1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Gesundheit | Pflege »

Pflege mit Aussicht

Pflegeheim in Lana/Völlan, Südtirol (I)
Pflege mit Aussicht

Stille Gemütlichkeit und extrovertierte Transparenz sind hier keine Gegensätze, sondern Ausdruck einer bemerkenswerten Normalität, die auch die z. T. über hundert Jahre alten Bewohner sehr schätzen. Sicher, die herrliche Bergluft und die liebevollen Ordensschwestern tragen ihren Teil bei, einen ganz wesentlichen Beitrag leistet aber auch die sensibel ins soziale Umfeld eingepasste Architektur.

    • Architekt: Arnold Gapp
      Tragwerksplanung: Robert Baldini

  • Kritik: Roland Pawlitschko
    Fotos: Jürgen Eheim
In Serpentinen windet sich die Straße von der quirligen Ortschaft Lana gut 500 Höhenmeter hinauf in den rund 1 000 Einwohner zählenden Teilort Völlan und hinein in eine zurückgezogene Welt mit Wäldern, Wein- und Obstanbaugebieten und einem fantastischen Blick über das Etschtal. In dieser Abgeschiedenheit gründete der Deutsche Orden 1852 ein Hospiz, das zuletzt als Altenheim mit rund 40 Bewohnern genutzt wurde, sich aber aufgrund überalterter Baustrukturen kaum mehr für das von den Ordensschwestern propagierte »ganzheitliche Pflegekonzept« eignete. Also initiierten sie einen Planungswettbewerb zur Modernisierung des Gebäudebestands und Realisierung eines ergänzenden Neubaus. Ziel der Planungen war ein dezidiert modernes Haus mit großzügigen Räumen und wohnlichem Ambiente, das sowohl den Vorstellungen von einer menschenwürdigen Pflege als auch den umfassenden »Baurichtlinien für Alten- und Pflegeheime des Landes Südtirol« genügen sollte. Vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs an Wohnplätzen und im Sinne eines wirtschaftlichen Betriebs sollte das Haus insgesamt 75 größtenteils schwer pflegebedürftige Bewohner aus Lana, Meran und Umgebung aufnehmen.
Selbstbewusstes Miteinander
Das neue Pflegeheim St. Josef des Südtiroler Architekten Arnold Gapp liegt exponiert auf einem Bergrücken unweit von Dorfkirche und Dorfmitte. Zur Talseite erscheint es als 85 m lange Großform mit drei Ober- und zwei Untergeschossen sowie einer relativ einheitlichen Fassadengestaltung. Damit zeigt es zwar jene selbstbewusste städtebauliche Präsenz, die angesichts des auch hier immer wichtigeren Themas »Wohnen im Alter« durchaus erwünscht war. Für Völlaner Verhältnisse unmaßstäblich ist es aber nur deshalb nicht, weil es aufgrund seiner Hanglage von kaum einem Standort aus in vollständiger Länge zu sehen ist. Im Gegensatz hierzu präsentiert sich das Gebäudeensemble aus Altbau, Neubau und nördlich angegliederter Hauskapelle von der Eingangsseite als überraschend plastisch und feingliedrig. Hier gruppieren sich der frei stehende, behutsam sanierte Alt- und der zweiflügelige Neubau um einen zur Dorfmitte offenen Innenhof, wobei die Abwechslung zwischen verputzten bzw. großflächig verglasten Holzfassaden für ein selbstverständliches Miteinander der Baukörper sorgt.
Mehr als Transparenz
Die Idee des gemeinschaftlichen Miteinanders spiegelt auch die transparente Eingangsfassade wider. Einerseits ist sie architektonischer Ausdruck der Erneuerung und wirkt mit herausfordernder Offenheit dem landläufigen Bild der ins Heim abgeschobenen Alten entgegen, andererseits gewährt sie vielfältige Einblicke auf die wichtigsten, quasi öffentlichen Hausbereiche – Küche, Mehrzwecksaal und Verwaltung im EG sowie Gemeinschaftsbereiche in den OGs. Dieser Überblick ist von besonderer Bedeutung, weil er den Bewohnern die Möglichkeit bietet, sich trotz Mobilitätseinschränkungen als Teil der Aktivitäten ihrer Lebensumwelt zu betrachten.
Der überschaubare Eingangsbereich ohne offene Theken (der verglaste Empfang ist gleichzeitig Teil der Verwaltung) und ohne aufdringliche Infotafeln oder Aushänge wirkt wie das großzügige Foyer eines Wohnhauses. Und tatsächlich bietet das Hauskonzept in den beiden OGs keine klassischen »Stationen«, sondern jeweils einen Pflegewohnbereich mit 28 Bewohnern. Dieser Bereich besteht neben den für solche Einrichtungen üblichen Nebenräumen überwiegend aus Einzelzimmern, die sich entlang der beiden Gebäudeflügel entweder zum Dorf oder zum Tal hin orientieren – vier Zimmer liegen jeweils im Altbau und sind über einen Glassteg mit dem Neubau verknüpft.
Bewohner statt Insassen
Für eine wohnliche Atmosphäre in den Fluren wie auch in den Zimmern sorgen Parkettfußböden in Kirsche, Wandverkleidungen in Lärche, gekalkte Wände, aber auch Holzfenster, über deren Brüstungen die Bewohner auch vom Bett aus noch gut ins Freie sehen können. Trotz vorgeschriebener technischer Anschlüsse für Sauerstoff- und Absauganlagen oder Notrufsysteme herrscht in den Zimmern keine Krankenhausatmosphäre – gäbe es nicht die Pflegebetten, könnten die Räume ebensogut Hotelzimmer sein. Bündig gesetzte Holzoberflächen, ein großes Oberlicht zum Bad sowie gestalterisch angenehm redu- zierte Möblierungen, Einbauleuchten und sogar Steckdosen bestimmen das Bild. Die konsequente Barrierefreiheit drängt sich weder hier noch in den Bädern oder anderswo im Haus auf. Um beispielsweise den Aufzug (der zugleich Rettungsaufzug ist) jederzeit ohne sichtbare Raumabschlüsse zugänglich zu halten, setzte der Architekt ein hinter der Wandverkleidung verstecktes Brandschutztor ein. Heimleiter Sepp Haller beschreibt dies als »Normalitätsprinzip«: Natürlich müssen die Oberflächen hygienischen und anderen Standards genügen. Doch warum sollten die Räume deshalb durch den Einsatz vertrauter Materialien nicht trotzdem »normal« aussehen und mit persönlichen Gegenständen ausgestattet werden dürfen? In ihren Zimmern machen die Bewohner von dieser Möglichkeit bislang nur zaghaft Gebrauch, weshalb diese letztlich dann doch eher unpersönlich wirken.
Sehen und gesehen werden
Anders als die Privaträume fungieren die Gemeinschaftsbereiche an der Eingangsfassade als offene Kommunikationsflächen, die durch ein vielfältiges räumliches und organisatorisches Angebot (essen, spielen, musizieren, malen, basteln) eine hohe Erlebnisdichte bieten – und damit der Vereinsamung als einem der größten Probleme in Pflegeheimen entgegenwirken. Wie in einem Hotel gibt es in jedem Geschoss unterschiedlich große, mehr oder weniger »öffentliche« Zonen. Für kleinere Runden eignen sich die in einer seitlichen Aufweitung untergebrachte »Stube«, ein weiterer Aufenthaltsraum im Altbau, aber auch die große Loggia, die gleichzeitig Rettungsbalkon für die Feuerwehr ist.
Das vielleicht wichtigste Stück Normalität und vertrautes Gesellschaftsleben ermöglicht den überwiegend katholischen Menschen die zweigeschossige, von den Fluren des 1. und 2. OG barrierefrei zugängliche Hauskapelle. Konzipiert als eigenständiger Baukörper, der sich von den Pflegewohnbereichen und von außen durch grob strukturierte Putzoberflächen abhebt, gibt sich das Innere der Kapelle – ganz im Gegensatz zu den sonst vorherrschenden warmen Holzfarbtönen und transparenten Glasflächen – angenehm kühl und hermetisch. Durch einheitlich sandfarbene Oberflächen, roh verputzte Wände, Natursteinboden und eine indirekte Lichtführung, v. a. aber durch die abstrakte Ausstattung des Meraner Künstlers Manfred Alois Mayr entstand ein Innenraum von bemerkenswert kraftvoller Klarheit und Spiritualität.
Sterben – selbstverständlicher Teil des Lebens
Ergänzt wird dieser Sakralraum durch eine seitliche »Totenkapelle«, die das Sterben als selbstverständlichen Teil des Lebens vor Augen führt. Mit ihrer archaischen Schmucklosigkeit, einem großen hochliegenden Fenster und gleichmäßigem Nordlicht korrespondiert sie wunderbar mit der Hauskapelle und schafft die Möglichkeit, verstorbene Bewohner würdevoll aufzubahren und in aller Ruhe und Ungestörtheit zu verabschieden. Aus diesem Grund ist die Totenkapelle nicht nur von innen, sondern (wegen des ansteigenden Geländes) auch von außen ebenerdig zugänglich – gänzlich unabhängig von den in der Kapelle stattfindenden Rosenkranzgebeten und Gottesdiensten.
Unter der Kapelle, im EG der nördlichen Gebäudeflügel befindet sich ein dritter Pflegewohnbereich für 18 Demenzkranke. Dieser entspricht grundsätzlich den Pflegewohnbereichen der OGs, ist jedoch wesentlich kompakter und introvertierter angelegt, um den Menschen mit massiven Orientierungs- und Gedächtnisproblemen die Orientierung zu erleichtern und störende Außen- reize zu minimieren.
Der große Aufenthaltsbereich am nördlichen Gebäudeende verfügt neben einem Koch- und Essbereich mit Küchenzeile auch über eine Original-Bauernstube aus dem 19. Jahrhundert, die durch typische Gerüche, Oberflächen und Materialien angenehme Erinnerungen bereiten soll. Ob dies tatsächlich funktioniert, können selbst die Schwestern nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings haben sie festgestellt, und dies gilt für alle Heimbewohner, dass die während der Bauphase in ein anderes Pflegeheim ausquartierten Bewohner seit dem Rückzug ins neue Pflegeheim St. Josef deutlich weniger typische Winterkrankheiten aufwiesen als bisher – obwohl sie wegen des erneuten Umzugs, noch dazu in der kalten Jahreszeit, eigentlich mit einem Anstieg gerechnet hatten. Sie führen diesen Effekt nicht zuletzt auf die hohe Behaglichkeit und Offenheit des Hauses, aber auch auf die durch die Glasfassaden wesentlich erhöhte Sonnenein- strahlung zurück.

Die durchschnittlich 90 Jahre alten Bewohner lassen im Gespräch keinen Zweifel daran, dass sie sich hier rundum wohlfühlen. Und stets ist dabei auch ein bisschen Stolz auf das neue Gebäude hoch über dem Etschtal herauszuhören, in dem sie mit den Ordensschwestern wie in einer großen Familie wohnen.


  • Standort: Propst-Wieser-Weg 12, I-39011 Lana/Völlan

    Bauherr: Deutschordensschwestern Lana Architekt: Arnold Gapp, Schlanders
    Projektpartner bis zu 1. Einreichung: Stephan Marx, Martin Thoma
    Tragwerksplanung: Robert Baldini, Marling
    HLS-Planung: Thomas Spitaler, Meran
    Elektro-, Brandschutz- und Evakuierungsplanung: Martin Hofer, St. Martin/Passeier
    Photovoltaikplanung: Studio Contract, Brixen
    Künstler und Autor der Kapelle: Manfred Alois Mayr, Meran
    BGF: 8 164 m² (Neu- und Altbau) BRI: 15 240 m³, (Neu- und Altbau)
    Baukosten: ca. 9,9 Mio. Euro
    Bauzeit: März 2009 bis August 2010
  • Beteiligte Firmen: Verglasung: SGG Climatop Ultra , Steyr, www.eckelt.at
    Bodenbeläge: Tarkett , Frankenthal, www.eckelt.at;
    Forbo Flooring, Paderborn, www.eckelt.at;
    Nora, Weinheim, www.eckelt.at;
    Fliesen : Sant Agostino , Sant Agostino, www.eckelt.at ;
    Ceramica Vogue, Vittuone, www.eckelt.at;
    Casalgrande , Casalgrande, www.eckelt.at
    Trennwände : Strähle, Waiblingen, www.eckelt.at
    Brandschutzelemente: Ninz , Ala, www.eckelt.at;
    Wmk, Welsberg-Taisten, www.eckelt.at
    Beschläge Fenster: Maico, San Leonardo, www.eckelt.at
    Beschläge Türen : Hoppe, Müstair, www.eckelt.at
    Beleuchtung: Regent Lightning, Basel, www.eckelt.at ;
    LTS Licht & Leuchten, Tettnang, www.eckelt.at;
    Prolicht, Neu-Götzens, www.eckelt.at;
    RZB , Bamberg, www.eckelt.at ;
    Planlicht, Vomp, www.eckelt.at
    Schalter, Steckdosen: Jung, Schalksmühle, www.eckelt.at
    Sanitärkeramik: Duravit, Hornberg, www.eckelt.at
    Armaturen: Hansgrohe, Schiltach, www.eckelt.at
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel
2 Saint Gobain Glass
Eclaz
3 Moeding Keramikfassaden GmbH
Alphaton

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de