Entwurf und Tragwerksplanung: schlaich bergermann partner
Kritik und Fotos: Wilfried Dechau
Die Preisverleihung des diesjährigen Ulrich Finsterwalder Ingenieurbaupreises, vergeben alle zwei Jahre für herausragende Leistungen im Konstruktiven Ingenieurbau, wurde spannend inszeniert. Die fünf Bauten, die es bei der zweiten Jury-Sitzung bis in die Shortlist geschafft hatten, wurden von den jeweiligen Verfassern so engagiert vorgestellt und erläutert, dass man glauben konnte, die Entscheidung darüber, wer den Preis bekommt, werde erst an diesem Nachmittag gefällt. Natürlich stand alles längst fest, aber für die Zuschauer stieg die Spannung von Minute zu Minute. Im Rennen waren vier sehr unterschiedliche Brücken und ein Membran-Dach.
Zwei der Bauten kannte ich schon vorab bis ins Detail: Ich hatte die Chance, sowohl den Bau der Kienlesbergbrücke in Ulm (KREBS+KIEFER sowie Klähne Ingenieure und Knight Architects) als auch den Werdegang des Trumpfstegs in Ditzingen von schlaich bergermann partner mit der Kamera zu begleiten. Natürlich hätte ich mir eine der beiden Brücken für das erlösende »The winner is …« gewünscht. Das klappte nicht: Das Schutzdach einer Ausgrabungsstätte in der Türkei von EiSat Ingenieuren und den Architekten kleyer.koblitz.letzel.freivogel machte das Rennen. Immerhin gab es für meine beiden Favoriten je eine Auszeichnung.
Perforiert
Bevor ich – mehr als ein Jahr zuvor – mit dem Fotografieren begann, hatte mir Mike Schlaich das Tragwerk und v. a. die Formfindung des Trumpfstegs so ähnlich erklärt wie nun bei der Preisverleihung: »Stell Dir vor, man schlägt von einem Widerlager zum anderen einen Bogen in der Breite eines Stegs, legt dann einen Nylonstrumpf darüber und zieht ihn an vier Ecken stramm. Dann hast Du die Abbildung der Form, die ich mir für die Brücke vorstelle. Das Ganze natürlich nicht aus Nylon, sondern aus Edelstahl, entlang der Spannungstrajektorien von Löchern so durchsiebt, dass als Tragwerk eine netzartige Schale übrigbleibt – 20 mm dick.«
20 mm: Das hört sich erstmal nicht besonders aufregend an. Setzt man das Maß aber ins Verhältnis zum Krümmungsradius, erkennt man, dass die Schale des Trumpfstegs sechsmal so dünn ist wie die eines Hühnereis, und muss trotzdem nicht behandelt werden »wie ein rohes Ei«. Jedenfalls im eingebauten Zustand.
Von Löchern durchsiebt: Hätte man natürlich nicht machen müssen. Aber können, wenn man’s kann. Damit schließt sich der Kreis zum Bauherrn Trumpf, denn die Löcher (abgesehen von denen in der Lauffläche) wurden nicht etwa gebohrt, sondern mit Lasertechnik geschnitten – also mit einer Technik, mit der die Firma längst zum Weltmarktführer avancierte.
Unterwegs
Das Laserschneiden erfolgte aber nicht in Ditzingen, sondern bei Firmen, die mit Trumpf-Lasermaschinen arbeiten und zwar in Aalten (NL) und in Dinklage. Natürlich an einzelnen, noch gut handhabbaren und transportablen Blech-»Flicken«, die in Stralsund erst in Form gebracht, das heißt, gebogen und dann miteinander zu vier Brücken-Vierteln verschweißt wurden – gerade eben noch klein genug, um auf die Baustelle nach Ditzingen transportiert werden zu können.
Fast ein bisschen zu viel Hin und Her für eine Brücke. Andererseits konnten die einzelnen Arbeitsschritte nur dort vollzogen werden, wo zum einen das erforderliche Know-how und und zum andern die maschinelle Ausrüstung vorhanden ist. Besonders augenfällig war das bei der Verformung der Bleche. Pressen für die Verformung von Karosserieblechen gäb’s im Autoländle sicher genug. Aber damit werden Bleche von etwa einem und nicht 20 mm Dicke verarbeitet. Bei Werften und bei Firmen, die als Zulieferer für den Schiffsbau arbeiten, ist das etwas anderes. Das erklärt die große Distanz zwischen dem Ort der Stahlbearbeitung und dem eigentlichen Standort der Brücke.
Punktgenau
In Ditzingen wurden die mit Schwerlastern angelieferten Brücken-Viertel im Schutz eines Baustellenzelts zusammen mit den Blechen des Laufbereichs zum vierbeinigen Tragwerk verschweißt. Anschließend konnten die 14 300 etwa flaschenhalsgroßen Löcher im Laufbereich in Gedulds- und Fleißarbeit mit Glasstopfen versehen werden, die zunächst etwas hervorlugten, um dann mit der später aufgebrachten Beschichtung eine Ebene zu bilden.
Am 26. Mai 2018 war es so weit. Ein riesiger Autokran stand bereit, um die fertige Brücke in ihre endgültige Lage zu hieven. Der Kran hatte aber nicht nur die eigentliche Brückenschale zu tragen, sondern eine aus schweren Trägern und Querträgern gebildete, für die Montage unerlässliche Unterkonstruktion. Denn die Schale würde erst in ihrer endgültigen Position selbsttragend und tragfähig sein können. Die Fundamente für die kugelförmigen Lager der vier Schalen-»Beine« und die beiden Endauflager für die Lauffläche standen bereit.
Mittags hing die Schale samt Unterkonstruktion noch in der Luft, am Nachmittag konnte man bereits über die Brücke gehen. Allerdings noch ohne die Glasgeländer. Die wurden erst in den darauffolgenden Wochen montiert.
Exklusiv
Die Brücke verbindet zwei durch eine Ortszufahrtsstraße voneinander getrennte Bereiche des TRUMPF-Werksgeländes und ist dadurch nicht öffentlich. Die Benutzung der Brücke ist den Werksangehörigen vorbehalten. Öffentlich kann man ihren Anblick nur vom Niveau der überspannten Straße aus genießen – ob im Auto, wenn man nicht gar zu schnell fährt, oder mit etwas mehr Muße als Radfahrer oder Fußgänger. Unmittelbar unter der Brücke hat man einen atemberaubend schönen Blick auf die kunstvoll durchlöcherte Schale.
Der allerschönste Blick auf das außergewöhnliche Bauwerk wäre jedoch der nicht öffentliche in der Draufsicht: Abends, in der blauen Stunde, beginnt die Lauffläche der Brücke, von unten angestrahlt, wie ein Sternenhimmel zu leuchten. Das ist wirklich fantastisch. Und das ist auch der Grund, weshalb ich der Brücke, als Zweit- oder Dritt-Version, z. B. als Teil einer Gartenbauausstellung mehr Öffentlichkeit wünschte.
- Standort: Gerlinger Straße, 71254 Ditzingen
Bauherr: TRUMPF Immobilien, Ditzingen
Tragwerksplanung: schlaich bergermann partner
Entwurf: Mike Schlaich, Berlin
Projektleiter: Mathias Nier
Mitarbeiter: Frank Schaechner, Christiane Sander, Stephanie Thurath
Architektonische Beratung: Barkow Leibinger, Berlin; Frank Barkow
Bauwerkslänge: ca. 28 m
Spannweite der Schale: ca. 20 m längs, 10 m quer
Breite Lauffläche: 2,20 m
Höhe Absturzsicherung: 1,10 m
Lichte Höhe Durchfahrt: 4,70 m
Baukosten: keine Angabe
Bauzeit: August 2017 bis Juni 2018
- Beteiligte Firmen:
Laserschneiden, Stahllieferant: Outokumpu PSC-Benelux, Aalten, www.outokumpu.com
3D-Biegetechnik, Vorfertigung: Ostseestaal, Stralsund, http://ostseestaal.com
Bohrlöcher Lauffläche: Hilgefort, Dinklage, http://hilgefort.de
Beton-, Bewehrungsarbeiten: Gottlob Rommel, Stuttgart, www.gottlob-rommel.de
Ganzglasbrüstung: Balardo Alu, Glassline, Adelsheim, www.glassline.de;
Verbundsicherheitsglas, Saint-Gobain Glass, www.saint-gobain-glass.com
Bodenbeschichtung: SikaCor® HM Primer, SikaCor® Elastomastic TF, Sika Deutschland, Stuttgart, https://deu.sika.com
Siliziumkarbid-Belagseinstreuung und transparente Kopfversiegelung mit Glimmerpartikel: KLB Kötztal, Ichenhausen, www.klb-koetztal.de
Glasstopfen: Schöbel Kristall Glas, Warmensteinach, www.schoebelglass.de
Beleuchtung: Hess Form + Licht, Villingen-Schwenningen, www.hess.eu
Unser Kritiker Wilfried Dechau hat über ein Jahr lang das Brückenprojekt fotografisch begleitet. Unter den Hunderten von Motiven findet sich leider keines, dass ihn selbst vor dem Bauwerk zeigt.
schlaich bergermann partner
Mike Schlaich
1960 in Cleveland, Ohio (USA) geboren. 1979-81 Bauingenieurstudium an der TU Stuttgart. 1981-85 an der ETH Zürich, dort Diplom und 1985-89 Assistenz. Promotion. Seit 1993 Mitarbeit bei schlaich bergermann partner, seit 1999 als Partner. Seit 2004 Professur an der TU Berlin, seit 2017 Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.