Das Potenzial, das die Pariser Seineufer haben, wird bereits seit einigen Jahren wieder abschnittsweise genutzt. Seit Sommer 2013 bietet sich Parisern und Touristen auf 2,5 km der »rive gauche« ein vielfältiges Freizeit- und Veranstaltungsangebot, das mit einfachen architektonischen Mitteln überzeugend umgesetzt wurde.
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- Architekten: Franklin Azzi Architecture Kulturmanagement: Artevia
- Kritik: Ursula Baus Fotos: Maxime Dufour; Berges de Seine
Darf die Place de la République (s. S. 18) in erster Linie als neues Quartier-Zentrum der Pariser gelten, avancieren die Ufer der Seine v. a. im Sommer zur Touristenattraktion. Das war nicht immer so, denn wie bei »République« unterband der zunehmende motorisierte Verkehr den Aufenthalt von Fußgängern und Radfahrern auch entlang der Seine jahrzehntelang. In den 60er Jahren hatte Georges Pompidou die Seine-Uferwege zu Schnellstraßen umwandeln und 1967 pompös eröffnen lassen. Man war damals stolz auf eine Urbanität, die das Auto als Segnung des Fortschritts und des Wohlstands feierte. Erst Lust, dann Last: 70 000 Kraftfahrzeuge fuhren Ende der 90er Jahre täglich auf der linken Seine-Seite.
Umdenken
Als 1988 das Finanzministerium aus dem Louvre in einen Neubau ins Quartier Bercy an die Seine zog, rückte bereits ein neues Verständnis für die stadtrelevante Qualität der Uferstraßen in den Vordergrund. Zusammen mit der Passerelle Simone de Beauvoir, die 2006 eingeweiht wurde, ›
› boten sich am Seineufer neue Gestaltungsmöglichkeiten, die mit einer Festivalisierung größere Kreise gezogen hatten: Seit 2002 feiert die Stadt »Paris-Plages«. Am rechten Ufer der Seine wird dafür bei der Ile de la Cité und der Ile Saint-Louis die Schnellstraße auf 3,5 km Länge in mehreren Sommerwochen für den Verkehr gesperrt. Der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë dachte dabei jedoch weniger an Touristen als an jene Pariser, die im Sommer ihre Ferien nicht auf dem Land oder am Meer verbringen können.
Breite Palette
Jüngste Veränderungen schließen nun am linken Seineufer über eine Länge von 2,5 km zwischen Pont Royal – nahe Musée d’Orsay – und Pont de l’Alma ganzjährig eine Lücke im Netz der Fuß- und Radwege. Doch analog zum Abschnitt bei Bercy nicht nur das. Denn die stadtverträgliche Fußgänger- und Radmobilität wird in dem neuen Abschnitt »Les Berges« (Flusslandschaften) eng mit der reinen Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums verknüpft. Die Gestaltung dieses im Juni 2013 eröffneten Uferabschnitts wurde deswegen einem interdisziplinär zusammengesetzten Team anvertraut. Sportbahnen, lange Sitztreppen, Ruhezonen, Brettspielfelder, stationäre Musikstationen, temporäre Bühnen und, und, und: Rund ums Jahr wird räumlich und veranstaltungsmäßig ein Programm aufgelegt, das einer »mode d’emploi«, einer Gebrauchsanweisung bedarf. Mit einer durchaus einleuchtenden Signaletik wird deswegen auf Info-Points, Kindergeburtstagsfeierstellen, Ruhezonen, Wasserspiele, Klangduschen, Yoga-, Taichi- und Zumbaorte, schwimmende Gärten, Toiletten, Restaurants und Cafés hingewiesen. Es gibt natürlich auch ›
› ein aktuelles Veranstaltungsprogramm. Von der Fitness-Party über diverse Tanzkurse und Gärtnerlehrgänge bis zum Stricktreffen und dem Tischtennis-Wettbewerb: Das Projekt bietet ein aktionsbestimmtes Freizeitangebot, das aufgesucht und genutzt sein will. Ein Flaneur im klassischen Sinne wäre hier mutmaßlich fehl am Platz, weil das Beiläufige und Alltägliche keine dominante Rolle spielt. Statt des Flaneurs sind hier bei jedem Wetter die Jogger unterwegs, die »Vélib-Stationen« für Leihräder lohnen sich gewiss, die Kinder suchen ihre Spielgeräte, die Jugendlichen ihre konspirativen Nischen auf. Mit Les Berges wird die Aufwertung des öffentlichen Raums im Sinne einer Bühne interpretiert, auf der unterschiedliche Akteure zusammenfinden oder sich doch interessiert nebeneinander gesellen – aber eben nicht en passant, sondern in funktionialisierten, abwechslungsreichen Einheiten.
Faktisch blieb der Gestaltungsaufwand bei Les Berges überschaubar. Vorhandene Uferstraßenflächen zu bespielen, gelang mit Farbe und konstruktiv einfachen Installationen aus Stahl und Holz, die Zugänge zur Uferpromenade gab es größtenteils. Alle Eingriffe mussten leicht und unkompliziert zu translozieren oder abzubauen sein, denn Hochwasser ist nun mal die größte Gefahr am Fluss.
Frühmorgens, an einem kühlen Februartag, begegnen sich entlang Les Berges die Sportler und die Monteure eines Zelts, das beheizt wird und Kindern nachmittags als Spielstätte dient. Für viele Aktivitäten, die hier eine Adresse haben, bietet Paris sonst keinen öffentlichen Raum.
- Standort: Quai d’Orsay, F-75007 Paris
Bauherr: Ville de Paris, Mission Berges, APUR
Architekten: Franklin Azzi Architecture, Paris
Mitarbeiter: Paul-Armand Grether, Noémie Goddard, Sophie Dulau, Ifan Juang, Zeenat Hoang, Anne Magdalena, Charles Urbany, Robert Carr
Kulturmanagement und -produktion: Artevia, Paris Veranstaltungskonzept: Lille 3000
Sportkonzept: Carat Sport, La Paine Saint Denis
Signaletik: Change Is Good
Holzbauplanung: Sylva conseil, Paris
Gesamtfläche: 4,5 ha auf 2,3 km Länge
Wettbewerb: 2011
Eröffnung: Juni 2013
Gesamtbaukosten: keine Angabe Konzept zu Treppen
Inseln: Jean-Christophe Choblet, Uzès
Mitarbeit bei den mobilen Gärten: Le jardinier des villes, Paris
Paris (F), Seineufer (S. 26)
Franklin Azzi Architecture
Franklin Azzi
Diplom an der Ecole Spéciale d’Architecture in Paris. 2001 Mitarbeit im Finanz- und Industrieministerium. 2002 Mitarbeit bei as.architecture-studio, 2003 Gründung und Leitung des Tochterbüros as.design-studio. 2006 Gründung von Franklin Azzi Architecture.
Ursula Baus
s. Paris, Place de la République
db deutsche bauzeitung 04|2014