1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Wohnungsbau »

Aufstockung in Leipzig, Knoche Architekten

db-Studentenwettbewerb für Architekturkritik: ein 1. Preis
Aufstockung in Leipzig-Schleussig

Über sich hinausgewachsen
Jurybegründung:
Sprachlich versiert analysiert Lisa Korschewski die Bauaufgabe nach den vorgegebenen Kriterien der Auslobung und beurteilt das gebaute Ergebnis. Sie zeigt sich dabei bestens informiert und beeindruckt durch die Genauigkeit der Beobachtung, die Erläuterungen zum Umfeld und den Mut zu Einordnung und Kritik.

Architekten: Knoche Architekten, Leipzig
Kritik: Lisa Korschewski (HTWK Leipzig)

Als das Leipziger Architekturbüro im Kontorhaus eine neue Bleibe fand, entwickelte sich der Bedarf nach einem arbeitsnahen Wohnort. Mit Unterstützung des Eigentümers konnte das städtebaulich wie architektonisch reizvolle Projekt zur Aufstockung des Eckgebäudes um ein Wohngeschoss realisiert werden.

Der heute sehr lebendige Leipziger Westen, kreative Keimzelle für Start-Ups und Künstler sowie gefragter Wohnort, wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts durch den Juristen und Industriellen Karl Heine im Zuge der Stadtexpansion zu einem Industriestandort ausgebaut. In den Stadtteilen Schleußig und Plagwitz entstanden in kürzester Zeit etliche Bauten der Maschinenbau- und Textilindustrie sowie gründerzeitliche Arbeiterwohnungen. Zu DDR-Zeiten pragmatisch als Produktionsstandort behandelt, waren die Industrie- und Wohnbauten bald baufällig und mit der politischen Wende und der einhergehenden Deindustrialisierung wurde das Quartier nahezu aufgegeben.

Einzelne Bemühungen zur Revitalisierung der brachliegenden Stadtteile zeigten nur langsam ihre Wirkung und erst als die Zeugnisse der Industriekultur durch die Ansiedelung von Künstlern und alternativen Nutzergruppen wieder in den gesellschaftlichen Fokus rückten, wurde Leipzigs Westen sukzessive für die Immobilienwirtschaft interessant. ›Wohnen im Industriedenkmal‹ hieß das Verkaufsargument der Jahrtausendwende. Fabrikgebäude in Top-Lagen an der Weißen Elster und dem Karl-Heine-Kanal wurden zu exklusiven Loft-Wohnungen umgenutzt und die eher knapp geschnittenen Gründerzeitwohnungen der Arbeiterklasse saniert. Familiengerechte Wohnformen hingegen sind hier rar.

Massgeschneidert für den Ort

In zweiter Reihe zu den Industriemonumenten am Fluss befindet sich in der Holbein-, Ecke Stieglitzstraße ein kleines Gebäudeensemble. Die denkmalorientierte Sanierung des Kontorhauses der ehemaligen Celluloid-Fabrik von Mey & Edlich (1896) setzt hier mit der Aufstockung ein Zeichen für die städtebauliche Einbindung der Industriearchitektur in den vom Wohnen geprägten Kontext.

Die Anlage der vier Baukörper unterlag zur Zeit ihrer Errichtung weniger einer städtebaulichen Intention als vielmehr der pragmatischen bedarfsorientierten Planung der Fabrik. Eine Einbindung in die gründerzeitliche Blockrandstruktur erwies sich im Nachhinein als schwierig. Während eines der Gebäude mit der Traufe an die benachbarte Wohnbebauung anschließt, so wirkt das freistehende Kontorhaus mit seinen zwei Geschossen eher unproportioniert. Die neue Aufstockung dieses Eckgebäudes verleiht ihm nun die angemessene Präsenz im Stadtraum. Der Aufbau folgt der Grundkubatur des Bestands und ergänzt das Gebäudevolumen, sodass sich die Gesamtproportion nun an den umgebenden Traufhöhen orientiert.

Die Fassade des zweigeschossigen Bestands aus dem typischen roten und gelben Backstein der Leipziger Lehmgruben ist durch Gesimse und Farbwechsel horizontal gegliedert. Das aufgestockte Wohngeschoss mit seinem hellgrauen, horizontalen Kammputz setzt sich zwar deutlich vom Backsteinbau ab, korrespondiert jedoch farblich mit den Fassaden des Umfelds. Die Setzung der teils großflächigen Fensteröffnungen nimmt Bezug auf die Lage der Bestandsfenster. So changiert das architektonische Erscheinungsbild subtil zwischen Abgrenzung und Angleichung von Bestand und Neubau.

Weniger ist mehr

Die Entwurfshaltung von Knoche Architekten zur minimalen Intervention im Bestand ist bereits in den unteren zwei Etagen ablesbar. Das vorhandene Stützraster lässt hier flexibel nutzbare Grundrisse zu und so ist die Sanierung der Büroflächen nur von geringfügigen Eingriffen geprägt. Die massiven Bestandswände wurden innen weiß verputzt, die Fenster denkmalgerecht saniert, ein paar Stützen wurden ausgetauscht und je nach Nutzung einige Trockenbauwände gestellt.

Schon im Treppenhaus ist jedoch die Präsenz des Neuen spürbar. Die Bestandstreppe musste aufgrund der heutigen Anforderungen an Brandschutz und barrierefreie Erschließung weichen. Stattdessen wurde eine gefaltete Metalltreppe in den Raum gestellt, die sich als Skulptur spannungsvoll um ein fast quadratisches Treppenauge in die Höhe windet. Ihr folgend, gelangt man schließlich zur Aufstockung des Wohngeschosses.

Im Sinne der Flächeneffizienz waren hier zunächst zwei Wohngeschosse geplant, doch die Auflagen der Denkmalpflege führten zur Reduktion auf einen eingeschossigen Aufbau. Der Tragstruktur des Bestands kam das entgegen. Da die Kalkulation der Lasten aus der vormaligen industriellen Nutzung ausreichend Kapazität für das zusätzliche Geschoss ergab, waren keine größeren Eingriffe in das Bestandstragwerk notwendig. Die Lasten des Aufbaus, der aus Mauerwerk und Ziegelmontagedecken besteht, werden über Stahlträger in die tragenden Bestandswände geleitet.

In den zwei neuen Mietwohnungen ist die außergewöhnliche Grundrissplanung durch den Bestand determiniert. Während in der Dreiraumwohnung zur Holbeinstraße ein konventionelleres Raumprogramm umgesetzt wurde, bestand die Herausforderung des Entwurfs in der Erschließung der zweiten Wohnung über die gesamte Gebäudetiefe.

Bezug zum Außenraum

Beim Betreten der vom Architekten gemieteten Wohneinheit befindet man sich zunächst im schmalen Eingangsbereich. Ein langer Flur, der regelmäßig durch indirekte natürliche Belichtung rhythmisiert wird, erzeugt einen Sog in die Tiefe der Wohnung, zum zentralen Wohn- und Lebensraum. Dieser entwickelt sich um einen innenliegenden Patio, der bei gutem Wetter als Erweiterung des Hauptraums genutzt werden kann. Die gemeinschaftlichen Raumsequenzen zeichnen sich durch eine eher schmale Raumgeometrie aus, doch wird der Eindruck von Großzügigkeit konsequent über den Bezug zum Außenraum hergestellt. Der übereck verglaste Patio erzeugt im Innern ein Gefühl von Weite und ermöglicht Sichtbeziehungen innerhalb der Gemeinschaftszonen. Großflächige Festverglasungen zur Straße vergrößern den Wohn- und Essbereich merklich und rahmen die Ausblicke in die Straßenfluchten. Die inszenierte Bewegung durch die gesamte Wohnung wird vom Motiv eines raumbegleitenden Einbaumöbels aus Eichenholz begleitet, dessen Form und Funktion sich wandelt.

Im Eingangsbereich verkleidet es eine Schrankwand und den Sanitärkern, deren Türen sich aufgrund sorgfältiger Detaillierung nur erahnen lassen. Im offenen Allraum entwickelt es sich zur Küche und führt schließlich als brüstungshohes Sitzmöbel, mit integriertem Regal und Bekleidung der Heizkörper, entlang der Außenwand durch den Ess- und Wohnbereich bis ins Gästezimmer. Der Raumfluss der Gemeinschaftsbereiche wird so als zentraler Ort des Familienlebens erlebbar.

Der Rahmen als Möglichkeit

Gerade die Determination des Bestands ermöglicht und erfordert eine derart außergewöhnliche Raumkonzeption. Hierbei bewahren die Grundrisse trotz individueller Nutzerwünsche die nötige Flexibilität einer Mietwohnung. Die Fenster nutzen die Höhe der Bestandsattika als Brüstung und stellen so auch in Bereichen, die sich stark nach außen öffnen, ein entsprechendes Maß an Privatsphäre her. Bewusst wird auf die Verwendung nachhaltiger, recyclebarer und gut alternder Materialien gesetzt. Zudem sorgt die hohe Speichermasse der Ziegeldecken und Mauerwerkswände für ein ganzjährig angenehmes Raumklima. Eine derart spezifische Wohnform kann womöglich keine Patentlösung als Gegenkonzept zur umgreifenden Wohnraumschaffung darstellen, doch das Projekt besticht durch Sensibilität im Umgang mit dem Bestand und setzt so dem Standardkatalog des hochpreisigen Investoren-Wohnungsbaus eine besondere Qualität für Bewohner und Stadtraum entgegen.

Grundriss + Querschnitt: Knoche Architekten, Leipzig
Grundriss + Querschnitt: Knoche Architekten, Leipzig

 

  • Standort: Holbeinstraße 29, 04229 Leipzig

    Bauherr: mediventure GmbH, Markkleeberg
    Architekten: Knoche Architekten, Leipzig
    Mitarbeiter: Johannes Fietze, Leon Pascal Keller, Gaby Kannegießer, Christian Knoche
    Tragwerksplanung: Mathes beratende Ingenieure, Leipzig
    BGF: 1685 m²
    BRI: 6715 m³
    Baukosten: 1,5 Mio Euro
    Bauzeit: Juni 2015 bis März 2017
    Auszeichnung: Architekturpreis der Stadt Leipzig 2017
  • Beteiligte Firmen:
    Rohbau und Fassadenputz: Dietze Hochbau, Wurzen
    Fenster und Fenstertüren: Tischlerei Barth, Waltersdorf
    Innenausbau/Tischlereimeister: Thomas Diedrich, Leipzig
    Estrich: Otto-Estrich, Mehna

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die Architekturstudentin Lisa Korschewski war beeindruckt vom konsequent respektvollen Umgang mit dem denkmalgeschützten Gebäude.


 

 

Hier geht es zu den Architekten!

 

Aktuelles Heft
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de