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Erweiterung Wohn- und Pflegeheim in Bruneck (I) / Pedevilla Architekten

Erweiterung Wohn- und Pflegeheim in Bruneck (I)
Gemeinschaft und Orientierung

Egal, ob jung oder alt – niemand möchte sein Leben in einer unpersönlichen Umgebung verbringen. Für eine Altenpflegeeinrichtung entwickelten zwei junge Architekten ein differenziertes Gefüge aus privaten Pflegezimmern, geschützten Orten und Gemeinschaftsbereichen, das in besonderer Weise auch den Bedürfnissen von Demenzkranken entspricht.

    • Architekten:Pedevilla Architekten
      Tragwerksplanung: Ingenieurteam Bergmeister

  • Kritik: Roland Pawlitschko
    Fotos: Marion Lafogler, Georg Hofer, Samuel Holzner, Roland Pawlitschko
Statistisch steigt die Lebenserwartung bei Neugeborenen in Europa pro Jahr um zwei bis drei Monate. Menschen werden aber nicht einfach nur immer älter, sie haben auch immer höhere Ansprüche und sind immer häufiger von altersbedingten Krankheiten betroffen. Eine dieser Erkrankungen ist die Demenz, die oft mit kleinen Gedächtnisstörungen beginnt und mit Depressionen, Sprachstörungen, Desorientierung und schließlich mit dem völligen Verlust der im Lauf des Lebens entwickelten Persönlichkeit endet – obwohl die Menschen physisch nahezu unbeeinträchtigt wirken und mobil sind.
Intensiver Planungsprozess
Weil immer mehr ältere Menschen an Demenz erkranken, um die sich aufgrund demografischer Veränderungen immer weniger Angehörige kümmern, steigt auch im Südtiroler Pustertal der Bedarf an betreuten Wohnplätzen. Aus diesem Grund haben sich Ende 2004 die öffentlichen Träger eines Alten- und Pflegeheims in Bruneck zusammengetan, um mithilfe eines Architektenwettbewerbs nach Lösungen für den Umbau und die Erweiterung ihrer Einrichtung zu suchen. Im Bestand sollten dabei v. a. Gemeinschaftsbereiche ergänzt werden, während es im Neubau um die Schaffung einer Tagespflege und eines gewöhnlichen Pflegebereichs, insbesondere aber um geeignete Wohn- und Freibereiche für unterschiedliche Stadien der Demenz ging.
Für die jungen Architekten Alexander und Armin Pedevilla zog der Wettbewerbsgewinn zunächst einmal einen langwierigen, insgesamt gut sechs Jahre andauernden Realisierungsprozess nach sich. Dieser Umstand bot allerdings auch Vorteile: So konnten sie sich intensiv sowohl mit den Abläufen und Defiziten der bestehenden Einrichtung als auch mit dem Thema Demenz auseinandersetzen – etwa durch Seminare bei der Stuttgarter Gradmann-Stiftung, die sich u. a. der Förderung innovativer Pflegekonzepte für Demenzkranke verschrieben hat. Resultat zahlreicher Abstimmungsrunden war schließlich ein in das kleinteilige Gefüge der umliegenden Wohnhäuser sorgfältig eingepasster Neubau, der mit seinen dunkelbraunen Mineralputzflächen und einer zurückhaltend plastischen Kubatur die Ruhe eines Wohnbaus ausstrahlt, obwohl er auf einem komplexen und eher heterogenen Nutzungskonzept mit vielfältigen Innen- und Außenraumbezügen basiert.
Pflege- und Gestaltungskonzept als Einheit
Dass die Architekten den Neubau als einheitliches Werk aus einem Guss konzipierten, ist bereits im Eingangsbereich spürbar, wo durch das (überall im Gebäude anzutreffende) natürliche Zusammenspiel fein abgestimmter Farben und Oberflächen von Böden, Möbeln und Einrichtungsgegenständen eine überaus ausgeglichene Raumstimmung entsteht. Dass das Pflegekonzept dabei integraler Bestandteil dieser Einheit ist, belegen die drei in diesem Gebäude untergebrachten »Wohnbereiche« ebenso wie der als kleine Wohnung gestaltete Tagespflegebereich.
Im Wohnbereich 4 für elf Demenzkranke gruppieren sich im EG neun Zimmer um einen großen zentralen Wohnraum mit bemerkenswerter ›
› Behaglichkeit und Ausgewogenheit. Wie im Eingangsbereich sorgen auch hier zurückhaltende Grüntöne in Kombination mit weißen Wänden, Decken und Festeinbauten gleichsam für einen unerschütterlich in sich ruhenden Mikrokosmos. Für die oft sehr mobilen, aber in vielerlei Hinsicht orientierungslosen Demenzkranken ergeben sich daraus Halt und Orientierung, aber auch das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Den Bewohnern stehen ganz unterschiedliche Bereiche zur Verfügung. Je nach Stimmung und Vorlieben können sie auf einer raumgliedernden Wärmebank oder an einem großen Gemeinschaftstisch Platz nehmen, aber auch in einem abgetrennten Gartenbereich spazieren. Angegliedert ist außerdem ein mit einer Schiebetür abschließbares Wohnzimmer mit Fernseher, während eine offene Küchenzeile mit Theke nicht nur einen Hauch Café-Atmosphäre bietet, sondern sich auch für die Pflegekräfte als praktisch erweist, weil sie die Bewohner auch während der Zubereitung kleiner Speisen im Blick haben – größere Mahlzeiten werden von der zentralen Küche geliefert.
Nonverbale Kommunikation
Ebenso wichtig wie die differenzierte räumliche Gestaltung der Innenräume war den Architekten der gezielte Einsatz von Licht. So setzen Lichtbänder entlang der Zimmerwände klare Raumkanten, ovale Oberlichter mit integrierten RGB-Leuchten inszenieren überdies den zentralen Gemeinschaftstisch, an dem vielerlei Aktivitäten, aber auch Mahlzeiten stattfinden. Mit der Oberlichtbeleuchtung lassen sich von den Dementen unterbewusst wahrgenommene Farb-Lichtstimmungen erzeugen, die bestimmte Rituale (z. B. Frühstück oder Abendessen) unterstützen. Intuitive nonverbale Kommunikationsmethoden sind im Haus überall anzutreffen: So verfügen Nebenräume – Lager, Pflegebäder oder Schwesternzimmer – anstelle der sonst üblichen grünen Bodenbeläge über fliederfarbene. Verschlossen bleiben lediglich die Zugangstüren der Demenz-Wohnbereiche. Während die Türen für Personal und Besucher frei passierbar sind, verriegeln sich diese automatisch, wenn sich die mit einem speziellen Chip in der Kleidung ausgestatteten Bewohner nähern.
Da diese Regelung bewusst nicht für die Türen zur großen umlaufenden Dachterrasse im Demenz-Wohnbereich 6 gilt (die neun Bewohner sollen ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lassen können), waren hier besondere Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. So mussten Brüstungen um erhöhte Absturzsicherungen und vorgelagerte Handläufe ergänzt werden, weil Demenzkranke nicht selten mit herbeigeschobenen Tischen oder Stühlen versuchen, über Balkonbrüstungen zu klettern. Außerdem wurden Bepflanzungen überwiegend an den Dachrändern angelegt, um den Weg zur Brüstung zumindest stellenweise weniger attraktiv zu gestalten.
Liebe zum Detail
Völlig frei zugänglich ist hingegen der Wohnbereich 5, der sich über das gesamte 1. OG erstreckt und dessen zentraler Gemeinschaftsbereich im Prinzip genauso gestaltet ist wie die Wohnbereiche im EG und 2. OG. Wegen seiner Größe, aber auch, um den unterschiedlich pflegebedürftigen, aber nicht dementen Menschen möglichst viele Kommunikationsmöglichkeiten zu bieten, gibt es hier mehrere, unterschiedlich große Aufenthaltsbereiche sowie eine innenhofartige Dachterrasse. ›
› Die 23 Einzelzimmer dieses Bereichs entsprechen in ihrer Ausstattung allen anderen Zimmern des Neubaus, verfügen jedoch zusätzlich über einen kleinen Erker, der als helle Leseecke bzw. Balkonersatz dient – persönliche Einrichtungsgegenstände, Bilder und sogar Teppiche sind ausdrücklich erwünscht. Dass die Zimmer trotz konventioneller Grundrisse, Linoleumböden sowie Standard-Pflegebetten und -Einbauschränken sehr wohnlich wirken, liegt nicht zuletzt an den an einer Seitenwand wie in alten Bauernhäusern mit Tapetenrollen aufgetragenen Blumenmustern und an den grob strukturierten Lehmputzdecken, die mit einer Rundung in die seitliche Wand übergehen und über dem Bett eine Art Baldachin bilden.
Pflegeoase
Einen symbolhaften Himmel bildet auch die mit geschwungenen Oberlichtern versehene Decke über der »Pflegeoase« im 2. OG, einer Art Großraumpflegestation, in der neun dauerhaft schwerstpflegebedürftige und überwiegend bettlägerige Bewohner mit schwerer Demenz untergebracht sind. Dass dieser Bereich auf Außenstehende zunächst sehr beklemmend wirkt, liegt v. a. an den relativ dicht aufgestellten Betten und den fensterlosen Wänden. Aus Sicht der Architekten basiert die Entwicklung der Pflegeoase auf der Beobachtung, dass sich Menschen im fortgeschrittenen Demenzstadium häufig in öffentlichen Räumen bewegen: »Sie suchen Gemeinschaft und vermeiden Alleinsein. Das beobachtete Verhalten, das durchaus sehr kindhaft sein kann, löste den Gedanken aus, eine Umgebung zu gestalten, die die Gefühle der Angst, des Alleinseins und des Verlassenseins aufnimmt bzw. zu verhindern oder abzuschwächen versucht.«
Eine derartig enge Gemeinschaft (für Privatsphäre sorgen feste Einbauten und mobile Paravents) wäre in abgeschlossenen Zimmern ebenso wenig möglich wie die im positiven Sinn von der Umwelt abgeschirmte Atmosphäre, in der mit Decken-Lichtspielen, aber auch mit Klängen und Musik auf die Gefühlswelt der Demenzkranken eingewirkt wird. Soweit möglich, können die Bewohner auch das zur Pflegeoase gehörende »Wohnzimmer« nutzen, dort sitzen, essen und die Dachterrassen der anderen Wohnbereiche sowie den Garten einsehen. Das ständige Beisammensein ist dabei keineswegs nur für die Bewohner, sondern auch für die Besucher von Vorteil. Nach Erfahrung des Pflegepersonals schätzen sie v. a. die Erfahrung, mitzuerleben, wie andere Besucher damit umgehen, dass sich einst vertraute Angehörige mehr und mehr von ihnen und sich selbst entfernen.

Dass sich die Architekten mit großem Engagement mit den Bedürfnissen älterer und dementer Menschen auseinandergesetzt haben, ist unübersehbar. Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass sie diese Aufgabe mit der gleichen Lust am Gestalten erledigten wie die Planung eines Kindergartens oder einer Bar. Genau aus diesem Grund wirken die unzähligen kleinen Ausstattungsdetails nicht nur mit Blick auf das Gesamtkonzept selbstverständlich, sondern werden von den Bewohnern tatsächlich wahr- und angenommen. Umso bemerkenswerter, dass die Baukosten am Ende dennoch innerhalb des ursprünglich angesetzten Budgets lagen.


 

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