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Komfort unter der Tarnkappe

Dorfhotel »Montagne Alternative« in Commeire (CH)
Komfort unter der Tarnkappe

Um das dörfliche Ensemble erhalten zu können, wurden einige der Gebäude zu Gästeunterkünften umgebaut. Von außen sind die Eingriffe kaum wahrnehmbar, die Innenräume leben vom Kontrast zwischen den geradlinigen Holzeinbauten und den Unvollkommenheiten der historischen Bausubstanz. Das Hotelkonzept verdankt seinen Erfolg dem Gegensatz zwischen dörflicher Kleinteiligkeit und durchaus städtischem Luxus.

~Aus dem Französischen von Rolf Junghanns

  • Architekten: dl-i, designlab-intérieurs Tragwerksplanung: Thétaz ingénieurs civils
  • Kritik: Christophe Catsaros Fotos: Jean-Francois Jaussaud, Sébastien Albert u. a.
Das Bergdorf Commeire, das mit seinen 30 Alphäusern aus Lärchenholz hoch über der Straße zum Großen Sankt Bernhard liegt, hatte über viele Jahre den Zeitläuften getrotzt und sich dem allgemeinen Streben nach Komfort verweigert. Zu Beginn der nuller Jahre war Commeire im Großen und Ganzen von seinen früheren Einwohnern verlassen.
Als zwei belgische Unternehmer die Vision unterbreiteten, hier Gästehäuser einzurichten, erschien das allen als unglaubhaft. Sowohl den bisherigen Eigentümern, die die ersten der Scheunen für jeweils 25 000 CHF abtraten, als auch der Gemeinde Orsnières, die in dem Weiler kein Entwicklungspotenzial sah. Auch die Banken zögerten, ein derart abwegiges Projekt zu finanzieren.
Der Hotelbetrieb »Montagne Alternative« (»Alternative Berge«) bietet hier mittlerweile um die 30 Betten an, wofür acht Scheunen umgebaut und drei weitere Gebäude hierher transloziert wurden. Nach den Worten des Architekten Patrick Devanthéry, der die Konversion planerisch begleitet, werden die letzten original erhaltenen Scheunen nun schon zu 250 000 CHF gehandelt.
Seit Beginn des Projekts gilt der Anspruch, den künftigen Gästen einen Vier-Sterne-Standard zu bieten, jedoch ohne den für derartige Etablissements sonst üblichen Baugrundverbrauch. Alle Funktionen eines großen Hotels sollten über den Weiler verteilt werden. Eines der wesentlichen Markenzeichen des Projekts ist es, die neuen Nutzungen in die vorhandenen Gebäudeumrisse einzupassen.
Die Baustelle musste auf einen langen Zeitraum hin geplant werden, da sie sich an den Rhythmus der örtlichen Handwerker anzupassen hatte – Bauarbeiten verrichten diese in Commeire nur in den Zeiten, da für sie keine anderweitigen Aufgaben anstehen. Dieser Zeitrhythmus der Bergbewohner bestimmte den Ablauf der Umgestaltung, und es hat schließlich nahezu zehn Jahre gebraucht, bis der heutige Stand erreicht war. Das ist nicht als Mangel zu werten, denn auf diese Art kam es zu einer schrittweisen Anreicherung, jeder neue Umbau profitierte von den gesammelten Erfahrungen des vorangehenden Baus, jede Etappe hatte vor ihrer Realisierung Zeit zum Reifen und Vervollkommnen. Zum ›
› heutigen Tag sind 90 % der Planziele erreicht. Einige wesentliche Elemente stehen noch aus, so z. B. ein Spa, der Gesamtkomplex ist aber in Betrieb.
Umgestaltung nach Mass
An die jeweiligen Raumverhältnisse der vormaligen Scheunen angepasst, sind die Gästezimmer allesamt individuell ausgeformt. Der scheinbaren Einfachheit der Ausbauten gingen komplexe Eingriffe voraus. Die Scheunen, in denen vormals Mensch und Tier eng beieinander lebten, waren schlecht gedämmt und hatten nur minimale Öffnungen. Dem Architekten stellte sich die Aufgabe, in die ursprünglichen Hüllen »bewohnbare Boxen« einzupassen. Dabei hatte er sich auferlegt, die notwendigen Durchbrüche in den Lärchenholzwänden auf ein Minimum zu beschränken. Die Konstruktion war zu verstärken und bei Schieflage aufzurichten. Vollständig neuanzulegen war der Hausunterbau. Das Ergebnis ist verblüffend: Auf den ersten Blick scheint es, als sei ein historischer Baukörper auf einen neuen Sockel gesetzt worden. Man möchte jedes einzelne Haus daraufhin untersuchen, mit welcher Finesse Patrick Devanthéry bei der Umrüstung vorgegangen ist.
Da sind zunächst die auf das unbedingt Notwendige beschränkten Wandöffnungen, wozu nach Möglichkeit auch die Lüftungsschlitze der Scheune genutzt wurden. In verschiedenen Räumen erblickt man das Bild der Landschaft durch eine eigenwillige Ansammlung von Schlitzen hindurch – einstige Schießscharten sind das, die beibehalten wurden. Die Landschaftsbetrachtung wird durch diese Strukturierung des Blicks zu einem ungewöhnlichen Erlebnis – eines der gelungensten Details des Projekts. Die großen Panoramafenster, mit denen jedes Zimmer ausgestattet wurde, beeinträchtigen die Gesamterscheinung der Berghütten kaum. Bei den im Unterteil der Gebäude gelegenen Gästezimmern ist die Mehrzahl der neuen Fenster im wiederhergestellten Sockel angeordnet. Für die Wandbekleidung im Innern kam ebenfalls Lärchenholz zum Einsatz, darunter viele wiederverwendete Bretter aus dem jeweiligen Gebäude. Die Unterschiedlichkeit der Bretter mag ein ornamentales Interesse nahelegen, der generelle Umgang mit den Materialien zeugt aber vielmehr von strukturellem Denken.
Die Gästehäuser sind nun perfekt gedämmt, ohne dass dabei die wundervolle Anmutung der Dachschalung hätte leiden müssen; geheizt wird hauptsächlich über Sonnenkollektoren und mit Hightech-Kaminen, bei denen sich die Wärmeabstrahlung optimieren lässt. Die Berghütten sind nunmehr zu luxuriösen Residenzen geworden, ohne dies nach außen hin zu offenbaren. In ihrer äußerlichen Verschwiegenheit ähneln sie den seltsamen ungenutzten Bauten am Dorfeingang – als Bauernhäuser getarnten Bunkern. Commeire hatte über ›
› viele Jahre davon profitiert, dass hier Artillerieeinheiten stationiert waren, die ihr Quartier am Ortseingang hatten und deren im Gebirge verborgene Kanonen auf den Großen Sankt Bernhard gerichtet waren. Mit dem Abzug der Militärs geriet der Weiler in den Niedergang, bis schließlich »Montagne Alternative« diese neue Tarnkappenoperation startete.
Die Diskretion, die alle Eingriffe in das Dorfensemble kennzeichnet, hat sich als das Markenzeichen des Projekts herauskristallisiert – eine bestechende Idee, ein gedanklicher Kontrapunkt zu den gewöhnlichen Berghotels, die in ihrer Neuheit allzu oft extrem aufdringlich daherkommen.
Mit der Regel, allein den Raum innerhalb der bestehenden Gebäudehüllen zu nutzen, war ein Gesetz gefunden worden, das weniger als Einschränkung empfunden wurde, sondern dem Projekt vielmehr Struktur, Sinn und Dynamik gab. Beim Einpassen der »Wohnbox« in die vorgegebene Hülle folgte man nicht mehr einfach nur einer aus einem Kompromiss geborenen Vorgabe, sondern einem sinngebenden Prinzip. Die Anpassung des Neuen an das vorhandene Alte und der Respekt vor der ursprünglichen Gestalt bilden die Grundlage der gesamten Ökologie des Projekts.
In den – ein wenig zu »geleckt« erscheinenden – Gassen des wiedererweckten Weilers tritt die Art und Weise zu Tage, mit der das Projekt nach einer Neudefinition des grundlegenden Wunschtraums der Gebirgshotellerie sucht: der Idee einer Insel der Urbanität mitten im Nirgendwo. Dieses Fantasiebild machte einen wesentlichen Zug des Grandhotels des 19. Jahrhunderts aus. Hier in Commeire geht es nicht allein um den städtischen Charakter der den Gästen angebotenen Dienstleistungen und auch nicht nur um die heute nicht unbedingt außergewöhnliche ökologische Energie- und Lebensmittelversorgung. Die Urbanität, die das Markenzeichen von »Montagne Alternative« darstellt, liegt in der Form des Dorfs, jener Form, in der sich der Ursprung der Stadt sehen lässt. Die Verknüpfung der dörflichen Dichte mit der städtischen Kultur des Hotelbetriebs war bestimmend für den Erfolg des Projekts. •
  • Standort: Commeire, CH-1937 Orsières

    Bauherr: Montagne Alternative SA, Orsières
    Architekten: dl-i, designlab-intérieurs, Genf
    Mitarbeiter: Patrick Devanthéry (Projektleitung); Thierry Décosterd, Clara Jousson, Alfonso Gonzalez
    Tragwerksplanung: Thétaz ingénieurs civils, Martigny
    Haustechnikingenieure: GD Climat, Sion
    Haustechnikplanung: JYCtechnic, Isérables
    Flächen: Agora: 230 m²; Barbey: 244 m²; Rogneux: 172 m²; Vouadgère: 285 m²
    Baukosten: keine Angabe
    Bauzeit: etappenweise von 2008 bis 2015
  • Beteiligte Firmen: Holzbau: Artisabois, Sembrancher, www.artisabois.ch
    Schreiner: Taramarcaz Alain, Sembrancher; Maurice Joris, Orsières Dach
    HLS: Rausis et Cinquanta, Orsières
    Maurer: Polli &Cie, Martigny
    Mobiliar: Look & Wood, Lasne (B)
1 La Vouardjère 1 (10 Zimmer) 2 Spa 3 Scheune Le Rogneux (4 Zimmer) 4 Parkplatz 5 Scheune Le Six-Blanc (3 Zimmer) 6 Scheune Le Barbey (5 Zimmer) 7 Scheune Crêta de Vella (Büro, Service) 8 Scheune Tornay (4 Zimmer) 9 Agora mit Rezeption, Seminarraum und Restaurant »L’Arpalle« 10 Kapelle 11 Maison Bérard (2 Zimmer) 12 alte Schule

Commeire (CH) (S. 34)

3799392

dl-i, designlab-intérieurs


Patrick Devanthéry
1954 in Sion (CH) geboren. Architekturstudium an der EPF Lausanne, 1980 Diplom. 1983-2007 Büro mit Inès Lamunière. 1989-2004 Mitherausgeber der Genfer Architekturzeitschrift Faces. 1996 und 1999 Gastprofessur in Harvard (USA). Seit 2007 Gründung mehrerer Tochterfirmen, darunter auch dl-i, designlab-intérieurs. Seit 2014 Leitung von dl-c, designlab-construction.
Christophe Catsaros
1973 geboren. Chefredakteur von Tracés, Zeitschrift für Architekten und Ingenieure aus Lausanne (CH).
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