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Baugruppenästhetik

Mehrfamilienhaus in der Pappelallee
Baugruppenästhetik

Während dem Bauen in der Gruppe vor fünf Jahren noch das Image einer langwierigen Wackelpartie anhaftete, hat sich die Realisierung gemeinschaftlicher Wohnprojekte mittlerweile zu einer professionellen Dienstleistung entwickelt. Diesen Wandel dokumentiert die Entstehungsgeschichte des eigensinnigen Wohnhauses in der Pappelallee 21 a im Prenzlauer Berg.

    • Architekten: Stefan Tebroke mit Carlo Calderan Tragwerksplanung: Neubauer + Ernst

  • Kritik: Julia von Mende Fotos: Werner Huthmacher
Als sich der Architekt Stefan Tebroke mit seinem Kollegen Carlo Calderan vor zehn Jahren mit Freunden auf die Suche nach einem Grundstück für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt machte, gab es zwar in Tübingen und Freiburg schon längst Baugruppenprojekte, in Berlin war das Modell allerdings noch relativ unbekannt. Zunächst wandte man sich an die Bürgerstadt AG, eine in Hamburg tätige Projektentwicklungsgesellschaft mit Spezialisierung auf Baugruppen. Diese konnte allerdings erst vier Jahre später ein passendes Baulückengrundstück anbieten. Inzwischen hatte sich die Baugruppe bereits wieder aufgelöst.
Die beiden Architekten gaben ihr Vorhaben jedoch nicht auf, schließlich war es neben dem Schaffen von eigenem Wohnraum, wie für viele junge Architekten, auch eine Chance, das erste Projekt zu verwirklichen. Sie legten der Bürgerstadt AG einen Entwurf vor, worauf hin diese begann, neue Baugruppenmitglieder zu suchen. Offenbar kam ihr Angebot für Berlin noch zu früh. Jedenfalls nahmen Interessenten damals lieber 20-30 % Mehrkosten in Kauf, anstatt die Risiken des gemeinschaftlichen Bauprozesses und seiner Finanzierung zu tragen. Die Bürgerstadt AG, hinter der unter anderem einer der Protagonisten des Planwerks Innenstadt, Dieter Hoffmann-Axthelm, steht, schlüpfte nach anderthalb Jahren schließlich in die Rolle des Bauträgers. Als die Wohnungen auf dem freien Markt angeboten wurden, waren sie innerhalb kürzester Zeit verkauft.
Räumlich ausgeklügeltes System
Die Architekten hatten so insgesamt vier Jahre Zeit, ihr Wohnhaus bis zur Fertigstellung 2008 zu planen. Das Projekt entwickelte sich neben dem eigentlichen Broterwerb im Büroalltag zu einer Art Liebhaberstück, an dem immer weiter gefeilt wurde. Entstanden ist ein räumlich ausgeklügeltes System, das in seiner gestalterischen Konsequenz die basisdemokratischen Entscheidungen einer Baugruppe hinsichtlich individueller Gestaltungs- und Nutzungswünsche wahrscheinlich nicht überlebt hätte. Zunächst waren die Architekten von ineinander verschachtelten Maisonette-Typen ausgegangen. Dieses Prinzip hat sich mit zunehmender Diversifikation, Individualisierung und dem Wunsch nach der Integration von Qualitäten des Einfamilienhauses in den Geschosswohnungsbau mittlerweile zu einer eigenen Wohnbautypologie etabliert. Zwar wird die Bürgerstadt AG von den Architekten als besonders experimentierfreudiger Bauherr beschrieben, dennoch legte sie Wert auf eine profitorientierte Ausnutzung der Geschossflächen. Innerhalb der Bauhöhe von 22 m sollten auf sieben Geschossen sechs Wohnungen und im EG Gewerbeflächen entstehen. Stefan Tebroke und Carlo Calderan reduzierten deshalb das Prinzip der ineinander verschachtelten Maisonetten auf einen seiner wesentlichen Aspekte: Nicht die Zweigeschossigkeit per se, sondern hohe Räume — einer der Vorzüge des Altbaus — sollten in den Neubau transferiert werden. Jede der 110 m² großen Wohnungen verfügt neben der Regelgeschosshöhe von 2,65 m auf einem Viertel ihrer Grundfläche über 3,15 m hohe Decken. Dazu greifen die sieben Etagen in einer windmühlenflügelartigen Drehung vertikal jeweils um einen halben Meter ineinander und erzeugen Absenkungen im Boden und/oder Erhöhungen in der Decke der Wohnungen. Um das Gebäude mit einem durchgehenden Flachdach abschließen zu können, kehrt sich das Prinzip in der dritten Etage um. Diese Wohnung hat einen durchgehend ebenen Boden, lediglich die Decke verspringt um 0,5 m nach oben.
Durch die jeweils versetzte Lage des hohen Raums entstehen unterschiedliche Grundrisse. Das Tragwerk aus Stahlbeton sieht nur eine einzige Stütze in der Mitte des Gebäudes vor, so dass die Raumaufteilung der Wohnungen flexibel ist. Ursprünglich sollte die effiziente Ausnutzung der niedrigeren Geschosshöhe für Nebenfunktionen wie Küche, Bad oder Schlafräume einem großzügigen Wohnzimmer zugutekommen. Letztlich hat aber jeder Eigentümer seine individuelle Interpretation von Wohn- und Nebenräumen realisiert. Mal ist die Küche, mal der Wohnraum im hohen Raum angesiedelt. In einer der Wohnungen verläuft ein Höhenversprung quer durchs Badezimmer, um dort die Badewanne einzulassen. ›
› Architekt Stefan Tebroke, selbst Bewohner, betont, dass sich jeder seine eigene ideale Behausung geschaffen habe. Man wohne nebeneinander, aber nicht unbedingt miteinander. Gemeinschaftsflächen sind auf einen Garten im Hof reduziert. Eine zusätzliche Rasenfläche, die auf dem Dach des Carports entstand, wurde als Kaufanreiz zu großen Teilen der Wohnung im ersten OG zugeschlagen. Dafür verfügen alle anderen Wohnungen auf der Hofseite über einen Balkon, dessen geschwungener Grundriss auf den Sonnenstand abgestimmt wurde. Im Winter fällt bei flachem Sonnenstand möglichst viel Licht in die jeweils darunterliegende Wohnung, im Sommer ist eine ausreichende Verschattung gewährleistet. Im Gegensatz zu dem Gros der Baugruppenprojekte, die in ihrer Konzeption einen expliziten Nachhaltigkeitsanspruch formulieren, bleibt es in der Pappelallee 21 bei dieser passiven Maßnahme. Es wurde kein alternatives Energiekonzept entwickelt. Der Massivbau wird mit einem konventionellen Gasbrennwertkessel beheizt.
Mediterranes Lebensgefühl
In diesem Abschnitt der Pappelallee waren zunächst vereinzelte gründerzeitliche Pionierbauten errichtet worden. So entstand das für den Prenzlauer Berg relativ heterogene Straßenbild unterschiedlicher Gebäudehöhen und –breiten, das der Neubau komplettiert. Die verputzte Lochfassade in der klassischen Unterteilung mit einem durch Mosaikfliesen abgesetzten Sockelbereich und dem geraden, weitgehend geschlossenen Dachabschluss, sowie die Farbigkeit der Faschen suchen den Bezug zur Umgebung. Angesichts der scheinbar wild verspringenden, überdimensionalen Fensterformate entbehren diese Anpassungsversuche nicht einer gewissen Komik.
Ähnlich den Villenprojekten von Adolf Loos lässt sich die dem Gebäude innewohnende Komplexität an der Fassade erahnen, aber nicht entschlüsseln. Während die Position der großzügigen Wohnräume durch die raumhohen Öffnungen markiert wird, tarnt sich das Treppenhaus mit den frei angeordneten Fenstern unterschiedlicher Formate. Die quadratischen Öffnungen mit ihren pastellfarbenen, von italienischen Natursteineinfassungen inspirierten Putzfaschen, rufen Assoziationen von 50er Jahre-Ästhetik und Postmoderne hervor und bilden eine eigene gestalterische Sprache. Hinter der vordergründigen Heiterkeit einer »Villa Kunterbunt«, verbirgt sich jedoch die jahrelange mühsame Planung einer trotz der inneren Zwänge möglichst »freien« Fassadenkomposition. Beim Blick von innen nach außen zeigt die Fassade dann ihren eigentlichen Gebrauchswert: Die raumhohen Schiebetüren, durch die man auf das schmale Natursteingesims austreten kann, erzeugen eine legere Großzügigkeit, die an ein mediterranes Lebensgefühl erinnert. Das Lieblingsgebäude des Architekten ist die Casa Malaparte auf Capri. Der Blick fällt hier aber nicht aufs Meer, sondern auf die Wohnungsbaugenossenschaft »Bremer Höhe eG« und holt einen zurück an den Prenzlauer Berg.

Das Folgeprojekt der Bürgerstadt AG mit Stefan Tebroke entsteht in der Berliner Luisenstadt. Seine Fassade ist formal an das Pionierprojekt angelehnt, dahinter verbirgt sich jedoch nicht dessen räumliche Komplexität. Diesmal wird es als Baugruppenprojekt realisiert.


  • Adresse: Pappelallee 21 a, 10437 Berlin

    Bauherr: Bürgerstadt, Berlin
    Architekten: Stefan Tebroke mit Carlo Calderan, Berlin
    Tragwerksplanung: Neubauer + Ernst, Berlin
    Landschaftsplanung: Ariane Röntz, Berlin
    BGF: 2 250 m2 BRI: 3 590 m3
    Baukosten: 1,12 Mio. Euro (Kostengruppe 300/400)
    Bauzeit: September 2007 bis August 2008
  • Beteiligte Firmen: Fassadenfliesen: Bisazza, Alte, www.bisazza.it
    Tür-und Fensterbeschläge: FSB, Brakel, www.bisazza.it
    Bodenbelag Treppenhaus: Mondo, Alba, www.bisazza.it
    Holzdielenboden: Dinesen, Rødding, www.bisazza.it
    Stablamellenparkett: Bembé Parkett, Bad Mergentheim, www.bisazza.it
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