Architekten: Ortner & Ortner Baukunst
Tragwerksplanung: fd-ingenieure
Kritik: Bernhard Schulz
Fotos: Simon Schnepp & Morgane Renou, Horst Stasny, Manfred Ortner, euroluftbild.de/Robert Grahn, Harald Hauswald
Die Adresse lautet Zinnowitzer Straße, das war zu Mauerzeiten Randgebiet, zumal von Ost-Berlin aus gesehen. Da war die Mauer, die »Staatsgrenze der DDR« ganz nahe, dahin ging man nicht.
Es war eine Gegend, in der Einrichtungen angesiedelt wurden, die nicht im Rampenlicht stehen sollten. Wie die Werkstätten für die Opernhäuser im Zentrum der »Hauptstadt der DDR«. Allerdings wurde auch die Ausbildung des Nachwuchses, in diesem Falle der Schauspielkunst, in der Peripherie Ost-Berlins angesiedelt und im Laufe der Zeit die vier Studiengänge für Schauspiel, Regie, Choreographie und Puppenspielkunst auf verschiedene Standorte verteilt.
Sie galt es, endlich wieder zusammenzuführen. Die Opernwerkstätten, deren von ihren Spielorten weit entfernte Lage im vereinten und verkehrsreichen Berlin sich als zunehmend problematisch gestaltete, boten sich an. Der langgestreckte Bau, 1943 mitten im Krieg als Stahlbetonkonstruktion begonnen, aber erst 1953 fertiggestellt, bot eine ideale Hülle, um das Raumprogramm unterzubringen, das die derzeit rund 175 Studierenden in ihrer Ausbildung benötigen – mit Ausnahme der als »Studiobühne« bezeichneten größten aller sonst üblichen Probebühnen für ein komplettes Ensemble plus Zuschauer, wie sie als Krönung des Ausbildungsgangs naturgemäß vorhanden sein muss; am besten deren zwei.
So war die Aufgabe gewissermaßen von selbst gegeben, der sich die Teilnehmer des Wettbewerbs von 2011 stellten. Ortner & Ortner gingen als Sieger daraus hervor. Sie wollten das Bestandsgebäude erhalten, bis auf eine Ecke an der straßenseitigen Schmalseite, in die ein turmartiger, über die Baufluchtlinien hinausragender Bauteil eingefügt werden sollte, der zwei Probebühnen übereinander und zwischen ihnen noch die Bibliothek der Hochschule aufnehmen sollte. Aufgenommen hätte: Denn »ungerupft« blieb der Entwurf der Architekten nicht. Man könnte wieder einmal eine Berliner Lokalposse erzählen, die von – anfangs gemäßigten – Kostensteigerungen handelt, vom daraufhin verfügten Projektstopp, von dramatischen Protesten und schließlich einer eher widerwilligen Genehmigung des Vorhabens, das am Ende mit 44 Mio. Euro weit teurer wurde als der zunächst abgelehnte Zwischenstand; »gedeckelt« hatte die Politik das Projekt anfänglich bei 33 Mio. Euro unabhängig vom damals noch zu findenden Realisierungsentwurf. Allerdings müsste dann auch vom Vergehen der Jahre sowie von der Steigerung der Baukostenindizes gesprochen werden und nicht zuletzt von der Insolvenz einer beteiligten Firma, deren nicht erbrachte Leistungen neu ausgeschrieben werden mussten und nur für deutlich mehr Geld zu bekommen waren. Dass die Baukonjunktur in Berlin angezogen hat, davon wissen gerade öffentliche Auftraggeber ein Lied zu singen, deren parlamentarisch bewilligte Kalkulationen samt und sonders Makulatur werden.
Aber all das Wehklagen verstummt, nimmt man den fertigen Bau in Augenschein. Das ist, wortwörtlich gesehen, erst einmal gar nicht einfach: Denn wiewohl seine Adresse Zinnowitzer Straße lautet, liegt er doch nicht unmittelbar an dieser, sondern zurückgesetzt in einer Art Hinterhofsituation. Ein Bebauungsplan lag nicht vor, die Genehmigung erfolgte gemäß des Einfügungsgebots des § 34 Baugesetzbuch. Was die darin benannte »Eigenart der näheren Umgebung« betrifft, so lässt sich diese nur als heterogen bezeichnen. Die vormalige straßenseitige Freifläche hat der Berliner Senat einem privaten Bauträger überlassen, der darauf den mächtigen Riegel eines erkennbar für zahlungskräftige Nutzer gedachten Apartmenthauses errichtet hat. Die Gentrifizierung, hier ist sie mit Händen zu greifen. Umso sympathischer kommt der kratzbürstige Bau der Schauspielschule zum Vorschein, hat man erst einmal den Wohnblock umrundet und steuert durch eine frei gelassene Baulücke auf das Gebäude zu. Ins Auge springt: Der Probe- oder Studiobühnenturm.
Ortner & Ortner mit Projektarchitekt Roland Duda haben ihn ganz und gar mit senkrechten Latten aus langlebiger Lärche umkleidet. Das Ganze ist, wie gesagt, aus den Fluchtlinien des Bestandsbaus gerückt, sodass der Bühnenturm den Blick auf die lange Seitenfront des – übrigens nicht denkmalgeschützten – Altbaus verstellt. Stattdessen wird der Besucher nach links gelenkt, wo sich der Haupteingang der Hochschule befindet, eingesetzt in den erhaltenen Teil der alten Schmalseite. Von der Straße aus ist der Eingang nicht zu sehen, das mag man bedauern oder aber als erwünschte Folge des »Statements« betrachten, das die Architekten mit ihrem Lattenrost-Turm machen. Der kommt optisch eher als etwas Unfertiges zur Geltung, als eine noch nicht abgeschlossene Baustelle, mehr noch als Einrüstung. Die Abstände zwischen den Latten – die nur aus der Ferne so wirken, denn es handelt sich natürlich um recht kräftige Balken – sind groß genug, eine Ahnung dessen zuzulassen, was dahinter liegt. Bei Dunkelheit dann, wenn die Räume beleuchtet sind, strahlt das Gebäude durch seine transluzente Bekleidung aus Polycarbonatplatten von innen heraus und macht neugierig.
Man betritt das Gebäudeensemble also in seinem viergeschossigen Bestandsbau. Geradeaus öffnet sich das Foyer, doch der Blick fällt nach links auf eine einladende, offene Cafeteria – auch dies ein neuer Anbau, freilich nur eingeschossig. Wo früher geradezu eine Portiersloge gewesen wäre, steht ein offener Tresen als Informationsschalter. Daneben führt ein Flur durch die gesamte Länge des Gebäudes. An ihm liegen rechts und links die Werkstätten, für Bühnenaufbauten und Kostüme – für alles, was ein Theater benötigt. Das ist die Botschaft des Hauses: Hier geht es um Arbeit, um all jene Arbeiten, die der Erzeugung der Illusion vorausgehen, die »Theater« bedeuten.
Darum – so die Grundidee – ist alles entweder so belassen, wie es vorgefunden wurde, oder in einer solchen Weise ergänzt, dass der Werkstattcharakter hervorgehoben wird. So sind die Flure und überhaupt alle Bauteile wie etwa die Betonstützen der Konstruktion nur bis zur Höhe von 2,30 m ordentlich verputzt. Was darüber liegt, verblieb, wie es sich nach Abschluss der Rohbauarbeiten darbot. Das hat bei freigelegten Wänden aus Abbruchziegeln oder aus Kalkstein seinen eigenen Charme, bei den blanken und an ihren Kanten verspachtelten Rigipsplatten des Trockenbaus ist das allerdings doch einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Zudem sind die verputzten Wände mit einer Schultafelfarbe gestrichen, sodass sich ein jeder mit Kreide darauf verewigen kann – was die Studierenden dann auch bis in den letzten Winkel hinein mit großem Eifer getan haben. Ob zwischendurch jemand abwischen kommt?[/su_spoiler][/su_accordion]
- Standort: Zinnowitzer Straße 11, 10115 Berlin
Bauherr: Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Abteilung V – Hochbau
Architekten: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin
Mitarbeiter: Roland Duda (Geschäftsführung), Tobias Ahlers (Projektleitung), Nino Schiddel, Markus Müller, Frank Illing, Magdalena Schwalke-Sauer, Bernd Gotthardt, Jessica Seidel, Lars Riebschläger, Pascal Dworak, Markus Lemcke
Tragwerksplanung: fd-ingenieure, Berlin
HLS-Planung: Engineering-Consult, Karlsruhe
Elektroplanung: Raible + Partner, Lutherstadt-Wittenberg
Bühnen- und Fördertechnik: Kunkel Consulting International, Bürstadt
Raum- und Bauakustik: Müller-BBM, Planegg
Außenanlagen: Lesniak Landschaftsarchitekten & Ingenieure, Potsdam
BGF: 16 200 m²
Nutzfläche: 8 900 m²; Büros: 2 000 m², Gastronomie: 250 m², Bibliothek: 380 m²
BRI: 78 135 m³
Baukosten: 44,65 Mio. Euro (KG 200-700)
Wettbewerb: 2011
Bauzeit: August 2014 bis Oktober 2018
Unser Kritiker Bernhard Schulz, im Selfie-Machen nicht geübt, hielt sich dennoch die Kamera vors winterkalte Gesicht – hinter sich die Gebäudeecke zwischen Bühnenturm und Bestandsbau.
1953 in Berlin geboren. 1971-80 Studium der Politologie und VWL an der FU Berlin, später Kunstgeschichte. 1977-87 Kuratorentätigkeit in Berlin. Seit 1982 Kunstkritiker. Seit 1987 Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegels, Berlin.[/su_spoiler][/su_accordion]
Ortner & Ortner Baukunst
Manfred Ortner (l.), Laurids Ortner (2.v.l.)
Seit 1967 Projekte zwischen Freier Kunst und Architektur. Seit Mitte der 80er Jahre Schwerpunkt Architektur. 2011 Übergabe des Büros an Roland Duda (s. u.), Christian Heuchel (3. v. r.), Florian Matzker (r.) und Markus Penell (2. v. r.) als Gesellschafter und Geschäftsführer.
Roland Duda (3. v. l.)
1966 geboren. Architekturstudium in Berlin. Seit 1996 Mitarbeit bei Ortner & Ortner Baukunst, seit 2011 als geschäftsführender Gesellschafter.