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Schwefel, Glasscherben und Spritzputz

Innenraumgestaltung: zwei Bars und eine Weinkellerei
Schwefel, Glasscherben und Spritzputz

»Auf den Ort reagieren« – Die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Walter Angonese und dem Künstler Manfred Alois Mayr begann 2001 mit einer behutsamen Intervention beim Weingut Manincor am Kalterer See und setzte sich in der Neugestaltung der Barriquekeller der Kellerei St. Michael in Eppan sowie der Ausgestaltung einer Bar in Kaltern und in Bruneck fort. Alle Projekte zeichnet der sensible Umgang mit Raum und Farbe aus.

    • Architekt: Walter Angonese
      Künstlerische Intervention: Manfred Alois Mayr

  • Text: Hubertus Adam
    Fotos: Günter Richard Wett
Das Weingut Manincor bei Kaltern, das Walter Angonese zwischen 2001 und 2004 mit Rainer Köberl aus Innsbruck und der Meraner Architektin Silvia Boday für Michael Graf Goëss-Enzenberg errichtet hat, kann als ein Markstein der jungen Südtiroler Architektur gelten. Während anderenorts mit Label-Architektur eine Show im Weinberg inszeniert wird, wählte man hier eine gegenteilige Strategie: Die Baumasse – wiewohl von atemberaubenden Dimensionen – wurde im Weinberg verborgen und tritt lediglich in Form von vier unterschiedlich dimensionierten räumlichen »Schnorcheln« in Erscheinung. Dabei wird der obere Ausgang von einer der früher für den Südtiroler Rebbau typischen Pergolen überfangen, die indes nicht aus Holz besteht, sondern aus Metall. Der in Berlin lebende Künstler Erik Steinbrecher hat Rund- und Kanthölzer der vormaligen Pergolastrukturen abgegossen und so einen Ort der Erinnerung geschaffen. Neben Steinbrechers Pergola entschieden sich Walter Angonese und der Bauherr zu weiteren künstlerischen Installationen am Weingut. Dabei kam es zu einer ersten Zusammenarbeit zwischen Angonese und dem in Goldrain im Vinschgau tätigen Künstler Manfred Alois Mayr. Derlei Auftragsarbeiten, so erklärt Mayr im Gespräch, böten ihm die Möglichkeit, die Ausdehnung der Farbe in großen Dimensionen zu erproben: Farbe, verstanden als Material zum Bauen, prägt die Wahrnehmung eines Raums; und so spricht der Künstler auch von schnellen und langsamen sowie von schweren und leichten Farben – und von dem Potenzial der Farbe, Räume zu verkürzen oder auszudehnen. Man solle die Farbe spüren, nicht eigentlich sehen, fordert er.
Barriquekeller St. Michael
Die Neugestaltung der Fasskeller für die Kellerei St. Michael im nahe gelegenen Eppan mag man als Folgeprojekt von Manincor sehen. Die 1907 gegründete Kellereigenossenschaft, der 355 Mitglieder angehören und die besonders durch ihre Weißweine bekannt geworden ist, hat sich in den vergangen Jahren einen hervorragenden Ruf erworben – im Jahr 2000 wurde sie vom Slow-Food-Weinführer »I Vini d’Italia« zur Kellerei des Jahres gekürt. Das mächtige Kellereigebäude aus der Zeit nach 1900 hatte in den siebziger Jahren bauliche Veränderungen zur Aufnahme von Gärtanks erfahren; dabei war über zwei bestehenden Kellergeschossen eine durch V-förmig sich aufspreizende Stahlbetonstützen gegliederte Raumstruktur entstanden. Angonese, der bei diesem Projekt von Beginn an mit Mayr zusammenarbeitete, hatte die Aufgabe, diesen Raum als Barriquekeller für Rotweine neu zu gestalten. Weil ein nördlich anschließender kleiner Raum für Degustationen verwendet werden sollte, entschieden sich Künstler und Architekt für eine deutliche Inszenierung: Die Pfeilerstruktur wurde mit einer Unterkonstruktion verhüllt, so dass sich ein Gefüge aus zwei im Querschnitt annähernd trapezoiden Räumen ergibt. Ein grober grauer, leicht ins rosa-rötliche changierender Putz überzieht die Oberflächen sämtlicher Wände und Decken; eingelassen sind klein geschlagene Scherben von Weinflaschen. Die Außenwände werden indirekt beleuchtet, so dass das eigentlich banale Recyclingmaterial aufblitzt und funkelt und dem Raum ein festliches Gepräge verleiht.
Bei den Tonnengewölben im darunter liegenden Geschoss für die Weißwein-Barriques ging man – ebenso wie bei der Stahlbetonhalle zuunterst – zurückhaltender vor: Der Putz wurde auf seinen Ursprungszustand zurückgeführt, lediglich behutsam geflickt und mit Strahlerbündeln versehen, welche die Fässer in ein magisches Licht tauchen. Spektakulärer Blickfang ist der schwefelgrün gestrichene Durchgangstunnel in einen kleinen Nachbarraum. Bei letzterem handelt es sich um einen ehemaligen Weintank, wohl aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, der nun auch als Fasskeller dient. Der Raum ist ringsum ausgekleidet mit schwarz-grauen Fliesen aus geriffeltem Pressglas, die als seinerzeit übliche Industrieprodukte heute die Atmosphäre einer Schatzkammer anklingen lassen (eine vergleichbar umgenutzte Raumsequenz findet sich auch eine Ebene höher) – Lösungen für gestalterische Probleme bedeuten Reagieren auf den Ort und seine Spezifik.
»Zum lustigen Krokodil«
2005 realisierten Angonese und Mayr, die derzeit mit einer Reihe weiterer Projekte befasst sind, noch zwei Bars: Im Ortskern von Kaltern widmeten sie sich einer 1953 eröffneten Bar, die in der Einwohnerschaft unter dem Namen »Zum lustigen Krokodil« bekannt ist. Über die Jahre etwas abgewirtschaftet, benötigte das lediglich aus dem kleinen Barraum und einem noch kleineren Annex bestehende Etablissement dringend eine Erneuerung. Aber Künstler und Architekt haben der Bar kein modisches Facelifting verpasst, sondern in einem zurückhaltenden Sinne weitergebaut. Erhalten blieb, was sich erhalten ließ: der charakteristische Fußboden der Fünfziger, aber auch die durchgehende Täfelung. Hinzugekommen sind Stühle, Tische und Tresen. Auch die schlichten Beleuchtungskörper und die Farbgebung. Was aber alt und neu ist, lässt sich kaum auf den ersten Blick erkennen – und soll es auch nicht. Ziel ist nicht aufdringliche modische Trendigkeit, sondern Selbstverständlichkeit. Entstanden ist ein nicht-exklusiver Raum, ein Raum für den Touristen ebenso wie für den Bauern: ein Raum mithin für alle. Ein Ort im Ort, wie es Mayr ausdrückt, der etwas anderes ist und sich doch im Hintergrund zu halten vermag. Ein Ort, bei dem lediglich Architekturtouristen versuchen, nach der Autorschaft von Künstler und Architekt zu fragen.
»Ett?«
Nahezu zeitgleich haben Angonese und Mayr die Tagesbar »Ett?« im Erdgeschoss eines abgerissenen und wieder aufgebauten Hauses im Zentrum von Bruneck im Pustertal eingerichtet. »Ett?« heißt im Pustertaler Dialekt »nicht wahr?«, und weil die Wirtin Hildegard Stabinger nahezu jeden Satz mit dieser Wendung beendet, war der Name der Bar gefunden. Zur Verfügung stand ein extrem langer und schmaler Raum, der nur von der Stirnseite aus Tageslicht erhält. Eine durchgehende Bank entlang der rechten Wand nutzt, wie auch die darüber installierte grünliche Tafelfläche, die gesamte Raumtiefe; weiße Tischchen sind in den Schlitz der Rückenlehne gesteckt und lassen sich je nach Bedarf verschieben. Links folgt auf das Flaschenregal im Eingangsbereich der Barbereich mit dem mittig im Raum platzierten und von vier Hängeleuchten erhellten Tresen. Anders als im »Krokodil« setzen die Entwerfer hier nicht auf Pigment-, sondern auf Materialfarben und Materialeigenschaften. Der Spritzputz wurde auf die Gipskartondecke aufgebracht, im Kontrast dazu steht das dunkel glänzende Holz von Tresen und Bank. Auf ein Vorbild für den Umgang mit beschränktem Raum angesprochen, nennt Walter Angonese zu Recht die Bar schlechthin – nämlich Adolf Loos’ Bar im Wiener Kärntner Durchgang.


  • Barriquekeller St. Michael: Bauherr: Kellerei St. Michael, Eppan
    Architekt: Walter Angonese, Kaltern, in Zusammenarbeit mit Manfred Alois Mayr (Künstler), Bozen
    Bauzeit: Sommer 2006
  • Beteiligte Firmen:
    Unterkonstruktionen: Raffeiner Holzbau, Eppan
    Putze: Pescoller Werkstätte, Bruneck, www.pescoller.it
    Böden: Bitu Terrazzo, Hard/Dornbirn
    Maßlicht: Lichtfabrik Halotech, Innsbruck
  • Bar »Zum lustigen Krokodil«: Bauherr: Arnold von Steffenelli und Stefan Florian, Kaltern
    Bauzeit: Herbst 2005
  • Beteiligte Firmen: Rohbau: Datz, Kaltern
    Maler- und Putzarbeiten: Christian Thaler, Kaltern
    Innenausstattung: Barth Innenausbau, Brixen, www.barth.it
  • Bar »Ett«: Bauherrin: Hildegard Stabinger, Sand in Taufers
    Bauzeit: Frühjahr 2006
  • Beteiligte Firmen: Stahlbau und Türen: Auroport Bruneck mit Glasbau Seyr, Bruneck, wwww.auroport.it, www.auroport.it
    Haustechnik: Jesacher, Bruneck
    Malerarbeiten: Innerbichler, Sand in Taufers, www.auroport.it
    Küchentechnische Einrichtung: Ungerer, Naturns, www.auroport.it
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