Anfang Dezember eröffnete in Boston das Museum für zeitgenössische Kunst, das erste große Gebäude, das die New Yorker Architekten Diller Scofidio + Renfro in den USA realisieren durften. Das ICA (Institute of Contemporary Art) erfüllt mit seinen Aktivitäten wie auch durch seine Architektur dreierlei Funktionen: Zunächst erschließt es freilich den Zugang zu zeitgenössischer Kunst. Es wirkt aber auch als Initialzündung für die Belebung des aufgelassenen Hafenareals Fan Pier zwischen Down-town und World Trade Center und bietet drittens das Erlebnis einer Ufersituation, wie es sie in Boston zwar rund um die Stadt in großer Zahl gibt, die aber meist reichlich vernachlässigt abseits öffentlichen Interesses und Zugangs liegen. Das ICA ist somit ein wichtiger Baustein in der aktuellen Entwicklung Bostons, das mehr und mehr seiner in Jahrhunderten immer weiter ins Meer hinausgeschobenen Uferzonen als Aufenthalts- und Erholungsräume entdeckt.
Der Entwurf inszeniert die Durchdringung von Innen und Außen und bietet unter dem weit auskragenden obersten Geschoss auch außerhalb der Öffnungszeiten geschützten Raum mit hoher Aufenthaltsqualität. Über drei Stockwerken mit Räumen für sämtliche Nebenfunktionen schweben zwei gewaltige, lang gestreckte Ausstellungssäle als »White Boxes«. Zum Wasser hin wurde ihnen ein verglaster Laubengang vorgesetzt, der als Ort für entspannt schweifende Blicke kaum besser denkbar ist. Im Medienraum dürfen sich Schwindelfreie mehrere Stufen nach unten begeben und dabei durch eine schräg gestellte Glasscheibe direkt auf die Wellen der darunter liegenden Wasserfläche blicken. Ein nach zwei Seiten vollverglaster Vortragssaal soll zukünftig mit allen Formen zeitgenössischer Kunst bespielt werden.
Nach Fertigstellung der projektierten Bebauung für Wohnen und Gewerbe ringsherum wird sich das ICA von der Straße aus kaum mehr ausmachen lassen. Wünschenswert wäre daher, dass sich im Zuge des bislang mit glänzenden Ergebnissen gesegneten Fund-Raising noch ein paar Millionen finden lassen, um die Glasfassade mit einer Anlage für Lichtkunst auszustatten. Schließlich schreit die transparente Hülle des sich zur Stadt hin als klarer Kubus abzeichnenden Baukörpers förmlich danach – auch wenn dies im Entwurfskonzept nicht vorgesehen ist.
~Achim Geissinger
db deutsche bauzeitung 01|2007