Architekten: Dominique Coulon & associés
Tragwerksplanung: Batiserf Ingénierie
Kritik: Achim Geissinger
Fotos: Eugeni Pons
Wer Dominique Coulons kompromisslose Farb- und scharfkantige Geometriespiele kennt, wird in Huningue fast ein wenig enttäuscht sein. Die Seniorenresidenz fällt zwischen der in kubischer Formensprache gestalteten Kindertagesstätte »La Nef« und einer Reihe recht durchschnittlicher Doppelhäuser kaum ins Gewicht. Sie führt vor Augen, dass gute Architektur weniger von der ästhetischen Gestalt abhängt als vielmehr von den Angeboten, die sie macht.
Stützend und sicher
Die Bewohner zahlen etwa 660 Euro im Monat für die Warmmiete und zusätzliche 450 Euro für die Pflege der üppigen Gemeinschaftsflächen, die Teleassistenz per Notrufarmband und für die sechs Alltagsbegleiterinnen, die Versorgung rund um die Uhr und auch einiges an unterhaltsamem Programm anbieten. Die Mahlzeiten werden nochmals gesondert abgerechnet. Schnell addieren sich die moderaten Preise zu Summen, die sich die Interessenten erst einmal leisten können müssen. Der bezugreiche Name des Hauses kommt nicht von ungefähr: »Dunette« bezeichnet auf Französisch die oberste Ebene des Achterdecks von Segelschiffen, auf der die ranghöchsten Passagiere untergebracht werden.
Man geht davon aus, dass sich die Bewohner im Grunde selbst versorgen können. Das tun sie z.T. auch, was die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage erklärt: Einige erhalten sich ihre (Auto-)Mobilität und erledigen ihre Einkäufe motorisiert.
Alle profitieren von Computerkursen in einem eigens dafür eingerichteten Raum, von einer Frisierstube daneben, einem Bastelraum im UG, einem Gemüse-Garten und dem Pétanque-Feld am Eingang, das auch gerne von Senioren aus der Nachbarschaft genutzt wird. Der Standort könnte kaum besser gewählt sein: Hinten die Rheinpromenade, vorne eine der Hauptstraßen samt Bushaltestelle, keine drei Schritte entfernt von den parkartig angelegten Ufern eines Rhein-Kanals. Direkt nebenan bietet ein Seniorentreff diverse Freizeitbeschäftigungen an, und auch die frühkindliche Betreuungseinrichtung gegenüber findet immer wieder Anlass, mit den Kleinen auf einen Besuch herüberzukommen.
Auf konzeptioneller wie auf gestalterischer Ebene findet das Haus die Balance zwischen dem nötigen geschützten Rahmen, aber auch einer gewissen Durchlässigkeit, die Möglichkeiten eröffnet. Das Betreten des Grundstücks ist mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht unbedingt erwünscht, aber auch nicht explizit untersagt. Ein Bezug zum Außenraum ist von fast allen Stellen aus gewährleistet. Das äußere Erscheinungsbild hebt sich in seiner Klarheit zwar deutlich vom Umfeld ab, leitet aber mit der Ziegelfassade wie selbstverständlich von der Kindertagesstätte über zur Wohnbebauung. Das flirrende Bild der handgearbeiteten, stellenweise zu Mustern arrangierten Steine mildert die Schärfe der Kanten ab und gibt den Oberflächen eine erstaunliche Tiefe. Das Gefühl von Schwere und Festigkeit des Mauerwerks bleibt dabei erhalten.
Über die Verschwenkung der Felder neben den Fenstern kann man streiten; innerhalb der orthogonalen Fassadenstruktur wirken die Schrägen fremd und unnötig. In den Zimmern betonen sie jedoch die großzügige Festverglasung und geben dem Wohnraum Struktur. Beim Öffnen der Lüftungsflügel versperrt unerwartet ein Ziegelgitter den freien Blick; es bedient Sicherheitsaspekte von Einbrechen bis Hinausfallen. Der Querschnitt kann im Hochsommer kein Gefühl der Erfrischung mehr vermitteln, obwohl die mechanische Zwangslüftung übers Bad ausreichend dimensioniert ist. Auch ist die Brüstung zu niedrig, um auf ihr sitzen zu können – optisch hingegen ist das Maß richtig gewählt.
Als gute Wahl erscheint auch die Pelletheizung, die sowohl die Kita als auch das Wohngebäude versorgt. Die Fußbodenheizung in der Halle wird im OG und in den Wohneinheiten von Radiatoren ergänzt – ein gusseisernes Modell, das in angedeutetem Vintage-Design Bekanntes und Gewohntes anklingen lässt.
Die ersten Anzeichen fortschreitender Aneignung verträgt das Gebäude sehr gut. Einige Pflanzen haben den Weg in Flure und Hallen gefunden wie auch das eine oder andere Kunstwerk. Es gibt viel Solidarität unter den Bewohnern, man schaut nacheinander und unterstützt sich nach Kräften. So manchem hat der Einzug ins Achterdeck zu mehr Selbstständigkeit im Alltag verholfen, zu neuer Energie – Würde.
- Standort: 41, rue du Maréchal Joffre, F-68330 Huningue
Bauherr: Gemeinde Huningue
Architekten: Dominique Coulon & associés, Straßburg
Mitarbeiter: Dominique Coulon, Olivier Nicollas, Gautier Duthoit (Wettbewerb); Javier Gigosos-Ruipérez, Diego Bastos-Romero, Olivier Poulat (Bauleitung)
Tragwerksplanung: Batiserf Ingénierie, Fontaine
HLS-Planung/Nachhaltigkeit/Brandschutz: Artelia, Lyon
Kostenplanung: E3 économie, Straßburg
Akustikplanung: Euro sound project, Straßburg
Freiraumgestaltung: Bruno Kubler, Straßburg
BGF: 3 932 m²
Baukosten: 4 Mio. Euro (netto)
Bauzeit: März 2016 bis Dezember 2017 - Beteiligte Firmen:
Bauunternehmen: Mäder, Guebwiller, www.mader-group.com
Beton-Pigmente: LANXESS Inorganic Pigments, Köln, www.lanxess.de
Ziegel: Briquetterie Pierre Lanter, Hochfelden, www.brique-lanter.com
Konsolen: Etanco, Wilnsdorf-Wilden, www.etanco.de
Mauerwerk: Scherberich, Colmar, www.scherberich.com
Keramikböden: Villeroy & Boch, Mettlach, www.villeroy-boch.com;
Cerámica Elias, Afores, www.ceramicaelias.com; Mosaic del sur, Málaga, www.mosaicfactory.com
Malerarbeiten: Les peintures réunies, Forbach, www.lespeinturesreunies.com
Aufzug: Schindler, Berlin, www.schindler.com
Leuchten: Targetti; Artemide; Iguzzini; Zumtobel; BEGA; Zangra; IKEA
An einem trüben Herbsttag konnte db-Redakteur Achim Geissinger vor dem Nieselregen in das Seniorenwohnheim »La Dunette« flüchten. Die Bilder hatten ihm spannungsreiche Perspektiven und Materialkontraste versprochen – mit einer derart angenehmem Atmosphäre und hoher Aufenthaltsqualität in allen Bereichen hatte er hingegen nicht gerechnet.
Dominique Coulon & associés
Dominique Coulon
1989 Diplom und Bürogründung, 1999 Weiterbildung in nachhaltiger Planung. Seit 1990 Lehrtätigkeit, seit 2005 Professur an der ENSA Straßburg. Zahlreiche Auszeichnungen.