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Auf dem Kopf - Friseursalon in Welsberg (I) | Architekturbüro Hitthaler

Friseursalon in Welsberg (I)
Auf dem Kopf

Verdrehte Welt: Mit dem Himmel im Keller und der Hölle als Eingang stellt der »Salon Himmelblau« alle Sehgewohnheiten auf den Kopf. Die zunächst vordergründig erscheinende Idee ist jedoch in den Details sauber durchgearbeitet. Einzelne Holzhütten zitieren ortstypische Schuppen und schaffen Privatheit beim Friseurbesuch – und auch Kitsch gehört zum Konzept.

    • Architekten: Architekturbüro Hitthaler

  • Kritik: Edith Schlocker
    Fotos: Christoph Theurer
Das im Südtiroler Pustertal gelegene Welsberg hat knapp 3 000 Einwohner; im Winter vervielfacht sich diese Zahl allerdings v. a. durch hier urlaubende Italiener. Von den drei Friseursalons, die es hier gibt, ist der »Salon Himmelblau« architektonisch einzigartig. Seine Inhaberin, Franziska Mair, und der Brunecker Architekt Stefan Hitthaler hatten in den vergangenen Jahren bereits mehrfach beruflich miteinander zu tun. Ein geplantes Einfamilienhaus wurde zwar nicht gebaut – weil von der örtlichen Baubehörde nicht genehmigt –, die Chemie stimmte aber. Weshalb es für Franziska Mair völlig klar war, Hitthaler mit der Planung ihres neuen – bereits dritten – Salons zu beauftragen. Er sollte völlig anders sein als üblich, allerdings nicht aus banal marketingtechnischen Gründen, sondern weil die kreative Meisterfriseurin es liebt, in architektonisch anregender Umgebung zu arbeiten. »Ich bin offen für alles«, war ihre für jeden Architekten traumhafte Ansage, wobei dieses »alles« unbedingt »ein schönes Licht und einen Holzboden« mit einschließen sollte. Schön ist das Licht auf alle Fälle geworden, einen Holzboden hat der im November 2010 eröffnete »Salon Himmelblau« allerdings nicht bekommen.
Qualitäten von Kitsch
Das vor etwa fünf Jahren im Ortskern von Welsberg gebaute Haus, in dem das Ladenlokal liegt, ist alles andere als ein architektonisches Juwel. Die wuchtigen Holzbalkone der oberen Geschosse und die Laubengänge im EG sollen wohl Tiroler Flair verbreiten. Sie sind allerdings zum schalen Klischee verkommen, was besonders angesichts des wunderschön sanierten, auf die Gotik zurückgehenden Herrensitzes direkt gegenüber noch schmerzhafter ist.
Die mäßige Architektur des Hauses beeinträchtigte allerdings in keiner Weise die Fantasie des Architekten, der vorher noch nie einen Frisiersalon eingerichtet und im Vorfeld auch ganz bewusst keinen besichtigt hat. »Der Raum muss stimmen«, sagt Hitthaler. Im Kopf hatte er mehrere Möglichkeiten durchgespielt, bevor die zündende Idee kam, die rund 90 m² im EG bzw. 105 m²im UG mit vier bzw. drei kleinen Holzhütten zu bestücken, je eine – 2,17 m breite, 2,20 m lange und 2,40 m hohe – für einzelne Kunden sowie eine 4,20 m lange für drei. Architektur in der Architektur, die geschickt von der vergleichsweise geringen Raumhöhe von knapp 2,60 m im EG bzw. 2,80 m im UG ablenkt.
Die unmittelbar neben dem Eingang stehende Hütte ist als gemütliches »Wartehäusl« konzipiert. Eingerichtet mit einem alten rustikalen Tisch samt Stühlen plus bestickten Kissen, über denen eine nostalgische Lampe baumelt. Auf dem Türstock steht nach katholischem Brauch mit weißer Kreide »20–C+M+B–11« geschrieben, die karierten Vorhänge für das Fenster des »Wartehäusls« und der Geranienkübel davor fehlen noch. »Die kommen nächstes Jahr«, lacht die Hausherrin, die freimütig bekennt, Tiroler Kitsch und Krempel zu mögen. Das verträgt sich wunderbar mit der zutiefst ironischen Geste, mit der Hitthaler bei der Kreation dieser Hütten ein bäuerliches Tirol-Klischee augenzwinkernd umspielt, das zwar längst obsolet geworden ist, sich touristisch aber gut verkauft.
In den Frisierhütten geht es dagegen minimalistisch zu. Im Zentrum steht jeweils ein »von der Stange« gekaufter, funktioneller, mit braunem Leder bezogener Stuhl. Für die entsprechende Beleuchtung sorgt das als breites Band angelegte giebelige Lichtdach, für gute Sicht jeweils ein raumhoher Spiegel.
Die Hütten selbst sind aus Lärchenholz-Brettern gebaut, innen fein gehobelt, die Außenflächen blieben sägerau. Doch letztlich sind sie nur die Hülle einer komplexen Metallkonstruktion, die sämtliche nach außen unsichtbaren elektrischen Leitungen aufnimmt.
Ist die Welt im EG für den Friseurbesucher noch einigermaßen in Ordnung, so steht sie einen Stock tiefer surreal auf dem Kopf. Hier hängen drei der hölzernen Hütten von einer grünen Decke, deren Anmutung die von weichem Moos ist. Erzeugt durch einen 4-6 cm dick aufgetragenen Wärmedämmputz, dessen schaumige Struktur und amorphe Unregelmäßigkeit einen sanften alpinen Waldboden suggeriert. Und nebenbei akustisch höchst vorteilhaft ist, dem Raum das Hallige nimmt. Was man üblicherweise ganz oben verortet, ist im Welsberger »Salon Himmelblau« dagegen ganz unten: der Himmel in Form von auf den ursprünglichen Fliesenboden aufgespachteltem Epoxidharz in den Farben Weiß und Hellblau, die in ihrer Vermischung an Wolken erinnern. Mit dem erfreulichen Nebeneffekt, den doch sehr niedrigen Raum virtuell zu erweitern, ihm das nicht sehr einladende Flair eines Kellers zu nehmen. Die drei Hütten selbst sind um einen imaginären kleinen Platz gruppiert und ihre Giebel klaffen nach unten weit auf. Außerhalb der eigentlichen Arbeitsplätze geht es auch hier im »Himmel« wieder volkstümlich nostalgisch zu.
Die »Vorhölle« zu ebener Erde – wo besonders die Dreierhütte zu zwischenmenschlicher Kommunikation einlädt – wird von der weiblichen Kundschaft bevorzugt, der »Himmel« im UG wird von verschämt ihre Haare lassenden Männern seiner Privatheit wegen frequentiert. Verbunden sind die beiden Ebenen über eine ursprünglich völlig banale Treppe, die Stefan Hitthaler in eine Art Skulptur verwandelt hat; durch eine sich nach unten verbreiternde Bekleidung aus rohem Metall und vertikal verschweißte dicke Metalldrähte, die vage an eine monumentale Zither erinnern.
Die statisch notwendige, mächtige zentrale Säule im UG ist mit grober Jute umwickelt und mit einer banalen Paketschnur verschnürt. Eine vorläufige Lösung, mit der weder Franziska Mair noch Stefan Hitthaler wirklich glücklich sind. Hinter weißen Gipskartonwänden verbergen sich hier unten auch die für einen Frisiersalon notwendigen Nebenräume. Eine Bodenheizung und eine Lüftung, die die Luft im UG einbläst, über die Treppe ins EG leitet und von dort über ein weiteres Gerät ins Freie absaugt, sorgen für ein angenehmes Raumklima.
Franziska Mair kann sich über einen Mangel an Kundschaft nicht beklagen. Besonders die italienischen Urlauber mögen das ganz spezielle Flair des »Salon Himmelblau«, der von der Straße aus völlig unscheinbar anmutet, wäre seine Tür nicht teuflisch rot. Und leuchtete aus seinem Innern nächtens nicht ein überdimensionaler, wie ein Objekt senkrecht zwischen die Hütten gestellter Kamm, wüsste man nicht, dass sich hier ein Friseursalon eingenistet hat. Könnte man sich in diesem Ambiente doch durchaus auch eine schicke Boutique oder eine stylische Bar vorstellen. Damit sich die Kundschaft nicht vorkommen muss, als säße sie direkt im Schaufenster, ist an einem der Auslagenfenster in großen zartblauen Lettern das Wort »himmelblau« geschrieben, auf die anderen wurden Fotografien von Harald Wisthaler aufkaschiert, einem Südtiroler Künstler, der sich fotografisch mit verschiedenen Erscheinungsformen von Licht auseinandersetzt.
Das Konzept von Stefan Hitthaler für den »Salon Himmelblau« umfasst neben dem himmlischen und vorhöllischen auch noch einen irdischen Teil. Dieser soll als mobile Frisierhütte durch das Dorf tingeln, vielleicht beim jährlichen Schokoladefest. Doch das bleibt vorerst ein Traum des Architekten. •
~Edith Schlocker
1949 in Rankweil (A) geboren. Studium der Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck. 20 Jahre lang Kulturredakteurin bei der Tiroler Tageszeitung, Publizistin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, u. a. für architektur aktuell und das Kunstmagazin Parnass.
    • Standort: Paul Troger Straße, (I) 39035 Welsberg-Taisten
      Bauherr: Fransziska Mair, Welsberg
      Architekten: Architekturbüro Hitthaler, Bruneck
      Nutzfläche: 183,09 m² (gesamt); EG: 83,60 m², UG: 99,49 m²
      Baukosten: 160 000 Euro (Angabe Bauherrin)
      Bauzeit: Oktober bis Dezember 2010
    • Beteiligte Firmen: Rohbau/Ausbau: Kargruber-Stol, Welsberg, www.kargruber-stoll.it
      Tischler: Kamelger Hartwig, Niederdorf, www.kargruber-stoll.it
      Maler: Gebrüder Dantone, St. Lorenzen, www.kargruber-stoll.it
      Hydraulik: Burger, Welsberg, www.kargruber-stoll.it
      Elektroarbeiten: Mair & Seeber, Toblach Lüftungsanlage: Luft-und Klimatechnik Wisthaler Walter, Vierschach
      Böden: Mair, Niederdorf, www.kargruber-stoll.it; durchgefärbte Spachtelung »Systempox«: IPM Italia Sulbiate, www.kargruber-stoll.it
      Wärmedämmputz (Decke) »STO Miral«: Sto, Stühlingen, www.kargruber-stoll.it
      Schlosserarbeiten, Gläser: Lanz-Metall, Toblach, www.kargruber-stoll.it

Architekturbüro Hitthaler


Stefan Hitthaler
1966 in Bruneck geboren. Architekturstudium in Innsbruck, 1991 Diplom. Ausbildung in Computersimulation in Paris. Seit 1992 eigenes Architekturbüro, 1996 Mitbegründung der Baumanagementfirma Hitthaler. Referententätigkeit u. a. auf der Passivhaustagung in Kassel, Gastprofessur in Ferrara.
 
 
 
 
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