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Klinker-Couture

Wohnhaus in Stuttgart
Klinker-Couture

In Stuttgart hüllten die Architekten Bottega + Ehrhardt ein Familiendomizil in ein exquisites Backstein-Kleid: Die grau changierenden, wassergestrichenen und kohlegebrannten Ziegel verleihen dem formal strengen Baukörper eine natürliche Lebendigkeit.

    • Architekten: Bottega + Ehrhardt Tragwerksplanung: Zindel Planungsgesellschaft

  • Kritik: Iris Darstein-Ebner Fotos: David Franck
Eigentlich wollte die Familie gar nicht neu bauen – schließlich hatte sie erst 2008 eine Villa in herrlicher Hanglage im Stuttgarter Osten erworben. Allerdings bestand der Wunsch, das Gebäude aus der Bauhauszeit, das durch einen Satteldachaufbau in den 50er Jahren viel an Originalität eingebüßt hatte, rückzubauen, zu modernisieren und um ein Flachdachgeschoss zu erweitern. Über eine Empfehlung entstand der Kontakt zu den Architekten Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt, die ein paar Jahre zuvor eine ähnliche Bauaufgabe auf der anderen Seite des Stuttgarter Kessels gelöst hatten. Doch hier, am Ende einer Sackgasse am Waldrand, unterhalb einer Aussichtsplattform, war die Sache mit der aufgesetzten Dachbox nicht so einfach: Eine Aufstockung ließ das Baurechtsamt nicht zu, weshalb sich die Bauherren zu Abriss und Neubau entschlossen.
Als Reminiszenz an den klassisch modernen Vorgängerbau sollte das neue Domizil ein Flachdach erhalten. Um dies zu realisieren, verzichteten die Architekten auf das zusätzliche DG und blieben damit unter der erlaubten Geschossigkeit im Baugebiet. Von der höher gelegenen Straße aus ist das Haus kaum zu sehen, weil sich ein winkelförmiges Erschließungsbauwerk vor den Baukörper schiebt. In ihrer vollen Dimension kann die dreigeschossige Gebäudekubatur nur vom talseitigen Garten aus erfasst werden. Hier lockern in der Vertikalen versetzt angeordnete, querformatige Fenster die große Fassadenfläche auf und gliedern sie spannungsvoll. Mit seinen eingeschnittenen Terrassen reagiert der Baukörper zudem vielfältig auf die Topografie.
Mauerwerk in höchster Perfektion
Die Entscheidung für Backstein fiel früh, da den Bauherren die dunkle Ziegelfassade eines früheren Entwurfs der Architekten gefiel. Nach aufwendiger Klinker-Recherche und der Besichtigung verschiedener Objekte entschied man sich schließlich doch für eine helle Stein-Variante – im Zusammenspiel mit Sichtbeton: Während das aus KS-Blöcken massiv gemauerte und mit einer Mineraldämmschicht versehene Haupthaus eine hinterlüftete Verblendschale aus Ziegelmauerwerk erhielt, wurde das Eingangsbauwerk mit Garagen und Serviceräumen sowie die Wände der Treppenanlage in Sichtbeton vor Ort gegossen. Dem gleichmäßigen, ruhigen Grau des Betons stellen die Architekten bewegte Klinkerflächen gegenüber, die mit ihren changierenden Grautönen an Natursteinmauern erinnern. Auf diese Weise wird sowohl formal als auch materialbezogen zwischen Funktionsfläche und Wohnraum unterschieden und beides doch zu einer harmonischen Einheit zusammengebunden.
Weil auch die Fensterlaibungen mit Ziegeln bekleidet sind, erhält das Gebäude plastische Kraft. An der Attika, den Fenstersimsen und Terrassenbrüstungen kehrt Beton in Form von schlank dimensionierten Fertigteilen wieder. So konnten präzise und stimmige Bauteilabschlüsse erstellt und Blechverwahrungen vermieden werden, die die Homogenität des Gesamtbilds gestört hätten. ›
› Auffällig ist die perfekte Qualität des Mauerwerks, die zu erreichen wohl nur noch sehr wenige Betriebe imstande sind. Die Architekten ließen die Mauern in freiem Verband mit leicht zurückversetzter Vermörtelung erstellen, um die Steinkanten noch markanter hervortreten zu lassen. Ein Verwischen der Vermörtelung war nicht erwünscht, um das abwechslungsreiche Farbenspiel des handwerklich hergestellten, kohlegebrannten Ziegels nicht zu verfälschen. Die nötigen Dehnfugen wurden gegeneinander verzahnt und damit sehr unauffällig ausgeführt. Durch geschickte Platzierung wirken sie niemals störend. Das schlanke Steinformat (228 x 108 x 40 mm) betont die geradlinige, monolithische Form des puristischen Baukörpers und gibt der Gebäudehülle eine feine Textur.
Raffinierte Raumbeziehungen und grandiose Ausblicke
Der Hauseingang liegt auf einem Podest zwischen den beiden oberen Etagen, die von der Bauherren-Familie bewohnt werden, und öffnet sich auf ein Entree, das mit über 3,5 m über eine eindrucksvolle Raumhöhe verfügt. Dass sich hinter den Wandbekleidungen Garderobe und Gäste-WC verbergen, lässt sich kaum erahnen, da die bündig und grifflos gestalteten Zugänge an Tapetentüren erinnern. Dafür zieht die konisch zulaufende Treppe aus Sichtbeton-Fertigteilen den Besucher förmlich nach oben in die lichtdurchflutete Wohnebene. Dort schaffen diagonal versetzte Terrasseneinschnitte eine Engstelle im Grundriss, die den Wohnbereich von der offenen Küche separiert. Jener bildet zusammen mit Essplatz und Arbeitsbibliothek eine zusammenhängende Einheit, zoniert nur durch eine eingestellte Wandscheibe mit offenem Kamin. Der Arbeitsplatz dahinter wird von einem Kastenfenster gerahmt, einem Stilelement vieler Häuser aus den 20er Jahren.
Gegenüberliegende Öffnungen ermöglichen auf der gesamten Etage ein Durchwohnen des Grundrisses in Längs- und Querrichtung. Außer den Zugängen zu den Terrassen und den bodentiefen Schiebefenstern mit Talblick sind alle Fenster im Haus fest verglast. Die Rahmen in dunkel schimmerndem Anthrazit nehmen den mineralischen Glanz der Fassade auf. Die Oberflächen der mit Fußbodenheizung ausgestatteten Böden bestehen aus einer dunkel eingefärbten Zement-Spachtelmasse und bilden die ruhige Basis für die durchgehend glatt und weiß verputzten Decken und Wände.
Von der nach Süden ausgerichteten großen Wohnterrasse führt eine gebäudeintegrierte, an einen Kajütenaufgang erinnernde Wendeltreppe aufs »Oberdeck« mit Rundumblick. Als Bodenbelag für die Terrassen und zur Auskleidung des Treppenaufgangs wurden Dielen aus Walaba-Stauseeholz gewählt. Das durch jahrzehntelange Wasserlagerung konservierte, feingemaserte Tropenholz weist beim Einbau eine satte, rötlich-braune Färbung auf, vergraut im Laufe der Zeit und passt sich so der einheitlichen Farbgebung des ›
› Hauses an. Im Mittelgeschoss befinden sich Schlafzimmer und Bäder sowie der Fitness- und Saunabereich mit eingeschobener Loggia. Ein marokkanischer Mauerwerksverband in der Fassade schirmt den kleinen Freiraum zum einen gegen zudringliche Blicke ab und lässt zum anderen interessante Lichteffekte auf den Wänden entstehen. Richtung Osten rahmt ein Fenster den Ausblick in den Garten. Ohnehin ermöglicht die kreuzförmige Erschließung des Geschosses Blicke in alle Himmelsrichtungen. Gästezimmer, Kinderbad und Kinderzimmer gehen nach Süden; vis-à-vis reihen sich Elternschlafzimmer, Ankleide und Bad aneinander. Separiert werden sie lediglich durch vom Schreiner individuell gefertigte Schrankelemente mit integrierten Sitztruhen. Die gesamte nördliche Fassadenfront bleibt innen unangetastet und der offene Grundriss damit erlebbar. Bei Bedarf erlauben raumhohe Schiebetüren den privaten Rückzug. Statisch erforderliche Stahlbetonscheiben oder -stützen sind in die Einbauten integriert und bleiben unsichtbar – wie auch die Ein- und Auslässe der Lüftung mit Wärmerückgewinnung, die zusammen mit der Photovoltaikanlage auf dem Garagendach Bestandteil des Passivhauskonzepts ist.
Die auf der Westseite erschlossene 136 m² große, analog gestaltete Einliegerwohnung im Gartengeschoss ist von den 240 m² der Bauherrenwohnung komplett abgetrennt. Über das Treppenhaus hat die Familie jedoch Zugang zu den Technik- und Lagerräumen auf dieser Ebene. Und sollte die Einliegerwohnung später einmal der Bauherrenwohnung zugeschaltet werden, ist dies über eine einfach zu entfernende Wand möglich.
Qualität ohne Kompromisse
»Wir gestalten Raum.« So lapidar hatte Henning Ehrhardt die Frage nach der Leitidee des Büros Bottega + Ehrhardt beantwortet. Wie umfassend das gemeint ist, wird nach dem Rundgang durch das Haus klar: Angefangen von der Ausrichtung des Gebäudes auf dem Grundstück bis hin zu den in rhythmischem Wechsel positionierten Leuchten wurde hier nichts dem Zufall überlassen. Stilistische Ausreißer oder Halbheiten bei der Einrichtung erlaubt diese sehr gekonnt umgesetzte Architektur nicht. Sich ihr hinzugeben, ist sicher nicht jedermanns Sache, wer sich jedoch traut, den belohnt der puristische Verzicht auf Überflüssiges mit einer ganz besonderen Wohn-Freiheit. •
  • Standort: Gänswaldweg 31, 70180 Stuttgart

    Bauherr: privat Architekten: Bottega + Ehrhardt Architekten, Stuttgart Giorgio Bottega / Henning Ehrhardt Tragwerksplanung: Zindel Planungsgesellschaft, Stuttgart
    Bauleitung: Jo Carle Architekten, Stuttgart
    Bauphysik, Energieberatung: localwarming, Ehrenkirchen
    Haustechnikplanung: Ingenieurbüro Scheer, Stuttgart
    Lichtplanung: pslab, Stuttgart
    BGF: 810 m²
    BRI: 2 100 m³
    Bauzeit: November 2011 bis Mai 2013
    Baukosten: keine Angabe
  • Beteiligte Firmen: Klinker: Petersen Tegel, Broager, www.petersen-tegl.dk,
    über Backsteinkontor, Köln, www.petersen-tegl.dk
    Bodenbeschichtung: Pandomo, Witten, www.petersen-tegl.dk
    Fenster: Rauh SR Fensterbau, Sassendorf, www.petersen-tegl.dk
    Schalterprogramm: Gira, Radevormwald, www.petersen-tegl.dk
    Küche: Bulthaup, Bodenkirchen, www.petersen-tegl.dk
    Beschläge: fsb, Brakel, www.petersen-tegl.dk
    Beleuchtung: pslab, Stuttgart, www.petersen-tegl.dk
    Soundsystem: Studio 26, Stuttgart, www.petersen-tegl.dk

Stuttgart (S. 18)


Bottega + Ehrhardt Architekten


Giorgio Bottega
1967 in Rosenfeld geboren. 1989-95 Studium an der HfT Stuttgart. Mitarbeit u. a. bei Kohlhoff & Kohlhoff Architekten. Seit 1998 Büro mit Henning Ehrhardt. 2006 Lehrauftrag an der Universität Stuttgart.
Henning Ehrhardt
1966 in Stuttgart geboren. 1986-91 Studium an der Universität Stuttgart und der ETH Zürich. Mitarbeit u. a. bei B. Tschumi Architects. 1995-2006 Lehrauftrag an der Universität Stuttgart, 2006 Gastprofessur.
Iris Darstein-Ebner
1967 geboren. 1994 Architektur-Diplom in Karlsruhe. Mitarbeit in mehreren Architekturbüros. 1996-2011 Tätigkeit als Redakteurin u. a. bei AIT und kraemerverlag Stuttgart. Seit 2011 Architekturkommunikation.
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