Architekten: Seiler Linhart
Holzbauingenieure: Pirmin Jung
Kritik: Hubertus Adam
Fotos: Rasmus Norlander
Gut 20 Minuten benötigt der Zug von Luzern aus in südlicher Richtung nach Sarnen, den Hauptort des kleinen Kantons Obwalden. Das ist eine Pendlerdistanz, und die S-Bahn hält seit 2016 auch am neu angelegten Bahnhof Sarnen-Nord. Hier, zwischen dem historischen Ortskern und dem kleinen Flugplatz Kägiswil, ist in den vergangenen Jahrzehnten ein Gewerbegebiet entstanden, das gemäß dem Quartierplan für das bahnhofsnahe Gebiet namens »Feld« in den kommenden Jahren weiter mit Büro- und Wohngebäuden verdichtet werden soll.
Das erste Gebäude, das auf diesem Areal errichtet wurde, ist der im September 2021 eingeweihte Hauptsitz der Obwaldner Kantonalbank (OKB). Bis 2005 war die öffentlich-rechtliche Bank des Kantons gegenüber vom Bahnhof und damit im historischen Ortskern ansässig. Doch dann zog das Hochwasser der Saaner Aa das Gebäude so in Mitleidenschaft, dass über einen Neubau an gleicher Stelle nachgedacht werden musste. Allerdings verzögerte sich das Bauprojekt, und schließlich entschied sich die OKB, in das neue Quartier nördlich des Ortszentrums umzuziehen, wo eine geräumigere Parzelle zur Verfügung stand. Das aus der Region hervorgegangene, heute vorwiegend in Luzern ansässige Büro Seiler Linhart konnte 2017 den Studienauftrag für sich entscheiden.
Wie repräsentiert sich eine Bank?
In seiner »History of Building Types« (1976) widmet Nikolaus Pevsner Börsen und Banken ein eigenes Kapitel. Doch blickt man auf die historischen Beispiele, so zeigt sich, dass eine wirkliche Typologie des Bankgebäudes nicht existiert. Mal treten Banken eher wie repräsentative Bürobauten in Erscheinung – etwa der ehemalige Hauptsitz der Schweizerischen Kreditanstalt am Zürcher Paradeplatz, das Schweizer Bankgebäude des 19. Jahrhunderts schlechthin –, mal rufen sie die Idee des Schatzhauses in Erinnerung, so die Jewel-Box-Banken von Louis Henry Sullivan im Mittleren Westen des USA. Seiler Linhart standen also vor einer wichtigen Frage: Welcher Ausdruck ist heute für eine Bank adäquat? Und das nicht im urbanen Kontext, sondern im ländlich geprägten Sarnen?
Die Architekten entschieden sich für eine durchaus repräsentative Geste: Der auch Quadrum titulierte Neubau ist ein quadratisches Volumen mit jeweils zwölf Fassadenachsen und fünf Geschossen. Klassisch, fast palastartig, steht er inmitten eines noch weitgehend unbebauten Geländes, was die solitäre Wirkung unterstreicht. Die Gliederung der Fassaden ist an allen Seiten gleich; nur der eingezogene, zwei Achsen übergreifende Haupteingang im Süden zeigt an, dass es sich hier um die Hauptfassade handelt. Stärker tritt die vertikale Differenzierung in Erscheinung: Perforierte metallene Sonnenschutzelemente vor den Fenstern charakterisieren die beiden Publikumsgeschosse, während die jeweils in vier vertikale Streifen gegliederten Fenster der drei internen Bürogeschosse darüber mit textilen Stores verschattet werden können. Zweifelsohne ungewöhnlich ist die Entscheidung, den Palazzo der Bank als Holzkonstruktion ausführen zu lassen.
Aus Beton bestehen lediglich das UG und der als Aussteifung fungierende Erschließungskern, das Tragwerk wurde in Skelettbauweise mit Stützen und Unterzügen aus Eschenholz erstellt; Verbundträger aus Esche und Fichte und ein Überzug aus Beton bilden die Decken. Während das Holz im Inneren unbehandelt geblieben ist, wurde die Fassadenschalung aus Fichtenholz dunkel lasiert; die Farbe ist schwer zu beschreiben, sie wirkt gräulich mit einem gewissen Rot-Anteil, die Architekten sprechen von Aubergine. Das nimmt dem Gebäude den rustikalen Ausdruck des Hölzernen, und von der Ferne aus mag man noch nicht einmal an einen Holzbau denken.
Nähert man sich indes dem Gebäude, so tritt die differenzierte Fassadengliederung deutlich in Erscheinung: Die vertikalen Elemente sind mit Kanneluren versehen, die Knotenpunkte mit farblich leicht abgesetzten Auflagen, sodass sie wie Kapitelle wirken. Die horizontalen Bretter im Sockelbereich wurden zudem mit gefrästen Mustern dekoriert, die sich aus den Buchstaben OKB zusammensetzen. Hat sich die steinerne griechische Tempelarchitektur aus dem Holzbau entwickelt, so gehen Seiler Linhart gewissermaßen den umgekehrten Weg: Sie übertragen einen steinernen Palazzo in das Baumaterial Holz. Der Neubau der OKB verheißt Urbanität, bleibt aber noch dem Ländlichen verhaftet. Er verspricht Solidität und Sicherheit, Werte also, mit denen Banken sich identifizieren – und ist doch ganz aus dem Holz des Kantons Obwalden erstellt. Wirkt die Fassade allzu retrospektiv? Wäre hier etwas weniger an klassizierender Ornamentik wünschenswert gewesen? Darüber liesse sich diskutieren.
Halle und Lichthof
Vorbei an den Selbstbankingbereichen gelangt man vom Haupteingang aus in die zweigeschossige Kundenhalle. Geschnittene Terrazzoplatten, in welche Flusskiesel aus Obwaldner Gewässern eingelegt wurden, bilden den Bodenbelag; in die Deckenraster integriert sind Felder mit Beleuchtungselementen, welche den Raum entsprechend dem Verlauf des Tageslichts erhellen. Eine geschwungene Treppe führt hinauf zur Galerie im 1. OG, über die verschiedene Besprechungsräume erreichbar sind.
Wie in den zuvor vom Architekturbüro realisierten Arbeiten beeindrucken auch in Sarnen die Präzision der Materialverarbeitung und die Liebe zum Detail. Das zeigt sich etwa an den im Raster von 2,8 m stehenden Stützen, die sich – ähnlich der antiken Entasis – dem Druckmoment entsprechend verjüngen und damit eine subtile, kaum wahrnehmbare Dynamik erzeugen. Seiler Linhart waren darüber hinaus auch für den Entwurf der Theken aus Räuchereiche und anderer Einbauten verantwortlich, sodass eine starke räumlich-gestalterische Kohärenz erzielt werden konnte, die sich auch in der Cafeteria oder im Schließfachbereich fortsetzt. Gelungen und eine wirkliche Bereicherung sind außerdem die insgesamt acht künstlerischen Interventionen mit Obwalden verbundener Kunstschaffender, die sich über die verschiedenen Geschosse verteilen und als integraler Bestandteil der Architektur wirken. Die drei Bürogeschosse über dem öffentlichen Sockel gruppieren sich um einen schmalen Innenhof, der seitlich berankt und am Boden mit einer von einem Bewässerungssystem gesteuerten Hochmoorvegetation en miniature versehen ist.
Die Erstellung des Holzbaus benötigte bis zum Richtfest lediglich neun Tage. Zwei regionale Holzbauunternehmen fertigten die Elemente, die von 50 Arbeitern im Zweischichtbetrieb installiert wurden. Das Gebäude bietet insgesamt Platz für 160 Mitarbeitende; derzeit arbeiten vor Ort 130 Personen, es bestehen also – insbesondere im hinteren Gebäudeteil – noch räumliche Reserven für die Zukunft.
Unser Kritiker Hubertus Adam konnte den Blick offenbar nicht einmal für das Autorenfoto von der Fassade abwenden
- Standort: Im Feld 2, CH-6060 Sarnen
Bauherr: Obwaldner Kantonalbank, Sarnen
Architekten: Seiler Linhart Architekten, Sarnen + Luzern
Projektleitung: Julia Wurst
Bauleitung: Eggimann Architekten, Sarnen / Konzept 4, Sarnen
Bauherrenberatung/Kostenplanung: Büro für Bauökonomie, Luzern
Holzbauingenieur/Bauphysik/Brandschutz: Pirmin Jung AG, Rain
Bauingenieur: CES AG, Sarnen
HLKS-Planung: JOP Josef Ottiger + Partner AG, Rothenburg
Elektroplanung: Scherler AG, Luzern
Lichtplanung: LG Lightguide, Kägiswil
Landschaftsarchitektur: Freiraumarchitekten, Luzern
Geologie: Geotest AG, Horw
Sicherheitsplanung: Marquart Sicherheit + Security, Winterthur
Verkehrsplanung: TEAMverkehr.zug AG, Cham
Gastroplanung: Hotel + Gastro Soltution, Sarnen
Signaletik: Büro Amrhein, Sarnen
Mediaplanung: Erzinger Audio Video Solutions AG, Baar
Kunst am Bau: Thomas Birve, Sandro Halter & Sämy Steiger, Stephanie Hess, Elia Malevez & Lena Eriksson, René Odermatt, Anna-Sabrina Zürrer
Geschossfläche nach SIA 416: 8 870 m²
Gebäudevolumen nach SIA 416: 30 300 m³
Bauzeit: Juni 2019 bis August 2021
- Beteiligte Firmen:
Holzverarbeitung Außenwände + Fassade: Hartwag AG, Buchs ZH
Decke: NH Akustik & Design AG, Lungern
Boden: Schmidt Parkett AG, Alpnach
Kunststein: Schmitt Natursteinwerk AG, Herisau
Beton: Fanger Elementtechnik AG, Sachseln/Giswil
Einbauleuchten: Inventron AG
Seiler Linhart
Patrik Seiler
1989-92 Architekturstudium an der Hochschule Luzern. 1992-2001 Mitarbeit bei Marques & Zurkirchen Architekten, Luzern und Bearth & Deplazes Architekten, Chur. 1999-2001 Assistenz an der ETH Zürich. 2001-09 selbstständig. 2010 Büro mit Søren Linhart. 2013-15 Lehrauftrag an der Hochschule Luzern.
Søren Linhart
1996-2002 an der Bauhaus-Universität Weimar und der Technischen Hochschule Chalmers, Göteborg. 2002-07 Mitarbeit bei Bosshard & Luchsinger Architekten, Luzern. 2007-11 wissenschaftliche Mitarbeit an der ETH Zürich. Seit 2010 Büro mit Patrik Seiler.
Hubertus Adam
Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in Heidelberg. Freier Architekturkritiker. 1996– 1998 Redakteur der Bauwelt, 1998–2012 der archithese. 2010–15 Künstlerischer Leiter des S AM in Basel.