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Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin von Ortner & Ortner Baukunst

Lehrwerkstatt der Improvisation
Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin

Für die Schauspiel-Hochschule Ernst Busch in Berlin haben Ortner & Ortner ein vormalig von den Opernwerkstätten genutztes Gebäude umgebaut, mit einem markanten Bühnenturm ergänzt und es dadurch in eine »Werkstätte des Theatermachens« verwandelt. So wenig wie möglich verändern, war der Leitgedanke, der ein überraschend freundliches Bauensemble hervorgebracht hat.

Architekten: Ortner & Ortner Baukunst
Tragwerksplanung: fd-ingenieure

Kritik: Bernhard Schulz
Fotos: Simon Schnepp & Morgane Renou, Horst Stasny, Manfred Ortner, euroluftbild.de/Robert Grahn, Harald Hauswald

Die Adresse lautet Zinnowitzer Straße, das war zu Mauerzeiten Randgebiet, zumal von Ost-Berlin aus gesehen. Da war die Mauer, die »Staatsgrenze der DDR« ganz nahe, dahin ging man nicht.
Es war eine Gegend, in der Einrichtungen angesiedelt wurden, die nicht im Rampenlicht stehen sollten. Wie die Werkstätten für die Opernhäuser im Zentrum der »Hauptstadt der DDR«. Allerdings wurde auch die Ausbildung des Nachwuchses, in diesem Falle der Schauspielkunst, in der Peripherie Ost-Berlins angesiedelt und im Laufe der Zeit die vier Studiengänge für Schauspiel, Regie, Choreographie und Puppenspielkunst auf verschiedene Standorte verteilt.
Sie galt es, endlich wieder zusammenzuführen. Die Opernwerkstätten, deren von ihren Spielorten weit entfernte Lage im vereinten und verkehrsreichen Berlin sich als zunehmend problematisch gestaltete, boten sich an. Der langgestreckte Bau, 1943 mitten im Krieg als Stahlbetonkonstruktion begonnen, aber erst 1953 fertiggestellt, bot eine ideale Hülle, um das Raumprogramm unterzubringen, das die derzeit rund 175 Studierenden in ihrer Ausbildung benötigen – mit Ausnahme der als »Studiobühne« bezeichneten größten aller sonst üblichen Probebühnen für ein komplettes Ensemble plus Zuschauer, wie sie als Krönung des Ausbildungsgangs naturgemäß vorhanden sein muss; am besten deren zwei.

So war die Aufgabe gewissermaßen von selbst gegeben, der sich die Teilnehmer des Wettbewerbs von 2011 stellten. Ortner & Ortner gingen als Sieger daraus hervor. Sie wollten das Bestandsgebäude erhalten, bis auf eine Ecke an der straßenseitigen Schmalseite, in die ein turmartiger, über die Baufluchtlinien hinausragender Bauteil eingefügt werden sollte, der zwei Probebühnen übereinander und zwischen ihnen noch die Bibliothek der Hochschule aufnehmen sollte. Aufgenommen hätte: Denn »ungerupft« blieb der Entwurf der Architekten nicht. Man könnte wieder einmal eine Berliner Lokalposse erzählen, die von – anfangs gemäßigten – Kostensteigerungen handelt, vom daraufhin verfügten Projektstopp, von dramatischen Protesten und schließlich einer eher widerwilligen Genehmigung des Vorhabens, das am Ende mit 44 Mio. Euro weit teurer wurde als der zunächst abgelehnte Zwischenstand; »gedeckelt« hatte die Politik das Projekt anfänglich bei 33 Mio. Euro unabhängig vom damals noch zu findenden Realisierungsentwurf. Allerdings müsste dann auch vom Vergehen der Jahre sowie von der Steigerung der Baukostenindizes gesprochen werden und nicht zuletzt von der Insolvenz einer beteiligten Firma, deren nicht erbrachte Leistungen neu ausgeschrieben werden mussten und nur für deutlich mehr Geld zu bekommen waren. Dass die Baukonjunktur in Berlin angezogen hat, davon wissen gerade öffentliche Auftraggeber ein Lied zu singen, deren parlamentarisch bewilligte Kalkulationen samt und sonders Makulatur werden. 

Aber all das Wehklagen verstummt, nimmt man den fertigen Bau in Augenschein. Das ist, wortwörtlich gesehen, erst einmal gar nicht einfach: Denn wiewohl seine Adresse Zinnowitzer Straße lautet, liegt er doch nicht unmittelbar an dieser, sondern zurückgesetzt in einer Art Hinterhofsituation. Ein Bebauungsplan lag nicht vor, die Genehmigung erfolgte gemäß des Einfügungsgebots des § 34 Baugesetzbuch. Was die darin benannte »Eigenart der näheren Umgebung« betrifft, so lässt sich diese nur als heterogen bezeichnen. Die vormalige straßenseitige Freifläche hat der Berliner Senat einem privaten Bauträger überlassen, der darauf den mächtigen Riegel eines erkennbar für zahlungskräftige Nutzer gedachten Apartmenthauses errichtet hat. Die Gentrifizierung, hier ist sie mit Händen zu greifen. Umso sympathischer kommt der kratzbürstige Bau der Schauspielschule zum Vorschein, hat man erst einmal den Wohnblock umrundet und steuert durch eine frei gelassene Baulücke auf das Gebäude zu. Ins Auge springt: Der Probe- oder Studiobühnenturm.
Ortner & Ortner mit Projektarchitekt Roland Duda haben ihn ganz und gar mit senkrechten Latten aus langlebiger Lärche umkleidet. Das Ganze ist, wie gesagt, aus den Fluchtlinien des Bestandsbaus gerückt, sodass der Bühnenturm den Blick auf die lange Seitenfront des – übrigens nicht denkmalgeschützten – Altbaus verstellt. Stattdessen wird der Besucher nach links gelenkt, wo sich der Haupteingang der Hochschule befindet, eingesetzt in den erhaltenen Teil der alten Schmalseite. Von der Straße aus ist der Eingang nicht zu sehen, das mag man bedauern oder aber als erwünschte Folge des »Statements« betrachten, das die Architekten mit ihrem Lattenrost-Turm machen. Der kommt optisch eher als etwas Unfertiges zur Geltung, als eine noch nicht abgeschlossene Baustelle, mehr noch als Einrüstung. Die Abstände zwischen den Latten – die nur aus der Ferne so wirken, denn es handelt sich natürlich um recht kräftige Balken – sind groß genug, eine Ahnung dessen zuzulassen, was dahinter liegt. Bei Dunkelheit dann, wenn die Räume beleuchtet sind, strahlt das Gebäude durch seine transluzente Bekleidung aus Polycarbonatplatten von innen heraus und macht neugierig.

Man betritt das Gebäudeensemble also in seinem viergeschossigen Bestandsbau. Geradeaus öffnet sich das Foyer, doch der Blick fällt nach links auf eine einladende, offene Cafeteria – auch dies ein neuer Anbau, freilich nur eingeschossig. Wo früher geradezu eine Portiersloge gewesen wäre, steht ein offener Tresen als Informationsschalter. Daneben führt ein Flur durch die gesamte Länge des Gebäudes. An ihm liegen rechts und links die Werkstätten, für Bühnenaufbauten und Kostüme – für alles, was ein Theater benötigt. Das ist die Botschaft des Hauses: Hier geht es um Arbeit, um all jene Arbeiten, die der Erzeugung der Illusion vorausgehen, die »Theater« bedeuten.

Darum – so die Grundidee – ist alles entweder so belassen, wie es vorgefunden wurde, oder in einer solchen Weise ergänzt, dass der Werkstattcharakter hervorgehoben wird. So sind die Flure und überhaupt alle Bauteile wie etwa die Betonstützen der Konstruktion nur bis zur Höhe von 2,30 m ordentlich verputzt. Was darüber liegt, verblieb, wie es sich nach Abschluss der Rohbauarbeiten darbot. Das hat bei freigelegten Wänden aus Abbruchziegeln oder aus Kalkstein seinen eigenen Charme, bei den blanken und an ihren Kanten verspachtelten Rigipsplatten des Trockenbaus ist das allerdings doch einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Zudem sind die verputzten Wände mit einer Schultafelfarbe gestrichen, sodass sich ein jeder mit Kreide darauf verewigen kann – was die Studierenden dann auch bis in den letzten Winkel hinein mit großem Eifer getan haben. Ob zwischendurch jemand abwischen kommt?[/su_spoiler][/su_accordion]

Beton wird Skulptur
Die vertikale Erschließung erfolgt durch eine neue, angemessen dimensionierte, dreiläufige Treppe aus Beton, die in zweifach abgewinkeltem Verlauf frei nach oben führt – ein kantiges, robustes Objekt, eine Betonskulptur, die den Charakter des Gebäudes markant betont und sich doch eigenständig gibt – nicht zuletzt, weil sie frei im Raum steht. Und der Besucher merkt, dass die Architekten an mehreren Stellen solche Offenheit herbeigeführt haben. So ist z. B. durch Heraustrennen eines Deckenabschnitts ein länglicher, zweigeschossiger Raum entstanden, den die Studenten als Tischtennisecke nutzen. Lustig, dass die spiraligen Heizkörper unter den Fenstern des früheren OGs an Ort und Stelle blieben.

Am Ende des Gebäudetrakts führt eine winzige Bestandstreppe nach oben. Im 1. OG den Flur zurück führt der Weg an der Bibliothek vorbei, durch eine in Holzrahmen gefasste Glaswand abgetrennt und einsehbar. Der ursprüngliche Entwurf, der die Bibliothek im neuen Turm ansiedelte, ließ sich nicht realisieren; sie musste in das – daraufhin etwas gedrängte – Raumprogramm des Hauptgebäudes integriert werden. Ihre Umsetzung ist aber dennoch von der gleichen Luftigkeit, die die Architekten überall im Haus spüren lassen. Die minimalistische Einrichtung in Holz strahlt Wärme aus, zumal im Kontrast zu den rohen Materialien des Bauwerks selbst. Überhaupt bilden Türen, Türrahmen, Fußleisten aus glattpoliertem Holz ein angenehmes Pendant zum roh Belassenen.

Und damit zum Bühnenturm. Die Lattenbekleidung draußen setzt sich im Inneren fort, sodass die beiden Probebühnen (inklusive je eines Umgangs um sie herum) gänzlich von Holz umschlossen sind. Die beiden Studiobühnen selbst sind einfache frei bespielbare Blackboxes mit zusammenschiebbarer Zuschauertribüne und erhöhten Regieräumen. Dekorationen und Bühnenbilder können seitlich hereingebracht werden, für die obere Bühne auch über einen Lastenaufzug.

Dem Hauptgebäude war in den 50er Jahren noch ein fast quadratischer, gebäudehoher Anbau als Verwaltungstrakt angefügt worden; in ihm haben heute die Dozenten ihre Zimmer, dazu gibt es Räume für kleinere Lehrsegmente wie etwa die Sprechausbildung. Hier wie fast überall haben die Architekten so viel wie möglich so weitgehend wie möglich erhalten und belassen.
Das gilt auch für die Fassade des Altbaus. Sie erhielt ein WDVS, das in hellem Grau verputzt wurde und die in nunmehr tieferen Laibungen befindlichen, neuen und dunkelgrauen Fensterrahmen betont. Die Fassade mit ihren gleichmäßig gereihten stehenden Fenstern, so sagt Manfred Ortner, habe etwas vom Rationalismus, der italienischem Architekturströmung in den späten 20er und den 30er Jahren. Im 3. OG sind die Fenster kleiner, sodass der Bau eine hohe Attikazone aufweist, die von einem fein profilierten Gesims abgeschlossen wird. Auch das ist keine Neuerfindung, sondern ein typisches Detail der Erbauungszeit mit ihrem Griff ins klassizistische Formenrepertoire (nebenbei wird das aufgesetzte, niedrige Technikgeschoss den Blicken entzogen). Der warme Farbton der Holzlatten passt vorzüglich zum lichten Grau der Putzfassade, dürfte aber an Farbe verlieren und sich allmählich selbst einem silbrigen Grau annähern.
Die Grundidee von Ortner & Ortner überzeugt. »Das Unfertige planen«, haben sie sie genannt; bei der Schauspielschule ist das Unfertige, Provisorische, Veränderbare keine billige Ausrede für unverputzte Wände und sichtbar geführte Rohrleitungen, sondern bildet die Folie, vor der das Schauspiel seine Illusion entfaltet. »All the world’s a stage«, möchte man Shakespeare zitieren: Mitten in Berlin, in einer halb ruppigen, halb schon geschniegelten Ecke der Stadt steht jetzt eine Bühne, auf der die ganze Welt entstehen kann.

Grundriss EG: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin
Grundriss 1. OG: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin
Schnitt: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin

  • Standort: Zinnowitzer Straße 11, 10115 Berlin

    Bauherr: Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Abteilung V – Hochbau
    Architekten: Ortner & Ortner Baukunst, Berlin
    Mitarbeiter: Roland Duda (Geschäftsführung), Tobias Ahlers (Projektleitung), Nino Schiddel, Markus Müller, Frank Illing, Magdalena Schwalke-Sauer, Bernd Gotthardt, Jessica Seidel, Lars Riebschläger, Pascal Dworak, Markus Lemcke
    Tragwerksplanung: fd-ingenieure, Berlin
    HLS-Planung:
    Engineering-Consult, Karlsruhe
    Elektroplanung: Raible + Partner, Lutherstadt-Wittenberg
    Bühnen- und Fördertechnik: Kunkel Consulting International, Bürstadt
    Raum- und Bauakustik: Müller-BBM, Planegg
    Außenanlagen: Lesniak Landschaftsarchitekten & Ingenieure, Potsdam
    BGF: 16 200 m²
    Nutzfläche: 8 900 m²; Büros: 2 000 m², Gastronomie: 250 m², Bibliothek: 380 m²
    BRI: 78 135 m³
    Baukosten: 44,65 Mio. Euro (KG 200-700)
    Wettbewerb: 2011
    Bauzeit: August 2014 bis Oktober 2018

Unser Kritiker Bernhard Schulz, im Selfie-Machen nicht geübt, hielt sich dennoch die Kamera vors winterkalte Gesicht – hinter sich die Gebäudeecke zwischen Bühnenturm und Bestandsbau.
1953 in Berlin geboren. 1971-80 Studium der Politologie und VWL an der FU Berlin, später Kunstgeschichte. 1977-87 Kuratorentätigkeit in Berlin. Seit 1982 Kunstkritiker. Seit 1987 Redakteur im Kulturressort des Tagesspiegels, Berlin.[/su_spoiler][/su_accordion]


Ortner & Ortner Baukunst


Manfred Ortner (l.), Laurids Ortner (2.v.l.)

Seit 1967 Projekte zwischen Freier Kunst und Architektur. Seit Mitte der 80er Jahre Schwerpunkt Architektur. 2011 Übergabe des Büros an Roland Duda (s. u.), Christian Heuchel (3. v. r.), Florian Matzker (r.) und Markus Penell (2. v. r.) als Gesellschafter und Geschäftsführer.

Roland Duda (3. v. l.)

1966 geboren. Architekturstudium in Berlin. Seit 1996 Mitarbeit bei Ortner & Ortner Baukunst, seit 2011 als geschäftsführender Gesellschafter.

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