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Kongresszentrum »Verrucano« in Mels | raumfindung architekten

Angemessen feierlich
Kongresszentrum »Verrucano« in Mels

Durch bauliche Interventionen und einen neuen Platz soll die Identität von Mels im Schweizer Kanton St. Gallen gestärkt werden. Schlüsselprojekt ist das Kultur- und Gemeindezentrum, das v. a. von der überaus aktiven lokalen Vereinsszene genutzt wird.

Architekten: raumfindung architekten
Tragwerksplanung: wlw Ingenieure, Pirmin Jung Ingenieure

Kritik: Hubertus Adam
Fotos: Ladina Bischof Fotografie, bienz:photography,
raumfindung architekten, Verrucano Mels

Die Trasse der Autobahn Zürich – Chur trennt Mels – zu Füßen des bei Wandernden und Skifahrenden gleichermaßen beliebten Pizol gelegen – von der durch den Halt der Fernzüge bekannteren Ortschaft Sargans. Der historische Dorfkern von Mels zählt heute zu den schützenswerten Ortsbildern der Schweiz von nationaler Bedeutung; kommt man mit dem Bus von Sargans, muss man ihn aber erst einmal finden. Anders ausgedrückt: Zuerst passiert man an der Autobahnabfahrt die Shopping- und Gewerbezentren Pizolpark und Pizolcenter, dann ausgedehnte suburbane Siedlungsbereiche der vergangenen Jahrzehnte. Die Expansion von Mels begann zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, als sich auf einer Höhenterrasse oberhalb des Talbodens dank der nutzbaren Wasserkraft eine Spinnerei und Weberei ansiedelte; die mächtigen, weithin sichtbaren Volumina wurden vom Architekturbüro Meier Hug zu Wohnzwecken umgebaut, die Ergänzung durch Anbauten dauert an. Sukzessive vergrößerte sich der Siedlungsbereich im Tal, sodass Mels und Sargans heute wie zusammengewachsen erscheinen. Auch der historische Kern mit dem Dorfplatz an der Schnittstelle zwischen Ober- und Unterdorf wurde über die Jahrzehnte durch Zubauten entstellt.

Stärkung der Identität

Das Gemeinde- und Kongresszentrum Verrucano ist Teil einer umfassenderen Strategie, der schleichenden Nivellierung entgegenzuwirken und den historischen Dorfkern wieder zu stärken – visuell, strukturell, aber auch hinsichtlich seiner Attraktivität für die Bevölkerung. Alles begann 2009, als der Gemeinderat den Entschluss fasste, private Parzellen im Zentrum zu erwerben, um eine Neustrukturierung zu ermöglichen. Nachdem die Landkäufe durch eine Urnenabstimmung bewilligt worden waren, konnte auf Basis einer Machbarkeitsstudie 2013 ein offener Projektwettbewerb ausgeschrieben werden. Dieser umfasste drei Teile: die Erweiterung des Rathauses, ein neues Kulturzentrum und einen neuen, sich zwischen diesen Bauten und dem lang gestreckten Dorfplatz sich aufspannenden zusätzlichen öfffentlichen Freiraum. Sieger wurde das 2007 von Beat Loosli in Rapperswil gegründete Büro raumfindung architekten. »Das Projekt pinot noir besticht insgesamt durch eine hervorragende Einpassung beider Baukörper in die vorhandenen Dorfstrukturen mit wohlproportionierten und gut gestalteten Außenräumen und durchwegs attraktivem Erdgeschossbereich«, attestierte die Jury dem Projekt. Ausgeführt wurde das Vorhaben – eine leichte Mehrheit des Stimmvolks hatte die Kosten von 31,5 Mio. CHF im März 2015 bewilligt – in den Jahren 2017 bis 2020, was zur Folge hatte, dass die Eröffnung direkt in die Zeit der Coronapandemie fiel und der Betrieb erst langsam Fahrt aufnehmen konnte.

Einfügung in den Kontext

Kommt man heute nach Mels, so überzeugt zunächst einmal die städtebauliche Lösung. Durch den Abriss eines deplatzierten Mehrfamilienhauses und die Verbannung der Autos in die neue Tiefgarage entstand eine quer zum annähernd nordsüdlich ausgerichteten Dorfplatz orientierte Platzerweiterung. Diese wird auf der Nordseite von historischen Bauten wie dem Restaurant Traube gesäumt, während das Rathaus, ursprünglich ein vom prominenten St. Galler Klassizisten Felix Wilhelm Kubly (1802–72) entworfenes Wohnhaus, und der hinsichtlich der Kubatur ähnliche Erweiterungsbau die südliche Platzkante bilden. Den Abschluss im Osten bildet das Verrucano, mit dessen polygonaler Grundrissfigur raumfindung die zur Verfügung stehende Fläche geschickt ausgenutzt hat. Die Eingangsfront orientiert sich zum neu entstandenen Platz hin, die südliche Fassade des abgeknickten Baukörpers hingegen fügt sich in die Flucht der Wangserstraße ein. Vis-à-vis haben die Architekten vor der Post ein neues Bushaltestellenhäuschen errichtet, das unzweideutig die Gestaltungselemente des Kulturzentrums aufgreift.

Aus dem Pinot noir des Wettbewerbs, der an die Weinbautradition von Mels erinnerte, ist nun Verrucano geworden. Unter diesem Namen ist der vor Ort abgebaute rötliche Schiefer bekannt. Die Architekten haben ihn nicht nur bei der Gestaltung des neuen Platzes eingesetzt, sondern auch für den Terrazzo im Inneren des Kulturzentrums verwendet. Und natürlich kann man die rot gestrichenen Holzfassaden auch als Reverenz an den lokalen Stein verstehen. Anders als der Erweiterungsbau des Rathauses, der sich außen in hohem Maß neutral zeigt, tritt das Verrucano schon aufgrund seiner Farbigkeit zu Recht als exzeptionelles Volumen, als Haus für Feste und Feiern in Erscheinung. Doch es übertrumpft seine Umgebung nicht, dominiert nicht den Platz und gibt sich nicht als aufmerksamkeitsherrschender Meteorit, der ins Dorfzentrum eingeschlagen ist. Über dem Betonsockel als Holzbau errichtet, atmet es ganz bewusst leicht den Hauch des Provisorischen, als handele es sich um eine hölzerne Festhütte inmitten des Gemeinwesens.

Im Kontext des Dorfs wirkt das Verrucano von raumfindung architekten mit seiner die Satteldächer des historischen Kerns visuell paraphrasierenden Dachlandschaft angemessen, denn schließlich ist es keine Eventlocation, für die Besucherinnen und Besucher von weit her anreisen, sondern ein Haus, das primär von den über 80 in Mels ansässigen Vereinen genutzt wird. Dazu zählen Chöre, Turnvereine, die Musikgesellschaft, die Fasnachtsgesellschaft und der Trachtenverein, um nur einige zu nennen. Ein heterogenes Nutzungsspektrum mithin, zu dem sich ab und an auch das Sinfonieorchester St. Gallen mit Auftritten hinzugesellt.

Multifunktional, aber ausdrucksstark

Veranstaltungsort bisher war der in die Jahre gekommene Hallenbau Löwensaal, ein blechverkleidetes Ungetüm. Mit dem neuen großen Saal im Verrucano ist nun endlich ein freundlicher und festlicher Veranstaltungsort für alle Bedürfnisse entstanden – mit großer multifunktionaler und gut ausgestalteter Bühne sowie rückwärtiger Galerie. Mit seinen insgesamt 744 Sitzplätzen bei Konzertbestuhlung, dem umlaufenden Fries von Diffusoren, die auch die Rückwand bestimmen, und den drehbaren, im oberen Bereich der Seitenwände installierten Holzelementen, die schallabsorbierend oder schallreflektierend wirken können, kann der trapezförmige Saal für unterschiedliche Musik- oder Theatervorführungen mit ihren jeweiligen akustischen Anforderungen genutzt werden. Doch darüber hinaus finden hier auch ganz andere Veranstaltungen statt: Bankette, Bälle, Kino, Seminare. Entsprechend variantenreich ist auch die mögliche Lichtstimmung: große Oberlichter lassen den hölzernen Saal hell und freundlich erscheinen, können aber auch verdunkelt werden. Ein ausgeklügeltes Lichtkonzept zieht sich durch das ganze Haus und ermöglicht eine stimmungsvolle Beleuchtung: feierlich, aber unprätentiös.

Das Verrucano, dessen räumliche Erschließung ein z-förmiges Foyer bildet, umfasst noch weitere Veranstaltungsräume. Der größte davon ist der Vereinssaal Runggalina im EG. Backstage mit dem Löwensaal verbunden, kann er auch als Vorbereitungsraum für die Nutzer der großen Bühne fungieren. Darüber ist im OG der Raum Ragnatsch angeordnet, der primär als Übungsraum der Musikgesellschaft Konkordia dient; zum Platz hin schließlich orientiert sich der Saal Gafarra, vom Foyer aus durch das Treppenhaus erschlossen.

Voller Begeisterung erzählt die Schauspielerin und Kulturmanagerin Eva Maron, seit 2019 Geschäftsführerin des Verrucano, von ihrer Tätigkeit und von dem, was das Haus alles vermag. Der Erfolg der Initiative, welche der Gemeinderat vor 13 Jahren angestoßen hat, ist allenthalben spürbar. Maron freut sich insbesondere über die große Flexibilität der Räumlichkeiten und die informell nutzbaren Foyerzonen, die auch, nicht zuletzt dank der Vordächer, in den Außenbereich ausstrahlen und ihrerseits zur Belebung des Dorfkerns beitragen. Ein Café im Foyer einzurichten, für das die Infrastruktur vorhanden ist, hat sich mangels Nachfrage nicht als realistisch erwiesen. Aber dass bei einem derartigen – nicht nur finanziellen – Kraftakt, wie ihn die Realisierung des Verrucano erforderte, auch Widerstände bestehen, ist selbstverständlich. Die Gemeinde subventioniert die Nutzung des Hauses für die Vereine, die Geschäftsführung ist aber überdies auch für die zur Querfinanzierung nötige Vermietung an Externe verantwortlich. Mit zwei Personen lässt sich der aufwändige Betrieb aber kaum stemmen, sodass wohl oder übel in naher Zukunft Schließtage eingeplant werden müssen. Eigentlich schade, denn das Verrucano samt seiner neu gestalteten Umgebung ist wahrlich ein Gewinn.


Vor Jahren hat unser Autor Hubertus Adam Mels schon einmal besucht. Er war nun auf das Positivste überrascht, wie sich die neuen baulichen Interventionen auf das Dorfbild ausgewirkt haben.


  • Standort: Platz 4, PF 102, 8887 Mels (CH)

    Bauherr: Politische Gemeinde Mels
    Architekten: raumfindung architekten, Rapperswil
    Mitarbeiter: Beat Loosli (GL), Fabian Burkhalter (PL Verrucano), Fabian Jud (PL Rathaus), Andrea Holenstein (Wettbewerb), Vanessa Werder, Marco Brandalise, Debora Heitz, Michael Fries, Kevin Löffler, Timo Müller, Daniela Oberholzer, Paul Schurter
    Bauleitung: Rolf Bless Bauleitung AG, Mels
    Bauingenieur Massivbau: wlw Bauingenieure AG, Mels
    Holzfachingenieur / Bauphysik / Akustik / Brandschutz: Pirmin Jung Ingenieure, Sargans / Rain
    HLKK-Ingenieur: kapa Kalberer + Partner AG, Bad Ragaz
    Elektroingenieur: Inelplan Elektroingenieure, Buchs SG
    Sanitäringenieur: technoplan sargans ag, Sargans
    Signaletik: Feinform Grafik, Zürich
    Lichtplanung: LEDSTEIN AG, FL-Balzers
    Gastroplanung: gkp-plus grossküchenplanung, Steinach
    Bühnenplanung: Theatech Bühnenplanungen, Hombrechtikon
    Landschaftsarchitektur: atelier tp, Rapperswil / Martin Klauser, Rorschach
    BGF Verrucano: 4 742 m²
    BGF Rathauserweiterung: 1 567 m²
    Baukosten: 32,3 Mio. CHF
    Bauzeit: November 2017 bis September 2020

raumfindung architekten

2008 Bürogründung. Seit 2022, 25 Mitarbeiter. Projektleitung: Fabian Burkhalter. Inhaber Gesamtleitung: Beat Loosli.


Hubertus Adam

Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg. Freier Architekturkritiker. 1996- 1998 Redakteur der Bauwelt, 1998-2012 der archithese. 2010-15 Künstlerischer Leiter des S AM in Basel.

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