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Museumserweiterung in Basel (CH) von Herzog & de Meuron Architekten

Museumserweiterung in Basel (CH)
Gebündelte Heterogenität

Das Basler Museum der Kulturen benötigte dringend mehr Ausstellungsfläche. Herzog & de Meuron machten aus diesem Vorhaben eine grundsätzliche Neuorientierung des Museums. Es erhielt einen eigenständigen Eingang zur Hofseite und bekam ein neues Dachgeschoss, dessen markante Silhouette die Basler Dachlandschaft bereichert.

    • Architekten: Herzog & de Meuron
      Tragwerksplanung: ZPF Ingenieure

  • Kritik: Bernhard Schulz
    Fotos: Julien Lanoo, Agrob Buchtal
Mitten in der geschäftigen Basler Altstadt liegt der Münsterplatz als Oase der Stille. Nicht ganz; er liegt gemeinsam mit dem ganzen Münsterhügel eher am Rande, hoch über der Altstadt und vor allem dem Rhein, zu dem die Terrasse, die für den Ostchor des Basler Münsters einst aufgeschüttet werden musste, steil abfällt. Wohl an keiner anderen Stelle ist Basel so dicht bebaut wie hier, fügen sich die aneinanderstoßenden Dächer der verschachtelten Häuser so zu einer eigenen Landschaft, einer Dachlandschaft. Heraus ragt das bunt gedeckte, steile Satteldach des Münsters mit seinen charakteristischen Rhomben aus farbigen Ziegeln, grün mit gelb-rotem Kern und gerahmt von einem weiß gefassten, roten Gitternetz. Das farbige Münsterdach, wiewohl aus Fußgängersicht in seiner Gänze nicht zu erfassen, schiebt sich immer wieder ins Bild.
Im Winkel
Steigt man die Rittergasse hinauf und erreicht den Münsterplatz, so deutet nichts auf das Museum hin, das sich an der gegenüberliegenden Platzseite befinden soll. Ein Restaurant allerdings ist zu sehen, namens Rollerhof, das den Namen des Bauwerksensembles aufnimmt, in dem es sich befindet. Daneben führt eine Durchfahrt in einen Innenhof – und mit einem Mal steht der Passant vor der Eingangsfassade des Museums der Kulturen (MdK).
Es ist dies nicht der historische Eingang des Museums. Der befindet sich an der Augustinergasse auf der anderen Seite des Gebäudes, eines ganzen Komplexes, das zudem das Naturhistorische Museum beherbergt. Mit der Aufgabe der Erweiterung des MdK war die Vorgabe verbunden, dessen Erschließung grundlegend zu verbessern. Bis dahin war das MdK räumlich ein Anhängsel des Naturhistorischen Museums. Das MdK erstreckt sich heute auf den im Jahr 1917 fertiggestellten Erweiterungsbau, den die Architekten Vischer & Söhne rückseitig an den klassizistischen Ursprungsbau von Melchior Berri anfügten. Darin befand sich seit 1849 als Teil eines Universalmuseums das älteste ethnologische Museum Europas, aus dem das MdK als eigenständige Institution hervorging.
Dieser im Zeitstil errichtete, durch große Fensteröffnungen belichtete Trakt legt sich an zwei Seiten um einen Hof. Dem Gebäude eine Erweiterung hinzuzufügen, erwies sich als ebenso reizvolle wie hindernisreiche Aufgabe. Die Architekten Herzog & de Meuron, die in ihrer Heimatstadt vom Stellwerk bis zum Stadion alle nur denkbaren Bauaufgaben bewältigt haben und nun auch hier zum Zug kommen sollten, legten 2001 ihren Entwurf vor. Er sah allerdings nicht eine neuerliche Erweiterung in die Breite vor, sondern suchte Flächengewinn zum einen durch die Nutzbarmachung des Sockelgeschosses und zum anderen durch einen völlig neuen Dachaufbau auf dem bestehenden Gebäude. Ersteres führte zu einer Neuausrichtung des Museums auf den Hof und damit auf den Münsterplatz. Das zweite führte zu Streitigkeiten mit Denkmalschützern und einer im Grundzug konservativen Bürgerschaft.
Herzog & de Meuron schlugen ein mehrfach gefaltetes Dach vor, genauer gesagt ein neues DG, das sich durch seine Bekleidung als neues Element zeigt. Seine unregelmäßigen Faltungen – nicht parallel, teils auch geknickt, teilweise über sich verbreiternder Grundfläche und dadurch mit schräger Firstlinie – antworten auf die umgebende Dachlandschaft und bündeln deren Heterogenität in einer einzigen Dachgeometrie. Ursprünglich war ein höherer Anstieg geplant, und eben dies machte den Entwurf zum Gegenstand einer langwierigen Entscheidungsfindung, in deren Verlauf die schließlich ausgeführte Silhouette zustande kam. Freilich um den Preis einer mehrjährigen Verzögerung, sodass der Bau erst im Jahr 2008 begonnen werden konnte und zwei Jahre darauf zum Abschluss kam.
An den Fachwerklauben des Jahres 1667 vorbei führt nun der Weg der Besucher in den Innenhof, wo sich Lage und Gestalt des Museums darbieten. Der Blick wird durch den nicht einfach auf das bestehende Gebäude aufgesetzten, sondern diagonal verkanteten und Richtung Eingangstor deutlich überhängenden Dachaufbau angezogen. Die übereck stehenden beiden Fassaden des Altbaus von 1917 werden durch unregelmäßig eingesetzte Fenster in den OGs akzentuiert, während die ursprünglichen, an ein Schulgebäude erinnernden zwei- und dreiflügeligen Fenster vollständig eliminiert wurden. Lediglich im EG des längeren Gebäudeflügels erinnert eine gleichmäßige Reihe von sechs Fenstern an die frühere Fassadengliederung. Die Lage der Fensteröffnungen wurde belassen, die Fenster selbst jedoch bis auf Bodentiefe gezogen. Erst jetzt erfasst der umherwandernde Blick des Besuchers den Eingang im Sockelgeschoss, der über die geneigte Platzschräge erreicht wird. Kaum zu sehen ist der in die sehr flachen Stufen eingelassene, gewundene Weg, der den erforderlichen barrierefreien Zugang ermöglicht.
Stahlgerüst im Fliesenkleid
Der Dachaufbau besteht aus einer autonomen Stahlkonstruktion, die als räumliches Faltwerk in sich ausgesteift ist und einen vollständig stützenfreien Innenraum ermöglicht. Die Lastabtragung der aus 200 Tonnen Stahlprofilen zusammengesetzten Konstruktion erfolgt über Stützen aus Vollstahl, die in die Wände des Bestandsbauwerks eingebracht wurden.
Umhüllt ist das Stahlgerüst mit einer Haut aus dunklen Aluminiumpaneelen, deren Stehfalze eine ebenso dunkle Lattung aus Aluminiumprofilen tragen. Die Bekleidung dieser schmucklosen Unterkonstruktion – ausgenommen die uneinsehbaren Bereiche der Dachkehlen – besteht aus sechseckigen Fliesen. Deren sichtbare Oberflächen sind in jeweils sechs Dreiecke gegliedert, die je nach Variante plan oder – dies in der Mehrzahl – konvex oder konkav geformt sind. Zusammen mit den zur Hinterlüftung regelmäßig angeordneten eingelegten Lochblechen erzeugen sie auf der gesamten Dachfläche unregelmäßige Lichtreflexionen. Die schwarzgrüne, dem Augenschein nach eher anthrazitfarbene Keramik nach Entwurf der Architekten wurde im oberpfälzischen Schwarzenfeld hergestellt.
Das Dach, so erläutern Herzog & de Meuron, »fügt sich in die Dachlandschaft des mittelalterlichen Basel ein und setzt gleichzeitig ein neues Zeichen im Herzen des Gevierts«. Nun, sehen kann man das Dach nur vom Innenhof, dem Schürhof aus, wo jedoch eher die vertikale, gezackte Giebelwand markant ins Auge fällt. Der bürgerschaftliche Unmut über die Dachlandschaft muss sich wohl den Blick von den Türmen des benachbarten Münsters vorgestellt haben. In dieser Sichtachse schiebt sich die Dachlandschaft mächtig vor den roten Turm des Rathauses, an dessen Dächern das Münster-Motiv der farbigen Ziegel wieder aufgenommen ist.
Der überstehende Dachaufbau wird mit der Fassade des Altbaus durch ein halbes Dutzend herabhängender Rankpflanzen optisch verschmolzen, die an den in Basel häufigen Fassadenbewuchs mit Wein und Efeu erinnern. Die Architekten sprechen von einem »Hängegarten«; und bislang gedeiht das Grün, was sich nicht von allen vergleichbaren Experimenten behaupten lässt.
Fenster zum Hof
Im Innern birgt das DG eine rund 600 m² messende, ungeteilte Ausstellungsfläche. Insofern sich hier die Faltungen der Dachhülle ungemindert abbilden, stellt der Raum eine Herausforderung an die Ausstellungsgestaltung dar. Bei der Eröffnungsausstellung zur Peking-Oper unter dem Titel »On Stage« kamen frei stehende Schaukästen und Vitrinen zum Einsatz; später wurde die Dachkonstruktion in die Ausstellungsgestaltung einbezogen, indem einzelne Objekte an den heruntergezogenen Knickfalzen befestigt wurden. Eine Attraktion im Raum ist das einzige Fenster, das Ausblick auf den Hof und weiter auf den Münsterplatz mit dem Münster selbst gestattet. Diese simple, aber höchst eindrückliche »Verortung« zählt mit Recht zum Standardrepertoire jüngster Museumsarchitektur, von Peter Zumthors »Kolumba« in der Kölner Altstadt bis zu David Chipperfields »Hepworth Wakefield« im nordenglischen Industrierevier, erinnert sie doch den Besucher an das Hier und Jetzt des Museumsgebäudes, dessen Ausstellungen ihn in ganz andere Welten entführen.
Die Ausstellungsräume in den vorhandenen Gebäudeebenen wurden weitgehend beibehalten und museumstechnisch ertüchtigt. Sie wurden dabei in jener hohen Qualität renoviert, die durchweg für die handwerkliche Ausführung des Projekts kennzeichnend ist. Eine Geschossdecke wurde teilweise entfernt, um eine Ausstellungsfläche mit doppelter Deckenhöhe zu gewinnen. Auch die Haupttreppe blieb unverändert und wurde sogar in gleicher Gestaltung bis ins Sockelgeschoss wie auch bis zum Dach verlängert.
Am MdK variieren Herzog & de Meuron zwei Motive, die sie anderenorts an Museumsbauten erprobt haben: die Eingangsrampe, die an der Londoner Tate Modern so irritierend nach unten führt und damit die Erwartung eines Aufstiegs in die Hallen der Kunst konterkariert, und das aufgesetzte Dach mit zusätzlicher Geschossfläche, die zeitgleich im Jahr 2001 für das Caixa Forum in Madrid erdacht und dort vor dem Basler Bau ausgeführt wurde. In Madrid findet sich auch das Motiv des »vertikalen Gartens«, freilich noch ausgeprägter als Begrünung einer dem Bank-Gebäude benachbarten Brandwand.

Das Basler Projekt fügt sich, was die Formen des Dachaufbaus angeht, durchaus in die Eigenart der Stadt. Ungewohnt sind die Form der Fliesen und ebenso ihre Farbgebung. Sie bilden ein neues Element, das in die Basler Baugeschichte eingeführt wird. Dafür ist der Ort des Museumsgebäudes vorzüglich geeignet. Denn bei den Tiefbauarbeiten im Schürhof fanden sich Fundamente aus römischer Zeit, die in diesem Umfang nicht erwartet worden waren und den beständigen Wandel der Basler Bautätigkeit seit der Antike beleuchten.


    • Standort: Münsterplatz 20, CH-4051 Basel

      Bauherr: Los 1: Stiftung Museum der Kulturen, Basel; Los 2 und 3: Kanton Basel-Stadt, c/o Hochbau- und Planungsamt, Basel
      Generalplanung: ARGE GP MKB, Basel
      Architekt Planung: Herzog & de Meuron, Basel, Partner: Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Christine Binswanger (Partner in Charge)
      Projekt Team: Martin Fröhlich (Associate), Mark Bähr (Project Architect), Michael Bär, Béla Berec (Model), Giorgio Cadosch, Gilles le Coultre, Piotr Fortuna, Ines Huber, Volker Jacob, Jürgen Johner (Associate), Hamit Kaplan, Beatus Kopp, Laura Mc Quary, Severin Odermatt, Nina Renner, Nicolas Venzin, Thomas Wyssen
      Architekt Ausführung und Bauleitung: Proplaning AG Architekten, Basel
      Tragwerksplanung: ZPF Ingenieure, Basel
      HLKK-Planung : Waldhauser Haustechnik , Basel
      Sanitärplanung: Aqua Planing, Arlesheim
      Elektroplanung : Herzog Kull Group, Basel
      Umgebungs-, Tiefbau- und Verkehrsplanung: Rapp Infra, Basel
      Fassaden- und Dachplanung : Emmer Pfenninger Partner, Münchenstein
      Bauphysik: Zimmermann + Leuthe, Aetigkofen
      Geometer : Ammann, Basel Brandschutz : Visiotec, Allschwil
      Sicherheitskonzept : Amstein + Walthert, Zürich
      Lichtplanung : Mati, Adliswil Akustik: Martin Lienhard, Büro für Bau- und Raumakustik, Langenbruck Pflanzenprojekt : Forster Baugrün, Kerzers
      Bepflanzung: August Künzel Landschaftsarchitekten, Basel
      BGF: 6 350 m² (Umbau und Erweiterung))
      Baukosten: keine Angaben
      Bauzeit: Januar 2009 bis Dezember 2010 Eröffnung: September 2011
    • Beteiligte Firmen: Rohbau : Erne, Basel, www.erne.ch
      Stahlbau : Preiswerk + Esser, Pratteln, www.erne.ch
      Dach : Wittenauer, Sasbach, www.erne.ch
      Dachkeramik : Deutsche Steinzeug, Agrob Buchtal, Schwarzenfeld, www.erne.ch
      Fassade : Mevo-Fenster, Reinach, www.erne.ch
      Innentüren: Jegen AG, Effretikon, www.erne.ch
      Brandschutztore: Effertz Tore, Mönchengladbach, www.erne.ch
      Aufzüge: Emch Aufzüge, Bern, www.erne.ch

Herzog & de Meuron


Jacques Herzog
Pierre de Meuron
1950 in Basel geboren. 1970-75 Studium an der ETH Zürich. Seit 1978 gemeinsames Büro. Seit 1994 Gast- professuren an der Harvard University. Seit 1999 Professuren am ETH-Studio Basel. 2001 Pritzker Prize.
Christine Binswanger
Seit 1991 Mitarbeit bei Herzog & de Meuron. Eine von fünf Senior Partnern des Büros. Verantwortlich für eine Reihe wichtiger Projekte, darunter das Museum der Kulturen Basel.

Bernhard Schulz
1953 in Berlin geboren. 1971-80 Studium der Politologie und VWL an der FU Berlin, später Kunstgeschichte. 1977-87 Kuratorentätigkeit in Berlin. Seit 1982 Kunstkritiker. Seit 1987 im Feuilleton des Tagesspiegel.

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