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Farben-froh

Siedlung Frohheim in Zürich-Affoltern (CH)
Farben-froh

Die Siedlung Frohheim im Norden von Zürich beschreitet neue Wege im genossenschaftlichen Wohnungsbau. Nicht alleine das urbane Konzept hebt sich von der traditionellen Reihenhaus-Struktur ab, durch die Vielfarbigkeit erhält die Siedlung eine individuelle Identität.

    • Architekten: Arge EM2N und Müller Sigrist
      Tragwerksplanung: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure

  • Kritik: Katharina Marchal Fotos: Roger Frei, Patrik Ronner
Am Nordrand des Kantons Zürich liegt das Wohnquartier Zürich-Affoltern. Dessen durchgrünte und lockere Siedlungsstruktur ist entscheidend durch die Planung des um 1950 amtierenden Stadtbaumeisters Albert Heinrich Steiner geprägt. Seither führten stark ansteigende Bewohnerzahlen zu einem Wohnungsbau-Boom. Zur besseren Ausnutzung und Verdichtung der bestehenden Flächen wurden gewerbliche Areale umgenutzt oder Ersatzneubauten erstellt. In diesem Sinne entschied auch die Genossenschaft Frohheim, die Wohnsiedlung aus den 40er Jahren entlang der Wehntalerstraße durch hochwertige Neubauten zu ersetzen. Der Entwurf der Züricher Architektengemeinschaft EM2N/Müller Sigrist ging 2005 aus dem Studienauftragsverfahren als Sieger hervor und wurde in zwei Bauetappen – 2010/12 – umgesetzt.
Die Hauptverkehrsachse Wehntalerstraße bildet das Rückgrat zweier wichtiger Zentren in Affoltern. »Wir verstehen die bauliche Erneuerung der heutigen Siedlung als Chance, zwischen den beiden Knoten ein weiteres ‚Subzentrum’ zu schaffen, das über die Parzelle hinaus einen spezifischen Ort für Affoltern definiert«, so die Architekten. Ein Längsbau, bestehend aus einem durchgehenden Sockel mit vier Aufbauten, bildet den stadträumlichen Abschluss zur Straße ›
› und schirmt die dahinterliegenden sieben punktartigen Baukörper ab. Der siebengeschossige Kopf des Längsgebäudes reagiert im Maßstab auf die benachbarte Kirche. Gleichzeitig konzentrieren sich in diesem Abschnitt die öffentlichen Nutzungen der Siedlung wie Kindergarten, Gemeinschafts- und Gewerbeflächen. In Richtung der kleinteiligeren Nachbarbe- bauung flachen die Punktbauten und Aufbauten schrittweise auf drei Geschosse ab.
Punkt und Strich
Die Baukosten für die 132 Genossenschaftswohnungen mit 2,5 bis 5,5 Zimmern lagen trotz Direktvergabe und ohne Kostengarantie eines Generalunternehmers unter dem Kostenvoranschlag. Die Nettomieten von rund 2 200 CHF (1710 Euro) für eine 4,5 Zimmer-Wohnung sind im Vergleich zu den Neubauwohnungen in der Stadt Zürich nicht teuer, für Genossenschafts-Wohnungen jedoch eher an der oberen Grenze. Das Konzept aus kompakten Volumen mit effizientem und reduzierten Erschließungssystem bietet eine große Vielfalt an Wohnungsgrundrissen mit unterschiedlichen Außenräumen an. Die nichttragenden Zimmerwände in Leichtbauweise können innerhalb der Wohnung weggelassen oder Räume nach Bedarf zugeschaltet werden. Entlang der Straße reihen sich die Räumlichkeiten der Verwaltung und für Gewerbe aneinander. Dazwischen erschließen vier abgewinkelte Durchgänge das Areal und die Wohnungen im OG. Aufgrund der Verkehrsemissionen sind alle Wohnungen zur Hauptstraße mit einer Komfortlüftung ausgestattet. Trotzdem ermöglichen der verglaste Patio im Maisonette-Wohnungstyp und die Loggia mit Dachöffnung in anderen Wohnungstypen die natürliche Belüftung der Räume und bildet eine Pufferzone gegen den Verkehrslärm. Tagbereiche liegen zur Straße, Nachtbereiche zum Areal hin. In den Punktbauten sind zur optimalen Belichtung alle Nord-Wohnungen dreiseitig orientiert, alle restlichen Wohnungen zweiseitig. ›
› Die strenge Gliederung der Fassaden in Fenster- und Brüstungsbänder wird durch die an verschiedenen Ecken über die Gebäudeflucht hinausragenden Balkone aufgelockert. Die bis zu 24 m² großen Außenräume gleichen übereinander gestapelten, herausgezogenen Schubladen und verzahnen die Baukörper miteinander. Der überdachte Bereich bietet einen relativ privaten Außenraum, der die Einsichtsproblematik reduziert. Aus demselben Grund sind alle ebenerdigen Wohnungen der Punktbauten auf Hochparterre-Niveau angehoben.
Aufwendiges Farbkonzept
Trotz des Kostendrucks im gemeinnützigen Wohnungsbau zeichnet sich diese Siedlung durch ihre besondere individuelle Gestaltung aus. Das architektonische Konzept grenzt sich von der Serialität der Reihenhaussiedlungen und der ausgedienten monotonen Mietskasernen der Nachkriegszeit erfreulich ab, es entsteht ein zeitgemäßer, urbaner Ausdruck. Um das Konzept zu stärken sowie zusätzliche Akzente zu setzen, beschlossen die Architekten den Farbkünstler Jörg Niederberger hinzuzuziehen. Dessen Erfahrung in der Farbgestaltung mehrerer Projekte von EM2N und anderer Architekten war ausschlaggebend für diese Wahl.
In einem ersten Schritt legte Niederberger dar, wie mit vier Farbtönen und deren jeweiligen, dezent aufgehellten »Partnern« sowie einem Grauton als bindenden Ton eine »aufgelockerte Rhythmisierung« der Siedlung entsteht. Im Folgenden, sehr aufwendigen Arbeitsprozess fand die konkrete Farbverteilung anhand von großen Arbeitsmodellen statt. Pro Haus wurden drei Farben festgelegt, wobei immer nur eine Farbe eine aufgehellte Variante sein durfte. Kontrast, Sättigung und Detailierung wurden laufend verfeinert.
Die Analyse der Farben aller Bauten der direkten Nachbarschaft und die Zusammenstellung in einem Farbkatalog war ein wertvoller Beweis dafür, dass auch im Umfeld eine heterogene Farbigkeit herrscht. Die neuen Farben der Siedlung ähneln den vorhandenen Tönen und Sättigungen.
Die einzelnen Zwischenstände wurden dem Amt für Städtebau vorgestellt und deren Kritik aufgenommen. Zuletzt erleichterte ein Mock-Up der Fassade die Beurteilung. Das Modell zeigte neben dem Verputz (Korn 1 mm, Besenstrich) auch die Metallbauarbeiten mit dunkelbrauner Eloxierung (Colinal Anodisierung).
Farbe als integratives und eigenständiges Element
Rot, Orange, Ocker und Grün mit den jeweiligen »hellen Partnern« bilden die endgültige Farbpalette. Die dunklen Fensterbänder nehmen sich in der Schichtung der Baukörper zurück und unterstreichen den Eindruck der herausgezogenen Schubladen. Neben der horizontalen Gliederung unterteilen die Farben die Fassade in einzelne Abschnitte. Für das Hybridgebäude an der Straße entwarf Niederberger eine eigene Farb-Komposition, um den Übergang vom Sockel zu den vier Aufbauten fließend zu gestalten. »Die Fassade wurde zur Leinwand.« Als Antwort auf die Umgebung sind die offensiveren Farben entlang der Wehntalerstraße und die etwas moderateren Töne gegen die kleinteiligen Siedlungsstrukturen gesetzt.
Da es sich um eine Kompaktfassade handelt, gibt der Hersteller die Garantie auf das gesamte System – von der Dämmung, zum Verputz bis zur Farbe. Hierzu musste für jeden Farbton der Hellbezugswert bestimmt werden. Dieser gibt an, wie weit der betreffende Farbton vom Schwarzpunkt entfernt sein darf, um die Erwärmung der Fassadenflächen und dessen Untergrund zu minimieren. Die kunststoffgebundenen Farben leuchten bei schlechtem Wetter, wirken bei Sonnenschein hingegen zurückhaltender. Je nach Planungsstand wurde mit der ausführenden Fassadenfirma Farbklang, Farbakkord sowie über die einzelnen Rezepturen entschieden. Dies ermöglichte eine durchgehende Sicherung der Qualitätskette von der Planung bis zur Umsetzung des Farbkonzepts.
Modellierter Freiraum
Verschiedene Beläge und Begrünungen gliedern den Außenraum in unterschiedliche Aufenthalts- und Nutzungsbereiche. Die offene Gestaltung ermöglicht einen fließenden Übergang zu den umgebenden Grünräumen und öffentlichen Wegen. Zwischen den Gebäuden erhebt sich eine modellierte Oberfläche aus orange-ockerfarbenem Rubtanbelag, wie man ihn von Sportplätzen her kennt – und bietet den Kindern und Jugendlichen der Siedlung einen besonderen Bewegungsraum. Die Farbe dieser künstlichen Landschaft ergänzt das Bild der angrenzenden Fassaden. Die Setzung von Baumgruppen oder Einzelbäumen nimmt sowohl Bezug auf die Sichtverbindung der Wohnungen als auch des Außenraums.

Die wohnliche und doch urbane Atmosphäre der Siedlung ist wesentlich durch den Charakter der Farben mitbestimmt. Obwohl kinder- und familienfreundlich konzipiert, sprechen die unterschiedlichen Wohnungstypen ganz verschiedene Bewohnergruppen an. Das Farbkonzept stärkt nicht nur das architektonische Konzept, sondern gibt der Siedlung als Ganzes eine eigenständige Identität. Und doch erhält jedes Gebäude durch die differenzierte Farbgebung ein eigenes Gesicht. Einige kritische Stimmen über die Architektur und die Farbigkeit sind unvermeidbar und menschlich. Abgesehen davon ist die Siedlung aber durchweg positiv aufgenommen worden. Das besondere Gespür Niederbergers für die Auswahl und Setzung von Farben sowie die gut funktionierende Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Entwicklung und Umsetzung ermöglichten dieses außergewöhnliche Projekt, dessen gestalterische und räumliche Qualitäten sich erst vor Ort wirklich erleben lassen.


    • Standort: Wehntalerstraße.470, CH-8046 Zürich

      Bauherr: BGF, Baugenossenschaft Frohheim, Zürich
      Architekten: Arge EM2N Architekten und Müller Sigrist Architekten, Zürich
      Bauleitung, Projektsteuerung: b+p baurealisation, Zürich
      Tragwerksplanung: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich
      Farbkonzeption: Jörg Niederberger, Niederrickenbach
      Bauphysik: Wichser Akustik & Bauphysik, Zürich
      Sanitärplanung: Gerber Haustechnik, Schwerzenbach
      HLKK-Planung: hps energieconsulting, Erlenbach
      Elektroplanung: gutknecht elektroplanung, Au/Zh
      Fassadenplanung: Fiorio Fassadentechnik, Zuzwil
      Landschaftsarchitektin: Andrea Fahrländer Dia, Zürich
      Hauptnutzfläche: 16 505 m²
      BRI: 91 576 m³
      Baukosten: ca. 60,5 Mio. CHF (ca. 50 Mio. Euro)
      Bauzeit: 2008 bis 2011
    • Beteiligte Firmen: WDVS: Fungacryl (Anstrich), Stolit K 1.0 mmn (Deckputz), Elasto (Einbettung), EPS Lambda Light F15 (Wärmedämmung), Levell Alpha (Kleber) – alle STO, Niederglatt, www.stoag.ch
      Eloxierung Aluminiumbauteile: Colinal 3178 matt, BWB, Stans-Oberdorf, www.stoag.ch
      Verbundrafflamellenstore: VR 90, Schenker Storen, Zürich, www.stoag.ch
      Gelenkarmmarkisen EG: G 4000, Griesser, Dietlikon, www.stoag.ch
      Holz-Aluminium-Fenster: Saphir Integral, G. Baumgartner, Hagendorn, www.stoag.ch
      Profilsystem, EG-Verglasungen: Wicstyle 77, Wicstyle 65, Wicona, Ulm, www.stoag.ch
      Dach: S-Therm Roof (Dämmung), TG 66-16 (Abdichtung), Aquadrain (Drainageflies) – alle Sika Sarnafil, Baar, http://che.sarnafil.sika.com

Zürich (CH), Siedlung (S. 46)

Müller Sigrist Architekten


Pascal Müller
1971 in Billens (CH) geboren. 1997 Diplom an der ETH Zürich. Seit 2001 gemeinsames Büro mit Peter Sigrist. 2010-12 Gastprofessur an der Berner Fachhochschule.
Peter Sigrist
1970 in Zürich geboren. 1998 Diplom an der ETH Zürich. Seit 2001 Büro mit Pascal Müller. 2007-10 Lehrauftrag in Liechtenstein. 2010 in Schanghai.
Samuel Thoma
1974 in Leuggern (CH) geboren. 1998 Diplom der FH Brugg-Windisch. 2001 Master der AA, London. Seit 2002 Mitarbeit bei Müller Sigrist, seit 2006 als Partner.
EM2N
Daniel Niggli
1970 in Olten (CH) geboren. 1990-96 Architekturstudium in Zürich. Seit 1997 gemeinsames Büro mit Mathias Müller. 2009-11 Gastprofessur an der ETH Zürich.
Mathias Müller
1966 in Zürich geboren. 1990-96 Architekturstudium an der ETH Zürich. Seit 1997 gemeinsames Büro mit Daniel Niggli. 2009-11 Gastprofessur an der ETH Zürich.
Katharina Marchal
1968 in Salzburg geboren. 1988-95 Architekturstudium. 1996-99 Mitarbeit bei Herzog & de Meuron. 2000-02 Studium in Zürich. Seit 2003 Architekturkritikerin.
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