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Firmensitz Max Felchlin in Ibach von Meili, Peter & Partner Architekten

Dachlandschaft vor Alpenpanorama
Firmensitz Max Felchlin in Ibach (CH)

Ein hölzernes Abschlussgeschoss mit drei markanten Dachhauben, das Alt- und Neubau überspannt, bildet den Blickfang auf dem Firmengelände eines Innerschweizer Schokoladenherstellers. Die Silhouette des mitten im Talkessel gelegenen Gebäudes beeindruckt nicht zuletzt aus der Ferne.

Architekten: Meili, Peter & Partner Architekten
Tragwerksplanung: Pirmin Jung Ingenieure; bpp Ingenieure

Kritik: Hubertus Adam
Fotos: RHEINZINK/Cornelia Suhan; Fabien Schwartz und Karin Gauch

Selbst in der Schweiz ist der Firmenname Felchlin nur wenigen ein Begriff. Dabei stellt das im Kanton Schwyz ansässige Unternehmen Schokolade her, die zum Besten gehört, was dieser Sektor zu bieten hat. Seit 1999 verwendet die Max Felchlin AG das aus dem Weinbau bekannte Qualitätslabel »Grand Cru« auch für die Schokoladenherstellung: Die Kakaobohnen stammen aus nachhaltigem kontrollierten Anbau mit fairen Lieferketten, die qualitätsbewusste Produktion in der Schweiz erfolgt in einem Manufakturbetrieb, der sich von den industriellen Herstellern unterscheidet. Doch die Firma tritt zum einen kaum mit ihrem Namen in Erscheinung, da sie Halbfabrikate, v. a. Kuvertüre, vertreibt zum anderen sind ihre Kunden nicht Endverbraucher, sondern Konditoren, Konfiseure und Chocolatiers. Und zwar weltweit – seit Beginn der 80er Jahre v. a. in den USA und in Japan. Regelmäßig veranstaltet Felchlin Schulungen für seine Geschäftspartner, bisher in Form einwöchiger Kurse in einem »Condirama« genannten Gebäude in Schwyz.

Die Produktion des aus einer 1908 gegründeten lokalen Honighandlung hervorgegangenen Unternehmens war hingegen 1974 in die nahe gelegene Gemeinde Ibach verlagert worden. Weil dort noch Baulandreserven existierten, entschloss sich die Firmenleitung vor einigen Jahren, auch Verwaltung und Schulungszentrum nach Ibach zu verlagern und damit alle Abteilungen und sämtliche 150 Mitarbeitende an einem Standort zu konzentrieren. Im Wettbewerb 2014 konnte sich das Architekturbüro Meili, Peter (seit 2016 Meili, Peter & Partner) durchsetzen, 2018 war das Projekt fertiggestellt.

Verknüpfung und Überlagerung

Das Fabrikgelände befindet sich am Westrand von Ibach in einem typischen ländlichen Gewerbegebiet, bei dem sich Landmaschinenhandlungen, anspruchslose Zweckbauten und Kuhweiden abwechseln. Im Süden grenzt das Areal an die Kantonsstraße, im Norden an den hier kanalisierten und von Dämmen gesäumten Fluss Muota. Zum Bestand gehören die silbergrau bekleideten Produktionshallen, an die sich ein mit anthrazitfarbenen Blechpaneelen umhüllter Gebäudetrakt anschließt. Diesem haben die Architekten mit bewusstem Abstand und im rechten Winkel ein Verwaltungsgebäude zur Seite gestellt. Zu einem Ensemble zusammengefasst werden die beiden Bauteile durch einen lang gestreckten Dachaufbau mit einer expressiven, in drei Hauben sich aufgipfelnden Dachstruktur. Als pavillonähnliche Holzkonstruktion überspannt dieses nach Norden 2 m, nach Süden 3,33 m auskragende fünfte Geschoss die 12 m breite Lücke zwischen den beiden Baukörpern. Meili, Peter integrieren auf diese Weise das Bestandsgebäude; was Bestand, was Neubau ist, wird auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Somit ist das Ziel nicht der Kontrast – aber ebenfalls nicht die Homogenisierung. Die Strategien von Addition, Verknüpfung, Überlagerung bestimmten schon eine Reihe früherer Projekte des Architekturbüros, darunter das Centro Helvetia in Mailand (2004-09). Der Bezug zum Werk von Luigi Caccia Dominioni (1913-2016), das die Architekten als Inspirationsquelle für die zeitgenössische Schweizer Architektur entdeckt haben, ist auch beim Felchlin-Projekt augenfällig. Hier drängt sich insbesondere der Vergleich mit dem Gebäude für die Firma Loro Parisini (1951-57) an der Via Savona in Mailand auf, bei dem ein verglaster wolkenbügelartiger Aufbau mit atemberaubender stirnseitiger Auskragung über der bestehenden Struktur positioniert wurde.

Hybride Konstruktion

Das Verwaltungsgebäude, in dessen EG neben der doppelgeschossigen Eingangshalle mit Rezeption auch ein Werksverkauf Platz gefunden hat, besteht konstruktiv aus einer Skelettstruktur, die mit einer Fassade aus dunklem Tannenholz bekleidet ist. Die Skelettbauweise erlaubt es im Zusammenspiel mit den Leichtbauwänden und den offenen Leitungsführungen, die Raumeinteilung im Innern sich verändernden Bedürfnissen anzupassen. Auch hier wird das Prinzip der Addition evident: Zu der Primärstuktur aus

Sichtbeton in Form von Erschließungskernen, Rundpfeilern und Trägern treten die weißen Wände, graue Akustikelemente an den Decken, z. T. sind sie auch in die Wände eingelassen, sowie hölzerne Einbaumöbel. Im 3. OG mit der Laborküche wandelt sich das Bild: Auf den Rundpfeilern ruhen die gewaltigen, das Bauvolumen überspannenden Träger aus Brettschichtholz. Die Struktur des lang gestreckten pavillonartigen obersten Geschosses drückt sich sozusagen nach unten durch, beim Blick an die Decke wird der Wechsel von der Massiv- zur Holzbauweise unmittelbar sichtbar.

Die Abfolge der Brettschichtholzträger wird auch im brückenähnlichen Bereich zwischen den beiden Bauteilen beibehalten: drei geschosshohe Holzfachwerke fungieren als Längsträger, an denen die Balken hängen. Eine zusätzliche Herausforderung stellte die Lastabtragung im Bereich des Bestandsgebäudes dar. Weil dieses keine horizontalen Lasten aufnehmen kann, dient ein horizontales Stahlfachwerk als Abfangkonstruktion.

Filigranität und Massivität

Der auskragende Trägerrost bildet die Basis für das grandiose Faltwerksystem des 4. OGs, das aus einem hybriden Zusammenspiel von Elementen aus Massivholz, Leimholz und Holzwerkstoffen besteht. Räumliche Schwerpunkte bilden die beiden Schulungsräume des Condirama, die die Besucher mit dem Lift vom EG aus erreichen, sowie der große, dreiseitig verglaste Gemeinschaftsraum der Felchlin-Mitarbeitenden an der östlichen Gebäudestirn.

Zusammen mit den Holzingenieuren von Pirmin Jung entwickelten Meili, Peter ein komplexes System aus Holzbautechniken, die vom Brückenbau inspiriert sind. Die Dachlast wird von Sprengwerken übernommen, die zwischen geneigte Fachwerke eingespannt sind.

Gewaltig tritt das Stabwerk der Dachkonstruktion in Erscheinung, und doch wirkt es wie schwebend, fast zeltartig. Balken verschiedener Querschnitte und Ausrichtung verbinden sich optisch zu einem ebenso eindrucks- wie ausdrucksvollen Gefüge, das zwischen Filigranität und Massivität oszilliert. Die Perfektion liegt im Detail: An den Decken sind die Dachsparren radial aufgefächert, wie man es von der japanischen Tempelarchitektur kennt.

Nahsicht und Fernwirkung

Die Dachhauben beeindrucken aufgrund ihrer expressiven Gestalt nicht nur im Innern. Sie bestimmen auch die markante Silhouette des Gebäudes. Besonders aus der Ferne, denn wenn man sich dem Gebäude von der Straße aus über den Vorplatz nähert, werden sie unsichtbar. Die Fernwirkung aber ist an diesem Standort von besonderer Bedeutung: Ibach liegt inmitten des Schwyzer Talkessels, einer weitläufigen Ebene, die allseitig von markanten Bergen der Innerschweiz umgeben ist: vom Urmiberg – dem Ausläufer des Rigimassivs – im Norden, von den Mythen im Osten, von Stoos und Fronalpstock im Süden, von der Brandegg mit Seelisberg und Rütli im Westen. Die Dachlandschaft spielt mit dieser Topografie, was besonders eindrucksvoll sichtbar ist, wenn man am anderen Ufer der Muota steht und das Felchlin-Gebäude mit seinen drei Gipfeln vor der Silhouette des Fronalpstocks sieht. Nicht weniger eindrucksvoll aber wirkt das Gebäude, wenn man vom Zürichsee aus die Kantonsstraße über Rothenturm nimmt und aus der Höhe hinunter in den Schwyzer Talkessel fährt. Die Dachlandschaft des Felchlin-Gebäudes ist inmitten der dispersen Bauten ringsum unübersehbar und mutet fast wie ein japanischer Tempelkomplex inmitten alltäglicher Bebauung an.

Dachaufsicht: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Grundriss EG: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Grundriss 3. OG: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Grundriss 4. OG: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Längsschnitt: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Lageplan: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
Querschnitt: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich

  • Standort: Gotthardstraße 11, CH-6438 Ibach

    Bauherr: Max Felchlin, Ibach
    Architekten: Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich
    Mitarbeiter: Markus Peter, Patrick Rinderknecht, Alice Hucker, Roman Pfister, Lukas Eschmann, Benjamin Melly, Tobias Gagliardi, Adrien Muller, Tobia Rapelli, Jean Hartmann, Andreas, Winzeler, Gergő Vátyi, Malte Didrigkeit
    Tragwerksplanung Holzbau, Brandschutz, Bauphysik/Akustik: Pirmin Jung Ingenieure, Rain, mit Création Holz, Herisau
    Tragwerksplanung Massivbau: bpp Ingenieure, Schwyz
    Gesamtprojektleitung/Bauherrenvertretung: waldner partner, Zürich
    Baumanagement/Bauleitung: HSSP, Zürich
    Gebäudetechnik: 3-Plan Haustechnik, Winterthur
    Lichtplanung: matí, Adliswil
    Freiraumgestaltung: Müller Illien Landschaftsarchitekten, Zürich
    BGF: 5 198 m² (Nutzfläche: 3 451 m²)
    BRI: 22 467 m³
    Baukosten: ca. 24 Mio. CHF (ca. 22,2 Mio. Euro)
    Bauzeit: April 2017 bis Dezember 2018

Nach der Besichtigung fuhr unser Kritiker Hubertus Adam kreuz und quer durch den Schwyzer Talkessel, um das Gebäude aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. Hier steht er auf dem Damm, der das Nordufer der Muota begleitet.


Meili, Peter & Partner Architekten

Alice Hucker

Architekturstudium an der ETH Zürich, 2002 Diplom. 2002 Mitarbeit bei Meili & Peter Architekten. 2005-11 Büro dform mit Holger Schurk. Lehrtätigkeit an der ETH Zürich. 2011-16 Mitarbeit bei Basler & Hofmann, Zürich. Seit 2016 Mitglied der Geschäftsleitung bei Meili, Peter & Partner Architekten, seit 2018 Partnerin.

Patrick Rinderknecht

Architekturstudium an der ETH Zürich, 2007 Diplom. Seit 2007 Mitarbeit bei Meili & Peter Architekten, 2012 Mitglied der Geschäftsleitung. Seit 2016 Büro mit Marcel Meili und Markus Peter.

Markus Peter

Architekturstudium an der TH Winterthur, 1984 Diplom. 1987 Büro mit Marcel Meili. 1990 Dozent an der Sommerakademie Karlsruhe. 1993-95 Gastprofessur an der ETH Zürich, 2002 Professur. 2016 Büro mit Marcel Meili und Patrick Rinderknecht.


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