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Herberge der Kreativen

La Neuveville (CH): Motel wird Atelier
Herberge der Kreativen

Das Atelier Oï hat ein ehemaliges Motel am Bieler See von 1958 zu seinem eigenen, sehr individuellen Bürohaus umgebaut – mit einem schmalen Erweiterungsbau und sehr viel Fingerspitzengefühl.

    • Architekten: atelier oï Tragwerksplanung: GVH St-Blaise SA

  • Kritik: Reto Westermann Fotos: Yves André
Das Motel amerikanischen Zuschnitts ist der Inbegriff von Reisen mit dem Auto. Auch in der Schweiz entstanden in den 50er Jahren verschiedene Motels nach US-amerikanischem Vorbild. Eines davon befand sich am östlichen Ortsrand von La Neuveville am Bieler See. Seine Zimmer hatten freien Blick über den See, den passenden Service boten eine Tankstelle und eine Pizzeria.
Manch ein Reisender stieg auf der langen Fahrt von Deutschland an den Genfer See in La Neuveville ab. Die Zimmer waren aber auch für ein Tête-à-Tête beliebt – denn der Parkplatz hinter dem Haus versteckte das Auto vor den Blicken Neugieriger. Schnellere Straßen ließen die Reisenden mit den Jahren ausbleiben, deshalb schloss das Motel 2002 seine Tore.
Keine Ablenkung durch die Konkurrenz
Doch seit dem letzten Herbst erlebt es seinen zweiten Frühling: als Bürohaus für das Design-, Gestaltungs- und Architekturunternehmen »Atelier Oï«. Die Standortwahl ist kein Zufall: Patrick Reymond und Armand Louis, zwei der drei Inhaber des Ateliers, sind in La Neuveville aufgewachsen und haben hier 1991 zusammen mit Aurel Aebi ihre Firma gegründet. Die drei und ihr Atelier lassen sich in keine Schablone pressen: Sie sind Architekten, Innengestalter, Möbel- und Produktdesigner in einem. Die verschiedenen Bereiche gehen fließend ineinander über. Auch die Arbeitsweise ist ungewöhnlich: »Wir gehen stets vom Werkstoff aus und entwickeln daraus Dinge und nicht umgekehrt«, sagt Patrick Reymond. Die Liste der Kunden ist lang und Swatch gehört ebenso dazu wie Ikea. Allgemein bekannt geworden sind sie jedoch mit den »Arteplages« genannten Ausstellungspavillons in Neuenburg auf der Expo 02. ›
› Mit der Bekanntheit wuchs das Atelier, die Räume platzten aus allen Nähten. Deshalb schauten sich die Besitzer nach einem neuen Gebäude um. Der Ort La Neuveville war dabei gesetzt: »In einer Stadt wäre die Ablenkung durch das Leben und durch die Arbeit der Konkurrenz zu groß«, sagt Patrick Reymond. Da kam das leerstehende Motel genau richtig. Erste Abklärungen zeigten, dass es sich gut für ihre Bedürfnisse eignen würde. Um das Projekt finanzieren zu können wurde das Grundstück aufgeteilt: Aurel Aebi übernahm den Teil auf dem die Pizzeria stand, um sich dort sein Privathaus zu bauen; das restliche Areal ging in den Besitz des Ateliers über.
Entkernung bis auf die Substanz
Da sich das Gebäudeensemble im Inventar der schützenswerten Bauten befindet, mussten sich die Bauherren zuerst mit der Denkmalpflege auseinander setzen. Deren größtes Anliegen war es, die straßenseitige Struktur des Motels mit dem Raster der Zimmer zu erhalten. Die Annexbauten mit Pizzeria und Tankstelle hingegen konnten abgerissen werden. Für den Umbau zum Bürogebäude wurde der Motelbau, der aus einem langgestreckten, zweigeschossigen Zimmertrakt und einem etwas breiteren Kopfgebäude besteht, komplett entkernt. »Zum Schluss standen nur noch die Decken und Schotten aus Beton«, sagt David Zahnd, Architekt bei Atelier Oï und Projektleiter des Umbaus.
Die nach Süden gerichteten Öffnungen der Zimmer wurden mit neuen Isolierverglasungen verschlossen, die weitgehend die alte Struktur übernehmen: Eine bis zum Boden verglaste Balkontür und ein Fenster mit Brüstung. Das ursprünglich mit gewelltem Kunststoff verkleidete Balkongeländer hingegen wurde durch eine Konstruktion aus gewellten Lochblechen ersetzt. Außen verlaufen die Wellen horizontal, innen vertikal. Speziell ist die bronzefarbene Lackierung der Blechinnenseiten. So erzeugt das einfallende Licht ein sehr eigenes Farbenspiel. Die Markisen sind eine Neukonstruktion der ausstellbaren Markisen aus den 50er Jahren. »Dieses Detail gibt dem Gebäude bei Sonnenschein sein typisches Äußeres wieder«, sagt Zahnd. Den gleichen Stoff verwendeten die Architekten zur vertikalen Unterteilung der Balkone – ein weiteres wichtiges Element, das die Struktur der Südfassade wieder erlebbar macht.
Die Raumstruktur mit den je 3,35 m breiten und 6,70 m tiefen Zimmern behielten die Architekten bei. Jeder der Räume ist ausreichend groß für bis zu vier Arbeitsplätze, die an einem einzigen langen Tisch der Wand entlang aufgereiht sind. Jeweils im Rücken der Mitarbeiter stehen quer zur Wand halbhohe Regale. Die nach Westen und Osten gerichteten Fassaden des Gebäudes wurden mit einer Außendämmung versehen und verputzt. Größer hingegen waren die Eingriffe auf der Nordseite: Hier entstand über die gesamte Gebäudebreite ein zweigeschossiger, 2 m tiefer Anbau in Stahlbauweise. Seine Struktur nimmt die Rasterung der Zimmer auf. Der ehemalige Laubengang wurde so geschickt zur zentralen Erschließungsachse des Gebäudes: Auf der einen Seite sind in den Motelzimmern die Bürozellen angeordnet, auf der anderen finden sich voll verglaste Nischen. Sie sind ein wichtiges Element der Arbeit im Atelier Oï: Architekturmodelle oder Prototypen der Produkte können dort aufgestellt oder aufgehängt werden. Durch die Nischen ist eine Plattform entstanden, die es erlaubt, Projekte oder Produkte zuerst intern zu präsentieren und zu beurteilen, bevor sie zum Kunden gelangen. Am Abend entfalten die Nischen eine besondere Wirkung: Sie lassen sich mit Halogenstrahlern beleuchten und wirken wie die Schaufenster eines Kaufhauses oder wie ein bestückter Setzkasten. ›
Die Gäste kommen immer noch
Der Anbau nach Norden bot auch die Möglichkeit für einen zwei Geschosse hohen Multifunktionsraum. Dieser Raum ist das Herz des Gebäudes. Hier werden Prototypen getestet, fotografiert und präsentiert. Der Raum kann aber auch für Seminare oder Vorträge genutzt werden. »Es war eine Herausforderung all die Nutzungswünsche zu realisieren«, sagt David Zahnd. Nischen zwischen dem Multifunktionsraum und der angrenzenden Cafeteria, die übrigens dort eingerichtet wurde, wo sich zu Motelzeiten der Frühstücksraum befand, bieten Platz für alle Geräte sowie gut 50 Stühle. Um den Raum als Fotostudio nutzen zu können, war zudem eine Verdunkelungsmöglichkeit nötig. Angebracht wurden keine üblichen Verdunkelungsstores, sondern ein eigenes Vorhangsystem wurde entwickelt: Standardschienen wurden mit einem dicken Stoff kombiniert. Dank ihrer Befestigung mit speziell konzipierten Klammern, die Dutzende von Prototypen erforderten, fällt der Stoff bis zum Boden wellenförmig. Die gleichen Vorhänge wurden auch in den Büros eingesetzt, um die Ablageflächen über und unter den Tischen abzudecken. »Ohne den Stoff wäre die Akustik im Raum schlecht«, so David Zahnd. Die Vorhänge finden sich auch in den Sitzungszimmern oder als Sichtschutz vor den kleinen Büros der drei Atelierinhaber.
Komplett erneuert wurde auch das Kellergeschoss. Hier sind die Werkstätten und Materiallager untergebracht: Was in den Büros auf dem Papier ersonnen wird, kann hier schnell in dreidimensionale Modelle umgesetzt werden. Wichtig ist auch die Materialsammlung, die laufend um aktuelle Produkte ergänzt wird und den Mitarbeitern als Ausgangsbasis für neue Entwürfe dient. Gleich neben der Materialbibliothek liegen die Technik-räume. Eine Holzpelletheizung versorgt das einstige Motel nun mit Wärme.
Mit dem Umbau ist es trotz vollkommen neuer Nutzung gelungen, die Wirkung und die Gestalt des ehemaligen Motels zu erhalten. Beispielsweise durch feinfühlige Eingriffe, wie den Erhalt der alten Leuchtreklame auf dem Dach, die einfach durch ein i im gleichen Stil ergänzt wurde. So hat sich das Motel zum Moïtel gewandelt und kündet auch in der Nacht von den Veränderungen. So subtil, dass schon manch ein Autofahrer ein Zimmer buchen wollte. Ein Privileg, das allerdings Gästen und Praktikanten vorbehalten ist. Sie dürfen in den beiden verbliebenen Motelzimmern übernachten. •
  • Altbau: Motel (1958) von unbekanntem Architekten Bauherren und Architekten: atelier oï, La Neuveville Bauleitung: ORTECH Sàrl, Neuchâtel Tragwerksplanung: GVH St-Blaise, St-Blaise Haustechnikplanung: tp AG für technische Planungen, Biel Elektroplanung: EL Point Electrocom, Derendingen Fassadenplanung: sutter + weidner, Biel Landschaftsplanung: atelier oï, La Neuveville BGF: 1 180 m2 BRI: 4 960 m3 Baukosten: 2,5 Mio. Euro Bauzeit: Mai 2008 bis August 2009
  • Beteiligte Firmen: Dachabdichtung: Contec, Uetendorf, www.contec.ch Fassadensystem: Wicona, Ulm, www.contec.ch Pelletheizung: Buderus, Wetzlar, www.contec.ch Armaturen: arwa, Laufen, www.contec.ch Leuchten: Tulux, Tuggen, www.contec.ch; Erco, Lüdenscheid, www.contec.ch; Targetti, Florenz, www.contec.ch Bodenbeläge: Forbo, Paderborn, www.contec.ch; ruckstuhl, Langenthal, www.contec.ch Vorhänge: kvadrat, www.contec.ch
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