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Dorftreff »Alte Mälze« Lauterhofen | Berschneider + Berschneider

Mitte statt Mälze
Offener Dorftreff »Alte Mälze« in Lauterhofen

Die ländliche Oberpfalz tut sich bereits seit einigen Jahren mit wegweisender Architektur hervor. Maßgeblich trieb das der unlängst verstorbene Architekt Johannes Berschneider voran. In einem kleinen Marktort 40 km östlich von Nürnberg gelang seinem Büro nun die Verwandlung eines frühen Industriedenkmals in ein multifunktionales Gemeinschaftshaus.

Architekten: Berschneider + Berschneider
Tragwerksplanung: LERZER ING+Plan

Kritik: Christoph Gunßer
Fotos: Alex Öland, Andreas Schmid

Das als Mälzerei bekannte Baudenkmal stammt wie der benachbarte Gasthof und das schräg gegenüberliegende Rathaus aus dem 16./17. Jahrhundert. Erst nach dem Einbau des markanten Trockenturms im 19. Jahrhundert lieferte es das für die regionstypische Bierbrauerei benötigte Vorprodukt.

Einer der wenigen erhaltenen seiner Art, bot der kleine Giebelbau am Eingang zum Marktplatz von Lauterhofen zuletzt einen traurigen Anblick: Wasserschäden und Mauerwerksrisse waren so gravierend, dass der Eigner einen Abbruch erwog – als Ersatz war bereits eine Doppelgarage geplant.

Dann jedoch kamen mehrere günstige Umstände zusammen, die schließlich zur Rettung der Mälze führten. In einem städtebaulichen Entwicklungskonzept hatte sich Lauterhofen die Stärkung der von Leerstand geplagten Ortsmitte vorgenommen, und der neue Bürgermeister suchte nach einem Pilotprojekt.

Architekt Johannes Berschneider aus dem nahen Pilsach kannte die Situation vor Ort und trat 2014 mit ersten Skizzen für eine Umnutzung der Mälze zum Kulturtreff an den Rat heran – unentgeltlich. Als diese Anklang fanden, wurden Mittel aus der Städtebauförderung und dem europäischen Regionalentwicklungsfonds aufgetrieben, sodass die Gemeinde die Mälze erwerben und Berschneider mit dem Umbau beauftragen konnte.

Die Kunst der Fuge

Seit den Pioniertaten des Diözesanbaumeisters Karljosef Schattner im gar nicht weit entfernten Eichstätt gilt hierzulande eine Herangehensweise als denkmalgerecht und zeitgemäß, die Vorgefundenes nach Möglichkeit bewahrt, historische Spuren offen legt und das neu Hinzugefügte klar ablesbar, ja sogar rückbaubar gestaltet.

Diese »Kunst der Fuge«, sie wurde also auch hier angewandt, und zwar meisterhaft. War die tragende Konstruktion erst einmal stabilisiert, einige Balken an Dachstuhl und Fachwerkgiebel ausgewechselt, die maroden Decken entfernt, bot sich eine schon recht offene, bespielbare Struktur dar. Nur 14,80 x 7,20 m misst der leicht verzogene Grundriss, und natürlich genügten weder Deckenhöhen noch interne Erschließung der geplanten Nutzung mit Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten, Workshops und VHS-Kursen.

Also sortierten die Architekten den Innenraum komplett neu, beginnend im Keller. Um hier überhaupt stehen zu können, wurde der Fußboden tiefer gelegt, bis man auf den anstehenden Jura-Fels stieß. Der blieb am Rande des neuen Fliesenbodens sichtbar. Eine robuste Einbauzeile kam seitlich unter der Schräge des rauen, frisch verfugten Gewölbes hinzu, sodass hier auf immerhin 66 m² auch schmutzig gewerkelt werden kann. Das Gewölbe durchstößt am Ende eine gewendelte Treppe aus Schwarzstahl, dem Material, das in bester Schattner-Tradition auch hier den Ton angibt, nur punktuell – und mit Abstand – im alten Mauerwerk verankert.

Auf dem Gewölbe ruht das EG, das übrigens als einziges Geschoss barrierefrei direkt von der Straße aus erreichbar ist. Auch dieser Raum ist so pur wie möglich erhalten: Die Wände in weißem Kalkputz authentisch krumm geschlämmt, die Öffnungen präzise gefasst, teils mit Blechen aus geöltem Schwarzstahl, und fest verglast. Selbst in den Boden ist eine Glasplatte eingelassen, die Einblick in den Kreativkeller gewährt und etwas Tageslicht ins UG bringt.

Der neue Estrich ist mit einem Dreischicht-Eichenparkett belegt. Als ruhiger Plafond kultureller Darbietungen dient ein Schwarzstahlgehäuse, das die einläufige Treppe zur Galerie, die Garderobe sowie einen Lagerraum mit integriertem Heizkörper aufnimmt.

Die Installation der Heizung im Haus geschah sehr individuell: Neben den – auch zur Trockenhaltung des Mauerwerks nötigen – Heizschlangen in den Wänden gibt es an ein paar Stellen sichtbar verlegte Stahlrohre mit altmodischen Ventilen. Die kleine, mit Gas betriebene Heiztherme sitzt versteckt im Gewölbe des Mälzturms. Die für Aufenthaltsräume nötige Luftwechselrate wird über vorhandene kleine Luken erreicht.

Offenes Gebälk und stählerne Einbauten

Offen ist der Hauptraum im EG, der für 30 Personen zugelassen ist, auch nach oben. Von der früheren Zwischendecke sind nur noch die Querbalken erhalten. Auf diesen liegt, mit einigem Abstand zur Außenwand, die Galerie auf – auch wenn man meinen könnte, sie sei über das stählerne Geländer von den Sparren des Dachs abgehängt. Tatsächlich waren diese Stahlstreben nur nötig, weil die Galerie auf dem vorhandenen Gebälk zu stark in Schwingung geriet.

Ebenfalls auf den alten Deckenbalken ruht die komplett stählerne Toilettenbox, die von den Metallbauern komplett vorgefertigt und zum Einbau wieder demontiert wurde. Sie hält nach allen Seiten gebührenden Abstand. Wie an manch anderen Stellen kollidiert die Kunst der Fuge hier mit den berechtigten Interessen der Reinigungskräfte, die z. B. die gläserne Rückwand des Waschraums demontieren müssen, wollen sie das kleine Fenster dahinter putzen. Auch das Riffelblech der Böden mag mühsam zu reinigen sein. Fast ein wenig zu detailverliebt auch die raffinierte Waschtisch-Lösung in Form eines Bierfasses mit Kupferbrause.

Der Denkmalschutz ließ die Architekten gewähren. Und auch das Thema Brandschutz und Fluchtwege wurde in diesem überschaubaren Bau unverkrampft gehandhabt. So fügen sich etwa die Treppen sehr schmal ins vorhandene Gebälk – da müssen Entgegenkommende halt warten.

Unterm Dach, in dem die einläufigen »Gangways« schließlich enden, schuf man im Gebälk einen archaischen kleinen Sitzungssaal mit langer Tafel und Blick auf das – früher auch außen prägende – Fachwerk. Auch hier umgibt ein Geländer die neue Plattform, deutlich abgerückt von den alten Sparren, auf denen übrigens ein Kaltdachaufbau ausgebildet werden durfte.

Ganz anders schließlich zeigt sich der Charakter des »Allerheiligsten« im Haus, dem Mälzturm.

Separée im Turm

Er durchquert alle Etagen und mündet überm Gewölbe in einem neu entstandenen Oberlicht, das den gemauerten Kamin bekrönt. Dieser ungefähr quadratische, stark vertikale Raum wird als »Lounge« bezeichnet. Auf teils wiederverwendeten, teils neuen Ziegelplatten können sich hier kleine Gruppen besprechen oder auch nur die fast sakrale Höhe auf sich wirken lassen. Ein neuer schlichter Kronleuchter – aus Schwarzstahl – hängt unter der Decke. Die nun verglasten früheren Lüftungsöffnungen der Darre lassen etwas Licht hereinfallen.

Aus dem bemitleidenswerten baulichen Relikt in der Ortsmitte von Lauterhofen ist nach der Neugestaltung ein Blickfang geworden. Wer sich von Süden dem Marktplatz nähert, schaut direkt auf den nun weißen, von einem dezenten Dämmputz überzogenen Giebelbau mit seinem großen, stählern gefassten Fenster, das leicht aus der Mittelachse gerückt ist und sich nicht abdunkeln lässt. Wie schon der Turmraum im Inneren hat auch die zeichenhafte Fassade aus Giebel und Turm etwas von einer Kapelle. Die eigenartige, das Oberlicht bergende neue Turmhaube scheint den barock geschwungenen Zwiebelturm der Kirche vis-à-vis zu grüßen.

Doch geht es im Treffpunkt »Alte Mälze« keineswegs devot, sondern bunt und vielfältig zu, von Feiern über Theaterproben bis zum trendigen Coworking – die Gemeinde ist für fast alles offen. Andächtig verharrt indes manch einer im Zwiegespräch mit der so sorgfältig herauspräparierten Geschichte, der nun eine ebenso feine wie robuste, bespielbare Schicht hinzugefügt wurde. Bleibt zu hoffen, dass dieses Pilotprojekt ausstrahlt auf Ort und Region.


Unser Kritiker Christoph Gunßer ist zwar allein auf dem Bild vor Ort zu sehen, bewunderte aber zusammen mit Projektleiterin Judith Splettstößer und Geschäftsführer Rico Lehmeier von Berschneider + Berschneider die »Alte Mälze« in Benutzung. Er hofft, dass mehr solche Überbleibsel der Regionalgeschichte eine zweite Chance bekommen.


  • Standort: Marktplatz 18, 92283 Lauterhofen

    Bauherr: Gemeinde Lauterhofen
    Architektur und Innenarchitektur: Berschneider + Berschneider GmbH, Architekten BDA + Innenarchitekten, Pilsach
    Projektleitung: Judith Splettstößer
    Begleitendes Amt, Behörde: Landratsamt Neumarkt i.d.OPf., Untere Denkmalschutzbehörde, Thomas Gruber; Landratsamt Neumarkt i.d.OPf., Kreisbaumeister Christian Bruckschlögl
    Förderstellen: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Denkmalschutz, Sebastian Mickisch; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bodendenkmal, Ralph Hempelmann; Regierung der Oberpfalz, Leitender Baudirektor, Hubert Schmid; Regierung der Oberpfalz, Städtebauförderung, Wiebke Fett
    Tragwerksplanung: LERZER ING+Plan GmbH, Neumarkt
    Bauforschung: MEM4, Bamberg
    Energieberatung: Institut für Energietechnik IfE GmbH an der Ostbayerischen Technischen Hochschule
    Brandschutzplanung: Steinhofer Ingenieure, Regensburg
    Elektroplanung: IB Winfried Breyer, Neumarkt
    HLS-Planung: ibz Ingenieurbüro Zeisig GmbH & Co. KG, Birkland/Schwend
    Landschaftsarchitektur: Martin Kölbl, Pilsach
    Nutzfläche: 160 m²
    Baukosten: 1,3 Mio. Euro
    Bauzeit: Januar 2018 bis November 2020
  • Beteiligte Firmen:
    Dämmputz außen: Klimasan Perlit I/W Dämmputz, i. M. 60 mm, https://klimasan-perlit.de
    Armierungs-, Oberputz außen: BIA Haft- und Feinputz 0–0,6 mm, www.maxit.de
    Anstrich außen: Altmannsteiner Sumpfkalk, min. 60 Monate gelagert, freskal gestrichen
    Metallfenster und -türen: Jansen Janisol Arte 2.0, www.jansen.com
    Metalltreppen, -wände, -geländer: Schwarzstahl, Anfertigung nach Architektenangaben
    Innenputz: Putz: Gräfix 71 lite Kalk-Grund-Leichtputz, mehrlagig aufgetragen, Oberflächen mit Ziehklinge gekratzt,www.graefix.de
    Innenanstrich: Altmannsteiner Sumpfkalk, mind. 60 Monate gelagert, mehrlagig aufgetragen
    Parkett EG: Chapel Parkett, europ. Eiche rustic mix, https://chapelparket.de
    Parkett 1.+ 2. OG: JASO Duo Line, Eiche Shappy, www.jaso.de
    Keramikfliesen UG: FMG Walk On, hazel, www.irisfmg.de
    Keramikfliesen Turm: Handschlagziegel Bestand
    Beleuchtung: Viabizzuno, www.viabizzuno.com/de
    Möblierung: Stapelstuhl Atlanta 450, Schale Eiche gebeizt, Stahlrohrtisch 501 »System 24«, Oberfläche Ebony; beides Hiller, www.hiller-moebel.de
    Armlehnstuhl 105, KOINOR, www.koinor.com
    Sideboard UG: Schreinermöbel nach Architektenangaben
    Beschläge: FSB 1023 schwarz eloxiert gestrahlt, www.fsb.de
    Stange Eingangstür: Anfertigung nach Architektenangaben
    Sanitärmodul: Geberit Monolith Plus, www.geberit.de
    Sanitärkeramik: Duravit Starck 3, www.duravit.de
    Papierhalter, Hygienebehälter: HEWI 162, HEWI 805, www.hewi.com
    Seifenspender: Keuco, www.keuco.com
    Waschtisch: Eigenanfertigung nach Architektenangaben
    Spülbecken, Spüle UG: Blanco Rondosol, Blanco Claron, www.blanco.com
    WC-Box: Eigenanfertigung nach Architektenangaben
    Spülarmatur: Nobili Live, www.grupponobili.it
    Elektroschalter: Gira E2 (Auf- und Unterputzinstallation), www.gira.de

Berschneider + Berschneider


Johannes Berschneider

Innenarchitekturstudium an der FH Rosenheim, 1978 Diplom. 1978-82 Mitarbeit bei W.+M. Schlegtendal
Architekten, Nürnberg. 1982-84 Architekturstudium an der FH Regensburg, Diplom. 1984 Architektur- und
Innenarchitekturbüro Berschneider & Knychalla. Ab 2002 Büro mit Gudrun Berschneider. 2022 verstorben.


Gudrun Berschneider

Innenarchitekturstudium an der FH Rosenheim, 1982 Diplom. Architekturstudium an der FH Regensburg, 1984 Diplom. Seit 1985 Mitarbeit im Architektur-und Innenarchitekturbüro Berschneider & Knychalla. Ab 2002 Büro mit Johannes Berschneider (†).


Judith Splettstößer

1995-2001 Architekturstudium an der FH Nürnberg, Diplom. 2001 Mitarbeit im Architekturbüro Appeltauer + Brandl, Schwabach. 2007 Mitarbeit im Ingenieurbüro Logk, Röthenbach. 2012 Mitarbeit bei Petra Hofmann, Högen. Seit 2016 Mitarbeit bei Berschneider + Berschneider.


Christoph Gunßer

Architekturstudien und Büropraxis in Hannover, Stuttgart und den USA. Nach Assistenz am Institut für Städtebau der Universität Hannover fünf Jahre db-Redakteur. Seither freier Fachautor.

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