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Beweglichkeit & Effizienz »Micro-House« in Peking (CN) Studio Liu Lubin

»Micro-House« in Peking (CN)
Beweglichkeit und Effizienz

Gewaltige Bevölkerungswanderungen und zunehmende soziale Ungleichheiten fordern die Stadtgesellschaften in China heraus und verlangen nach neuartigen Lösungen. Die Architekturabteilung der Tsinghua Universität machte sich Gedanken über raumoptimiertes, erschwingliches und bewegliches Wohnen. Die ersten Prototypen der »Micro-Houses« wärmen zwar bekannte Ideen der 70er Jahre auf, denken diese aber weiter und stellen viele brisante Fragen nach aktuellen Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt, technischen Möglichkeiten und zur Würde des Menschen.

    • Architekten: Studio Liu Lubin, Architectural Design & Research Institute of Tsinghua University
      Tragwerksplanung: Wan Li

  • Kritik: Tao Wang Fotos: Studio Liu Lubin
2,40 m – das ist der räumliche Rahmen, innerhalb dessen ein Mensch sämtliche Körperhaltungen einnehmen kann. Eine Einheit mit den Abmessungen 2,40 auf 2,40 m bildet das Grundelement des sogenannten Micro-House. Darin lassen sich alle Nutzungen wie Wohnen, Schlafen, Arbeiten, Kochen und Körperhygiene in minimalistischer Weise vereinen. Im kreuzförmigen Zuschnitt sind alle Oberflächen enthalten, die in einem Haushalt benötigt werden – Bett, Tisch, Sitzgelegenheiten, Küchen-Arbeitsfläche und Schrank – die Möblierung ist integraler Bestandteil des Gehäuses, das aus einem Glasfasergewebe besteht, welches mit wärmedämmendem Polyurethan ausgefüllt und umhüllt ist. Fabrikseits lässt sich eine solche Einheit innerhalb von 20 Minuten formen. Werden mehrere Einheiten mit jeweils unterschiedlicher Funktion miteinander verbunden, können sie eine vollständige Wohnung für einen Haushalt bilden, und mehrere solcher Wohnungen lassen sich zu einer kleinen Nachbarschaft gruppieren. Es ist möglich, mit einer dieser Wohnungen oder auch mit der gesamten Gemeinschaft von Ort zu Ort zu ziehen. Die Abmessungen und das geringe Gewicht der Einheiten erlauben den einfachen Transport per Lastwagen.
Raumhunger
Micro-House bricht mit den beiden grundlegenden Vorstellungen bei der Gestaltung von Häusern, die zumindest im heutigen China vorherrschen. Erstens: Ein Haus muss mit einem Grundstück verbunden sein; zweitens: je größer, desto besser. In anderen Worten: Mobilität und Flächeneffizienz sind zwei Qualitäten, die im chinesischen Wohnungsbau bislang nahezu keine Beachtung fanden, und die das Micro-House-Projekt deshalb umso deutlicher herausstreicht. Früher wurde für den chinesischen Wohnungsbau städtischer Baugrund kostenfrei zur Verfügung gestellt, doch heute gibt es Bieterverfahren, über die Pachtverträge vergeben werden. Das hat zu den erstaunlich hohen Wohnungspreisen in den großen Städten geführt. Dass die Angehörigen einiger sozialer Schichten kaum mehr einen Platz zum Wohnen finden, liegt in der Tat daran, dass es für sie in der Stadt keine Grundstücke mehr gibt. Nur große Investoren haben die nötigen finanziellen Ressourcen, um ernsthafte Angebote für Baugrundstücke abgeben zu können. Privatpersonen sind also vom Landerwerb nahezu ausgeschlossen und müssen sich mit der – meist immer noch unbezahlbaren – Auswahl begnügen, die der Markt für sie übrig lässt. ›
› Allerdings beinhaltet dieser Landentwicklungsprozess auch Chancen: Chinesische Städte unterliegen derzeit einem permanenten, großmaßstäblichen Wandel, zu dem auch eine stete Vielzahl vorübergehend brachliegender Grundstücke gehört. Die Neubauten lassen zwar i. a. R. nicht lange auf sich warten, bevor sie sich zwischen die bestehenden Strukturen zwängen, das Micro-House kann die kurze zeitliche Lücke aber wie ein Flashmob nutzen und damit bedürftigen Menschen ein temporäres Zuhause bieten.
Ende der 70er Jahre, als der Wohnungsbau noch sozialistisch organisiert und in öffentlichem Besitz war, betrug der durchschnittliche Wohnraum in chinesischen Städten gerade einmal 3,6 m² pro Person. Als Nachwirkung der staatlichen Wohnbauära entwickelte sich dann beim Übergang zur Marktwirtschaft eine enorme Gier nach mehr und mehr Raum. In der Folge des erschwerten Zugangs zu Baugrund ergaben sich daraus sehr eigentümliche Vorstellungen darüber, wie Wohngebäude zu konzipieren seien; die messbare Fläche wurde zum wichtigsten Indikator für Wohnqualität. Wohnungen mit 200 m² mit nur vier Zimmern, aber für Drei-Personen-Haushalte sind gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt keine Seltenheit. Das Micro-House-Projekt bricht mit diesem Je-größer-je-lieber-Mythos des kommerziellen chinesischen Wohnungsmarkts, indem es in extrem minimalistischer Manier aufzeigt, wie Innenräume verkleinert werden können und dennoch ihre Funktion erfüllen. Micro-House wirft die Frage auf, wie viel Platz Menschen wirklich brauchen? Es ist an der Zeit, sich darüber endlich ernsthafte Gedanken zu machen.
Abgesehen davon berührt das Projekt weitere Themenkomplexe, etwa die zunehmende Mobilität des Lebens in großen Städten. Auch stellt es die geltenden Vorschriften im Wohnungsbau infrage – sie sind eine Hinterlassenschaft der Planwirtschaft und in vielerlei Hinsicht nicht imstande, den sich unterschiedlich entwickelnden Familienmodellen und Lebensstilen gerecht zu werden.
Bezüglich des Konzepts selbst sind noch einige Punkte zu klären und zu verbessern, bevor Micro-House den Status als avantgardistische, Konventionen aufbrechende Idee hinter sich lassen und als architektonische Lösung ernsthaft angeboten werden kann. Dazu gehören Fragen des Wohn- und Nutzungskomforts wie z. B. die nach der Belüftung und Dämmung, die Zugänglichkeit der einzelnen Einheiten von außen und auch untereinander, erst recht, wenn sie zu einem Wohncluster zusammengebunden sind, sowie die Versorgung mit Tageslicht und der Schutz der Privatsphäre. Es gibt Raumreserven für technische Ausrüstung, in Bezug auf Energie und Wasser sind die Einheiten autark, das Anschließen an öffentliche Versorgungsnetze ist mit etwas Aufwand möglich, steht aber freilich dem Mobilitätsgedanken entgegen. Das Micro-House treibt das Bestreben nach seriellem, reduziertem Wohnen, wie wir es bereits von Le Corbusier oder beispielsweise von Wolfgang Dörings Entwurf für die Kapselhäuser in Solingen-Caspersbroich oder Kisho Kurokawas Nakagin Capsule Tower in Tokio her kennen, auf die Spitze. Je kleiner die Einheiten aber werden, umso höher müssen die Qualitäten des Außenraums sein, der weitläufig und mit öffentlichen Angeboten üppig ausgestattet sein muss, um einen Ausgleich für die klaustrophobisch engen Verhältnisse im Innern gewährleisten zu können. 
Aus dem Englischen von Dagmar Ruhnau

  • Standort: Department of Environmental Sciences and Engineering, Tsinghua University, Beijing
    Bauherr, Prototyping: Architectural Design & Research Institute of Tsinghua University Co., Ltd.
    Architekten: Studio 4A2 Mitarbeiter: Liu Lubin, Wang Lin, Weng Jia, Wang Xiaofeng, Liang Yifan, Zhao Ye
    Tragwerksplanung/Materialforschung: Wan Li
    Ausführung: Advanced Engineering Composites Research Center, Nanjing University of Technology
    Nutzfläche pro Einheit: 5 m²
    BRI: 9,10 m³ Bauzeit: Oktober 2012 bis März 2013
    Baukosten: 130 000 Yuán (rund 16 000 Euro)

 

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