1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Kultur | Sakral »

Konzerthalle in Pécs

Stradivari in der Vorstadt
Konzerthalle in Pécs

Vom Kulturhauptstadtjahr ist in der südungarischen Stadt nicht viel geblieben. Man hatte sich finanziell schwer verhoben und musste sich auf ein einzelnes »Leuchtturmprojekt« beschränken, mit dem Pécs nun versucht, seine Position als Musik- und Kongressstandort zu stärken. Die Gestaltungsprinzipien der Kodály-Konzerthalle sind an typische Strukturen der westlichen Musik angelehnt. Das ganz in Holz gefasste Innere wirkt selbst wie ein warm klingendes Musikinstrument, während das steinerne Äußere Dauerhaftigkeit und Würde ausstrahlt.

    • Architekten: Építész Stúdió; Mérték Építészeti Stúdió
      Tragwerksplanung: Bend-Stat

  • Kritik: Nóra Somlyódy
    Fotos: Tamás Bujnovszky
Das Konferenz- und Konzertzentrum, benannt nach dem Komponisten Zoltán Kodály, war eines der großen Versprechen der Europäischen Kulturhauptstadt 2010. Mit dem Bau wurden jahrzehntelange Wünsche und Träume verwirklicht, aber auch neue Erwartungen geweckt.
Nur 15 Minuten Fußweg vom Stadtzentrum entfernt, erinnert die Landschaft doch eher an die Peripherie – mit einer Eisenbahnstrecke hinter dem tief liegenden Gelände und einer Hauptverkehrsstraße davor, auf der täglich 30 000 Fahrzeuge unterwegs sind. Mit einer Tankstelle, einem Fastfood-Restaurant und einem Supermarkt in der Nähe. Die Wohnhausanlagen gegenüber sind heruntergekommen, ebenso wie der angrenzende Park. Außerdem liegt gleich neben dem neuen Konferenz- und Konzertzentrum ein Studentenwohnheim aus den 60er Jahren.
Als sich Pécs 2005 für den Titel Europäische Kulturhauptstadt bewarb, nahm man sich vor, dieses östlich der historischen Innenstadt liegende Viertel langfristig umzugestalten. Ein neues Stadtentwicklungskonzept sieht vor, traditionell in der Innenstadt verankerte Institutionen in die bis dahin vernachlässigte Gegend zu übersiedeln. So wurde bisher neben einer Bibliothek und dem Zsolnay-Kulturquartier auch das neue Kodály-Zentrum realisiert. Denn die Stadt hoffte darauf, dass die neuen Prestigebauten als Katalysatoren für die Gegend wirken, zu ihrer zukünftigen Entwicklung beitragen und das Image der Stadt verbessern. Überdies will sich Pécs langfristig als Kulturzentrum für die ganze Region einschließlich der angrenzenden Teile Kroatiens und Serbiens etablieren.
Diese Bedingungen forderten von den Architekten, die 2007 den internationalen Wettbewerb gewannen, eine architektonische Lösung, die sowohl zum heutigen als auch zum zukünftigen Bild der Umgebung passen würde.
Das Kodály-Zentrum bildet eine in sich geschlossene Einheit. Das Gebäude wurde so weit wie möglich von der Straße weg gebaut und mit eher geschlossen wirkenden Fassaden von der Eisenbahnstrecke und dem Studentenwohnheim isoliert. Der tief liegende Eingangsbereich hingegen wirkt offen und soll zukünftig zu einem städtischen Treffpunkt werden. Das treppenförmige Areal rundherum erinnert an ein Amphitheater und soll mit dem später noch herzurichtenden Park eine Einheit bilden. Kalksteinblöcke bieten sich als Bänke zum Verweilen an, noch wirkt aber alles verlassen und öde. Über eine Rampe entlang der Seitenfassade des Gebäudekerns gelangt man auf die Dachterrasse, die sich gegen Ende hin wie ein Fächer öffnet. Mit einem Café wird versucht, auch an dieser Stelle städtisches Leben herzustellen.
Die Bekleidung des Betonbaus mit hellgelbem Kalkstein aus Süttö (aus dem Nordwesten Ungarns) betont die massive und zurückhaltende Erscheinung, verleiht dem Gebäude aber auch eine gewisse Eleganz. Das formelle und noble Antlitz verändert sich abends durch die Innenbeleuchtung, deren warmes Gelb durch die Glasfassade des Eingangsbereichs und die »monitorartige« Front strömt.
Das Kodály-Zentrum bekam schon sehr früh den Spitznamen »Steinschnecke«, da sich seine Grundfigur wie eine Spirale in Richtung des Kerns – des Konzertsaals – dreht. Dieser erhebt sich mit kraftvoller Geste vom Boden und präsentiert sich dem Betrachter mit einer monumentalen vertikalen Glasfläche, die Einblick ins Innere gewährt. Die eindrucksvolle skulpturale Form, die von den gegenüberliegenden Hügeln aus eindeutig erkennbar ist, folgt dem Konzept, das der Architekt Ferenc Keller und seine Mitarbeiter (Építész Stúdió) als Antwort auf die vielfältige und problematische Umgebung formuliert haben. Der Bau steht im deutlichen Kontrast zur Umgebung, wirkt fremdartig, aber einladend.
Zusammenklang von Musik und Ästhetik
Die Funktionen des 11 700 m² großen Gebäudes sind um den Konzertsaal im Kern organisiert. Der Saal fasst 999 Gäste und kann in einen Konferenzplenarraum umfunktioniert werden. Er kann von drei Seiten und auf drei Etagen vom Publikum frei begangen werden: Das geräumige Foyer, wo u. a. auch Bar und Garderobe untergebracht sind, bildet einen kontinuierlichen Raumzusammenhang mit der Galerie auf der ersten Etage. Die Räume hinter der Eingangshalle bzw. hinter dem Konzertsaal beherbergen neben technischer Infrastruktur und Proberäumen zwei große Konferenzsäle (für je 350 Personen) und fünf Sektionsräume (für je 40 Personen) im EG und auf der ersten Etage.
Der Konzertsaal hat sich schlicht als Erfolgsprodukt des Kulturhauptstadtjahrs erwiesen: Der berühmte Violinist Maxim Vengerov sprach von einer »architektonischen Stradivari«, als er den, mit beträchtlicher Verspätung fertiggestellten, Saal im Dezember 2010 einweihte. Der perfekte Klang ist u. a. dem dänischen Fachmann Anders Christian Gade zu verdanken, und auch die Arbeit der Innenarchitekten László (f) Rádóczy und Zsolt Tolnai ist lobenswert. Der Saal ist asymmetrisch ausgestaltet, folgt aber dem Schuhschachtel-Prinzip. Er ist mit furnierten Platten aus braunrotem Erlenholz verkleidet, die in stumpfen Winkeln aneinandergereiht sind. Jede Platte ist unterschiedlich geformt, geriefelt und positioniert, um so für eine hervorragende Akustik zu sorgen. Optisch verleihen die Platten dem Raum Eleganz und eine hohe Ästhetik. Ein Eindruck von Dynamik, Beweglichkeit und Spannung entsteht, der im Kontrast zum Äußeren des Gebäudes steht und durch die Beleuchtung noch zusätzlich unterstrichen wird. Statt Leuchten sind nur weiche Lichtstreifen zu sehen. In der Gesamtschau wirkt der Saal wie die Fotografie eines bewegten Objekts. Das Publikum fühlt sich wie im Innern eines bespielten Musikinstruments – und das genau war die Absicht der Architekten.
Das gestalterische Prinzip der Dynamik zieht sich durch das gesamte Gebäudeinnere. Es gibt kaum Rechtecke oder Symmetrien. Sowohl das Foyer als auch die Galerien operieren mit Steigungen und Rampen. Manche der zahlreichen Stützen sind schräg aneinandergereiht. Sogar die auffälligen, rot bezogenen Sitzgelegenheiten der öffentlichen Zonen schöpfen aus dem anregenden geometrischen Spiel mit stumpfen Winkeln. Hinzu kommt, dass die in Facetten gebrochenen Wände des Konzertsaals eindrucksvoll in die Vorräume ausschwingen. Die Bekleidung des Konzertsaalkörpers jedoch präsentiert sich im völligen Kontrast zur anspruchsvollen Geometrie und der edlen Anmutung der übrigen Oberflächen: Die riesigen, mit venezianischem Stuck überzogenen und an vielen Materialstößen schlecht abgeglichenen Sperrholzplatten wirken billig und das goldfarbene »Finish« gewollt. Ursprünglich hatten sich die Architekten dafür eine mit der berühmten Pécser Zsolnay-Keramik bekleidete Stahlkonstruktion vorgestellt. Geld- und Zeitmangel, den es rund um den Bau gab und der als eine der Begleiterscheinungen von Kulturhauptstädten gilt, wird hier deutlich sichtbar. Zahlreiche Änderungen des Programms (ein Studio, Küche und Orgel wurden eingespart), Planungsänderungen (z. B. aufgrund der Fehleinschätzung des Baugrunds im Vorfeld) und der Einfluss der Tagespolitik haben das Konzept des Kodály-Zentrums immer wieder verändert. Im Sommer 2009 stieg schließlich das Architekturbüro Építész Stúdió aus und überließ die Ausführungspläne dem Architekturstudio Mérték.
Trotz der konfliktreichen Vorgeschichte verfügt die Stadt Pécs nun über ihren ersten zeitgenössischen Kulturbau. Die Stadt mit 160 000 Einwohnern hat seit den 80er Jahren ein eigenes philharmonisches Orchester, die Pannon Philharmoniker, die schon seit Langem ein angemessenes Zuhause verdient haben. Nach dem Budapester Kulturzentrum, dem Palast der Künste, ist das Kodály der zweite zeitgenössische Konzertsaal Ungarns. Viele Gründe, um stolz zu sein.
Mit dem Ende des Kulturhauptstadtjahrs tauchten rund um das Kodály-Zentrum aber auch viele Fragen auf; Programmgestaltung und Finanzierung von Gebäude und laufendem Betrieb sind teilweise noch ungeklärt. Von einer institutionellen Verschmelzung mit dem Palast der Künste ist die Rede, ebenso von einer staatlichen Unterstützung. Auch ist immer noch nicht ganz klar, ob und wie es die Stadt schaffen kann, das von der historischen Innenstadt östlich liegende Viertel zu beleben. Denn städtebauliche Visionen benötigen mehr als neue Zäune, mit denen die verfallenen Häuser der Umgebung vom Publikum abgeschirmt wurden. Ein knappes halbes Jahr nach der Eröffnung des Kodály-Zentrums kann man von einem großen Schritt sprechen. Wohin dieser genau gehen wird, lässt sich heute noch nicht beantworten. •
  • Standort: Zsolnay Vilmos utca 37, 7630 Pécs (H) Architekten (Enturf und Ausschreibung): Építész Stúdió, Budapest, Tamás Fialovszky, Richárd Hönich, Ferenc Keller, Benedek Sólyom Architekten (Bauausführung): Mérték Építészeti Stúdió, Budapest, László Fábián, István Vámossy, Rita Terbe, Tamás Baranya, Zalán Reviczky, Péter Archibald Bodola Tragwerksplanung: Bend-Stat, Budapest, András Nagy Innenarchitektur: Pécsépterv Stúdió, Pécs, László (f) Rádóczy, Zsolt Tolnai Akustikplanung: Arató Akusztika, Budapest, Éva Arató; Gade & Mortensen, Charlottenlund, Anders Christian Gade, András Kotschy Außenraumgestaltung: S73, Budapest, Sándor Mohácsi, Borbála Gyüre Nutzfläche: 11 200 m² Baukosten: 24 Mio. Euro Bauzeit: Juli 2009 bis Dezember 2010
  • Beteiligte Firmen: Generalunternehmer: Magyar Építö, Budapest, www.magyarepito.hu mit Arcadom Construction, Budapest, www.magyarepito.hu Kalkstein aus Süttö: Reneszánsz Köfaragó, Üröm, www.magyarepito.hu Sperrholzpaneele: Garzon Bútor, Székesfehérvár, www.magyarepito.hu Beschichtung Saalwände außen: OIKOS, Gatteo Mare, www.magyarepito.hu Deckensystem Foyers: Barrisol – Normalu, Kembs (F), www.magyarepito.hu

Építész Stúdió
Ferenc Keller
1962 in Budapest geboren. 1981-86 Architekturstudium an der Universität Budapest (BME), 1988-90 Masterstudium. 1986-90 Mitarbeit in Architekturbüros in Budapest und Wien. Seit 1993 Mitarbeit bei Építész Stúdió, seit 1998 als Partner. Seit 1994 Lehrtätigkeit.
Benedek Sólyom
1967 in Jena geboren. 1986-92 Architekturstudium an der BME, 1996-98 Masterstudium. Seit 1992 Mitarbeit bei Építész Stúdió. 1998-2001 Promotionsstudium an der BME. Seit 2010 Lehrtätigkeit.
Tamás Fialovszky
1975 in Budapest geboren. 1993-2000 Architekturstudium an der BME, 2002-04 Masterstudium. Seit 1996 bei Építész Stúdió. Seit 2005 Lehrtätigkeit.
Richárd Hönich
1965 in Budapest geboren. 1986-91 Architekturstudium an der BME, 1994-96 Masterstudium. 1997-2000 Promotionsstudium an der BME. Seit 1991 Mitarbeit bei Építész Stúdió, seit 1998 als Partner. Seit 1995 Lehrtätigkeit.
Nóra Somlyódy
1975 geboren. 1995-2000 Studium von Kommunikationswissenschaft und Englisch an der Universität Pécs. 2001 Master der Central European University, Budapest, in Geschichte. 2004-06 Mitarbeit am OnlineArchitekturjournal www.epiteszforum.hu. 2006-10 freie Mitarbeit bei der kulturpolitischen Wochenzeitschrift Magyar Narancs. Gegenwärtig Kuratorin am KÉK – Contemporary Architecture Centre in Budapest.
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de