1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Bildung | Erziehung »

Idealer Nachhall

Domsingschule in Stuttgart
Idealer Nachhall

Gleich beim ersten großen Projekt ein besonders kniffliges Raumprogramm in einen klar strukturierten Straßenraum zu integrieren, war die Aufgabe, der sich das Stuttgarter Büro erst im Wettbewerb, dann bei der Ausführung stellen musste. Sie fanden für die Stuttgarter Domsingschule trotz allerlei Restriktionen einen eigenständigen Ausdruck und schufen ein architektonisches Instrument, mit dem die Nutzer begeistert spielen.

    • Architekten: no w here architekten mit SeiboldBloss Tragwerksplanung: Furche Zimmermann

  • Text: Petra Bohnenberger Fotos: Becker Lacour
Die Katholische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart suchte lange nach einem geeigneten Ort für ein Probenhaus der Chöre der Dommusik St. Eberhard. Erst nach einem Grundstückstausch mit der Stadt Stuttgart war ein passendes Grundstück gefunden; nah genug an der Innenstadt – 15 Minuten dauert der Weg zu Fuß vom Bahnhof aus – und gut an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen. Die Landhausstraße ist eine für Stuttgart typische Straße: Hanglage – zur Parallelstraße hin fällt das Gelände zwölf Meter ab – mit Gründerzeitbauten aus gelbem und rotem Ziegel, durchsetzt mit Gebäuden aus den sechziger Jahren, die die Lücken der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges schließen. Eine der letzten Lücken, eine Brache, die als Parkplatz genutzt wurde, konnte nun mit dem Gebäude der Domsingschule geschlossen werden.
Die beiden Architekten, Karl Amann und Henning Volpp, hatten sich während ihres Studiums an der Kunstakademie in Stuttgart kennengelernt und trafen sich später an der Universität Stuttgart als Lehrende wieder. Nach der gemeinsamen Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben gründeten sie 1999 ihr Büro »no w here architekten« mit den Schwerpunkten Aus- und Umbau, Ladenbau und Messekonzepte. Mittlerweile hat sich das Arbeitsfeld zu einem großen Teil auf die 2003 gegründete Gesellschaft für soziales Planen erweitert, deren Aufgabe es ist, bei Projekten für Alten- und Pflegeheime beratend und planend tätig zu sein. Die Domsingschule ist das erste große Projekt für die no w here architekten. Den Auftrag verdankt das Büro der Fairness von Kollegen: Das Architekturbüro SeiboldBloss war für den Wettbewerb 2001 ausgelost worden und bat die jungen Architekten um Mitarbeit in einer Arbeitsgemeinschaft. Da no w here architekten beim Entwurf federführend waren, ließ ihnen SeiboldBloss den Vortritt.
Wer die Landhausstraße entlanggeht, kann den Bau schon von Ferne erkennen. Es entsteht leicht das Gefühl, als beuge sich die Domsingschule mit dem großen Chorsaal, der sich deutlich in der Straßenfassade abzeichnet, ein wenig aus der Linie hervor und recke sich lockend ›
› in den Straßenraum hinein. Angekommen, verspürt man schnell das Bedürfnis, den schönen Stein zu berühren: friesischer Ziegel aus verschiedenfarbigen Tonen. Er wirkt lehmig, warm und einladend. Schwer zu glauben, dass das Projekt zunächst mit starker Abwehr zu kämpfen hatte. Nachdem die Planungen abgeschlossen waren, erhoben Nachbarn Einspruch wegen der geringen Abstände zur benachbarten Bebauung. Der Entwurf musste überarbeitet und geändert werden. Die Domsingschule wurde zu Lasten eines großen Foyers um drei Meter gestaucht. Dem fertigen Haus tut dies aber keinen Abbruch; dass Raum fehlt, lässt sich nicht feststellen. Auf den schmal geführten Eingang folgt das helle Foyer, das wegen seiner vollkommenen Öffnung zum Hof hin immer noch großzügig wirkt. Seitlich öffnet sich ein Raum mit einer kleinen Teeküche, in dem nachmittags Kinder und Jugendliche betreut werden. Zu den wesentlichen Räumen zählen im Erdgeschoss der kleine Chorsaal mit 80 und im Obergeschoss der große Probenraum mit 180 Quadratmetern. Außerdem gibt es im Haus ein Notenarchiv, Räume für die Verwaltung und in einem Zwischengeschoss zwei separate Stimmbildungszimmer.
Raum für Musik
Sorgfältig gestaltete Innenraumdetails ziehen sich durch das ganze Gebäude, zeigen sich aber in besonderem Maße im großen Saal. Dort sind durch die feine Maserung des Bambusfurniers die unterschiedlichen Strukturen der absorbierenden und reflektierenden Akustikelemente kaum sichtbar. Schmale, unterschiedlich farbige Streifen lockern das Bild der vollflächig mit Holz verkleideten Wände auf. In diesem gestalterischen System sind kleine Wandschränke für die Notenbücher integriert. Der Bodenbelag aus Bambusparkett ergibt mit den Wänden ein harmonisches Ganzes.
Die in den Fugen versteckte indirekte Beleuchtung und Doppelfokusleuchten in der Decke sorgen für blendfreies Licht. In verschiedenen Gruppen schalt- und dimmbar lassen sich mit ihnen sehr unterschiedliche Raumstimmungen erzeugen.
Durch das Zusammenspiel der verschiedenen akustischen Elemente ließ sich die vom Akustiker geforderte Nachhallzeit von 0,8 Sekunden erreichen. Sie bleibt auch unabhängig von der Anzahl der Personen, die sich im Raum befinden, erhalten. Die runden Schallsegel unterhalb der flachen Decke lassen sich zur Auflösung von Flatterechos leicht kippen.
Bei der Klimatisierung mussten ein maximaler Schallpegel von 25 db (A) und eine geringe Luftbewegung eingehalten werden, um die Klangqualität des Raumes nicht zu beeinträchtigen. Warme oder kalte Zuluft strömt direkt aus den Stufen der Sitzreihen in den Raum, die erwärmte Luft steigt durch natürliche Thermik nach oben und wird über eine Randfuge in den Abluftkanal geführt.
Dieser große Probenraum – das Herzstück der Domsingschule – ist es auch, der sich mit seiner dreifach gekrümmten Wand in den Straßenraum lehnt. Da die darüberliegenden Geschosse nach hinten zurückspringen, kann der Saal über ein Oberlicht indirekt belichtet werden. Eine Außentreppe ermöglicht den direkten Zugang zum Innenhof.
Im kleinen Probensaal singen die Kinderchöre. Die Architekten legten Wert auf schlichte Ausstattung; kleine bunte Stühle geben dem Ganzen eine spielerische Note. Dieser Raum ist in seiner akustischen Gestaltung längst nicht so ausgefeilt wie der große. Neben die nötigen Absorberflächen tritt ein langer Vorhang vor einer Wand, der die Feinjustierung der Nachhallzeit zulässt.
Vier Farben tauchen immer wieder in den Räumen der Domsingschule auf: Blassgelb, Frühlingsgrün, Weiß und hochglänzendes Schwarz. Mal sind es im kleinen Probenraum die akustischen Wandelemente, mal im großen Saal gestalterische Farbakzente. Im Foyer, dem Bereich der Jugendbetreuung, finden sich die Farben in den Schränken und der Teeküche wieder, ›
› im Archiv sind die Notenwagen entsprechend gestaltet. Lediglich im Foyer bricht ein roter Farbton – Stucco Lustro in Venezianischem Rot – als Zitat der roten Ziegel der umgebenden Bebauung ein: die Wand, die als Achse vom Eingang durchs gesamte Gebäude führt. Dahinter verbergen sich die Nebenräume: WC, Lager und das externe Treppenhaus sowie eine wunderschön detaillierte Wendeltreppe, welche die Räume der Schule auf kurzem Wege verbindet.
Aus wirtschaftlichen Gründen war auch frei vermietbare Wohnfläche ins Raumprogramm aufgenommen worden. Im dritten und vierten Obergeschoss befinden sich daher Wohnungen, die über ein separates Treppenhaus erschlossen sind; zwei Maisonetten mit je 140 und zwei Appartements mit je 50 Quadratmetern. Von außen sind die Wohngeschosse an der aufgelösten Fassade erkennbar. Dort zeigt sich der ungezwungene Umgang mit dem Ziegel, der beim gesamten Gebäude als reine Schale oder wie eine um das Gebäude herum gespannte Haut verwendet wird, besonders spielerisch. Dünne Riegel, für die ein Stahlgerüst rundherum mit Ziegeln verkleidet wurde, sind Schmuckelement und lichtdurchlässiger Sichtschutz in einem.
Im Gebäude der Domsingschule ergibt jeder Raum für sich genommen eine gestalterische Einheit. Auch die Details stimmen in sich und in der Konsequenz des Entwurfs überein. In der Kombination aller einzelnen Elemente entsteht jedoch ein gewisses Durcheinander, ein Eckchen dort, eine Auskragung da, hier ein runder Erker, dort eine Nische.
Doch bei aller möglichen Kritik: Die Nutzer sind sehr zufrieden. Ihre Bedürfnisse galt es zu erfüllen, und diese Aufgabe wurde bestens gelöst. Der große Probensaal wird zudem an Berufsmusiker des Vokalensembles des SWR vermietet, also auch für professionelle Ansprüche genutzt.
Die Chöre der Dommusik St. Eberhard verfügen nun über Räume, die der Qualität und der Bedeutung ihrer Musik entsprechen.
Leider ist das Haus der Domsingschule der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Zu viele Vorschriften, zu klein das Grundstück, zu begrenzt der Raum, um es für Aufführungen zu nutzen, obwohl die Qualität der Räume dafür geeignet wäre. •
  • Bauherr: Katholische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart Architekten: Arbeitsgemeinschaft: no w here architekten stuttgart mit SeiboldBloss Architekten Stadtplaner, Waiblingen Projektleitung: Karl Amann und Henning Volpp Mitarbeiter: Claudia Däschle, Robert Kurz Tragwerksplanung: Furche Zimmermann Tragwerksplaner, Köngen HLS-Planung: piv – Planungsingenieure, Schorndorf Akustik und Bauphysik: Büro für Akustik und Bauphysik, Prof. Dr.Ing. Hanno Ertel, Stuttgart Lichtplanung: Altena Lichtplanung, Weinstadt Kunst am Bau: Bernhard Huber, Esslingen Bruttogeschossfläche: 2250 m² Bruttorauminhalt: 8000 m³ Baukosten: 4,4 Mio Euro Bauzeit: April 2005 bis Dezember 2006
  • Beteiligte Firmen: Rohbau: Leonhard Weiss GmbH & Co. KG Bauunternehmung, Göppingen, www.leonhard-weiss.de Fassadenbau: Fensterfabrik Montag Fassadenbau GmbH & Co. KG, Biberach, www.leonhard-weiss.de Fassadenziegel: Wienerberger Ziegelindustrie GmbH, Werk Knabe, Kirchkimmen, www.leonhard-weiss.de Fassadenverkleidungen: Eternit AG, Heidelberg, www.leonhard-weiss.de Akustikpaneele großer Chorsaal: Franz Habisreutinger GmbH & Co. KG, Weingarten , www.leonhard-weiss.de Akustikflächen kl. Chorsaal: Caparol, Ober-Ramstadt, www.leonhard-weiss.de Tür- und Fensterbeschläge: FSB, Brakel, www.leonhard-weiss.de Aufzugsanlagen: Schindler Deutschland Holding GmbH, Berlin Licht: Bega Gantenbrink-Leuchten KG, Menden, www.leonhard-weiss.de; Herbert Waldmann GmbH, Villingen-Schwenningen, www.leonhard-weiss.de Lichtschalter: Albrecht Jung GmbH, Schalksmühle, www.leonhard-weiss.de Türantriebe und RWA-Steuerung: GEZE GmbH, Leonberg, www.leonhard-weiss.de Büromöbel: HALI Büromöbel GmbH, Eferding (A), www.leonhard-weiss.de Bestuhlung: Wilde + Spieth Designmöbel GmbH & Co. KG, Esslingen, www.leonhard-weiss.de Tische: Hiller Objektmöbel GmbH, Kippenheim, www.leonhard-weiss.de Metallnetze: GKD – Gebr. Kufferath AG, Düren, www.leonhard-weiss.de; Carl Stahl GmbH, Süßen, www.leonhard-weiss.de
Tags
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de