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Kühle Verführung

Umbau und Aufstockung eines Bürohauses in London (GB)
Kühle Verführung

Um die an einer engen Straße gelegenen Räume eines Bürogebäudes mit Tageslicht versorgen zu können, kippten die Architekten Oberlichter aus der Fassadenebene heraus, mit denen sie das Zenitallicht einfangen. Eine doppelt gekrümmte Gebäudehaut aus Aluminium zeichnet die komplizierte Wellengeometrie der Fassade nach. Sie ist anziehend und irritierend zugleich, sie nimmt einerseits durch Spiegelung die Farben der Umgebung in sich auf, erscheint andererseits aber glatt und abweisend – ein attraktives aber auch zweischneidiges Spiel mit Formen und Oberflächen.

    • Architekten: Amanda Levete Architects Tragwerksplanung: Akera Engineers

  • Kritik: Alex Haw Fotos: Edmund Sumner
Die Zukunft von Future Systems liegt seit dem Tode von Jan Kaplický wohl allein in der Arbeit Amanda Levetes, obwohl diese sich bereits 2008 aus dem gemeinsamen Büro herausgelöst hatte, um ihr eigenes zu eröffnen und die gemeinsam entwickelten Entwurfsmethoden aus ihrer eher geradlinigen Haltung heraus fortzuführen. Eines ihrer ersten Soloprojekte ist wenig mehr als eine schlichte, fast spröde, aber auch verführerische und höchst reizvolle Hülle: Ein kleines, unauffälliges Gebäude aus den 70er Jahren in Hills Place, einer Seitenstraße der Oxford Street, das Amanda Levete Architects zu Großraumbüros für Medienschaffende umbauten und das im Zuge der Aufstockung mehr Fläche und eine neue Fassade bekam. Im Mittelpunkt stand dabei die Belebung der neuen Aluminiumbekleidung, aus deren horizontaler Gliederung sich vier verglaste Wölbungen herausentwickeln, um die Ansicht in eine sanfte Bewegung zu versetzen. Die tränenförmigen Fenster, die sich wie Augen himmelwärts öffnen, sind angeblich von Lucio Fontanas geschlitzten Leinwänden inspiriert. ›
haute Couture
In der Oxford Street dreht sich alles ums Einkleiden mit der neusten Mode, und die architektonische Runderneuerung von 10 Hills Place spielt dasselbe Spiel; alte und neue Bauteile werden in eine glänzende kosmetische Membran gehüllt, deren überraschende Zartheit und knittrige Oberfläche manch interne Falten des Projekts überdecken.
Laut der Architekten ist die Form der Fassade nach einer Analyse des Sonnenverlaufs zustande gekommen, doch die Anforderungen ihrer Geometrie, die spitzen Winkel im Schnitt und die sich gegenseitig verschattenden Auswölbungen, ebenso deren nonchalant nach Osten (statt nach Süden) gerichtete Symmetrieachse, legen nahe, dass das nicht so ganz stimmt. Die gestalterische Entwicklung des Projekts basiert wohl eher auf dem Erbgut jener Formenfamilie, die einst Future Systems entwickelt hat (und die nun die ganze Welt benutzt). Die sanfte Kurve der »Schlitzaugen« von 10 Hills Place erinnert an Vorgängerprojekte des Büros, aber genauso an die mittlerweile so vertrauten »wet grids« und eingedrückten Eiformen, die so manches aufstrebende Büro am Computer generiert.
Doch die zentrale formale Idee hat mit dem schließlich verwendeten Material nichts zu tun, war doch die Hülle als nahtlose einschalige Oberfläche aus Gummi oder Polyurethan geplant. Das Büro entschied sich für spritzlackiertes Aluminium, als klar wurde, dass billigere Materialien wie Putz unschön altern würden und dass die Hersteller anderer Oberflächen keine Garantie auf ausreichende Lebensdauer geben konnten. Und so wurde das Material, das in Birmingham in Hunderten einzelner Scheiben die runde Selfridges-Fassade bildet (s. db 11/2003), zu Streifen einer funktionalen, wasserdichten Fassade gestreckt, deren polierte Facetten schimmernde psychedelische Effekte aus verstreuten Reflexionen des Himmels und der Stadt produzieren. Die ursprünglichen Pläne für ein tiefes Schwarz oder ein kühnes Dunkelrot wurden zugunsten einer alltäglicheren Metalloberfläche eingemottet; beim Aufspritzen der Silberfarbe ergaben sich unterschiedliche, matte Grautöne, die leider nicht gut zueinander passen und dadurch die Gesamtwirkung noch mehr dämpfen. Auffälliger Schmuck, wie man ihn von vielen verspielten Future Systems-Projekten her kennt, fehlt. In öffentlichen Äußerungen weist Levete diplomatisch den örtlichen Planungsbehörden das Verdienst für diese angemessene Zurückhaltung zu; im privaten Gespräch beklagt der Projektarchitekt die bürokratischen Fußfesseln.
Viele der früheren Arbeiten von Future Systems bezogen sich auf fantastische Autos, Schiffe und Weltraumraketen – Science-Fiction-Seitenhiebe auf Fetische der Moderne. Ihr preisgekröntes Media Centre für Lord’s Cricket Ground (s. db 10/1999) wurde von einem Schiffsbauer errichtet, und auch der Hersteller der Fassade von 10 Hills Place ist u. a. auf Bootshüllen spezialisiert. 140 mm breite Nut-und-Feder-Profile wurden so zusammengefügt, dass eine wasserdichte, geschmeidige, »hydrodynamische« Form entstand. Die am Gebäude entlang streichenden Bänder erinnern an die Luftströmung in einem Windkanal und überstrahlen dabei subtil die interessantesten Kraftlinien, nämlich die senkrechten Pfade des ›
› Regenwassers, das die »Augen« und »Wangen« des Gebäudes umspült. Um die Unterhaltskosten gering zu halten (die Reinigung von außen würde selbst Fachleute überfordern), sind die Fenster in dickem, gehärtetem selbstreinigenden Glas ausgeführt, dennoch waren sie bei meinem Besuch nicht wirklich sauber. Um jedoch zu vermeiden, dass die bei Regen überlaufenden Augen auf den Aluminium-Wangen Schlieren hinterlassen, verbirgt sich in der unteren geschlitzten Fensterleiste aus verchromtem Edelstahl ein schmaler Ablauf. Dieser Umstand verweist eindringlich auf die eigentliche Botschaft des Gebäudes: fließende Formen, schlichte Sinnlichkeit und ein unerwartetes (vor allem ästhetisch motiviertes) Bedürfnis nach Sauberkeit; denn wo die Fassade seines Nachbargebäudes aufgerissen ist, um durch euklidische Öffnungen Licht einzusaugen, öffnet sich die Außenhaut von 10 Hills Place vor allem dem Wasser; Fenster sind spärlich gesät, wohingegen die Entwässerung in voller Breite durchläuft. In der Tat ist der einzige skulpturale Akzent auf der ganzen Länge der höchst eintönigen Erdgeschossfassade ein flaches, glattes Gesims über dem opaken Mattglas-Sockel – eine feinsinnig platzierte »Unterlippe«, die als letztes Regenrohr für alles Wasser von oben dient.
Wie bei so vielen digitalen Projekten sollte jedes einzelne Paneel der Fassade sorgfältig und in höchster Präzision gefertigt werden. Doch Probleme in der Bauaufnahme (und allen folgenden Revisionen) machten sehr große Toleranzen erforderlich; wie Fontanas Leinwände ist die Fassade nun an allen Kanten gerahmt: Ein breiter Streifen Edelstahl trennt sie von ihrer Umgebung und betont die Losgelöstheit dieses skulpturalen Experiments. Um eine perfekte Passform zu erreichen, mussten die Koordinaten für das Material statt direkt aus einer Computerdatei von einem 1:1-Modell abgenommen werden.
Die Decken des Anbaus bestehen aus einem leichten Stahltragwerk, das auf den vorhandenen Fundamenten steht; die Treppenhäuser wurden schlicht und wirtschaftlich renoviert. Die Fassadenpaneele mussten zwar von unten nach oben montiert werden – jeder Streifen überdeckt die Verschraubung seines Vorgängers –, dies geschah jedoch geschossweise von der Traufe abwärts. Da sich die Ausführungsqualität während der Arbeiten verbesserte, zeigt sich beim Blick von der Dachterrasse aus auf das oberste, als erstes eingesetzte Oberlicht noch kein überzeugendes Ergebnis, während die untersten Paneele von deutlich mehr Kunstfertigkeit zeugen.
Die geneigte Verglasung (verstärkt von wunderschön im Bogen geschnittenen dreilagigen Glasschwertern) und die Fassadenverkleidung sind an einer Reihe verzinkter Stahlrippen befestigt, die schräg aus dem Haupttragwerk herausragen. An den Wölbungen liegen darauf zementgebundene Spanplatten, auf denen wiederum eine rasterförmige Unterkonstruktion aus weicher geformten, gedämmten CNC-gefertigten Holzteilen liegt. Die innere Oberfläche wurde, im extremen Kontrast zu ihrem maschinengefertigten äußeren Gegenpart, aufwendig von Hand hergestellt: Wo immer die Flächen in nur eine Richtung gewölbt sind, wurden Lagen aus biegsamem Sperrholz mit 6 mm Dicke verwendet, die sinnlichen mehrdimensionalen Kurven der engen Ecken mussten von spezialisierten Arbeitern von Hand aus Polystyrol zugeschnitten werden. Der gesamte Aufbau ist sorgfältig verputzt. Während man den Innenausbau als wohl durchdacht, aber nicht besonders überwältigend bezeichnen kann – jedes Geschoss konzentriert sich in aller Ruhe auf jeweils die eine neue Fensteröffnung –, zeugt die äußere Erscheinung von ebenso beeindruckender Entschlossenheit, fällt aber überschwänglicher und ekstatischer aus. Dennoch erweist sich die glitzernde, facettierte Oberfläche als ungewöhnliche, ja eigenartig unstimmige Wahl. Auch wenn sie wohl schwierig umzusetzen war und das Ergebnis intensiver Beschäftigung mit metallischen Spritzbeschichtungen ist, lenkt sie doch von der schlichten Geschmeidigkeit der vier schönen Fassadenformen ab und fesselt dabei das Auge weit weniger als man hoffen und erwarten könnte; man zwinkert – und hätte beinahe die schönen Augen übersehen.


Aus dem Englischen übersetzt von Dagmar Ruhnau
  • Bauherr: Clarendon Properties, Dublin
    Architekten: AL_A Amanda Levete Architects, London
    Mitarbeiter: Ho-Yin Ng (Projektleiter), Gidon Fuehrer, Chris Geneste, Soren Aagaard, Alan Dempsey, John O’Mara, Michael Mitchell
    Tragwerksplanung: Akera Engineers, London
    Fläche: 1 280 m2
    Bauzeit: Februar 2007 bis September 2009
  • Beteiligte Firmen: Rohbauarbeiten: Powells Group, Andover, www.powellsgroup.co.uk
    Fassade: Frener & Reifer, Brixen, www.powellsgroup.co.uk
    Aluminiumpaneele: Pinical Schiffbau & Architektur, Perchtoldsdorf, www.powellsgroup.co.uk
    Innenausbau: Windsor Workshop Ltd., London, www.powellsgroup.co.uk
    Glas: Fusion Glass, London, www.powellsgroup.co.uk
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