereich. Das hier eingeschnittene Acrylglasfenster, ein vertikaler, schmaler, bis ins 2. UG reichender Schlitz, offenbart die Lage direkt am Übergang zwischen Über- und Unterwasser; die Wellen tanzen an der Glasscheibe, oben fliegen Vögel, unten schwimmt ein Zwergseeskorpion durch das bläulich leuchtende Nass.

Mit dem Fensterschlitz offenbart sich bereits das lang gehütete Geheimnis der Offenheit und Verschlossenheit dieses Gebäudes, denn zu keiner Sekunde wirkt das Under eng oder gar klaustrophobisch, wie man an Land gemeinhin noch vermuten mag. Der Innenraum wirkt luftig und hell und im besten Sinne des Wortes in eine nordische Mystik getaucht. Erstaunlicherweise gibt nicht die Lichtmenge, sondern allein die Farbtemperatur Aufschluss über die Unterwasserlage: In den ersten 5 m unter der Wasseroberfläche werden nach und nach die Rotschwingungen aus dem Spektrum herausgefiltert, und je tiefer man hinabsteigt, umso bläulicher wird das Rundherum. Kleine LED-Spots im Plafond korrigieren die Wellenlänge und sorgen dafür, dass einem das Date vis-à-vis nicht wie eine blaulippige Wasserleiche erscheint.

Weitere perfekt bis zum letzten Millimeter verarbeitete Holztreppen führen schließlich hinab in die blauesten Tiefen. An der Decke und an den Wänden wird der Raum von sisal-artigen, mit bunten und naturfarbenen Fäden gewebten Paneelen gesäumt. Die akustisch wirksamen Platten sind eine Sonderanfertigung des dänischen Stoffproduzenten Kvadrat. Mittels eines Algorithmus wurde die Produktion der aus nicht brennbarem Trevira-Garn gewebten Matten so programmiert, dass sich mit jedem Tiefenmeter die Fadenfarbe verändert, dass sie von Rot zu Grün und Blau wechselt, dass sie über den gesamten Innenraum betrachtet ein lebendig changierendes Bild erzeugt. Die akustische Maßnahme ist bitter nötig, denn die Geräusche der selbst entworfenen Holzstühle auf dem mit einer Fußbodenheizung ausgestatteten Terrazzo wären ohne die hübschen Paneele wohl noch durchdringender.

Unten angekommen darf man für rund 225 Euro das 18-gängige Menü genießen, das erklärtermaßen die Ressourcen vor Ort nutzt, das Meer und die Wiesen und Wälder rundherum.

Und plötzlich schwimmt wieder ein Zwergseeskorpion vorbei – die gesamte Gastgesellschaft lässt den zweiten Gang links liegen und strömt zum Fenster. Die 11 m breite und 3 m hohe Acrylglasscheibe musste wegen des hohen Wasserdrucks massiv und 25 cm dick (!) dimensioniert werden. Auf dem künstlichen Riff davor haben sich in den letzten Monaten, zwischen den olivgrünen Kelpblättern Schutz suchend, Venusmuscheln und Seeigel angesiedelt. Am Abend wird es künstlich beleuchtet, worauf sich das Fenster vor den bis zu 40 speisenden Gästen in einen 33 m² großen Lampenschirm verwandelt.

»Das Wasser zu beleuchten klingt nach einem dramatischen Eingriff in die Natur«, erklären die beiden Meeresbiologen Trond Rafoss und Kim Halvorsen, die das Projekt von Anfang an begleitet haben und im Under nicht nur ein Restaurant, sondern auch eine maritime Beobachtungsstation sehen. »Aber die permanente Lichtverschmutzung in den Dörfern und Städten hat weitaus größere Auswirkungen als die sieben Scheinwerfer, die in den Abendstunden die paar Kubikmeter des Meeres ausleuchten. Viele Fische fühlen sich vom Licht angezogen. Und die anderen, die das Licht scheuen, werden ohnehin fernbleiben.« Ob sich das karge Bild mit dem irgendwie distanziert wirkenden Blick in die maritime Fauna und Flora dann intensivieren wird, darf man anzweifeln; die Nordsee ist nicht der Indische Ozean.

Mit rund 7,2 Mio. Euro, die in Forschung, Entwicklung und Errichtung flossen, soll das Unterwasser-Restaurant nicht zuletzt den internationalen Tourismus, der die norwegische Südküste auf dem Weg nach Stavanger, Bergen und auf die Hurtigruten bisher übersprungen hat, ankurbeln. Das Konzept könnte aufgehen – am 2. April wurde das Lokal, das nordischen Matadoren wie Noma (Kopenhagen) und Maaemo (Oslo) Konkurrenz machen soll, eröffnet. Die Tische sind bis November ausgebucht.

https://under.no/

Grundriss EG: Snøhetta, Oslo
Grundriss 1. UG: Snøhetta, Oslo
Grundriss 2. UG: Snøhetta, Oslo
Lageplan: Snøhetta, Oslo
Schnitt: Snøhetta, Oslo
Schnitt: Snøhetta, Oslo

  • Standort: Bålyveien 48, N-4521 Lindesnes

    Bauherren: Lindesnes Havhotell (Gaute und Stig Ubostad)
    Architekten: Snøhetta, Oslo
    Tragwerksplanung: Asplan Viak, Sandvika
    Beratung Wellenschlag: CoreMarine, Oslo
    Brandschutzplanung: Drag, Lyngdal
    Akustikplanung: Brekke & Strand Akustikk, Oslo
    Lichtkonzept: ÅF Lighting, Stockholm
    Meeresbiologe: Trond Rafoss, Ås
    BGF: 495 m²
    Baukosten: rund 70 Mio NOK (etwa 7,2 Mio. Euro)
    Bauzeit: November 2017 bis März 2019

Unser Kritiker Wojciech Czaja fühlte sich unter Wasser ziemlich wohl. Der leidenschaftliche Taucher erfreute sich der Exotik und Verrücktheit dieses Orts und nutzte die Zeit zwischen den Gängen für Notizen und zum Fotografieren von Meeresschnecken, die gemächlich über die Scheibe krochen.

Wojciech Czaja
1978 geboren. Architekturstudium an der TU Wien. Freischaffender Architekturjournalist für Tagespresse und Fachmagazine. Zahlreiche Bücher. Seit 2005 Tätigkeit für die österreichische Tageszeitung Der Standard.

Snøhetta

1989 gegründet. Seitdem Projekte mit transdisziplinärem Ansatz zwischen Architektur, Landschafts- und Innenarchitektur, Grafik- und Produktdesign. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Aga Khan Award; Mies van der Rohe Award und European Prize for Urban Public Space für die Osloer Oper.


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