Architekten: KM architekten
Tragwerksplanung: H.-D. Baller
Kritik: Hartmut Möller
Fotos: Carolin Ludwig, Hartmut Möller
Als Philipp Scheidemann 1930 das Hallenbad im Stadtteil Bettenhausen eröffnete, verfügten etliche umliegende Wohnungen – insbesondere in den Arbeitersiedlungen – noch nicht über fließendes Wasser. Die städtische Hygieneeinrichtung versprach mit ihren Waschräumen samt Brausebädern und »Volksbadewannen« gute Möglichkeiten der Körperpflege. Dem Zeitgeist folgend, stand sie nach von Autorität und Repräsentationsdrang geprägten Jahren für eine neue, soziale Gesinnung. Ihre Beheizung und Versorgung erfolgte durch überschüssige Wärmeenergie des zeitgleich errichteten, nahe gelegenen Gaswerks.
Entworfen von Magistratsbaurat Ernst Rothe mit Überarbeitung von Oberbaurat Hermann Jobst, weist die schlichte Formensprache aus gegeneinander versetzten Backsteinkuben, Flachdach und über Eck verlaufenden Fensterbändern den Bau als einen typischen Vertreter der klassischen Moderne aus. Das Schwimmbecken zur körperlichen Ertüchtigung fasste 570 m³ und war mit angeschlossenem Nichtschwimmerbereich 12 m breit und 25 m lang. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, 1949 jedoch wiederhergestellt ergänzten später Saunen, Tauchbecken, Solarien, Ruheräume und Liegewiese die Badeanstalt.
Doch auch diese Neuerungen erfüllten die gehobenen Ansprüche nach Abenteuer, Spaß und Wellness irgendwann nicht mehr. Kontinuierlich sinkende Besucherzahlen, Sanierungsstau und bauliche Mängel führten im Sommer 2007 unter dem Protest der Bevölkerung zur Schließung des seit den 70er Jahren mit dem Namenszusatz »Ost« versehenen Hallenbads. Diverse Vorschläge, die Immobilie als Bürofläche mit Werkstätten, Jobcenter, Fitnessstudio, »Erfinderhaus« oder Wohnraum zu vermarkten, scheiterten kläglich. Das Bauwerk verkam und fiel zusehends dem Vandalismus zum Opfer. Besonders im Innern bot sich durch Zerstörungswut, verwüstetes Inventar, Graffiti und Vermüllung ein trauriges Bild.
Neues Leben
Im Jahre 2018 erwarben Marc Köhler, Keivan Karampour und Thomas Meyer die Ruine und erweckten sie mit ihrem Büro sanft aus dem Dornröschenschlaf. Praktischerweise waren die Architekten somit auch gleichzeitig Bauherren. Ein Glücksfall, denn das Team suchte just aus Platzgründen dringend nach neuen, geeigneten Räumlichkeiten. Freilich lässt eine solche Preziose der Neuen Sachlichkeit das Herz eines jeden Architekten höherschlagen – trotz hohen Alters, Zustands und bewegter Geschichte.
Zur Wiederbelebung des Schmuckstücks bedurfte es eines stimmigen Nutzungskonzepts, das auf den beiden Grundpfeilern Vermietung außergewöhnlicher Arbeitsflächen und Revitalisierung der früheren, 8,5 m hohen Schwimmhalle als einzigartige Eventlocation ruht. Zielgruppe für die rund 2500 m² waren demnach junge, kreative Unternehmen, die abseits gängiger Bürokartons ein innovatives Arbeitsumfeld präferieren. Der besondere Charakter des Gebäudes galt als unbedingt erhaltenswert, deshalb machte man sich den reduzierenden Entwurf des Bestands zu eigen, um den Stil von Modernität und Aufbruch fortzuschreiben.
Metamorphose
Verkehrsgünstig gelegen (mit unmittelbarer Anbindung an Stadtring und Straßenbahn) zeigt das von der Straße zurückgesetzte Haus eine streng symmetrische Südansicht. Die Fassaden wurden gereinigt und neu verfugt, baufällige Steine ausgewechselt. Um die signifikante Bänderung erneut herauszuarbeiten, ersetzen dunkle, schlank profilierte Fenster ihre Vorgänger, die dick auftragende, helle Alurahmen aufweisen. Bei einer Brüstungshöhe von 1,60 m mussten einige Streifen zur Belichtung durch größere Öffnungen und stimmig gefügte Panoramafenster nach unten gebrochen werden. Deren dabei vorsichtig abgetragene, scharrierte Betonfaschen kamen als Ausbesserung an anderer Stelle zum Einsatz. Alle Scheiben sind dreifachverglast, wesentliche Teile des Gebäudes lassen sich natürlich belüften. Auf der Ostseite, wo vormals das Heizkraftwerk stand (nach Umstellung von Stadtgas auf Erdgas bedurfte es 1964 der Nachrüstung eines eigenen Heizwerks) und folglich keine Backsteinfassade vorhanden war, entschieden sich die Eigentümer für eine Aufstockung im Wärmedämmverbundsystem, dessen lindgrüner Anstrich mit den umliegenden Bäumen harmoniert.
Betreten wird das Bauwerk über die in der Mittelachse befindliche, das Entree markierende Betontreppe. Bei der Gestaltung der Eingangstür ließen sich die Architekten vom Einlass der Altstädter Schule (1927/28) Otto Haeslers inspirieren. Hinter dem Windfang öffnet sich der imposante Raum der ehemaligen Schwimmhalle. Knapp unterhalb der einstigen Wasserlinie wurde eine Betondecke eingezogen, gerade passend, dass sich die Poolumrandung aus Naturstein nun als Sitzgelegenheit anbietet. Aufgrund der geringen Fallhöhe war eine Absturzsicherung baurechtlich nicht vonnöten. Einstiegsleitern und -treppe, Schwalldusche, Fußdesinfektionsbecken, Hinweistafeln, Rettungsring, Boden- und Pfeilerfliesen versprühen unweigerlich den Geist vergangener Jahre.
Auf der umlaufenden Galerie finden oft Wechselausstellungen statt. Ihre ehedem knallrot gestrichene Balustrade sowie sämtliche bunte Wandflächen strahlen heute wieder im originären Weiß. Frontteil sowie die Flügel links und rechts der kolossalen Halle sind fremdvermietet. Im hinteren Viertel residieren die Planer selbst auf drei Etagen, abgetrennt lediglich durch eine zarte Glaswand, in der ein eingeschobener, beinahe raumhoher Kubus als Raumteiler fungiert und Platz für Besprechungen bietet.
Dieser und alle anderen neu zugefügten Interventionen sind schön klar und dezent in hellem Holz gehalten und daher theoretisch rückbaubar. Minimalistische Kunstgriffe zeigen sich hier beispielsweise in der Verwendung des kennzeichnenden Galeriehandlaufs auch für die interne Stiege oder durch rahmenlos in Fußboden- und Wandschlitze eingelassene Scheiben der transparenten Trennwand.
Da Architekturbüro und Halle eine Nutzungseinheit bilden, konnte auf klobig ausgeführten Brandschutz verzichtet werden. Zur thermischen Ertüchtigung wurde das Flachdach nach aktuellen Anforderungen hergerichtet, das zweischalige Mauerwerk der Originalkonstruktion mittels einer vulkanischen Perliteschüttung kerngedämmt. Die Schwimmhalle hingegen verfügte bereits über eine Innendämmung aus Heraklitplatten. Wegen des geringen Anteils an Außenwandflächen sorgen Deckenheizstrahler für Wohlbefinden. Nach Bereinigung der abgehängten Decke ermöglicht ein eingezogener, begehbarer Stahlrost (mit einem der Akustik dienenden Kranz) die komfortable Bespielung des knapp 500 m² großen Veranstaltungszentrums durch Konzerte, Tagungen, Messen, private Feiern oder Ausstellungen. Der Biergarten unter Beuys-Bäumen (»7000 Eichen«) in der parkähnlichen Außenanlage komplettiert das Erlebnisangebot.
Impulsgeber
Die Rettung des 1977 unter Schutz gestellten hochrangigen Einzeldenkmals ist aller Ehren wert und stößt auf äußerst positive Resonanz. Der Gestaltungsbeirat der Stadt Kassel, Arbeitgeberverband und Wirtschaftsförderung, documenta 15, Weltmusikfestival, Nacht der Museen und BDA waren an diesem bezaubernden Ort bereits zu Gast. Mit reichlich Courage, Verve und einer Investition von rund 5 Mio. Euro bewahren KM architekten ein geschichtsträchtiges Artefakt des Neuen Bauens vor dem Abriss und sichern nebenbei die darin verbaute graue Energie. Zudem übernimmt der Kulturort unweit der Karlsaue und an der Schwelle zur City als belebender Katalysator eine wichtige Signalfunktion zur Förderung des industriell geprägten Ostens.
Aufgrund der Stimmung vor Ort war unser Kritiker Hartmut Möller regelrecht vom Badefieber gepackt. Die Rettung des zum Schandfleck verkommenen Bauwerks empfand er als Musterlösung für den Umgang mit wertvoller Bausubstanz
- Standort: Leipziger Straße 99, 34123 Kassel
Bauherr: KMK Projektplan GmbH & Co. KG Kassel
Architekten: KM architekten bda, Kassel
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro für Bauwesen, Dipl.-Ing. H.-D. Baller, Ahnatal
Energieberatung: M. Balz-Fiedler
Brandschutzplanung: Kramps Ingenieure Gesellschaft für Bauwesen mbH, Brilon
BGF: 4 237 m²
BRI: 16 870 m³
Baukosten: 4,9 Mio. Euro
Fertigstellung: September 2021
- Beteiligte Firmen:
Möblierung: Wilkhahn; Vitra
Putz/Wandbeschichtung: Knauf
Brandschutzdecken: Dossolan Thermique von Kematherm
WCs/Urinale: Keramag
Beleuchtung: Artemide
Trennwandsysteme: PAN + Armbruster
Beschläge: FSB Franz Schneider Brakel
KM architekten
Keivan Karampour
1989-95 Architekturstudium an der Gesamthochschule Kassel. 1995-96 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros. 1996-99 eigenes Büro. Seit 1999 Büro mit Thomas Meyer. KMK Projektplan GmbH.
Thomas Meyer
1989-93 Architekturstudium in Kassel und Venedig, 1993 Diplom an der Universität Kassel. 1993-95 Vertiefungsstudium, Diplom 1995. 1993-99 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros. Seit 1999 Büro mit Keivan Karampour.
Marc Köhler
1994-95 Bauingenieurstudium in Kassel. 1995-2001 Architekturstudium an der Münster School of Architecture. 1997-2005 Mitarbeit in verschiedenen Büros. 2005 Büro mpk architektur. Seit 2012 Büro mit Keivan Karampour und Thomas Meyer. 2019 und 2021 Lehrauftrag an der Universität Kassel.
Hartmut Möller
Architekturstudium in Oldenburg. Praxissemester bei SITE/James Wines in New York. 2002 Mitorganisation der Ausstellung »Die Moderne als Modell« im Horst-Janssen-Museum, Oldenburg. 2003 Redaktionspraktikum bei der db. Diverse Zeitschriften- und Buchpublikationen. Lebt und arbeitet seit 2005 in Hannover.