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Mehrfamilienhaus und Kleiderfabrik in Köln

Fenster zum Hof
Mehrfamilienhaus und Kleiderfabrik in Köln

In der Werkliste belegen die Kleiderfabrik in Köln und das zugehörige Arbeiterwohnhaus zwar den Platz zwei, das Gesamtprojekt, mit dem Oswald Mathias Ungers schon im zweiten Jahr der Bürogründung »groß einsteigen« konnte, lässt aber bereits durchscheinen, welche Konstanten im späteren Werk eine Rolle spielen werden – so z.B. die Abkunft von der Klassischen Moderne und die Quadrat-Figur. Nicht alle Eigentümer haben den Wert der autonomen architektonischen Form erkannt und sind bisweilen sehr frei mit dem Fassadenbild umgegangen.

Architekt: Oswald Mathias Ungers

Kritik: Reinhart WustlichFotos: UAA Ungers Archiv für Architekturwissenschaft; Reinhart Wustlich

1951

Ein Fall, um inne zu halten: Die Hültzstraße ist eigentlich eine repräsentative Allee, mit getrennten Fahrspuren und eindrucksvoller Doppel-Reihe von Platanen auf grüner Mittelinsel. Seit 1980 als Naturdenkmal gelistet, verbindet sie diagonal zum umgebenden Straßenraster den Eingang des Stadtwalds mit der Aachener Straße, Kölns Hauptausfallstraße nach Westen. Wo beide Achsen zusammentreffen, bildet die Blockkante eine spitzwinklige, dicht bebaute Lage. Keine der Fassaden verdient eine nähere Betrachtung, und so ginge man achtlos vorüber sowohl an dem simplen Mehrfamilienwohnhaus an der Hültzstraße als auch an dem große Gebäude einer ehemaligen Kleiderfabrik an der Aachener Straße, die sich beide – durch einen gemeinsamen Hof getrennt – rückwärtig gegenüberliegen. Dass beide Gebäude das Baujahr (1951) gemeinsam haben, ist nicht auf den ersten Blick ablesbar. Dass sie einen gemeinsamen Urheber haben, ist dem Bestand nicht anzusehen. Dass er Oswald Mathias Ungers heißt, bedarf der zeithistorischen Recherche.

Für Ungers war die Zeit der Erstlingswerke nach der Bürogründung 1950, wie er sich in einem Gespräch mit Heinrich Klotz erinnerte, »die Möglichkeit des Entdeckens, die Gelegenheit, eine Thematik innerhalb der Architektur aufzuzeigen und diese weiter zu entwickeln«. Er zeigte Interesse daran, Projekte auszuführen, die sich »einem vorhandenen städtischen Kontext einfügen – in Baulücken, auf Eckgrundstücken, im Rahmen einer vorhandenen Bebauung« (»Architektur in der Bundesrepublik«, 1977).

Dabei erscheint das Mehrfamilienhaus an der Hültzstraße im Frühwerk Ungers’ als eine Art »fremder Freund«. Obgleich es in der Architekturkritik der 90er Jahre als »Ikone«, dann wieder als »Manifest« bezeichnet wird, ist es fremd im Verhältnis zu den wenig später folgenden, gestaffelten, stark gegliederten Ziegelbauten, etwa der bekannten Wohnanlage in Köln-Nippes (1956).

Das Mehrfamilienhaus, ein Mietshaus für Angestellte der Kleiderfabrik, bildet einen Angelpunkt, da mit den folgenden Grundstücken eine Vorgartenzone beginnt. Als unspektakulärer Zweispänner gezeichnet, realisiert, als das Nachbargrundstück noch unbebaut war, erscheint es – auf den stilisierten Fotos der Gartenfront (wie auch der Straßenfront) – als Solitär, der die DNA des 45 Jahre später folgenden »Hauses ohne Eigenschaften« (Köln-Müngersdorf, 1996) bereits in sich zu tragen scheint: die Symmetrie der weiß geputzten Fassade, deren filigranes, vertikales Ordnungsschema und die vorn in der Fassadenebene liegenden Fenster mit den schlanken Profilen, die leichte Schattenbänder auf die Fassade werfen. Die Mittelteilung der dem Quadrat angenäherten Fenstermaße. In der Folge des »Internationalen Stils« wären sie zu Fensterbändern zusammengefasst worden – nicht so bei Ungers. Selbst die Loggien der Zweizimmerwohnungen werden dieser Teilung untergeordnet. Als schmale, tiefe Einschnitte treten sie in Erscheinung, nur durch filigrane Trennwände geschieden, wie in das Volumen des Gebäudes gesteckt. Die einfachen Grundrisse der Wohnungen, je zwei auf fast quadratischer Fläche kombiniert, sind am unbedingt Notwendigen orientiert: die Küchen so schmal, dass sie nur mit einer Zeile zu möblieren sind, ergänzt um die damals üblichen Speisekammern; die Sanitärräume nur auf der Giebelseite mit Minifenstern bestückt.

Obgleich die Gartenfront durch den Verzicht auf einen Sockel als liegendes Rechteck (im Verhältnis 4:3) dimensioniert ist, erscheint sie durch die Betonung der Vertikalen filigran und hochgestreckt. Im Originalzustand ist das Gelände des Gartens fast zur Unterkante der Souterrainfenster angehoben und baumbestanden. Vom Typus her wirkt das Baukonzept wie ein Vorgriff auf die später von Ungers propagierte »Städtische Villa«.

Die Inszenierung der Fassaden und das In-Szene-Setzen durch die Fotografie beginnt bei Ungers bereits mit den Erstlingswerken. Dargestellt werden sollte, »was im Rahmen des Gegebenen möglich ist«. Die Bildaussagen waren »so direkt wie möglich« zu machen, es ging nicht darum, »die Schönheit der Bauten herauszustreichen, sondern ihre Alltäglichkeit«. Die Fotos der ursprünglichen Straßenfront sprechen eine andere Sprache: die dunklen Öffnungen, die ganz nach innen geöffneten Fenster, »um ihnen die Mitte (und somit optisch die Störung des Quadrats) zu nehmen«, wie Martin Kieren meint, betonen das Flächenhafte der Lochfassade, deren rätselhafte Komposition mit getreppten Diagonalen (die entfernt an Egon Eiermanns Haus Matthies erinnern), die auf abstrakte Art bildbestimmend bleibt. Eine Sanierung – eine Aufnahme von 1984 zeigt die Fassaden in einer glatten Haut aus Kleinmosaik-Fliesen – respektiert noch die Proportionen und die Ästhetik der in der Fassadenebene liegenden Fenster. Heute bietet sich ein anderes Bild: Die energetische Ertüchtigung der aus Bimsnormalsteinen gemauerten Außenwände bricht mit den Vorgaben, mit der ursprünglichen Leichtigkeit. Außenliegende Dämmschichten senken die Fensteröffnungen, denen die Mittelteilung genommen wird, in Laibungen. Der Straßenfront wird auf der linken Seite nicht nur ein zusätzliches Souterrainfenster zugefügt, das bestehende, rechte Kellerfenster erleidet eine Vergrößerung bis hinunter zum Sockel.

Auf der ehemals delikaten Gartenfront setzt sich das Werk der Überformung fort. Veränderte Traufpunkte der Dachkonstruktion machen mit Überständen die Gesamterscheinung alltäglich. Die Mittelteilung der Fenster entfällt. Die ursprünglich vorhandenen Loggien im 3. OG werden geschlossen, ehemals filigrane Trennungen zwischen ihnen zu Wandstärke aufgedoppelt. Die Vergröberung setzt sich bei den Balkontrennern im 2. OG, dann im 1. OG fort. Hier wird zudem die Rückwand der Loggien herausgebrochen und ganzflächig durch Fensterelemente ersetzt. Abweichende Fensteröffnungen verzeichnet das 1. OG links. Ein Sammelsurium von Fensterformaten ohne Maßstab verdrängt die Ordnung an der Basis. Die frühere Gartenzone ist eliminiert. Anders als Ungers es verstanden wissen wollte, zeigt der aktuelle Status, »was im Rahmen des Gegebenen möglich ist«.

Der Betrachter wendet sich ab – und steht der Hoffront der ehemaligen Kleiderfabrik Jobi an der Aachener Straße gegenüber, die Ungers einst unter Mitarbeit von Helmut Goldschmidt errichtete.

Weg vom Internationalen Stil

Der Stockwerksfabrik sieht man nicht an, dass Oswald Mathias Ungers der klassischen Moderne skeptisch gegenüberstand, sich später bemühte, »weg vom Internationalen Stil« zu kommen. Der fünfgeschossige Betonskelettbau mit Staffelgeschoss und Flachdach steht noch ganz in der Tradition des Neuen Bauens, wie die Straßenansicht unverhüllt zeigt. Die monolithische Verbunddeckenkonstruktion geht zurück auf Standards des Systems Hennebique. Dass die Wandfüllungen aus Leichtbeton mit Paaren quadratischer Fensteröffnungen mit Stahlfenstern zwischen den Stützenachsen konzipiert waren – der Wechsel zwischen den tragenden und nichttragenden Pfeilern wird in der Fassade sichtbar –, um die großflächigen, frei unterteilbaren Arbeits- und Fabrikationsflächen zu belichten, dürfte mit der Geometrisierung späterer Bauten von Ungers in Einklang stehen.

Die derzeitige Erscheinung, die 2011 durch den Umbau zu Studenten-WGs geprägt wurde, lässt den Ursprungsbau hinter einer Struktur von Vorbauten zurücktreten: das EG, früher der Dependance einer Versicherung zugehörig, wurde durch eine eingeschossige Erweiterung zum Hof vergrößert, sie trägt eine Dachterrasse. Darüber prägen auskragende Betonbrüstungen mit laubengangähnlichen Balkonen, farblich klar abgesetzt, das Bild. Die Brüstungen, die von Brandwand zu Brandwand reichen, gehen, mit Vouten angeschlossen, in Betonpfeiler über, die in den Konstruktionsachsen der Stockwerksfabrik vor die Fassade gestellt sind. Sie geben der Gesamterscheinung brutalistische Züge. Das widerspricht Ungers’ späteren Positionen paradoxerweise nicht unbedingt, denn im Interview mit Klotz äußert er: »Für meine Entwicklung (…) ist der Brutalismus ein ganz entscheidender Denkansatz gewesen, denn er führte ja gerade weg vom Internationalen Stil der Zwanziger Jahre«. Und er führte weg von Scharoun und der Idee der »Stadt als Landschaft«. Ungers’ Position in jener Zeit: »Wir wollten auf die Alltagssituation eingehen, wir wollten billige Häuser bauen.«


  • Standorte: Mehrfamilienhaus: Hültzstraße 10, 50933 Köln; Kleiderfabrik: Aachener Straße 421, 50933 Köln

Unser Kritiker Reinhart Wustlich lebt seit 2001 in Hennef an der Sieg. Die kleine Stadt wurde jüngst durch einen schweren Frevel bekannt: im März 2017 ließ eine Erbengemeinschaft in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Villa Steimel (1962) abreißen. Anlass genug, eilends nachzuschauen, wie es anderen Ungers-Frühwerken ergangen ist.


… in die Jahre gekommen (S. 44)

Reinhart Wustlich

Studium der Architektur und Stadtplanung in Aachen und Hannover, Promotion über Planungstheorie im Städtebau. Zahlreiche Buchpublikationen, zuletzt »Nordische Passagen/Am Saum Europas«. Davor Herausgeber der »Young House«-Reihe. Autor des Feuilletons der Frankfurter Rundschau.

 

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